Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (44)
Als Kurtchen wieder stand, kehrte die Scham zurück, er kam sich vor, als wäre er vierzig Jahre älter und würde von drei Lernschwestern auf die Toilette geführt; den Gedanken, die Vorstellung zur späteren Verwendung zu speichern, vergaß er lieber. Er dachte, daß es besser sei, etwas zu sagen, er sagte: "Daß mir das jetzt wirklich passiert ist!" Dann schwieg er wieder, denn Selbsterkenntnis gut und schön, aber er mußte achtgeben, daß er nicht einem Hang zur Selbstanklage die Zügel schießen ließ, er hatte ja nicht den Dritten Weltkrieg ausgelöst und jedenfalls niemandem geschadet außer sich selbst. Und vielleicht noch dem Laternenmast.
Kurtchen war dankbar, daß immer noch keine lachte, vielleicht war es die Überraschung angesichts der Irrealität des Vorgangs. Er, Kurtchen, hatte jedenfalls noch nie wen in echt gegen einen Laternenmast laufen sehen, er kannte das nur aus dem Werbefernsehen; und um die Peinlichkeit, die sich immer noch über ihm wölbte wie die Glocke über dem Käse, abzumildern, gab er sich betrunkener, als er wirklich war, bis er merkte, daß das die Karikatur, die er vorstellte, ja geradezu ausmalte; und er ließ jedenfalls das Lallen, da hätte er ja gleich kotzen können. Er konnte aber nicht.
"Geht schon wieder, danke", sagte er schlicht, und noch mal: "Danke." Dann hielt er sich die Stirn und mühte sich, den Eindruck zu erwecken, er komme jetzt prima allein zurecht, ja, es sei geradezu Bedingung für seine rasche Genesung, ihn jetzt allein zu lassen. Die drei dachten aber gar nicht daran, ihren Auftritt in einem Werbevideo des Bundesfamilienministeriums vor der Zeit zu unterbrechen; die kleinste fragte, ob sie ihn ins Krankenhaus bringen sollten, dort zu prüfen, ob eine Gehirnerschütterung vorliege, es sei ja nicht weit, und das stimmte freilich.
"Sehen Sie irgendwie doppelt?" fragte jetzt die mittlere, und es hätte Kurtchen nicht überrascht, wenn sie einen Leuchtstift gezogen und seine Pupillenreflexe überprüft hätte. Kurtchen aber war sich sicher, keine Erweiterung der Affäre ins Filmreife zu akzeptieren, und da er weder doppelt sah (die drei waren wirklich drei und nicht etwa verdoppelte anderthalb) noch Übelkeit verspürte und der Alkohol, den er ja dann doch im Blut hatte, auch mit Nachdruck riet, alles Nachdenken über mögliche Spätfolgen auf morgen zu verschieben, schüttelte er vorsichtig den Kopf, bedankte sich abermals und gab an, gleich um die Ecke zu wohnen, was gelogen war. Er sehnte sich nach einem Spiegel. "Also... dann, gute Nacht!" sagte er, "und noch mal vielen Dank!" Und schritt, mit absichtsvoll festem Schritt, fürbaß und drehte sich nicht um. (wird fortgesetzt)
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