Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (20)
Kurtchen sah zwei Männer mittleren Alters, die sich offenbar nicht einig waren; allerdings war der eine, rothaarige, der sein Blatt noch in der Hand hielt, deutlich in der Offensive.
"WENN WIR AUSMACHEN, DASS IN DER ERSTEN RUNDE NICHT GEKLOPFT WIRD, DANN KANNST DU ARSCHGESICHT NICHT HERGEHEN UND KLOPFEN! DU BRINGST MIT DEINEM SCHEISSGEKLOPFE DEN GANZEN RHYTHMUS DURCHEINANDER!!" Der Offensive hatte sich schon halb von seiner Bank erhoben, als sei er im Begriff, auf den Klopfer loszugehen und ihn seinerseits nach Strich und Faden durchzuklopfen.
Da der Beschuldigte, der sitzen blieb, sehr leise sprach (oder jedenfalls viel leiser als der Ankläger), verstand Kurtchen nicht, was er zu seiner Verteidigung vorbrachte; immerhin sah es aus, als bemühe er sich, seine Argumentation sachlich vorzutragen, was ihm, gerade im direkten Vergleich mit seinem aufgebrachten, geradezu schäumenden Mitspieler, etwas Anwaltliches verlieh, und für einen Augenblick befürchtete Kurtchen, die Extra Bar (die tatsächlich nur so hieß und ganz und gar nichts Barartiges an sich hatte) habe sich, wie man so sagt, neu aufgestellt und peile neuerdings ein Publikum mit juristischer Vorbildung an.
"Ich bin ja beschnitten, wegen der Sicherheit", hörte Kurtchen den Anwalt, der ein sehr sicherheitsorientierter, geradezu -fixierter Mann zu sein schien, hinter sich und drehte sich aber lieber nicht um, weil er zu diesem Thema partout nicht noch mehr erfahren wollte; und so wie man sein Auge willentlich unscharf stellen kann, versuchte Kurtchen, den anwaltlichen Unflat nach Kräften aus- und den Streit am Kartentisch akustisch einzublenden.
"DAS IST DOCH SCHEISSDRECK", schrie der Laute, jetzt aber schon ein bißchen versöhnlicher, ohne Ausrufezeichen sozusagen; die erste Wutwelle schien sich an der Konzilianz des Klopfers gebrochen zu haben. Der Ankläger hatte sich auch wieder hingesetzt und schien willens, die Kartengeschäfte wieder aufzunehmen. Abermals sah es so aus, als rede der Konziliante beruhigend auf ihn ein, der, wie Kurtchen genau sah, mit zusammengepreßten Lippen, trotzig, ein bißchen kindlich gar, dem Vortrag des Vernünftigen zuhörte.
Da Kurtchen seine verdrehte Haltung unbequem wurde und er auch den Stuhl nicht verrücken wollte, um den Eindruck zu vermeiden, er vertrete die Auffassung, einer Theatervorstellung beizuwohnen (die überdies ihren Höhepunkt auch hinter sich zu haben schien) – und wer weiß, wie der Laute darauf reagieren würde –, wandte er sich wieder seinem eigenen Tisch zu; und hatte die Faxen des Anwalts jetzt aber auch langsam dicke, ohne allerdings zu wissen, wie er sich ihnen entziehen könnte. Ein neues, selbstverwaltetes Gespräch auf den Weg zu bringen war sinnlos, der Anwalt hätte sich unweigerlich eingeschaltet und noch den schönsten Bericht mit festlichem Arschgerede versaut; und war überdies der letzte, den Kurtchen von seinem Buchprojekt (das allein dadurch, daß Kurtchen ständig drüber nachdachte, immer größere Gestalt gewann) in Kenntnis setzen wollte; auch wenn ihm "Es steht kurz davor" als Buchtitel gar nicht so schlecht vorkam. Vielleicht, dachte Kurtchen, sollten sie ebenfalls Karten spielen, und wenn der Anwalt einen Fehler beim Klopfen machte, dann würde man ihn einfach zusammenhauen. (wird fortgesetzt)