Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (81)
Fred schob seinen jeansbehosten Hintern anstandslos einwärts, und angesichts des plötzlich offenen Sitzfeldes kam sich Kurtchen eine Sekunde lang so vor wie ein Zehnjähriger, dem man den auf dem Dreimeterbrett den Vortritt läßt. Er erinnerte sich, daß es ihm als Kind wie die größte denkbare Niederlage vorgekommen war, vom Dreimeterbrett unverrichteter Dinge wieder hinunterzuklettern. Es konnte, ahnte Kurtchen, als er endlich saß, allerdings auch eine erfundene Erinnerung sein, denn während er sich fast sicher war, diesen Rückwärtsgang als Kind nie eingelegt, sondern sogar recht früh einen Kopfsprung aus dieser Höhe gewagt zu haben, kam ihm das Bild aus seiner jetzigen, erwachsenen Perspektive unverlangt sehr plausibel vor.
"Na?" sagte Petra und strahlte ein bißchen. Er kniff kurz die Augen zusammen und schürzte die Lippen, wie er es immer tat, wenn er auf eine vage Weise bonhommische, dabei aber bewährt ironische Zustimmung signalisieren wollte; er hätte jetzt gerne etwas gesagt, aber er hatte keine Ahnung, was. Daß das Wetter schön war, sah sie schließlich selbst.
"Primero nicht da?" fragte er schließlich und wandte sich nach links, von Petra weg in Richtung Fred, und er spürte, wie ihm die Ohrläppchen anliefen; es war schon zum Zuschlagen dumm, wie er sich wieder anstellte.
„Mutter tot“, sagte Fred in einem Tonfall, in dem man „Bus verpaßt“ sagt.
„Wie, Mutter tot“, fragte Kurtchen tief, dessen Schamhitze jetzt mit der üblichen Verzögerung die Stirn erreicht hatte und der einen Anflug von Dankbarkeit für die Sensation spürte, die von seinem verpatzten Einstand hoffentlich ablenkte.
"Heute morgen", gab Fred, nicht ohne ein ungewohntes Air von Gravität, das ihm gut stand, Auskunft. „Sie war wohl steinalt und seit ein paar Jahren im Altersheim. Hat wohl am Ende auch niemanden mehr erkannt. Das Übliche eben. Na, und dann ist sie wohl jetzt eingeschlafen. Wie man so sagt.“
„Kanntest du jetzt aber nicht“, fragte Kurtchen, der langsam seine Fassung wiederfand und gewissermaßen auf für ihn unverfänglichem Terrain wieder Tritt zu fassen suchte.
"Doch", sagte Fred. "Ich war irgendwann mal mit ihm da, weil er einen Wohnzimmertisch von seinem Vater hatte, der auf den Sperrmüll sollte, den konnte ich haben. War natürlich auch neugierig, irgendwo muß Primero diese Neigung zum Krakeelen und Lärmschlagen ja her haben. Und dann ist seine Mutter eine sagenhaft freundliche, ruhige Person, so Typ Beamtenwitwe mit Klavier in der Stube. Es ist ja eben doch Leben und keine Literaturphantasie, wo sich die Mutter nachmittags um drei schon den Kongnak in den Kaffee kippt und mit der Flasche nach dem Sohn wirft, weil er sie beim Rommé bescheißt. Der Primero jedenfalls", Fred beugte sich jetzt wieder vor, was, sofern er in der Hauptsache mit Kurtchen kommunizierte, ein bißchen sinnlos war, aber die Geschichte war ja von allgemeinem Interesse, "war wie ausgewechselt. Ruhig. Richtig... lieb. Ich glaube, er hat sie sehr... gemocht."
Kurtchen rührte es, daß ausgerechnet Fred es nicht über sich brachte, "geliebt" zu sagen; er sah zu Petra hin, und sie schaute zurück, mit einem freundlichen, milde spöttischen Blick, als denke sie: Männer. (wird fortgesetzt)
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