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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (48)

(Was bisher geschah)

Der hellerleuchtete Einkaufskiosk jedenfalls steckte still und recht einladend im Eck, und aus Gründen, die sich vorzurechnen Kurtchen keinen Anlaß sah, schnürte er nicht, wie gewöhnlich, daran vorbei, sondern trat, mit der müden, gleichwohl geläufigen Geste desjenigen, der auch die letzte Boje noch fehlerfrei umsegelt, ein.

Der schwarzhaarige Mann, der mit irgend etwas Lesbarem in seinem Ver­kaufsabteil saß und von dem nur der Kopf zu sehen war, blickte nur kurz auf, um Guten Abend zu sagen, und vertiefte sich wieder in seine Lektüre. Kurtchen fiel abermals auf, daß er keine Ahnung hatte, was er hier eigentlich wollte, daß er aber, da er nun einmal hier hineingeraten war, irgendwas draus machen mußte, weil einfach wieder gehen aus Gründen, die in seiner unausrottbaren Neigung zur Schamhaftigkeit zu finden waren, nicht in Frage kam; und mit einer Mi­schung aus Wohlgefallen und Mißtrauen registrierte er, daß sich die Symbo­lismen heute abend auf doch schon arg penetrante Art häuften.

Kurtchen nahm vor der Eistruhe Stellung und tat fürs erste so, als suche er ein passendes Eis, überlegte fahrig, ob er wohl noch in der Lage wäre, sich einen zu noggern, und blickte dann wie absichtslos zum Zeitschriftenregal, wo er auf dem Titel einer Zeitschrift für ewige Abituri­enten die Zeile las:

"Jetzt sofort verlieben!"

Vielleicht, so dachte er weiter und sah, um seine allfällige Wirkung als ent­schlußloser Nichtkunde nicht weiter bekümmert, aus dem Fenster, am Ende doch in Ordnung, in einer Zeit zu leben, in der so gut wie nichts mehr ir­gendwelchen Sanktionen in puncto Mißachtung etwa noch vorhandener Ze­rebralstandards unterfiel. Ob sich Voltaire dafür noch prügeln würde, daß ein Service-Wichsblatt für den Deppennach­wuchs die Freiheit zu solch ab­scheulichem Unsinn behielte? Gab es denn keine Polizei, die wenigstens die schlimmsten Geistesverbrechen ahndete? Das Schlimme war ja, daß es am Ende wirk­lich Neon-Leser gab, die sich an den Befehl hielten: und losmar­schierten, um sich vom nächstbesten Zellklumpen in die Verliebtheit nageln zu lassen. So wie sie ja auch jeden Unsinn kauften, nur weil es in der Zei­tung stand.

Jetzt sofort verlieben, genau, das war es, dachte Kurtchen, schon eher hilflos denn aufgebracht; das war die Freiheit, und sie bestand darin, sich das rest­los gan­ze Leben von derlei stumpf berechnenden Idiotien zu Matsch und Klump krakee­len zu las­sen.

Jetzt sofort verlieben. Hätte ich das bloß vorhin schon gewußt.

Kurtchen war sich nicht sicher, ob er jemals von einem derart fulminanten Rülpser aus seinen Gedan­ken gerissen worden war; falls nicht, passierte es jetzt zum ersten Mal. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (47)

(Was bisher geschah)

Kurtchen fror jetzt ziemlich, und unter den guten Gründen, nicht mitten in der Nacht von einer Brücke zu starren und wildfremden Hunden beim Pin­keln zuzusehen, war der, eine Lungenentzündung zu vermeiden, womöglich der beste. Trotzdem unwillig stieß Kurtchen sich vom Geländer ab und machte sich, wie er hoffte, endgültig auf den Heimweg. Jetzt war's auch nicht mehr weit.

Wie immer, wenn er spät nach Hause kam, wunderte er sich, daß der Ein­kaufskiosk an seiner Straßenecke so unverbrüchlich lange offen hielt, auch wenn es heute, wo es längst schon Samstag war, weniger wundersam war als montags oder mittwochs. Wie eine Tankstelle hellerleuchtet, den einsamen, nicht mehr ganz neuen Bistrotisch nebst einer Eisreklame wie aufgegeben vor der Tür, gähnte der Laden durch eine weitoffene Türe und mit Zeit­schriftentiteln und noch mehr Eisreklamen zugeräumte Schaufenster in die Nacht hinaus, und noch nie war Kurtchen dringewesen. Dies jedoch weniger seiner Doktrin wegen, Rätsel Rätsel sein zu lassen, als um dem spätnächtli­chen Drang, Unsinn in sich hineinzuessen, nicht nachzugeben und sich der Zwei-Zentner-Grenze, die Kurtchen nur mit Weh und Ach auf Distanz hielt, nicht durch unbedachte und in aller Regel ja auch völlig unnötige Mitter­nachtsimbisse doch wieder zu nähern.

Kurtchen war immer ein schlankes Kind gewesen, ein dünnes gar, und zu seiner aktuellen, durchaus leicht wampigen Gestalt erst im Zuge seiner ers­ten Ehe gelangt, wo es außer Fertiggerichten nichts gegeben hatte. Nicht, daß Kurtchen darauf bestanden hätte, bekocht zu werden – derlei Unemanzi­piertheiten waren ihm ganz fremd –, nein, Sibylle mochte einfach nichts an­deres. So wie es Kinder gibt, die außer Nudeln mit Soße nichts zu sich neh­men, akzeptierte seine erste Frau nur Nahrungsmittel, die aus der Tiefkühltruhe oder wenigstens der Dönerbude kamen, was Kurtchen anfangs noch für cool, spätstudentisch und gendermainstreamig gehalten hatte, allerdings wohl doch eher einem frühkindlichen Defekt entsprang bzw. einer Abwehrreakti­on auf eine unter Rohkost zugebrachte Kindheit. Kurtchen wäre nicht so weit gegangen zu sagen, daß das der Grund für die Scheidung gewesen war, aber als Sibylle, die über einen Spitzenstoffwechsel verfügte und nie ein Gramm Übergewicht gehabt hatte, die fri­schen Käsespätzle, für deren Zubereitung Kurtchen die Küche ruiniert und einen halben Abend drangegeben hatte, nur pflichtschuldig probierte, um eine halbe Stunde später das letzte Snickers aus dem Kühlschrank zu fres­sen, war Kurtchen ohne weiteren Kommentar in die Kneipe verschwunden und erst zwei Tage später unter Umständen, die mit der Person wechselten, die von ihnen berichtete, wieder nach Hause zurückgekehrt. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (46)

(Was bisher geschah)

Trotzdem blieb er auf der Brücke stehen; lehnte sich, erst mit den Handflä­chen, dann mit den Unterarmen aufs Geländer und genoß, obwohl ihm der Kopf noch immer weh tat, die Tatsache, daß der Kopf nicht mehr so weh tat wie eben noch.

Alles wurde stetig besser.

Das stimmte freilich nicht, oder nur, sofern es eben noch viel schlimmer war. Er sah auf die erleuchtete Stadt, die halbrechts vom Fluß ins Dunkle wuchs, und wußte, daß seine momentane Zufriedenheit als die eines Davon­gekommenen gelten mußte, eines, der einer Peinlich­keit von der Schippe ge­sprungen, einer Zumutung entkommen, einem Schla­massel entwichen war. Da die Gedanken bekanntlich frei sind und auch nie­mand in der Nähe war, der ihm in den Kopf hätte sehen können, überlegte Kurtchen, ob das nun für oder gegen sein Leben sprach, daß es, selbst in sei­nen guten Momenten, we­niger einer Erfolgsgeschichte geglichen hatte denn einer der Mißerfolge, die er, so gut es eben ging, hinter sich gelassen und verdrängt, vielleicht sogar umgewertet hatte im Sinne des ewig Mütterli­chen: Wer weiß, wozu es gut ist.

Das allerdings war nicht zu klären.

Wofür seine zwei Ehen gut waren, wußte Kurtchen nämlich nicht, außer für ein leeres Bankkonto und das, was da Erfahrung heißt und doch bloß Ges­tern ist: eine Apfelsine schälen und die Schale nicht wegwerfen können, son­dern Erfahrung nennen müssen. Erfahrung, das war immer alles; und war aber bloß dazu da, "densel­ben Fehler nicht zweimal zu machen"; oder, im speziellen Fall von Kurtchens Lebensabschnittspartnerschaften, dreimal. Trotzdem könnte er Petra heira­ten, und wenn das wieder Unsinn war, dann haftete keine Erfahrung dafür; sondern hatte bloß wieder Grund, sich uner­hört lebenswichtig aufzuspielen. Und wenn er's nicht tat und als alter Knei­penhocker einsam endete: dito. Ein wiederkehrender Spaß bei den "Simp­sons" war Homers Erfah­rungsresistenz: Bei Apu verschimmelte Shrimps kaufen, ins Krankenhaus kommen, sich bei Apu beschweren, sich die glei­chen Shrimps zum halben Preis noch mal verkaufen lassen, wieder ins Kran­kenhaus kommen. Ein Witz, daß da einer aus Schaden nicht klug wird; kein Witz. Ursache und Wirkung, mehr konnte man vom Leben nicht verlangen.

Warum er, Kurtchen, Klempner geworden war, hätte er gar nicht zu sagen gewußt; sollte die pubertäre Auflehnung gegen seinen Vater, einen Professor der theoretischen Komplexchemie, der einzige Grund gewesen sein, reichte das als Grund kaum hin und war doch sichtlich trotzdem einer. Das Leben war im wesent­lichen Resultat. Immer, immer konnte man sagen: Das hast du jetzt davon. Das reichte, um morgens nicht aufstehen zu wollen.

Unter der Brücke strolchte ein Hund hervor, und dann ein Mann, der sich vom Hund spazierenführen ließ. Kurtchen mußte nicht auf die Uhr sehen, um sich über die Gassigehgewohnheiten des Mannes zu wundern, und er freute sich plötz­lich über den Mann und den Hund, die es einfach taten, aus einem Grund, der so gut war wie alle anderen auch. (wird fortge­setzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (45)

(Was bisher geschah)

Kurtchen gab sich, als er die nächste Straßenecke nahm und dem Blick sei­ner drei Helferinnen ein für alle Mal entzogen war, alle Mühe, nicht zu tau­meln, weniger um nicht als Betrunkener und hilflose Person aufzufallen als vor sich selbst einen Mann zu geben, den auch ein kleiner Unfall nicht aus den Socken wirft, der auch verbeult seinen Weg geht und das aber aufrecht tut, aufrecht und auf eine nonchalante Art zielbewußt – Kurtchen wunderte sich, wunderte sich sehr, wie sein Kopf noch unter diesen derangierten Um­ständen druckreife Sätze zusammendachte, und zum werweiß wievielten Male freute er sich gerade jetzt über seine Nachlässigkeit, die ihm sonst im­mer als mindestens Teilgrund für sein nichtswürdiges Mittlebenskrisenge­hampel vorschwebte, momentan aber dafür sorgte, daß er sich die Frage nicht beantworten mußte, ob er den soeben gedachten druckreifen Satz bes­ser aufschriebe, um, man wußte es nicht, den großen Deutschland- oder we­nigstens Klempnerroman achtsam notierend vorzubereiten; denn zwar besaß er ja seit Jahren schon ein Notizbüchlein, um dem unermüdlichen Walken seines Zerebralapparates etwas Nützliches, weil schriftlich Fixiertes abzuge­winnen, vergaß aber so häufig, das Büchlein mitzuführen – grad stak's, er ahnte es, im Graumann –, daß er längst argwöhnte, es stecke (und sei's unbewußte) Absicht dahinter. Zu oft hatte Kurtchen die (keinesfalls originelle) Erfahrung gemacht, daß ein goldener Gedanken in eben dem Moment seinen Glanz verlor, in dem man ihn aus dem unend­lich weiten Assoziationsraum, der sich zwischen Ohren, Kinn. Stirn und Nacken ausspannte, ins Freie ließ: Es war die lahme, aber ungeheuer wirksa­me Differenz zwischen Plan und Wirklichkeit. Im Kopf, dachte Kurtchen (und schnürte, ohne weiter hinzusehen, bei Rot über die Fußgängerampel), sind meine Gedanken Rockstars: stark, unverschämt, anmaßend, niemandem verantwortlich denn sich selbst; auf überzeugende Weise unfertig und selbst im Klischee noch lebendig. Auf dem Papier, hingeschrieben, ausgefertigt, sahen sie immer aus wie, tja: Sting? Kurtchen war erleichtert, daß er keine Chance hatte, diesen Gedanken aufzuschreiben, der ihm schon ungeschrie­ben wie Udo Jürgens vorkam. Es war schon dunkel, als ich durch Vorstadt­straßen heimwärts ging. Stimmte; bis auf die Vorstadt.

Er erreichte den Fluß, und fast bedauerte er, daß ihm immer noch nicht schlecht war, denn er hätte sich jetzt gern von der Brücke erbrochen. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (44)

(Was bisher geschah)

Als Kurtchen wieder stand, kehrte die Scham zurück, er kam sich vor, als wäre er vierzig Jahre älter und würde von drei Lernschwestern auf die Toilette geführt; den Gedanken, die Vorstellung zur späteren Verwendung zu speichern, vergaß er lieber. Er dachte, daß es besser sei, etwas zu sagen, er sagte: "Daß mir das jetzt wirklich passiert ist!" Dann schwieg er wieder, denn Selbsterkenntnis gut und schön, aber er mußte achtgeben, daß er nicht einem Hang zur Selbstanklage die Zügel schießen ließ, er hatte ja nicht den Dritten Weltkrieg ausgelöst und jedenfalls niemandem geschadet außer sich selbst. Und vielleicht noch dem Laternenmast.

Kurtchen war dankbar, daß immer noch keine lachte, vielleicht war es die Überraschung angesichts der Irrealität des Vorgangs. Er, Kurtchen, hatte jedenfalls noch nie wen in echt gegen einen Laternenmast laufen sehen, er kannte das nur aus dem Werbefernsehen; und um die Peinlichkeit, die sich immer noch über ihm wölbte wie die Glocke über dem Käse, abzumildern, gab er sich betrunkener, als er wirklich war, bis er merkte, daß das die Karikatur, die er vorstellte, ja geradezu ausmalte; und er ließ jedenfalls das Lallen, da hätte er ja gleich kotzen können. Er konnte aber nicht.

"Geht schon wieder, danke", sagte er schlicht, und noch mal: "Danke." Dann hielt er sich die Stirn und mühte sich, den Eindruck zu erwecken, er komme jetzt prima allein zurecht, ja, es sei geradezu Bedingung für seine rasche Genesung, ihn jetzt allein zu lassen. Die drei dachten aber gar nicht daran, ihren Auftritt in einem Werbevideo des Bundesfamilienministeriums vor der Zeit zu unterbrechen; die kleinste fragte, ob sie ihn ins Krankenhaus bringen sollten, dort zu prüfen, ob eine Gehirnerschütterung vorliege, es sei ja nicht weit, und das stimmte freilich.

"Sehen Sie irgendwie doppelt?" fragte jetzt die mittlere, und es hätte Kurtchen nicht überrascht, wenn sie einen Leuchtstift gezogen und seine Pupillenreflexe überprüft hätte. Kurtchen aber war sich sicher, keine Erweiterung der Affäre ins Filmreife zu akzeptieren, und da er weder doppelt sah (die drei waren wirklich drei und nicht etwa verdoppelte anderthalb) noch Übelkeit verspürte und der Alkohol, den er ja dann doch im Blut hatte, auch mit Nachdruck riet, alles Nachdenken über mögliche Spätfolgen auf morgen zu verschieben, schüttelte er vorsichtig den Kopf, bedankte sich abermals und gab an, gleich um die Ecke zu wohnen, was gelogen war. Er sehnte sich nach einem Spiegel. "Also... dann, gute Nacht!" sagte er, "und noch mal vielen Dank!" Und schritt, mit absichtsvoll festem Schritt, fürbaß und drehte sich nicht um. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (43)

(Was bisher geschah)

Jemand griff nach ihm und faßte ihn an der Schulter, und Kurtchen, dem trotz seiner eingeschränkten Wahrnehmung durchaus klar war, daß er nicht Opfer eines Angriffs, sondern bloß seiner Doofheit geworden war, litt augenblicksweise mehr unter der Peinlichkeit, vor Zeugen wie die letzte Witzfigur gegen einen Laternenpfahl gelaufen zu sein, als unter dem sich langsam vom Vertikalen ins Kugelförmige dehnenden, vom Scharf-Konturierten ins Breite zerfließenden Schmerz.

"He, alles in Ordnung?" fragte die, die ihn an der Schulter hielt und zu Kurt­chens leiser, schon wieder peinlicher Überraschung Hochdeutsch sprach, da hatte der liebe Gott ihm wohl mit dem Laternenpfahl winken wol­len, du liebe Zeit, er war ja schon wieder in Topform. Also Kurtchen jetzt; der liebe Gott ja eh.

"Können Sie aufstehen? Sollen wir einen Krankenwagen rufen?" fragte die, die zu ihm in die Hocke gegangen war und, wenn man genauer hinsah, auch gar keine Bomber-, eher sogar Jeansjacke trug, trotzdem aber, in der Mi­schung aus Überschminktheit (Kurtchen roch es mehr, als daß er es gesehen hätte), nicht restlos geschmackssicherer Beinkleidung (daß es Moonwashed-Jeans noch einmal geben würde, wer hätte es für möglich ge­halten) und einem für ihr Alter – sie mochte sechzehn sein – ziemlich abge­klärten, abgebrühten, ungebührlich erwachsenen Zug, der sich in Haushal­ten, in denen auf dem Marmor-Gästeklo der aktuelle Manufactum-Katalog liegt, nur sehr ausnahmsweise ausprägt, nicht nach Geigenunterricht und Po­nyhof aussah. Eher nach "Fick dich". Oder fick mich, was das anging.

Kurt­chen griff nach seiner Stirn, registrierte erleichtert die Abwesenheit von Blut und überlegte, ob er, aus Dankbarkeit für die geleistete Erste Hilfe wie als Wiedergutmachung für seine öden Vorurteile, die sich als soziologischer Scharfblick verkleideten, eine Runde Geigenunterricht spendieren sollte; oder besser einen Sixpack. Soweit es ihn betraf, wäre ihm ein Sixpack jedenfalls lieber als Geigenunterricht gewesen, aber er vergaß den Gedanken gleich, denn ers­tens mußte man nicht jede Anwandlung von Caritas gleich geldwert ver­gelten, zweitens machte es am Ende einen ungünstigen Eindruck, wenn ein Mann in den allerbesten Jahren mit einer Beule an der Stirn drei Asphaltprinzessinnen zum Dosenbier einlud, und drittens tat ihm die Birne weh, auch ohne Blut, und er wollte nach Hause, jetzt noch dringender als eben schon.

"Ey, hilft mir mal wer?" rief seine Retterin jetzt ihre Freundinnen an, und ohne Maulen, sondern wie erleichtert, daß sie des nutzlosen Herumstehens entbunden waren (wichtig bei Ersthilfseinsatz: Führung übernehmen, An­weisungen erteilen!), sprangen die beiden herbei und halfen ihm auf die Bei­ne. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (42)

(Was bisher geschah)

"Weil", wie Biskupek mit geschwollener Oberlippe und neuer Brille, apathisch an einer Rindswurst herummessernd, Tage später erläuterte, "ich mein Portemonnaie so dumm in der Brusttasche hatte. Konnte jeder sehen. Und klar war ich halt auch besoffen. Ein leichtes Opfer. Magst du Rindswurst? Gute Rindswurst." Er sei aber froh, daß die zwei jungen Kerle auf sein Geld ausgewesen seien, er wolle schließlich nicht zu den Leuten ge­hören, die von desorientierten Jugendlichen einfach so und nämlich völlig grundlos zusammengetreten werden, sein Portemonnaie habe er zwei Tage später im Briefkasten gehabt, "das Kleingeld haben sie dringelassen, Ganovenehre, entschuldige, ich darf nicht lachen, dann tut die Lippe wieder weh!"

Dumm griff Kurtchen sich an die Brust, wo das Portemonnaie aber sowenig stak wie immer; er überlegte, ob es besser wäre, den Blick im Sinne demonstrativen Selbstbewußtseins aufzurichten oder eben nicht, damit gewissermaßen Demut und vollkommen fehlende Konfliktbereitschaft zu signalisieren, das war ja auch die Wahrheit, Konfliktbereitschaft hatte er für keinen halben Eurocent, lieber ärgerte er sich wochenlang über einen fehlerhaften Steuerbescheid oder darüber, daß irgendein Nachbar immer seine Fleischabfälle in der Altpapiertonne entsorgte, als daß er aufgestanden wäre, um sein Recht (oder wenigstens das Recht der Entsorgungsbetriebe auf einwandfrei vorsortierte Altpapiertonnen) zu reklamieren und einzuklagen, eigentlich hatte er nur dreimal im Leben einen Konflikt ausgefochten, einmal, als er zu Grundschulzeiten vor dem entmenscht tobenden, weil nämlich allgemein verhaltensauffälligen, mittlerweile aber bei der Bundeswehr gut untergekommenen Klassenkollegen Gusemeier nicht sofort geflohen war, sondern es mit Beruhigend-auf-ihn-Einreden versucht hatte, wie es am Samstag zuvor bei „Stars in der Manege“ gezeigt worden war, was ihm, Kurtchen, den ersten Filmriß seines Lebens und Gusemeier die erste Psychotherapie eingebracht hatte, die anderen beiden Male, als er sich hatte scheiden lassen, aber das hatte er ja auch nur getan, um sich die ewigen Konflikte, die sich aus seinen ungut laufenden Ehen ergaben, vom Hals zu halten, eine konfliktvermeidende Maßnahme also auch dies, sein ganzes Leben eine einzige konfliktvermeidende Maßnahme, aber wenn Leben Konflikt war, lebte er, Kurtchen, denn dann überhaupt?, und plötzlich ein Schmerz, der sich senkrecht und brenneisengleich in die Stirn frißt und so unerwartet kommt, daß er für eine Viertelsekunde nur als Abstraktion wahrgenommen wird; und das letzte, was Kurtchen dachte, bevor er sich nach zwei Augenblicken Schwärze auf dem Bordstein wiederfand, war: Wo sind die Sterne, in Comics sieht man immer Sterne. (wird fortgesetzt)

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Bonjour, Marine Le Pen!

Bonjour, Marine Le Pen!

Das Potsdamer Treffen der AfD mit anderen extremen Rechten war selbst Ihnen zu heftig: Sie seien nie für eine »Remigration« in dem Sinne gewesen, dass Französinnen und Franzosen ihre Nationalität entzogen würde, selbst wenn die Einbürgerung unter fragwürdigen Bedingungen geschehen sei, meinten Sie und fügten hinzu: »Ich denke also, dass wir, wenn es denn so ist, eine krasse Meinungsverschiedenheit mit der AfD haben.«

Keine Ahnung, Le Pen, ob Sie mit dieser Haltung eine Chance aufs französische Präsidentenamt haben. Ministerpräsidentin von Thüringen würden Sie mit diesem Weichei-Schlingerkurs aber ganz sicher nicht!

Schon ein bisschen enttäuscht: Titanic

 Moin, Hamburger Craft-Brauerei ÜberQuell!

Dein Firmenname zeugt ja bereits von überschäumender Wortspiellust, aber so richtig freidrehend auf die Kacke haust Du erst bei den Bezeichnungen Deiner einzelnen Biersorten: Die heißen nämlich zum Beispiel »Supadupa IPA«, »Palim Palim Pale Ale«, »Pille Palle Alkoholfreies Ale« oder sogar »Franzbrewtchen Imperial Pastry Brown Ale«. Auweia!

Gerade bei Letzterem, das außerhalb Hamburgs von vielen gar nicht zu entschlüsseln sein dürfte, mussten wir, obschon viel gewohnt, dann doch schlucken, weil uns allein der Name innerhalb von Sekunden pappsatt und sturzbetrunken machte. Er erschien uns einfach zu brewtal, fast schon brauenhaft! Auf Dein Bier haben wir dann lieber verzichtet.

Aus der Ausnüchterungszelle grüßt trotzdem: Titanic

 Na, na, na, welt.de!

»Warum ›Barbie‹ klüger ist als alle anderen nominierten Filme zusammen«, titeltest Du in Deinem Feuilleton bezüglich der diesjährigen Oscar-Kandidaten. Allein: Wir haben noch mal den Taschenrechner gezückt, und wenn man auch die Dokumentar-, Kurz- und Dokumentarkurzfilme berücksichtigt, sind alle anderen nominierten Filme zusammen exakt 1,76 Klugheitspunkte klüger als »Barbie«.

Welches Medium dümmer ist als alle anderen Medien zusammen, braucht hingegen nicht nachzurechnen: Titanic

 Dir, Tod,

gefiel es im Jahr 2010, im Abstand von einem Tag Bärbel Bohley (11. September) und Claude Chabrol (12. September) abzuberufen, worauf wir damals in unserer Online-Rubrik »Fakt vs. Frage« scharfsinnig spekulierten, als Nächstes treffe es nun wohl Dieter Dehm, Erhard Eppler und Frank Farian. Knapp daneben! Denn Frank Farian holtest Du erst dieses Jahr, am 23. Januar – nicht ohne vorher noch die Büchnerpreisträgerin Elke Erb (22. Januar) abzuräumen.

Und langsam durchschauen wir Dich, Gevatter: A darf leben, B und C müssen sterben; D darf leben, E und F müssen sterben …

Um es kurz zu machen: Gundula Gause ist, trotz ihres boulevardmedial großflächig breitgetretenen Schwächeanfalls vom Dezember (Bild: »total unnötig«, »hätte mich krankmelden sollen«), fürs Erste fein raus, während Heimatsänger Hansi Hinterseer und Malertochter Ida Immendorff sich lieber schon mal das letzte Hemd anziehen sollten. Stimmt’s?

Gruselt sich vor der Antwort: Titanic

 Einfach mal kreativ sein, Rishi Sunak!

Der BBC sagten Sie: »Ich bin nicht sicher, ob sich die Leute so sehr für meine Ernährung interessieren, aber ich versuche, zu Beginn jeder Woche etwas zu fasten.« Wir glauben, dass Ihre Unsicherheit berechtigt ist: An Ihren Beliebtheitswerten kann man ablesen, dass sich das Interesse an Ihren Gewohnheiten in Grenzen hält.

Das ließe sich aber leicht ändern: Bei den ganzen verschiedenen Varianten wie TV-, Auto- und Plastikfasten gäbe es bestimmt auch für Sie etwas, durch das Sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit »eight days a week« auf sich zögen. Wie wäre es z. B. mit Abschiebungsfasten, Verbrennerverbotverzögerungsfasten oder Zweiteamtszeitfasten?

Nur dass Sie gerade beim Thema »Neuwahlen« dem Verzicht huldigen, sollten Sie nach Ansicht der Mehrheit Ihrer Landsleute schleunigst ändern. Zwischendurch kann man sich doch auch ruhig mal was gönnen, oder?

Mampft Ihre Scones mit Clotted Cream und reichlich Marmelade gleich mit: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Und das Brot erst!

Einen Krankenwagen rufen, ohne sich in Schulden zu stürzen, mehr Urlaubs- als Arbeitstage, Bier zum Frühstück: Deutschland ist toll. Mit solchen Takes können US-amerikanische Influencerinnen hierzulande natürlich punkten. Aber betreiben sie damit nicht einfach nur billiges Kraut-Pleasing?

Alexander Grupe

 Nach Explosion in der Molkerei

Alles in Butter.

Loreen Bauer

 Authentisch

Jedes Mal, wenn mir ein bekennender Feinschmecker erklären will, wie aufwendig ein echt italienisches Risotto zubereitet gehört, habe ich das Gefühl, es würde stundenlang um den heißen Brei herumgeredet!

Mark-Stefan Tietze

 Pandemisches Passionsspiel

Die Erfahrungen aus der Coronazeit wirken teils immer noch nach. So fragt man sich heute bei der Ostergeschichte: Hat Pontius Pilatus, als er seine Hände in Unschuld wusch, dabei zweimal »Happy Birthday« gesungen?

Jürgen Miedl

 Lauf, Junge!

Die Ordner bei einem Fußballspiel würden sich wesentlich mehr Mühe geben, wenn sie bei der Jagd nach dem Flitzer auch nackt sein müssten.

Rick Nikolaizig

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
21.03.2024 Bamberg, Konzerthalle Martin Sonneborn
21.03.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
22.03.2024 Bayreuth, Zentrum Martin Sonneborn
22.03.2024 Winterthur, Bistro Alte Kaserne »Der Unsinn des Lebens« mit Pause ohne Ende