Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (91)
"Null", gab Kurtchen zu verstehen.
"Ich auch nicht", fragte Petra. "Ich hab's meinen Eltern versprechen müssen. Hab dann immer Geld fürs Taxi gekriegt. Oder jedenfalls im Prinzip. Und hab mir das Trampen dann auch im Urlaub nicht recht angewöhnen können. War ja auch meistens billig, da, wo man war."
"Trampen in Thailand", sagte Kurtchen versuchsweise, weil Petra so aussah wie jemand, der schon mal in Thailand war.
"Zum Beispiel", sagte Petra reizend.
"Wahrscheinlich fahr ich gar nicht", machte Kurtchen, der den Gesprächsfaden nicht reißen lassen wollte, weiter. "Ich weiß auch gar nicht wohin. Ich weiß auch gar nicht, mit wem."
"Gernolf?" fragte Petra nur und zog die Stirne kraus, weil Kurtchen da nicht selber drauf gekommen war.
"Eher nicht. Unsere Rhythmen sind zu verschieden. Wir haben das mal probiert, Italien. Er war um sieben Uhr auf und hat dann zwei Stunden gewartet, bis ich, zwei Stunden vor meiner eigentlichen Urlaubsaufstehzeit, ihm zuliebe aus dem Bett bin."
"Was macht man denn um sieben Uhr früh in Italien", fragte Petra solidarisch.
"Cappuccino trinken. Vögel beobachten. Frag ihn." Kurtchen zeigte freundlich mit dem Kopf in Richtung Freund, der gerade ohne erkennbaren Widerstand ein Irgendwie-Trommelfeuer aushielt. "Aber er hat ja recht. Wenn ich nicht aufstehen muß, dann tu ich's nicht, und tu ich's dann doch, ist der Tag immer schon halb vorbei."
"Und? Verpaßt man was?" fragte Petra, und Kurtchen fiel auf, daß er immer noch nicht wußte, was sie nun eigentlich trieb, den lieben langen Tag.
"Immer", sagte er. "Man verpaßt immer irgendwas." Das war ein prima Satz, den mußte er so stehenlassen, auch wenn er gerne noch erklärt hätte, daß er sich frage, ob ihn nicht die Angst im Bett halte und ob langes Schlafen, so wie er es mit Leidenschaft betreibe, nicht ein Zeichen für allgemeine Lebensuntauglichkeit sei. Der frühe Vogel fange den Wurm, der späte schaue den andern bei der Mahlzeit zu. So was.
"Na Gott sei Dank", sagte Petra. "Wenn ich denke, wie oft ich als Kind im Dunkeln zur Schule mußte, und wie pervers ich das damals schon fand. Das hätte ich allerdings gern verpaßt."
"Aber dann fällt man im Sommer früh um fünf durch die Stadt, weil man von einem Fest oder aus sonst einem Sumpf kommt, und es ist bereits hell, und man hört die Vögel, mitten in der Stadt. Vielleicht ist sogar Sonntag, und kein Mensch ist auf der Straße, und alles ist ganz... nahbar. Und man fühlt sich wie eine Eichendorff-Figur. Eine betrunkene Eichendorff-Figur. Aber trotzdem." Eine Erinnerung kreuzte Kurtchen; er schwieg und blickte unter sich. (wird fortgesetzt)