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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (84)

(Was bisher geschah)

Kurtchen nahm wahr, wie Heiner, ebenso freundlich, die Augen verdrehte und "Internet" äffte, aber leise, wie um die Lächerlichkeit des Einwands, der einer Antwort eigentlich nicht würdig sei, zu bekräftigen.

"Was fährst du auch Auto", sagte Kurtchen, mehr, um auch mal was zu sa­gen, als daß er was gegens Autofahren gehabt hätte; vom Schriftsteller Bern­hard war immerhin der Satz überliefert, er sei nur glücklich, wenn er im Auto sitze und weder in A noch in B, sondern auf dem Weg dazwischen sei. Das leuchtete auch Kurtchen ein, der ja selber Auto fuhr und sich den Schriftsteller Bernhard auch gar nicht in einem Bahnabteil, einem ganz und gar entsetzlichen, verkommenen, objektiv fürchterlichen Bahnabteil vorstellen konnte.

Kurtchen hatte aber keine Gelegenheit, sich für seinen planen, unterkomple­xen Einwand zu schämen, da endlich, von Gernolfs Verrenkungen aufmerk­sam gemacht, eine Bedienung erschien. Es hatte Auftritt ein kleiner, mittelalter, tief schwarzhaariger Mann mit einem, wie Heiner wohl gesagt hätte, irgendwie mausartigen Gesicht und übermäßigen Koteletten, die im Verbund mit des Mannes Garderobe, die aus einer verblichenen schwarzen Stoffhose und einem zwar weißen, allerdings bereits ins ranzig Eierschalige verwitterten Hemd sich zusammenfügte, nicht den großstädtisch-modischen Eindruck er­zeugten, den Inhaber hypertropher Koteletten in der Regel zu erwecken be­absichtigten, sondern, im Gegenteil, einen im Präteritum entschlossen stecken­gebliebenen; und Kurtchen ging es langsam auf die Nerven, daß schon wie­der eine Erinnerung in ihm hochquoll, an die dörfliche Speisegaststätte näm­lich, die er mit seinen Eltern in der Kindheit häufiger frequentiert hatte und die aus zweierlei Gründen einen festen Platz im Familiengedächtnis ein­nahm: wegen der Fliegen, die er und seine Schwester, die Wartezeit, bis die Hähnchen kämen, zu überbrücken, im Dutzend totschlugen, ohne daß es ir­gendwen interessiert oder wenigstens grenzwertig vorgekommen war (das Wort gab es damals halt noch nicht), und wegen des Kellners, eines kleinen, tief schwarzhaarigen, irgendwie nagetierhaft aussehenden Mannes mit schon damals nicht mehr zeittypischen Koteletten, verschossener Montur (wenn das, argwöhnte Kurtchen, nicht eine unzulässige Rückübertragung war) und, vor allem, streichholzkopfbreiten Trauerrän­dern unter den Fingernägeln, was dem Auge nicht verborgen blieb, weil der Daumen, einem ungeschrieben Gesetz damaliger Provinzga­stronomie folgend, immer so vollständig wie möglich auf dem Teller lag.

"Warum", machte jetzt Fred, nachdem der Nager schweigend die Getränke­wünsche zur Kenntnis genommen und den Rückweg angetreten hatte, "du fährst doch auch Auto. Nicht gut, aber du fährst!"

"Er kann ja die Kloschüsseln nicht zu Fuß durch die Stadt tragen", half Ger­nolf, und Kurtchen ärgerte sich trotzdem. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (83)

(Was bisher geschah)

Tatsächlich war jetzt ein Getränk vonnöten; einerseits, weil es warm und die Anreise ja ohne Flüssigkeitszufuhr vonstatten gegangen war, zweitens, weil Kurtchen sich in Petras Nähe nicht recht behaglich fühlte, um so weniger, als ihm seine Vergangenheit schon wieder im Genick saß; und Kurtchen, während er sich halbherzig mühte, den Gesprächsgegenstand der anderen zu eruieren, die alte lästige Frage auf Abstand zu halten versuchte, warum er die Dinge getan hatte, die er getan hatte, und warum andere nicht. Es war, er wußte das, ganz sinnlos, das wissen zu wollen, das Leben blieb, was der Fall war; und trotzdem hätte er gern eine Erklärung gehabt. Die hatte er nicht, und wenn er mal eine hatte, kam sie ihm wie eine Rechtfertigung vor, und eine Rechtfer­tigung war keine Erklärung. Eine Rechtfertigung war ja bloß die Erklärung des kleinen Mannes, dachte Kurtchen versuchsweise und zwang sich, weil kein Bier in Sicht war und er weiterhin nicht wußte, was Petra nie probiert hatte, dies noch aufzuhellen, bevor der Tag dann weiter­ging: In der Rechtfertigung lag schon das Wissen, es verdorben zu haben, sie war bloß der Versuch, das Ausbleiben eines Gelingens als weltgeistkompatibel und gewissermaßen naturnotwendig auszumalen. Was er, Kurtchen, suchte, waren aber keine Rechtferti­gungen – die hatte er zur Genüge, er hatte sich sein halb­es Leben lang für je­den Scheiß gerechtfertigt, allein dafür, daß er trotz akademischer Bildung Gasthermen wartete, stand ständig eine Rechtferti­gungspflicht im Raum –, nein: er suchte eine Erklärung. Er suchte einen gu­ten Grund für all die guten Gründe. Und da es den nicht zu geben schien, da alles immer irgendwie ge­schah und Evidenz reklamierte, fühlte er sich den Vorgängen auf eine Weise ausgeliefert, die genau die Biere heischte, die momentan nicht kamen. Aus irgendeinem Grund, der so gut oder so schlecht war wie jeder andere auch.

"Irgendwie achthundert Euro", sang Irgendwie-Heiner, das Thema schien gewechselt zu haben.

"Ist das viel?" fragte Petra, ehrlich Anteil nehmend.

"Keine Ahnung", replizierte Heiner, "irgendwie weiß ich das kein Stück. Ich meine, für mich ist das auf jeden Fall irgendwie viel. Der Typ beim TÜV meinte, der Motor verliert irgend­wie Öl, und ich so, aha, und der Prüfer sagt, das tropft voll unten raus, und ich sage, was, ich hab doch aber grad erst ir­gendwie die Ventilschaftdichtungen machen lassen, und gucke dabei so, als wüßte ich, was das ist, eine Ventilschaft­dichtung, jedenfalls sagt der Prüfer irgendwie, tja, trotzdem, ölt, tropft, bläst voll raus, und ich fahr zu meiner Hinterhofwerk­statt, und gestern ruft irgendwie mein Schrauber an und sagt: Achthundert Euro. Das kann natürlich irgendwie stimmen, das kann aber auch irgendwie nicht stimmen, ich meine, wie soll ich das wissen?"

"Internet", höhnte Gernolf freundlich. (wird fortge­setzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (82)

(Was bisher geschah)

Eine Weile schwiegen alle, es herrschte (falls es nicht einfach Verlegenheit war) eine geradezu feierliche, mindestens andächtige Stimmung; als horche jeder in sich hinein, wie er es denn mit Mutter hielt oder gehalten hatte. Kurtchen, während er die allgemeine Stille nutzte, um an Petra vorbei ins Freie zu sehen, dachte den möglicherweise simpelsten denkbaren Gedanken, daß er nämlich Mutti mal wieder anrufen müßte; auch wenn es freilich wenig mitzuteilen gab.

Er merkte, daß er Petra ansah, gefahrlos, weil sie mit Fred über irgendeinen Roman sprach, den sie „spannend“ fand, und Kurtchen hoffte, daß es um einen Krimi oder Agentenroman ging, andernfalls er das mit Petra praktisch gleich begraben konnte; wenn sie nämlich, der Mode der Zeit entsprechend, den Spannungsfall zur Alltäglichkeit werden ließ und von Einkaufsbummeln bis Schuppenflechte alles gleichermaßen und egalweg spannend fand; und ihm sank das Herz, als die Erinnerung an gestern nacht ihn flutete, da hatte sie, die schöne Petra (wie Kurtchen trotzig, vielleicht aber auch bloß wehleidig dachte), ja auch schon geredet, wie man das als durch Fernsehn und Bunte zerebral versauter Stumpfkopf eben heutzutage tat. Und während Irgendwie-Heiner aus Gründen, die fürs erste im Vagen bleiben mußten, in Gelächter ausbrach, kamen Kurtchen, gegen seinen Willen, Zweifel, ob er für derlei Kompromisse, wie sie im Falle, daß sich die Sache mit Petra entwickeln würde, womöglich anstünden, nicht zu alt und zu gebrannt sei.

"Das versteht sich", sagte Fred, in freilich anderem Zusammenhang.

Das Gespräch drehte sich immer noch um Lektüre, und Kurtchen fiel auf, daß er noch gar keine Gelegenheit erhalten hatte, ein Getränk zu ordern. „Laß mal die Luft aus dem Glas“, wie Ulrike immer gesagt hatte, und zwar ohne jede Ironie, und Kurtchen, der damals noch davon überzeugt gewesen war, man gewöhne sich an alles, hatte sie trotzdem geheiratet, obwohl seine erste Ehe ja bereits und jedenfalls unter anderem daran gescheitert war, daß er Sibylles Tischmanieren (bzw. deren Fehlen) nicht ertrug und es, gegen die Hoffnung, auch nicht lernte, sie zu ertragen. Man zog den Wein nicht durch die Zähne wie ein Mundwasser, aß Erbsen nicht mit dem Löffel, und wenn doch, dann galt mit Mutti wenigstens: Der Löffel geht zum Mund, nicht der Mund zum Löffel.

„Ist doch auch irgendwie logisch!“ krähte Heiner.

Einmal hatte er, Kurtchen, eine Einrede gewagt, unter Krämpfen, weil er sich nicht wie seine eigene Mutter anhören wollte, aber andererseits fand, daß Essen, mindestens das gemeinsame, gewissen ästhetischen Minimalanforderungen zu genügen habe. "Ah", hatte Sibylle, mehr spöttisch als gekränkt, geantwortet. "Unser Sozialist und Befreier der Arbeiterklasse ist ein Bourgeois."

"Eben", sagte wiederum Fred.

"Sozialismus heißt ja nicht, bei Tisch zu furzen", hatte Kurtchen gesagt.

"Ich furze ja auch nicht bei Tisch", hatte Sibylle geantwortet.

"Hab ich nie probiert", mischte Petra sich ein, und Kurtchen brach die Reminiszenz ab, sie war ihm, aus vielerlei Gründen, unangenehm. Das ganze Leben, ein Hallraum der Erinnerung.

"Wenn du es sagst", und Gernolf reckte sich auf der Bank nach der Bedienung. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (81)

(Was bisher geschah)

Fred schob seinen jeansbehosten Hintern anstandslos einwärts, und ange­sichts des plötzlich offenen Sitzfeldes kam sich Kurtchen eine Sekunde lang so vor wie ein Zehnjähriger, dem man den auf dem Dreimeterbrett den Vortritt läßt. Er erinnerte sich, daß es ihm als Kind wie die größ­te denkbare Niederlage vorgekommen war, vom Dreimeterbrett unverrichteter Dinge wieder hinunterzuklettern. Es konnte, ahnte Kurtchen, als er endlich saß, allerdings auch eine erfundene Erinnerung sein, denn während er sich fast sicher war, diesen Rückwärtsgang als Kind nie eingelegt, sondern sogar recht früh einen Kopfsprung aus dieser Höhe gewagt zu haben, kam ihm das Bild aus seiner jetzigen, erwachsenen Per­spektive unverlangt sehr plausibel vor.

"Na?" sagte Petra und strahlte ein bißchen. Er kniff kurz die Augen zusam­men und schürzte die Lippen, wie er es immer tat, wenn er auf eine vage Weise bonhommische, dabei aber bewährt ironische Zustimmung si­gnalisieren wollte; er hätte jetzt gerne etwas gesagt, aber er hatte keine Ah­nung, was. Daß das Wetter schön war, sah sie schließlich selbst.

"Primero nicht da?" fragte er schließlich und wandte sich nach links, von Petra weg in Richtung Fred, und er spürte, wie ihm die Ohrläppchen anliefen; es war schon zum Zuschlagen dumm, wie er sich wieder anstellte.

Mutter tot“, sagte Fred in einem Tonfall, in dem man „Bus verpaßt“ sagt.

Wie, Mutter tot“, fragte Kurtchen tief, dessen Schamhitze jetzt mit der üblichen Verzögerung die Stirn erreicht hatte und der einen Anflug von Dankbarkeit für die Sensation spürte, die von seinem verpatzten Einstand hoffentlich ab­lenkte.

"Heute morgen", gab Fred, nicht ohne ein ungewohntes Air von Gravität, das ihm gut stand, Auskunft. „Sie war wohl steinalt und seit ein paar Jahren im Al­tersheim. Hat wohl am Ende auch niemanden mehr erkannt. Das Übliche eben. Na, und dann ist sie wohl jetzt eingeschlafen. Wie man so sagt.“

Kanntest du jetzt aber nicht“, fragte Kurtchen, der langsam seine Fassung wiederfand und gewissermaßen auf für ihn unverfänglichem Terrain wieder Tritt zu fassen suchte.

"Doch", sagte Fred. "Ich war irgendwann mal mit ihm da, weil er einen Wohnzimmertisch von seinem Vater hatte, der auf den Sperrmüll sollte, den konnte ich haben. War natürlich auch neugierig, irgendwo muß Primero die­se Neigung zum Krakeelen und Lärmschlagen ja her haben. Und dann ist seine Mutter eine sagenhaft freundliche, ruhige Person, so Typ Beamtenwit­we mit Klavier in der Stube. Es ist ja eben doch Leben und keine Literatur­phantasie, wo sich die Mutter nachmittags um drei schon den Kongnak in den Kaffee kippt und mit der Flasche nach dem Sohn wirft, weil er sie beim Rommé bescheißt. Der Primero jedenfalls", Fred beugte sich jetzt wie­der vor, was, sofern er in der Hauptsache mit Kurtchen kommunizierte, ein bißchen sinnlos war, aber die Geschichte war ja von allgemeinem Interesse, "war wie ausgewechselt. Ruhig. Richtig... lieb. Ich glaube, er hat sie sehr... ge­mocht."

Kurtchen rührte es, daß ausgerechnet Fred es nicht über sich brachte, "ge­liebt" zu sagen; er sah zu Petra hin, und sie schaute zurück, mit einem freundlichen, milde spöttischen Blick, als denke sie: Männer. (wird fortge­setzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (80)

(Was bisher geschah)

Sie stiefelten durch die Vorstadt. Die Sonne wärmte golden und lag faul auf Klinker und Rauhputz, ein fuchsfarbenes Kätzchen stob unter einen breitbe­reiften Sportaudi mit Kinderwagenabteil. Auf an Vorgartentüren angebrach­ten Plastikschildern wachten Hunde, vor einer Trinkhalle namens "Zum Grieche" hielten Durstige Bierflaschen ins helle Nichts des Tages. Sie spra­chen undeutlich, die Politik kam nicht gut weg. Ein Friseurgeschäft hieß "Haare Up", an einem verhärmten grauen Häuschen hingen graue Tapeten hinter Einscheibenglasfenstern, dahinter (wahrscheinlich) eine Oma nebst Mindestrente und Bullerofen. Nebenan war wieder alles in Ordnung, das Haus war eingerüstet, die Isolierplatten lagen schon im Vorgarten. Etwas später war ein Fenster zur Straße offen, an der Stubenwand spielten sich in schneller Folge unnötige Szenen ab. Das Leben ging insgesamt seinen Gang.

Kurtchen wollte Gernolf schon fragen, wie lange es wohl noch dauere, er hatte jetzt tatsächlich Durst und konnte sich ans vergangene Herlaufen par­tout nicht erinnern, was wohl als Hinweis gelten durfte, daß es nicht allzu­lang gedauert haben konnte; und es ginge ja auch nicht schneller, wenn er es wüßte. Also fragte er nicht, zog aber die Jacke aus und faßte sie unter.

Dann waren sie auch schon da. Kurtchen entdeckte als erstes Petra, die in ei­nem roten Polo-Shirt steckte, ihre Jacke neben sich auf der Bierbank; ihr ge­genüber Fred, der, die Unterarme parallel zur Tischkante geschichtet, halb über dem Tisch hing, als gebe es Vertrauliches zu besprechen. Der vorge­beugte Fred gab den Blick auf Irgendwie-Heiner frei, der hinter ihm saß, Kurtchen erkannte ihn gleich an seiner groß geratenen Hipster-Horn­brille; wer neben Petra saß, war nicht zu erkennen.

Neben Petra saß niemand, sie waren zu dritt und jetzt, mit dem Eintreffen der Freunde, zu fünft.

"Hee!" machte Fred fröhlich und strahlte, und Kurtchen wurde ein wenig unwohl, wie immer, wenn er argwöhnte, etwas verpaßt zu haben. Und irgend etwas verpaßt hatte er ja nun garantiert, das war ja gar nicht zu vermeiden. "Das war ja wohl irgendwie klar", sagte Irgendwie-Heiner rätselhaft, indem er sich aus seiner blauen Trainingsjacke arbeitete.

"Tja", sagte Gernolf kongenial und schob sich hinter Petra auf den Platz ne­ben ihr, Irgendwie-Heiner gegenüber, so daß Kurtchen jetzt etwas unbestellt an der Stirnseite des Biertisches stand und, das paarweis vollzählige Ensem­ble vor sich, eine Platzwahl treffen mußte, die, schon weil er sich als fünftes Rad an den Wagen schrauben mußte, keine Ideallösung zuließ. Er hatte nur die Wahl, sich entweder Petra oder Hei­ner direkt auszusetzen, und beides war ihm nicht recht, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen; aber die Zeiten, in denen er lieber eine Figur wie Heiner ertragen hätte, bloß um den Eindruck zu vermeiden, er lege Wert auf die Nähe einer Dame, waren dann doch zu lange vorbei, und schließlich hat­te ihn Petra ja auch ausdrücklich in Kenntnis gesetzt und dabei haben wol­len. Und Kurtchen bedeutete Fred sou­verän, neben sich Platz zu machen. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochend-Fortsetzungsroman (79)

(Was bisher geschah)

Kurtchen, wie er so in den Spätsommersonnenschein trat und an die Abende mit Herrn Primero dachte – besonders an den einen im Schlappehannes, als er, Kurtchen, mit geborgten fünf Euro die versammelte Runde beim Schwimmen ausgenommen hatte, Herr Primero, auf durchaus festliche Wei­se besoffen, das mit äußerster Konzilianz begrüßt hatte, indem er minuten­lang in wortloser Anerkennung auf den Tisch einhieb und irgendwann der Wirt, ein Neuling, der die Gepflogenheiten des Erfolgsjuristen noch nicht kannte, daraufhin mahnend an den Tisch getreten war mit dem naiven Hinweis, im Lokal seien auch noch andere Gäste aufhältig, und man möge doch das Lär­men bitte lassen usw., und daraufhin der Primero aber erst recht und wie ent­hemmt weitergehauen hatte, bis der Wirt, nach neuerlicher Mahnung, ein "Hausverbot" über die Runde verhängte und sich dafür naturgemäß ein "Arschloch" bzw. "Wichsbruder" einhandelte und sich noch viel mehr ein­gehandelt hätte, hätten sie den zeternden Primero nicht unter dem beruhigen­den Hinweis, "die Weiber" seien um diese Uhrzeit "eh alle im Hexenhaus", aus dem Lokal geschleift –, merkte, wie er Durst bekam und sich auf den Nachmittag zu freuen begann; dann fiel ihm Petra ein, und er freute sich erst recht, wenn es sich mit der Freude auch verhielt wie mit Milch, in die man Nesquik tut: Sie wird süßer, aber auch dunkler. Kurtchen beschloß, die Ana­logie in Richtung "Kabafit Erdbeer" zu variieren, dann wäre sie nämlich im­mer noch süß, dafür aber auf eine Weise rosa, daß selbst Kinder, die beim Thema Apfelsaft absolute Unbestechlichkeit gelernt hatten, rückhaltlos ein­verstanden wären.

"Tschuldigung", machte Kurtchen, der in Gedanken etwas dicht an einem entgegenkommenden Bahnkunden vorbeigestreift war; aber der Bahnkunde reagierte nicht, so wie früher, als Kurtchen noch Autofahrer gewesen war, höchstens die Hälfte der Fahrzeugführer, denen Kurtchen etwa durch Überlassen einer Vorfahrt die Passage erleichtert hatte, durch freundliches Kopfni­cken Kurtchens Bemühungen anerkannt hatte, im Sinne eines friedlichen, möglichst reibungsfreien Miteinanders Rücksicht zu nehmen, selbst auf Kosten eines eigenen Vorteils. Herr Primero, dachte Kurtchen und spürte wieder, wie der schwarze Hauch der völligen Vergeblichkeit um seine Schläfen strich, machte es richtig, der haute auf den Tisch, wo immer es ging und benannte, wie unwillentlich im Einzelfall auch immer, die schauerliche gesellschaftliche Realität beim Namen: Arschlöcher und Wichsbrüder alle miteinander.

"Wir laufen", fragte Gernolf so tonlagenstabil, daß es wie ein Wunsch klang. Kurtchen sah sinnlos auf die Uhr, denn weder waren sie fest verabredet, noch war sein Durst so groß, daß er die Vorfreude, die ja nicht zu unrecht als haushoch überlegene große Schwester der Freude galt, unter sich begraben hätte. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (78)

(Was bisher geschah)

Kurtchen nickte vorsorglich, er wollte jetzt nicht Stellung beziehen, er verstand auch viel zuwenig von Hegel; höchstens soviel, daß es, Hegel zufolge, an Vernunft nicht zu überbieten war, mit Gernolf in dieser U-Bahn zu hocken und sich von der grafischen Überlegenheit der Schweiz in Kenntnis setzen zu lassen. Andererseits hatte Hegel von den Werbemühen der regionalen Apfelsaftfirma Possmann noch nichts wissen können; aber trugen diese nicht auch, auf ihre Art, zur Weltvernunft bei?

Kurtchen verschränkte die Arme vor der Brust, dachte scherzhaft:

Beim Thema Weltgeist lassen Hegelianer nicht mit sich handeln, und seufzte. Es klang ein bißchen pathetisch; aber er war jetzt alt genug, er tat jetzt einfach, was er wollte.

Sie waren da, Endstation. Mit unvermindertem Bedauern stand Kurtchen auf, und für eine Sekunde fühlte er sich der Erkenntnis nahe, daß das sein Grundverhängnis sei: daß er so gut wie immer mit Bedauern aufstand: vom Kneipentisch, vom Frühstückstisch, und am Morgen sowieso. Wenn er saß, dann saß er; die wunderbare Welt der Trägheit. Er stand, dachte Kurtchen, eigentlich nur beim Zahnarzt ohne Bedauern auf, beim Friseur sowie nach vierstündigen Bahnfahrten, und schon häufiger war ihm die Frage erschienen, was er im Falle eines Lottogewinns täte bzw., genauer, wie er mit dem Umstand, daß ihn, außer den nötigsten körperlichen Verrichtungen, rein gar nichts mehr zum Aufstehen zwänge, zurechtkommen würde; und Kurtchen hatte allen Grund zu der Befürchtung, daß gar nicht. Er würde einfach nichts mehr tun: nachmittags aufstehen, ein bißchen lesen und fernsehen, abends durch die Kneipen segeln; aber das würde nicht reichen, da war er Protestant, ohne halbwegs zwingende Beschäftigung würde er seinem Hang, die Zügel fallen zu lassen, die Zügel schießen lassen und dabei früher oder später draufgehen; und er dachte an Herrn Primero, der, vor ein paar Jahren, nach einem durch allerlei glückliche Umstände erst ergatterten und dann gewonnenen Prozeß mit enormem Streitwert sein Büro für ein Jahr zugesperrt und einfach gar nichts getan hatte. "NICHTS", hatte Herr Primero am Abend seines Sieges durch den Leberkloß gebrüllt. "Ich mach keine Weltreise, ich schreib keinen Roman, ich laß die Hosen runter, und jeder kann mich am Arsch lecken! Glaubt mir das, ihr Ficktüten!" Und er hatte Wort gehalten, jedenfalls soweit Kurtchen das beurteilen konnte: mindestens war Herr Primero in der Folge praktisch jeden Abend (so wurde von kundiger Seite ausgesagt) blau gewesen und hatte sich sein Zustand nach nicht einmal drei Monaten derart verschlechtert, daß Andi, der Wirt vom Leberkloß, Henner von der Extra-Bar und die Vorstände weiterer Etablissements jeden Abend per Rund-SMS vom Aufenthaltsort des Anwalts, der ja meistens alle freihielt, Mitteilung machten, damit dessen Geldreserven schneller schrumpften als seine Leber. (wird fortgesetzt)

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/i nnen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick