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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (20)

Kurtchen sah zwei Männer mittleren Alters, die sich offenbar nicht einig wa­ren; allerdings war der eine, rothaarige, der sein Blatt noch in der Hand hielt, deutlich in der Offensive.

"WENN WIR AUSMACHEN, DASS IN DER ERSTEN RUNDE NICHT GEKLOPFT WIRD, DANN KANNST DU ARSCHGESICHT NICHT HERGEHEN UND KLOPFEN! DU BRINGST MIT DEINEM SCHEISSGEKLOPFE DEN GANZEN RHYTHMUS DURCHEINANDER!!" Der Offensive hatte sich schon halb von seiner Bank erhoben, als sei er im Begriff, auf den Klopfer loszugehen und ihn seinerseits nach Strich und Faden durchzuklopfen.

Da der Beschuldigte, der sitzen blieb, sehr leise sprach (oder jedenfalls viel leiser als der An­kläger), verstand Kurtchen nicht, was er zu seiner Verteidigung vorbrachte; immerhin sah es aus, als bemühe er sich, seine Argumentation sachlich vor­zutragen, was ihm, gerade im direkten Vergleich mit seinem aufgebrachten, geradezu schäumenden Mitspieler, etwas Anwaltliches verlieh, und für einen Augenblick befürchtete Kurtchen, die Extra Bar (die tatsächlich nur so hieß und ganz und gar nichts Barartiges an sich hatte) habe sich, wie man so sagt, neu aufgestellt und peile neuerdings ein Publikum mit juristischer Vorbil­dung an.

"Ich bin ja beschnitten, wegen der Sicherheit", hörte Kurtchen den Anwalt, der ein sehr sicherheitsorientierter, geradezu -fixierter Mann zu sein schien, hinter sich und drehte sich aber lieber nicht um, weil er zu diesem Thema partout nicht noch mehr erfahren wollte; und so wie man sein Auge willent­lich unscharf stellen kann, versuchte Kurtchen, den anwaltlichen Unflat nach Kräften aus- und den Streit am Kartentisch akustisch einzublenden.

"DAS IST DOCH SCHEISSDRECK", schrie der Laute, jetzt aber schon ein bißchen versöhnlicher, ohne Ausrufezeichen sozusagen; die erste Wutwelle schien sich an der Konzilianz des Klopfers gebrochen zu haben. Der Anklä­ger hatte sich auch wieder hinge­setzt und schien willens, die Kartengeschäf­te wieder aufzunehmen. Abermals sah es so aus, als rede der Konziliante be­ruhigend auf ihn ein, der, wie Kurt­chen genau sah, mit zusammengepreßten Lippen, trotzig, ein bißchen kindlich gar, dem Vortrag des Vernünftigen zuhörte.

Da Kurtchen seine verdrehte Haltung unbequem wurde und er auch den Stuhl nicht verrücken wollte, um den Eindruck zu vermeiden, er vertrete die Auffassung, einer Theatervorstellung beizuwohnen (die überdies ihren Hö­hepunkt auch hinter sich zu haben schien) – und wer weiß, wie der Laute darauf reagieren würde –, wandte er sich wieder seinem eigenen Tisch zu; und hatte die Faxen des Anwalts jetzt aber auch langsam dicke, ohne aller­dings zu wissen, wie er sich ihnen entziehen könnte. Ein neues, selbstver­waltetes Gespräch auf den Weg zu bringen war sinnlos, der Anwalt hätte sich unweigerlich eingeschaltet und noch den schönsten Bericht mit festlichem Arschgerede versaut; und war überdies der letzte, den Kurtchen von seinem Buchprojekt (das allein dadurch, daß Kurtchen ständig drüber nachdachte, immer größere Gestalt gewann) in Kenntnis setzen wollte; auch wenn ihm "Es steht kurz davor" als Buchtitel gar nicht so schlecht vorkam. Vielleicht, dachte Kurtchen, sollten sie ebenfalls Karten spielen, und wenn der Anwalt einen Fehler beim Klopfen machte, dann würde man ihn einfach zusammen­hauen. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (19)

"Die Frage ist doch", der Anwalt ließ und ließ sich nicht aus der Spur brin­gen, "bin ich gutbürgerlich? Oder will ich jemanden anlocken?" Was immer das nun wieder bedeuten mochte; die Bedienung kam, Kurtchen bestellte ein Bier und einen Schnaps dazu, denn wie es auch war, das Leben, es war gut. Kurz überlegte er, den Sums mitzuschreiben, das geplante autobiographische Meisterwerk damit anzudicken; aber erstens hatte er keinen Stift, zweitens nichts zum Aufschreiben, und drittens waren die Expertisen des Juristen zu amorph und konsistenzfrei, als daß hier ohne ein Spitzenkurzzeitgedächntnis oder wenigstens Stenokenntnisse was zu machen gewesen wäre. Kurtchen ging beides ab. Im Richtung Toilette gelegenen Eck, wo, wie Kurtchen beim Hereinkommen bemerkt hatte, Karten gespielt wurde, hob ein Gelärme an, jemand hieb laut und mehrfach auf den Tisch und schrie dabei das Wort "Kasperkopf".

"Ich war sechs oder sieben Jahre als Anwalt bei verschiedenen Kanzleien", und die sind jetzt alle pleite, vollendete Kurtchen im stillen. Der Mietrechts­experte fixierte Gernolf jetzt wie einen wackligen Zeugen, der langsam, aber sicher unter seinen Widersprüchen begraben wird. "Ich habe sie alle kommen und wieder gehen sehen. Alle. Wie du's brauchst. Comme ci, ça va. Wo Licht ist, ist auch Feuer. Aber eins stand für mich nie zur De­batte: vollkommene Integrität. Ansprechbarkeit. Demut, wenn du so willst." Die Frau nickte beifällig und hörte überhaupt mit einem Interesse zu, als sei ihr Galan gerade dabei, den Todesfall Barschel aufzuklären.

Kurtchen be­kam sein Bier und seinen Schnaps und nippte an beidem. "Genauso wie die Zeugen Jehovas", schaltete sich jetzt die Anwältin ein, die, wenn Kurtchen recht sah, hinter einer kleinen Fanta saß, "die sagen auch im­mer: Es steht kurz davor!" Ein fulminant rätselhafter Satz; vielleicht saßen sie hier alle vor der versteckten Kamera.

"Deshalb bin ich jetzt bei der AOK, der Sicherheit wegen", übernahm der Paragraphenexperte wieder das Kommando. Kurtchen stellte sich spaßeshalber vor, er sei der unschuldig Angeklagte in einem Mordpro­zeß, und dieser lustige Imbezile sei sein Pflichtverteidiger. Aber gottseidank war der ja bei der AOK; und er, Kurtchen, bei der DAK! So gab's dann eben doch einen, der für Ordnung sorgte und sein, Kurtchens, Schicksal unendlich sanft in seinen Händen hielt. Gernolf hörte weiterhin unverwandt zu, aber vielleicht hatte er auch längst abgeschaltet und dachte an etwas völlig anderes; vielleicht daran, Jura zu studieren, ganz so schwer schien das ja nicht zu sein.

"Ich hab mir das einfach nur erkämpft", korrigierte der Rechtsidiot wie be­stellt, der Ton blieb trotz des kämpferischen Themas jovial, der Mann hatte sich ganz einfach unter Kontrolle, während seine Frau jetzt erfreulich unverhoh­len in der Nase bohrte. "Meine Gründe, Jura zu studieren, wa­ren viele, aber nie, daß ich ge­sagt habe: Ich mach das nur, weil ich Geld will."

"Na eben", sagte Gernolf so unvermittelt wie sinnlos, und Kurtchen fragte sich, ob er tatsächlich nicht zugehört hatte oder im Gegenteil bestrebt war, hier noch richtig für Remmidemmi zu sorgen.

"Du Arschloch!!" schrie jetzt die Stimme, die eben noch "Kasperkopf" ge­brüllt hatte, und Kurtchen drehte sich um. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (18)

Zwei Stunden später, als Kurtchen die Extra Bar betrat, war der Abend be­reits in vollem Gange. Gernolf, der natürlich längst da war, teilte sich einen Vierertisch mit zwei Unbekannten, einem Pärchen in den frühen Dreißigern, wie es Kurtchen schien, der unentschlossen, ob er Lust auf derlei Sozialisati­on hatte und ob er sich angesichts dieser Störung seiner Abendpläne, von de­nen er zwar nicht wußte, wie sie aussahen, aber immerhin soviel ahnte, daß sie nicht die Fraternisierung mit zwei untersetzten, irgendwie mondgesichti­gen und darüber hinaus wildfremden Menschen einschlossen, vielleicht sogar ärgern sollte, an der Tür stehengeblieben war. Wo Gernolf diese Gestalten nur immer auflas, Kurtchen blieb es ein Rätsel.

Trotzdem konnte er nicht den Rest des Abends an der Tür stehenbleiben, außerdem hatte Gernolf ihn gesehen und winkte ihn an den Tisch. Kurtchen ergab sich.

Er klopfte mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte, um nicht Leute grü­ßen zu müssen, von denen er nicht wußte, ob er sie überhaupt grüßen wollte; und wie sich aber rasch herausstellte, waren die beiden ihm und seiner An­kunft gegenüber vollkommen gleichgültig, und auch Gernolf machte kei­ne Anstalten, die zwei vorzustellen. Kurtchen setzte sich, unbeachtet.

Jetzt muß ich dich fragen: Wie wohnst du?“ fragte der Mann, der eine Fri­sur auf dem Kopf hatte, wie man sie Mitte der Achtziger zum letzten Mal getragen haben mochte, und auch da bloß noch in der DDR. „Ich bin näm­lich“, die Antwort auf die Frage, wie Gernolf wohne, schien nicht weiter wichtig, „einer der wenigen Anwälte, die Verständnis haben für Nachbar­schaftsschwierigkeiten.“

Ich hab leider auch Mietrecht gemacht“, sekundierte die Frau, die, auf diese speziell deutsche Weise groteskbebrillt, freudlos und zufrieden zugleich wirkte, in schillernden Grautönen gekleidet war und hauptsächlich in einer Art Glockenrock steckte, die brünetten, in der Mitte gescheitelten Haare fie­len ihr fettig auf die Schultern; und intuitiv wußte Kurtchen, daß er sich so­eben an den Tisch mit den zwei größten Idioten der Stadt gesetzt hatte. Er winkte der Bedienung und begann, da keiner der bei­den Notiz von ihm nahm, sich auf den erwartbaren Stumpfsinn zu freuen.

Der Mann ging auf die Einlassung seiner Frau zum Mietrecht gar nicht ein, wie die beiden überhaupt sehr geübt darin schienen, aneinander vorbei zu re­den. Anders, überlegte Kurtchen und legte das Kinn in seiner per Ellbogen auf Kinnhöhe installierten rechten Handfläche ab, hielten sie es wahrschein­lich nicht aus.

Der Mann sprach auf eine bräsige Art überlegen, die er sich von Jockel Fi­scher abgeschaut haben mochte, als der noch Bundesaußenminister war, was, ganz wie beim Vorbild, die Wirkung seiner Nichtswürdigkeiten ins Nu­minose hinein verstärkte. „Weil, du mußt wissen, ich bin Dienstleister. Ir­gendein Typ sagt: du hast einen Kirschbaum, du hast ne ockerfarbene Mar­kise, dein Opel parkt zu tief. Nun gut. Was dann?“

Der Mann streckte die leeren Handflächen in die Luft zum Zeichen, daß sich hier jede Antwort erübrige, und Gernolf war klug und sagte nichts.

Einen Staatsanwalt für Familienrecht gibt es ja leider nicht“, ergänzte die Frau couragiert und schaute erst Gernolf und dann Kurtchen an, als sei ge­nau dieser Umstand die Quintessenz des Markisendiskurses und nicht ein Beweis für Kurtchens Überlegung, in Zeiten der umfassenden Gleichberech­tigung müsse es eben auch geistig behinderte Rechtsanwälte geben. Ja, sogar retardierte Anwaltspärchen; die mußten dann halt zusammenlegen, um die 110 IQ-Punkte, die es für ein Jurastudium wohl brauchte, zusammenzukriegen. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (17)

Der freundliche Energieversorger setzte, geschlagen, noch ein paar Satzfet­zen zusammen der Art, es sei dies alles "kein Problem", er komme dann ein­fach "im Dezember" noch einmal wieder, und Kurtchen mußte an sich hal­ten, um nicht zu entgegnen, "im Dezember" sei er pauschal "nicht da", aber der Spaß, so merkte er, war nun zu Ende und der Mann auch schon im Ge­hen begriffen.

Kurtchen schloß die Wohnungstür und hörte, wie der Mann die Treppe hin­unterwerkte; er tat ihm leid. Das war, Kurtchen wußte es, der sogenannte Wettbe­werb, so sah er nämlich aus; und nicht wie die Spaßmobilfahrer mit den wei­ßen Zähnen aus dem Werbefernsehen. Der Wettbewerb, das waren Durch­schnittsmänner in schlechtsitzenden Anzügen, die ihre Tage damit hinbrach­ten, in wildfremde Häuser einzudringen und entweder selbst zu de­mütigen (näm­lich Trottel, die sich irgendeinen Quatschtarif andrehen ließen, um im Jahr den Gegenwert drei großer Biere zu sparen) oder sich demütigen zu lassen, nämlich von Überblicksbewahrern wie ihm, Kurtchen, was, das sah er ein, die Revolution natürlich um keinen Deut voranbrachte; einen Quatschtarif zu ordern, der ihm, Kurtchen, im Jahr den Gegenwert dreier großer Biere er­sparte, aber auch nicht. Ein Dilemma, ein Patt.

Auf dem Weg in die Küche und zum Kühlschrank, wo ein aufgrund fehlen­der Stromtarifsmilderung unnötig teures Bier wartete, erinnerte sich Kurt­chen an eine andere Bahnfahrt (warum man sich nur immer an Bahnfahrten erinnerte?), auf der er durch den Spalt zwischen den Sitzen hindurch auf den Laptopmonitor eines Wettbewerbsteilnehmers hatte spitzen können und so zum Augenblicksteilhaber einer Welt wurde, die ihm so faszinierend fremd war wie Alexander von Humboldt jene der dickbusigen Weiber am Orinoko:

"Umsätze nach Aktivitätsbereich und Top-Player der Baubranche – Neubau ist wichtigster Bereich für Fußbodenhersteller".

Der junge Mann im Anzug (gleichfalls auf oder allenfalls eine Handbreit über Delling-Niveau, in der Fußbodenbranche schienen die goldenen Zeiten auch vorbei zu sein, kein Wunder, wo jeder Esel heutzutage Parkett hatte oder wenigstens haben wollte) wechselte das Windows-Fenster und die Sei­tenüberschrift: "Die japanische Baubranche erwirtschaftet den drittgrößten Umsatz in der Welt", und Kurtchen wärm­te sich an der Erinnerung so, wie er sich damals im Zug an dem Gedanken gewärmt hatte, es als Klempner und Aushilfsphilosoph eventuell doch besser zu haben als dieser arme Jun­ge, dessen Tagwerk darin bestand, sich in ICE-Großraumwa­gen, in denen es, weil irgendwer seine Brotzeit ausgepackt hatte, roch, als sei ein Faß Tsatsiki explo­diert (die Leute wurden halt insgesamt immer unver­schämter, es kam noch so weit und sie schmissen im Zug den Grill an), über die Top-Player der Baubranche in Kenntnis zu setzen, weil der Neubau halt der wichtigste Be­reich für eben den Fußbodenhersteller war, in dessen durchschnittlich be­zahlten Diensten er durch die Gegend fahren mußte, den Zumutungen der Bahn und ihrer entsetzlichen Passagiere bis zur Rente (oder zur Entlassung) ausgeliefert.

Kurtchen nahm das Bier aus dem Gemüsefach, schloß die Kühlschranktür und freute sich dann doch wieder auf den geselligen Abend mit dem Top-Player der Scheißebau-Branche; er mußte sich ein bißchen sputen. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (16)

Natürlich wedelte der Mann, der so schnaufend und dellinghaft vor Kurt­chens Türe stand, nicht mit dem Penis; ja hatte ihn nicht einmal entborgen, wie Kurtchen, der sich gern im Kontrafaktischen erging und sich vorstellte, wie es wäre, wenn es anders wäre als es war, dann doch nicht ohne Erleich­terung zur Kenntnis nahm. Für fremde Penisse interessierte er, Kurtchen, sich schließlich nur bedingt bis eigentlich überhaupt nicht, erst recht nicht, wenn sie an solch mediokren Figuren wie diesem Herrn hier baumelten. Gut also, daß sie nicht baumelten.

"Ich bin", faßte der Mann, der sich mit einem Taschentuch über die hohe Stirn wischte, mählich wieder Tritt, "von der Blawag, Ihrem freundlichen Energiedienstleister."

"Aha", machte Kurtchen und fand es amüsant, daß dem freundlichen Dienst­leister vor lauter Überanstrengung das Guten Tag entfallen war.

"Ich wollte mich mal erkundigen", erkundigte sich der Mann, der jetzt tat­sächlich ein freundliches Gesicht machte, "wie zufrieden Sie mit Ihrem aktu­ellen Energieversorger sind."

"Sehr", antwortete Kurtchen, der spontan gar nicht wußte, von wem er Strom und Gas bezog und dem das eigentlich auch egal war.

"Das ist schön", log der Mann pflichtgemäß. "Darf ich fragen, wie hoch Ihr aktueller Tarif ist?"

Kurtchen sah über den Kopf des Mannes hinweg durch das Dachfenster überm Treppenhaus, wo eine Wolke so aussah wie eine Wolke, die unbe­dingt so aussehen wollte wie eine Wolke, die wie ein Schaf aussah. Ein sehr wolkenähnliches Schaf zwar, aber doch ein Schaf.

Kurtchen erschrak ein bißchen, als er feststellte, daß dieser kleine Gedan­kenausflug nicht lange genug gedauert hatte, um den Mann mit den lästigen Tariffragen den Mut zum Ausharren zu nehmen. Ein Vollprofi, kein Zweifel.

"Mittelhoch", sagte Kurtchen, der jetzt wirklich lieber ferngesehen hätte und vage überlegte, ob er den Mann im Anzug, den er mit derlei Geplänkel aus der Tür zu eimern versuchte, nicht als Vorwand nehmen könnte, den Knei­penabend doch noch abzublasen.

"Verstehe", sagte der Mann, und Kurtchen wußte nicht, ob er wirklich ver­stand, also ob er, der Mann, ihn, Kurtchen für den überlegenen, TV-süchti­gen Spötter hielt, der er war, oder für einen der wahrscheinlich zahlreichen Idioten, die das Wort Kilowattstunde noch nie gehört hatten und deswegen immer in Tränen ausbrachen, wenn Peter Zwegat bei ihnen auf dem Sofa saß.

"Hätten Sie denn vielleicht Ihre letzte Stromrechnung da? Dann könnten wir mal einen Blick drauf werfen und schauen, ob da noch Luft nach oben ist."

Nach unten, korrigierte Kurtchen still, der zwar nicht wenig Lust hatte, den Blödsinn noch eine Weile mit- und auszuspielen – nicht zuletzt, um dem Mann ein paar hübsche Phrasen herausrudern zu hören, etwa "Geld in die Hand nehmen" oder "kein Thema" –, den Wurstl aber auch nicht ohne Not in seine Wohnung lassen wollte, um ihn dabei zusehen zu lassen, wie Kurtchen sich durch seine Stromrechnungen wühlte.

"Die ist", sagte Kurtchen, der es jetzt als sportliche Herausforderung nahm, den Blawag-Mann möglichst schnell und möglichst geräuschlos loszuwer­den, "bei meinem Steuerberater, tut mir leid, normalerweise mach ich ja im­mer Kopien, aber ich hab mir neulich mal gedacht, Stromrechnungen, die brauch man doch eigentlich nie, und deswegen sind die Originale weg, tut mir leid. Ich könnte aber", ritt Kurtchen jetzt der Teufel, "bei meinem Kum­pel anrufen und fragen, was der so verbraucht, ich meine, wir sind gleich alt und die Wohnungen ähnlich, da ist der Verbrauch wahrscheinlich gleich. Also, sein neuer Flachbildfernseher verbraucht am Ende mehr als meine Röhrenmöhre, dafür dusche ich öfter. Mein Kumpel hat immer diese Angst um seinen Säureschutzmantel, und von daher..."

"Kein Thema", retournierte der Mann glänzend und schien aber trotzdem bei der Einsicht angelangt, für eine wer weiß wie lachhafte Provision doch nicht alles mitzumachen. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (15)

Sekunde“, sagte Kurtchen und überließ Gernolf für einen Augenblick sei­ner Spitzengeschichte aus der Welt der Hochgastronomik, um den Türöffner zu drücken; öffnete, den Finger noch am Drücker, vorsorglich die Woh­nungstür, um auf den Hall der aufspringenden Haustür, der dunkel durch den Treppenhauskamin zog, zu warten, und es hallte, und dann stapfte es; und je näher das Stapfen kam, desto deutlicher wurde es, asynkopisch, von einem Keuchen begleitet, und Kurtchen zwang sich, das nicht für eine Allegorie des täglich eine Stufe näher keuchenden Todes zu halten. Es war ja auch Un­sinn, denn der Tod keuchte ja gar nicht, hatte es auch gar nicht nötig; es sei denn, der Tod wäre ein starker Raucher, was er sich ja erlauben dürfte, denn einen frühen, schmerzhaften Tod hätte er, der Tod, ja seinerseits kaum zu fürchten; und für die Schwangeren in seiner, des Todes, Nähe wäre es ja auch schon egal.

Unter derlei nichtsnutzigen Gedankenexperimenten verabredete sich Kurt­chen mit Gernolf in der Extra Bar, wobei der erste Elan, per glücklicher Abendgestaltung dem Leben vielleicht eine Wendung ins auch grundsätzlich Elanhafte zu geben, schon still vor sich hin verdunstete angesichts der Mög­lichkeit, den Abend vor dem TV-Gerät zu verdämmern, weil sich dann der Umstand, daß nie etwas passierte, locker auf die eigene, vollautonom getrof­fene Entscheidung dazu schieben ließe, während ein Abend in der Extra Bar (oder wo immer), an dem nichts passierte (außer daß, im Idealfall, eine frus­trierte Bedienung per vollgekotztem Küchenpapier einen Lokus zum Erlie­gen brachte), unter Umständen sehr unheilvoll metaphorische (wo nicht gar symbolische, Kurtchen hielt das immer nicht auseinander) Fäden aus­sponn und zu allerhand Fragen Anlaß gab wie der, wozu, wenn man heute nacht stürbe, das alles denn letztendlich nütze gewesen sei.

Wenigstens war der Mann, der geklingelt hatte, jetzt endlich oben ange­keucht gekommen: groß und mit einem mittelmäßig sitzenden grauen Anzug versehen, erinnerte er Kurtchen sofort an den Sportfernsehmann Delling, der auch immer Anzüge trug, die qualitativ erkennbar unterhalb dessen siedel­ten, was sich ein Sportmoderator leisten konnte; und, was das betraf, auch leisten mußte, schließlich hampelte er ja vor einem Millionenpubli­kum herum, und Kurtchen hatte zwar nichts gegen Uneitelkeit, im Gegenteil, aber dafür eine Menge gegen mangelnde Professionalität. Er, Kurtchen, war­tete seine Gasthermen schließlich auch nicht im Stresemann, weil das un­praktisch war und weil er auch gar keinen Stresemann besaß noch wußte, wo er auf die Schnelle einen hätte herkriegen sollen; und wer im Fernsehen stand, der sollte nicht so tun, als sei ausgerechnet im Fernsehen das Optische nur zweitrangig. Schlecht angezogene Funktionskleidungsopfer spazierten außerhalb des Fern­sehens zu Hunderttausenden herum, und wenn das Fernsehen überhaupt eine Daseinsberechtigung hatte (außer der, Kurtchen beim Verdämmern seiner Lebensperspektiven zu unterstützen), dann doch bitte die, die zweite Wirk­lichkeit als zwar genauso dumm, wo nicht dümmer als die erste zu präsentie­ren, aber als immerhin besser aussehend!

Außerdem sollte ein Mann sich nicht von seiner Frau die Anzüge kaufen las­sen, und vielleicht war es das, was ihn, Kurtchen, an Delling so deprimierte: daß er immer aussah, als kaufe ihm seine Frau mit demselben schlechtem Kaufhausgeschmack die Anzüge. Eine Niederlage für beide Ge­schlechter.

Ja bitte“, sagte Kurtchen zu dem Mann, der schnaufend vor seiner Türe stand und sacht mit dem Penis wedelte. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (14)

Trotz seiner Neigung, das Altern nicht für eine Katastrophe zu nehmen, beunruhigte Kurtchen der Gedanke an die nächsten zwanzig Jahre in dieser – so groß konnte der Gout des Wortes „Stilaltbau“ gar nicht sein, um das nicht zuzugeben – wohnmaschinellen Katastrophe, deren Vorteil sich in ihrer, das war die Dialektik, vollendeten Naturhaftigkeit, welche sich in der getreulichen Abbildung der klimatischen Verhältnisse vor den Fenstern manifestierte (im Sommer heiß, im Winter kalt), tatsächlich erschöpfen mochte. Ah; dachte Kurtchen. Und: fuck. Und dann: daß er jetzt Gernolf anrufen wollte.

Nach dem zweiten Klingeln hob Gernolf ab.

„Kurtchen!“ schrie er. „Altes Wichsgesicht! Alte Wurstsemmel!“

„Genau“, sagte Kurtchen und überlegte kurz, ob ihm das nicht zuviel der guten Laune wäre; aber da er nichts zum Lesen im Haus hatte (den neuen Handke hatte er gestern glücklich gegen einen Kasten Bier eingetauscht, nur Astra zwar, aber es war ja auch bloß der neue Handke) und Gernolf ja auch von seinem autobiographischen Projekt Mitteilung machen wollte, entsorgte er den Gedanken und stellte Gernolf wie geplant einen Kneipenabend in Aussicht.

„Je-der-zeit“, replizierte der und pustete Luft in die Muschel; er rauchte wohl. „Die Frage wäre nur, wo – der Leberkloß hat zu, soweit ich weiß, da ist nämlich das Klo verstopft, weil der Peter doch da gestern alles vollgekotzt hat, der hat sich doch so besoffen nach dem Telefonat mit seiner Tochter, die neuerdings Edelprostituierte werden will, mußt du dir mal vorstellen! Also jetzt nicht aus Quatsch, sondern ganz im Ernst! Und der Peter soll ihr das anfinanzieren, sie muß wohl gesagt haben, in ihrer Hartz-Bude, da werde sie niemals Edelprostituierte, und sie wär', paß auf“, Gernolfs Stimme überschlug sich fast, und unwillkürlich rückte Kurtchen sich den Hörer etwas vom Leib, „sie wär' ja schließlich keine Nutte! Und der Peter muß dann wohl alleine eine Flasche Obstler ausgetrunken und ziemlich desaströs gekotzt haben, und die Irmi, die dumme Nuß, hat das alles mit Küchenrolle aufgeputzt und komplett im Klo versenkt, und der Andi“ – das war der Wirt – „schreit noch, Irmi, du blöde Fut, du verstopfst mir das ganze Scheißhaus, und das andere ist doch schon kaputt! Und die Irmi hat wohl zurückgeschrien, das wär ihr scheißegal, sie scheiße nämlich langsam auf den Laden und überhaupt auf die ganze Scheiße insgesamt, und immer weiter am Schaufeln, na ja, die ganze Suppe muß wohl beim ersten Spülen oben wieder rausgekommen sein, also, in den Leberkloß können wir jedenfalls nicht!“

Wenn die Metaphysik im Eimer sei, heiße es, sich mit ihr zu solidarisieren, erinnerte sich Kurtchen halb; und bevor er rückfragen konnte, ob Andi denn keinen Pömpel habe, klingelte es an der Tür. (wird fortgesetzt)

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/i nnen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt