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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (77)

(Was bisher geschah)

"Regula", wiederholte Kurtchen.

"Warum nicht", sagte Gernolf, der Kurtchens Wiederholung ganz zutreffend als Frage aufgefaßt hatte. "Selten, aber nicht so behindert modisch und di­stinktionsverkrampft, wie es in unseren Kreisen heutzutage Sitte ist."

"Außerdem irgendwie schweizerisch."

"Ich steh auf die Schweiz", gab Gernolf zu. "Ein sagenhaft designtes Land. Österreich dagegen hat praktisch überhaupt kein Design. Ein Schweizer Bahnhof ist allein der überlegenen Grafik wegen immer ein Vergnügen, ein Bahnhof in Österreich dagegen kann so sauber sein, wie er will, er sieht im­mer verlottert aus, weil das Design Scheiße ist. Dasselbe gilt im großen und ganzen für die Länder insgesamt."

Kurtchen schwieg, diesen Vortrag hatte der Freund schon häufiger gehalten. Gleich käme der Teil mit dem Eisenbahnlogo.

"Brauchst dir nur die Logos der Eisenbahnen ansehn", sagte Gernolf und sah wie zum Zeichen, daß ihn die Sache eigentlich gar nicht interessiere und er sich und kollateral auch Kurtchen mit seinem Vortrag bloß die Zeit ver­treibe, wieder aus dem Fenster, wo das Grün noch sommerlich war, die Luft aber bereits blau und herbstlich in die Nase stieg. Kurtchen fiel ein, wie sehr er früher diese beiden Momente geliebt hatte: diesen späten, von Tucholsky als fünfte Jahreszeit verewigten und, erst recht, den verwandten im Vorfrühling, wenn es, abends, zum ersten Mal nach Som­mer roch, nach Erde, Dunst und Räuschen unter Bäumen; und das Herz vor Sehnsucht sprang. So egal ihm das Älterwerden war – jeden­falls solange er noch ohne Treppenlift seine fünf Stockwerke hochkam und seine Zähne mehrheitlich im Original waren –, ja, so sehr er sich darüber freute, daß der Klammergriff des Sexus nicht mehr ganz so schmerzhaft preßte und er, Kurtchen, Anlaß hatte zu vermuten, der Pubertät, auch der späten, die ge­rade unter den Besten so lange mahlt und wütet, nun aber doch entkommen zu sein, so sehr vermißte er das Loch, das früher Frühlingsnäch­te in ihm ris­sen und das, wie die Grube mit Grund­wasser, mit ungelebtem Leben drängend vollief.

"Das ÖBB-Logo, wie mit Photoshop im Kaffeehaus zusammengefingert", redete Gernolf im Hintergrund trostreich auf die Scheibe ein, "das würde ich jedem Grafikstudenten als vollkommen inakzeptabel um die Ohren hauen, weil es nämlich bloß irgendwie ausschaut, wie das Logo irgendeines mittel­ständischen Fleischfabrikanten, wo dann Fleisch und mehr Punktpunktpunkt druntersteht. Da ist die halbe Idee, die drinsteckt, fast schlimmer als gar kei­ne Idee. Das Logo der SBB dagegen: Da möchte ich schon Zugfahren, wenn ich das nur sehe, da ist, wenn ich mal so vulgärhegelisch extemporieren darf, eine Idee zur Wirklichkeit gelangt, die Idee von Schönheit und Moder­ne und Fort­schritt nämlich. Das einzige, was bei den ÖBB zur Wirklichkeit gelangt, ist Österreich als Designschrotthaufen."

Schloß Gernolf herzlich und suchte, gewissermaßen beifallheischend, wieder Blickkontakt. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (76)

(Was bisher geschah)

"Beim Thema Apfelsaft lassen Kinder nicht mit sich handeln", las Kurtchen still, und Gernolf, mit dem einen Fuß auf der Rolltreppe, sagte in einem Ton, der zirka das Gefühl ausdrückte, das Kurtchen eben in der U-Bahn überfallen hatte: "So ein Schwachsinn. Kinder trinken praktisch alles, solange nur ge­nügend Zucker und Farbstoffe drin sind" und stellte sich (demonstrativ, wie Kurtchen fand) rechts auf die Treppe. Kurtchen sagte nichts, sein Vorrat an zivilisationskritischem Furor war fürs erste aufgebraucht, er würde sich erst wieder aufregen, wenn drei dönerfressende Esel sich in der leeren Bahn ne­ben ihn setzten und ihn vollstanken. Aber es war Samstag, die S-Bahn wäre nicht leer. Ordnungsgemäß stellte Kurtchen sich hinter den Freund, besah sich dessen Nacken und ertrug die kommunikationsfeindlichen Sekunden besser als die meisten.

In der Bahn schwiegen sie, auf eine freundliche, freundschaftliche, ein biß­chen müde Art, und abermals merkte Kurtchen, daß ihm die Fahrt als sol­che gefiel und er, wo er schon mal saß, momentlang nichts dagegen gehabt hätte, wenn sie, einen sehr langen Bogen beschreibend, nach einer Stunde wieder da geendet wäre, wo sie begonnen hatte. In seinem Rücken redete eine Mutter auf ein Kind namens Heinrich ein, und Kurtchen mußte an sei­nen jüngstvergangenen Aufenthalt in der Rewe-Kassenschlange denken, als eine Mutter ihre im Grundschulalter befindliche Tochter mit den Worten "Constanze, laß das Snickers liegen!" ermahnt hatte; und wie er den felsen­festen Entschluß gefaßt hatte, seine Tochter Petra und seinen Sohn Frank zu nennen. Oder Horst. Geschwister Horst und Petra Sahne. Diese verzweifel­ten Individuationsversuche; früher hatten sich die Leute einfach einen Phan­tasialand- oder „Nicht hupen! Fahrer träumt von Eintracht Braunschweig“-Aufkleber an den Audi geklebt, und gut war es gewesen. Heute zeugten sie Kinder und nannten sie Constanze und Heinrich; dabei würde es reichen, mal auf diese ewigen Outdoorjacken zu verzichten.

Er ginge demnächst wieder mal zum Penny, da war die Welt aus Mandy, Jasmin und Hakan noch in Ordung.

Sie hatten die Vororte erreicht, auf den Bahnsteigen standen Männer in kurz­en Hosen und Frauen mit dem, was in Deutschland als Frisur durchging.

"Wie würdest du deine Tochter nennen?" fragte Kurtchen Gernolf, wurde aber vom Lautsprecher und seinem "Zurückbleiben, bitte" unterbrochen, was ihm Gelegenheit gab, die Frage, als Gernolf ihn mit hochgezogenen Au­genbrauen ansah, frisch zu formulieren:

"Wie würdest du unsere Tochter nennen?"

"Regula", sagte Gernolf. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (75)

(Was bisher geschah)

Gernolf sah schon fragend auf, wahrscheinlich hatte er, Kurtchen, irgendeinen Laut der Verzweiflung fahren lassen; aber er hatte schon die Lust verloren, sich mit dem Abhub weiter zu beschäftigen, wollte auch nicht für die Weiterverbreitung dieser neuerlichen Kardinalgemeinheit sorgen. Er blies einfach die Backen auf, schüttelte, weil das dazugehörte, den Kopf und wollte die Sauerei vor Mißbilligung schon richtiggehend wegfeuern, als er merkte, daß dazu gar kein Platz war, das Nachbarbankkarree war voll besetzt, und neben Gernolf war zwar frei, aber die Distanz zu knapp. Kurtchen überlegte, ob es möglich wäre, den Dreck voller Verachtung wegzulegen, und resignierte. Man entkam diesen Dingen einfach nicht; also stopfte Kurtchen das schäbige und grundverkom­mene Magazin wieder dahin, wo er es herhatte, ohne noch erfahren zu haben, was genau den Schlagersänger Udo Jürgens, wie auf dem Titel annon­ciert, nun zu einem solchen Genie machte.

Ohnehin mußten sie aus- und umsteigen, und Kurtchen wäre am liebsten sit­zengeblieben und bis zur Endstation durchgefahren, ohne Grund und Ziel, etwas, was er noch nie im Leben getan hatte, nicht einmal, nachdem er vor (Kurtchen mußte rechnen) Jahren hergekommen war und sich also seine neue Heimat vielleicht nicht aus dem U-, aber doch aus dem Straßenbahn­fenster hätte anschaun können. Gernolf hatte das immer getan, wenn er in eine neue Stadt gezogen war: sich einfach ein Tagesticket gekauft und von einer Endstation zur nächsten. Sie standen schon auf der Rolltreppe, als Kurtchen sicher war, daß er das niemals im Leben tun würde, ja schlechter­dings nicht tun konnte. Er überlegte, daß er unfähig sei, Dinge ohne Grund zu tun; aber war die Absicht, sich eine fremde Stadt, eine neue Umgebung zu besehen, nicht Grund genug? Sie waren schon im Marsch auf die nächste Rolltreppe, diesmal nach unten, zum anderen Gleis, als er immer noch ohne Antwort war und sich aber zwang, die Sache nicht weiter zu verfolgen; er fürchtete, daß hier ein Hund begraben lag, vielleicht nur ein kleiner, aber doch ein Hund. Kurtchen beschloß, die Sache später, in alkoholisiertem Zu­stand, noch einmal durchzudenken, wenn er sie, was na­türlich auch anginge, dann nicht schon vergessen hätte.

Gernolf, ein Freund auch in dieser Situation, zeigte ablenkend auf eine Re­klamewand, von der Kurtchen sicher war, daß sie noch nie etwas anderes ge­zeigt hatte als eben diese Werbung für einen Apfelsaft, die vor Alter schon ganz ausge­blichen war. (wird fortgesetzt) 

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (74)

(Was bisher geschah)

Sie hatten Glück gehabt, die Bahn war gekommen, als sie eben die Rolltrep­pe verließen, und Kurtchen hatte sich gewundert, warum ihn das so freute, denn eilig hatten es beide nicht, und die Bahnen fuhren schließlich in zurei­chend hoher Frequenz; und weder war er ungern, wo er herkam, noch da, wo es hinging. Kurtchen, während Gernolf, gähnend und die Hände in den Ta­schen seiner Jeans, sich schlurfend asymptotisch der hereinsausenden, blau­grünen Kolonne näherte, überlegte, daß ihn die bloße Eleganz des Vorgangs freute, daß ihn die Tatsache des reibungslosen Übergangs ein starkes Argu­ment für die Richtigkeit seiner Pläne war: auch hier war Form der höchste Inhalt.

Jetzt saßen sie jedenfalls in der schon wieder ziemlich vollen Bahn, das ein­kaufswillige, mehrheitlich in seine Mobiltelefone starrende Publikum eines freundlichen Samstagnachmittags, auf dem Weg zu Karstadt, Jeans Inn oder Schuh-Görtz. Gernolf hatte noch immer die Hände in den Taschen und den Kopf an der Scheibe, was ihn ungelenk aussehen ließ, aber (und vielleicht deswegen) auch jünger machte; Kurtchen hatte eine Ausgabe des Bahnma­gazins Mobil entdeckt, die zwischen Sitz und Wagenwand stak und von der nicht recht einleuchtete, wo sie herstammte, diese Linie war nämlich keine, die zum Bahnhof fuhr. Immerhin konnte es sein, daß die Wagen immer mal wieder auf anderen Linien eingesetzt wurden, damit ihnen, wie Kurtchen schalkhaft dachte, nicht langweilig würde. Er beschloß, auch die­ses Rätsel Rätsel sein zu lassen und blätterte, da Gernolf weiter schwieg, an­gelegentlich durch den Kundenbindungsunschlitt. Und las:

"Frage des Monats: Dicki oder Schnucki? Ihre Freundin will es wissen: 'Fin­dest Du mich zu dick?' Sagen Sie die Wahrheit oder antworten Sie nett und diplomatisch? Schicken Sie ihre Antwort [Dicki oder Schnucki] bis zum", schon vorbei, schade, "per SMS an 32222. Als Dankeschön für Ihre Teilnah­me erhalten Sie eine für Sie kostenlose SMS mit der Auswertung der Ab­stimmung aller Teilnehmer sowie einen kostenlosen Handy-Klingelton zum Download: eine platzende Brötchentüte."

Wie erschrocken sah Kurtchen auf und in den Waggon hinein; aber auch nach dieser Sauerei, nach diesem postdemokratischen Hirnskandal, nach die­sem Verrat an allem, was Geist zu nennen die Menschen sich trotz allem verstanden, machte alles einfach weiter, suchte im Smartphone nach Bröt­chentütenklingeltönen und scherte sich nicht; und Kurtchen fand sich aber­mals eingewickelt in diesen spezifischen Gefühlsstoffmix aus 50 Prozent Überlegenheit und 50 Prozent Depression, denn siehe: "'Laubbläser oder Blasmusik – was nervt mehr?' fragten wir in unserer vergangenen Ausgabe. 81 Prozent antworteten LAUB und 19 Prozent MUSIK" – – – und wo, ach, wo war das tausendstel Prozent, das antwortete: ARSCHGESICHTER...

Gernolf gähnte abermals. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (73)

(Was bisher geschah)

Kurtchen schüttelte den Kopf, aber so, daß es keiner merkte. Dann kam zum Glück das Frühstück.
Als die dicke Frau gerade zum vierten Mal den Taxistand inspizierte, schwamm Fisch in beider Mägen, und es war an der Zeit, den weiteren Tagesverlauf zu besprechen.

"So. Und nu?" begann Kurtchen lahm, aber entspannt, es konnte jetzt fast nichts passieren.

"Pfff", machte Gernolf bedeutungslos, wie erschöpft; daß ihn das Gespräch über Novellen, Taxis und Thomas Mann mitgenommen hatte, als dann doch in Grenzen lebens­entscheidend, ließ sich nicht ausschließen.

Kurtchen sah, um Zeit zu gewinnen, auf die Uhr.

"Die sitzen da ab zwo", machte er matt.

"Wo noch mal?" fragte Gernolf kongenial zurück.

"Ich weiß gar nicht mehr, wie das heißt. Wir waren da aber mal zusammen, weißt du noch, wo der Primero den Kommissar von der Gundula zusammen­gebrüllt hat, und später hat er dann den Bembel umgeschmissen, und du kamst vom Klo zurück und hast gesagt: Ihr trinkt vom Tisch?"

Gernolf spannte die Augenbrauen auf und ließ die Unterlippe hervorquellen zum Zeichen, daß Kurtchen ihm aufhelfe.

"Na komm", half Kurtchen fast ärgerlich. "Ihr Ficker trinkt vom Tisch?!"

"Aaah!" machte der Freund, dem gerade das Ficken zur Vervollständigung des Erinnerungspuzzles noch gefehlt haben mochte, und Kurtchen sah förmlich, wie die Erinnerung Gernolf flutete.

"Jut!" berlinerte Gernolf freudig, und seine Freude schien zu gleichen Teilen zusammengesetzt aus der wiedergefundenen Zeit, der zu erwartenden Zeit und der Zeit, die er deshalb nicht am Schreibtisch verbringen mußte, um No­vellen über Schweine und dicke Frauen, die in Taxiwagen steckenbleiben, anzudenken.

Zwei, vielleicht sogar acht Sekunden lang, während Gernolf sein Portemon­naie aus der Jacke fingerte, erinnerte sich Kurtchen an seine Adoleszenz, als das gepflegte Sich-Betrinken im freundlichen Ambiente einer Gastwirtschaft eine gute Weile lang Attraktion und Abendordnungspunkt aus eigenem Recht gewesen war, eine Veranstaltung, auf die man sich regelrecht freute und deren Reiz zusammengesetzt war aus Pubertät, Freundschaft, Frische der Entgrenzung und simpler, tiefer Vorfreude auf alles, was noch käme und so sehr vor einem lag, daß fünf, sechs Weizen auf keinen Fall schaden konnten, grad dann nicht, wenn man, irgendwo in den Tiefenschichten der juvenilen, altersgemäß in allerlei Deprimiertheit- und Unsicherheiten steckenden Seele, längst wußte, wie es würde; nämlich anders.

Trotzdem, nein: deswegen war er damals, in diesen Stunden, immer glück­lich gewesen; und eben war es Kurtchen, als spüre er diese Vorfreude noch einmal.

"Dann los?" Fragte Gernolf, und Kurtchen sagte, man müsse noch zahlen.

Am Zoo stiegen sie in die U-Bahn. (wird fortge­setzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (72)

(Was bisher geschah)

Wie um Kurtchen eine Fristverlängerung zu gewähren, erschien jetzt auch die Bedienung, und Kurtchen überraschte sich damit, daß er enttäuscht war, weil sie nicht kam, um das Frühstück zu bringen, sondern um die Bestellung für ein solches erst einmal aufzunehmen.

Nachdem das erledigt war, wußte er endgültig nicht mehr, was er Gernolf sagen sollte, weil es nach wie vor zu früh war für grundsätzliche Kommenta­re zur Lebenssituation anderer und weil er einerseits nicht einer sein wollte, der Gernolfs quasikünstlerisches Geeiere durch wohlwollendes Zureden ver­längerte, andererseits auch nicht dafür einstehen konnte, daß der alte Knall­kopf und Tagedieb nicht nächstes Jahr die Novelle des Jahrzehnts hinaus­haute. Ein fliehendes Taxi. O Mann.

"Wie ist es denn", fragte Gernolf jetzt zurück und klang wie einer, der Angst vor der Antwort hat.

"Wenn du", begann Kurtchen und zwang sich, den Blick vom Taxistand zu wenden, "dich, ähm … vielleicht wirklich erst einmal auf so kleine Sachen konzentrierst, dann … – ist das auf jeden Fall, na ja, was weiß ich, nicht gleich wieder so ein Krampf wie mit einem Großroman, du mußt ja nicht gleich der neue Franzen werden, ist doch vielleicht nicht schlecht, klein an­zufangen, steigern geht später immer noch", was zum Teufel laberte er da bloß, "und eine Novelle, gut, da hättest du schon mal den Bauplan, das käm dann von, pfff, vornherein mehr vom Stofflichen", sehr gut, Kurt, weiter!, "und die Gefahr ist kleiner, daß man sich in irgendwelchen Erzählebenen und diesem ganzen Scheiß", sehr gut, "verrennt", besser: verirrt, aber gesagt, war gesagt, "und vor allen Dingen könntest du ohne allzu großen Aufwand", so ein Quatsch, aber egal, "jedenfalls erst einmal, na ja, vielleicht, was zu Ende bringen?" Ups. Dachte Kurtchen dann doch und sah, während er Ger­nolf wie mutig anschaute, vor seinem geistigen Auge, wie Gernolf aufstand, erklärte, er, Gernolf, denke gar nicht daran, seine, Kurtchens, Frau zu ficken, einen Schein auf den Tisch legte und ging. Aber Gernolf saß und äugte wä­gend, die Arme vor der Brust. Und Kurtchen hatte ja auch gar keine Frau. Noch nicht. Der Inhalt seines Unterbauchs stellte sich kurz auf den Kopf. Dann ging es wieder.

Gernolf schwieg, aber nicht feindlich, und Kurtchen dämmerte, daß er, ge­wissermaßen aus Versehen und purer Not, genau die richtige Antwort gege­ben hatte. Wieder lief die Frau am vordersten Taxi vorbei, diesmal in die an­dere Richtung. Vielleicht traute sie sich nicht, ein Taxi zu betreten. Aus Angst, in der Tür steckenzubleiben.

"Nimm dir", fuhr Kurtchen, indem er die Tonkurve sanft sich senken ließ zum Zeichen, daß genug gesagt sei, passabel fort, "die sogenannte unerhörte Begebenheit und erzähl sie. Stell dir vor, du siehst das im Fernsehen oder liest es irgendwo und willst einfach wissen, wie es ausgeht. Warum die di­cke Frau da zum Beispiel gleich zum dritten Mal an den Taxen vorbei­streift."

"Was für eine dicke Frau", fragte Gernolf, der offenbar nicht den Ehrgeiz hatte, sich auf dem Klappentext seiner Erstlingsnovelle als präziser Beob­achter feiern zu lassen. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (71)

(Was bisher geschah)

"Ähm", machte Kurtchen, der momentweise nicht mehr wußte, worum es ging.

"Aber was verstehst du schon davon. Klempner."

Das war, wußte Kurtchen, nicht böse gemeint. Gernolf, exemplarisch ver­kracht, wie er war, hätte auch wenig Grund dazu gehabt.

"Es muß einer nicht Koch sein, um zu merken, daß die Suppe versalzen ist", nahm Kurtchen, ironisch deklamierend, den Handschuh auf; und schalt sich intern sogleich unachtsam, denn er hatte zwar keine Lust auf eine Meinung, hatte aber trotzdem eine geäußert. Andererseits war er sehr gut im Meinung­haben, nämlich dann, wenn es ihn nicht selbst betraf. Trotzdem grinste er vag-ab­wartend, er wußte nicht, was er zu all dem sagen sollte. Novellen. Gute Güte.

"Gibt ja noch gar keine", sagte Gernolf, und Kurtchen vermochte nicht zu sagen, ob der Verdruß, den er zu hören glaubte, gespielt oder echt war.

"Das ist ja immer das Elend!" rief der Freund geradezu. "Daß man lieber ißt als kocht! Apropos, ich habe Hunger", fügte er geistesgegenwärtig hinzu und schaute wie mit wie frisch erwachten Lebensgeistern nach dem Fräulein.

Kurtchen erinnerte sich, daß genau das über den Bundespräsidenten neulich in der Zeitung gestanden hatte, warum auch immer: daß er, der Bundespräsi­dent, lieber esse als koche, auch gar nicht kochen könne, und Kurtchen wußte, daß diese Art Information genau den Speicherplatz besetzt halten würde, auf dem andere Leute, die nicht dafür disponiert waren, sich immer nur präzis den dümmsten Quatsch zu merken, den genauen Inhalt des vor zwanzig Jahren gelesen Manns ohne Eigenschaften liegen hatten.  

"Vielleicht ist das gar keine schlechte Idee", sagte er dann, um den Bundes­präsidenten aus dem Kopf zu kriegen, wie er, zwei Eier in der Hand, so rat- wie lustlos vor dem Designer-Induktionsherd steht. Gernolf, der sich schon wieder nach der Bedienung umgesehen hatte, drehte retour und merkte auf, und Kurtchen schämte sich ein bißchen, daß er sich grad noch ein stilles, problem- und also freundfreies Frühstück gewünscht hatte: Hier waren Wor­te nötig, und zwar möglichst warme.

"Es ist doch so", begann er und sah schon wieder auf den Taxistand, denn er wußte gar nicht, wie es war. Am vordersten Wagen ging eine ziemlich dicke Frau vorbei, und obwohl Kurtchen eher selten Taxi fuhr, war er sich sicher, noch niemals mit einer dicken Taxifahrerin unterwegs gewesen zu sein. Di­cke Frauen wurden wahrscheinlich keine Taxifahrerinnen, vielleicht war das verboten oder Unsinn, weil die erlaubte Zuladung dann zu klein wäre und nur noch für einen Hund oder ein Grundschulkind reichte, und wer ließ sein Kind schon alleine Taxifahren? Es wäre, dachte Kurtchen, während die Bedienung endlich anrauschte, wirklich einfa­cher, Gernolf wäre eine dicke Frau und heischte Stellungnahme zu dem Plan, Taxi zu fahren, da könnte man wenigstens bedenkenlos abraten. Aber Kurtchen war noch nie mit einer dicken Frau befreundet gewesen, er kannte nicht mal eine. (wird fortgesetzt)

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Dir, Tod,

gefiel es im Jahr 2010, im Abstand von einem Tag Bärbel Bohley (11. September) und Claude Chabrol (12. September) abzuberufen, worauf wir damals in unserer Online-Rubrik »Fakt vs. Frage« scharfsinnig spekulierten, als Nächstes treffe es nun wohl Dieter Dehm, Erhard Eppler und Frank Farian. Knapp daneben! Denn Frank Farian holtest Du erst dieses Jahr, am 23. Januar – nicht ohne vorher noch die Büchnerpreisträgerin Elke Erb (22. Januar) abzuräumen.

Und langsam durchschauen wir Dich, Gevatter: A darf leben, B und C müssen sterben; D darf leben, E und F müssen sterben …

Um es kurz zu machen: Gundula Gause ist, trotz ihres boulevardmedial großflächig breitgetretenen Schwächeanfalls vom Dezember (Bild: »total unnötig«, »hätte mich krankmelden sollen«), fürs Erste fein raus, während Heimatsänger Hansi Hinterseer und Malertochter Ida Immendorff sich lieber schon mal das letzte Hemd anziehen sollten. Stimmt’s?

Gruselt sich vor der Antwort: Titanic

 Einfach mal kreativ sein, Rishi Sunak!

Der BBC sagten Sie: »Ich bin nicht sicher, ob sich die Leute so sehr für meine Ernährung interessieren, aber ich versuche, zu Beginn jeder Woche etwas zu fasten.« Wir glauben, dass Ihre Unsicherheit berechtigt ist: An Ihren Beliebtheitswerten kann man ablesen, dass sich das Interesse an Ihren Gewohnheiten in Grenzen hält.

Das ließe sich aber leicht ändern: Bei den ganzen verschiedenen Varianten wie TV-, Auto- und Plastikfasten gäbe es bestimmt auch für Sie etwas, durch das Sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit »eight days a week« auf sich zögen. Wie wäre es z. B. mit Abschiebungsfasten, Verbrennerverbotverzögerungsfasten oder Zweiteamtszeitfasten?

Nur dass Sie gerade beim Thema »Neuwahlen« dem Verzicht huldigen, sollten Sie nach Ansicht der Mehrheit Ihrer Landsleute schleunigst ändern. Zwischendurch kann man sich doch auch ruhig mal was gönnen, oder?

Mampft Ihre Scones mit Clotted Cream und reichlich Marmelade gleich mit: Titanic

 Bonjour, Marine Le Pen!

Bonjour, Marine Le Pen!

Das Potsdamer Treffen der AfD mit anderen extremen Rechten war selbst Ihnen zu heftig: Sie seien nie für eine »Remigration« in dem Sinne gewesen, dass Französinnen und Franzosen ihre Nationalität entzogen würde, selbst wenn die Einbürgerung unter fragwürdigen Bedingungen geschehen sei, meinten Sie und fügten hinzu: »Ich denke also, dass wir, wenn es denn so ist, eine krasse Meinungsverschiedenheit mit der AfD haben.«

Keine Ahnung, Le Pen, ob Sie mit dieser Haltung eine Chance aufs französische Präsidentenamt haben. Ministerpräsidentin von Thüringen würden Sie mit diesem Weichei-Schlingerkurs aber ganz sicher nicht!

Schon ein bisschen enttäuscht: Titanic

 Moin, Hamburger Craft-Brauerei ÜberQuell!

Dein Firmenname zeugt ja bereits von überschäumender Wortspiellust, aber so richtig freidrehend auf die Kacke haust Du erst bei den Bezeichnungen Deiner einzelnen Biersorten: Die heißen nämlich zum Beispiel »Supadupa IPA«, »Palim Palim Pale Ale«, »Pille Palle Alkoholfreies Ale« oder sogar »Franzbrewtchen Imperial Pastry Brown Ale«. Auweia!

Gerade bei Letzterem, das außerhalb Hamburgs von vielen gar nicht zu entschlüsseln sein dürfte, mussten wir, obschon viel gewohnt, dann doch schlucken, weil uns allein der Name innerhalb von Sekunden pappsatt und sturzbetrunken machte. Er erschien uns einfach zu brewtal, fast schon brauenhaft! Auf Dein Bier haben wir dann lieber verzichtet.

Aus der Ausnüchterungszelle grüßt trotzdem: Titanic

 Na, na, na, welt.de!

»Warum ›Barbie‹ klüger ist als alle anderen nominierten Filme zusammen«, titeltest Du in Deinem Feuilleton bezüglich der diesjährigen Oscar-Kandidaten. Allein: Wir haben noch mal den Taschenrechner gezückt, und wenn man auch die Dokumentar-, Kurz- und Dokumentarkurzfilme berücksichtigt, sind alle anderen nominierten Filme zusammen exakt 1,76 Klugheitspunkte klüger als »Barbie«.

Welches Medium dümmer ist als alle anderen Medien zusammen, braucht hingegen nicht nachzurechnen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Und das Brot erst!

Einen Krankenwagen rufen, ohne sich in Schulden zu stürzen, mehr Urlaubs- als Arbeitstage, Bier zum Frühstück: Deutschland ist toll. Mit solchen Takes können US-amerikanische Influencerinnen hierzulande natürlich punkten. Aber betreiben sie damit nicht einfach nur billiges Kraut-Pleasing?

Alexander Grupe

 Authentisch

Jedes Mal, wenn mir ein bekennender Feinschmecker erklären will, wie aufwendig ein echt italienisches Risotto zubereitet gehört, habe ich das Gefühl, es würde stundenlang um den heißen Brei herumgeredet!

Mark-Stefan Tietze

 Pandemisches Passionsspiel

Die Erfahrungen aus der Coronazeit wirken teils immer noch nach. So fragt man sich heute bei der Ostergeschichte: Hat Pontius Pilatus, als er seine Hände in Unschuld wusch, dabei zweimal »Happy Birthday« gesungen?

Jürgen Miedl

 Lauf, Junge!

Die Ordner bei einem Fußballspiel würden sich wesentlich mehr Mühe geben, wenn sie bei der Jagd nach dem Flitzer auch nackt sein müssten.

Rick Nikolaizig

 Nach Explosion in der Molkerei

Alles in Butter.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
21.03.2024 Bamberg, Konzerthalle Martin Sonneborn
21.03.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
22.03.2024 Bayreuth, Zentrum Martin Sonneborn
22.03.2024 Winterthur, Bistro Alte Kaserne »Der Unsinn des Lebens« mit Pause ohne Ende