Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (88)
Denn einmal war das ja nun der völlig falsche Ort, über die eventuelle Beschissenheit von Existenz zu sprechen, der falsche Zeitpunkt ebenso, fehlte es doch bloß an Bier bzw. einem Kellner, einen entsprechenden Wunsch aufzuzeichnen, weiterzugeben und schließlich zu erfüllen, um den Nachmittag, wie er da in der Spätsommerwärme vor sich hin schwamm, zu einem durchaus erträglichen, ja geradezu gelungenen zu machen; und im Wissen, daß ja sowieso immer etwas fehle, hatte Kurtchen einen kleinen privaten Frieden gemacht und jedenfalls den Entschluß gefaßt, daß es gut sei, mindestens für den Moment, wie es im heute journal immer hieß. Was immer fehlte, fehlte morgen auch noch, und daß es fehlte, gehörte zum Glück, dem momentanen, vielleicht sogar dazu. So wie die Unentschlossenheit, ob das stimmte; so wie das Ungefähre, das ihm, Kurtchen, gegenübersaß und jetzt so dreinsah, als sei über gewisse Dinge dann doch zu reden, weil über gewisse Dinge Einigkeit herrschen müsse, sollten andere Dinge denkbar werden. Aber wie kam es darauf, das müsse ausgerechnet hier und jetzt sein?
"Na ja", sagte Kurtchen und ließ es zaghaft trotzig klingen; er war ein bißchen ungehalten über die unverhoffte Störung seiner quasimeditativen Feiertagsruhe und nahm, ohne daß er's recht merkte, Distanz; auf einen Vortrag der Richtung, daß es den Kindern in Afrika ja noch viel schlechter gehe, würde er jetzt keinesfalls anspringen. Wo waren die eigentlich geblieben? Früher waren die Kinder in Afrika verhungert, weil sie das Gemüse nicht kriegten, das der kleine Kurt nicht essen wollte. Heute war das Gemüse bio und wurde kommentarlos weggekippt. Was hatte Biogemüse denn auch mit den Kindern in Afrika zu tun.
Zum Glück erschien sogar der Kellner und zückte schweigsam Block und Stift; und während der Pause, in der die Runde ihre Wünsche preisgab, sah Kurtchen Petra an mit einem Blick, von dem er glaubte, daß er sage: Alles kann, aber es muß nicht. Gleich tat es ihm leid, doch er hielt ihn durch. Der Kellner verschwand, und Kurtchen, bei aller momentan Freude am Vagen und Ungerichteten, mißfiel das Schweigen, er fürchtete, es gehe auf seine Kosten.
"Hab ich jetzt ein Bier, oder habe ich keins?" Er nahm sein leeres Bierglas auf und stellte es wieder ab. Er hoffte, die Frage wäre albern genug, um aus der Angelegenheit die Luft zu lassen.
"Du hattest eins, und gleich kriegst du wieder eins." Es war eine Feststellung, kein Vorwurf, und sollte Kurtchen sich den Vorwurf nicht ohnehin bloß eingebildet haben, so war er jetzt verschwunden, ja, es klang sogar eher auf spöttische Weise pädagogisch, nach Kindergartentante: Jetzt hat der Laurin die Schippe, und gleich kriegst du sie. Und trotzdem blieb ein Rest. Sie wich seinem Blick nicht aus.
"Und ich a-hauch!" krähte Heiner, und Kurtchen war ihm irgendwie dankbar. (wird fortgesetzt)
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