Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (18)
Zwei Stunden später, als Kurtchen die Extra Bar betrat, war der Abend bereits in vollem Gange. Gernolf, der natürlich längst da war, teilte sich einen Vierertisch mit zwei Unbekannten, einem Pärchen in den frühen Dreißigern, wie es Kurtchen schien, der unentschlossen, ob er Lust auf derlei Sozialisation hatte und ob er sich angesichts dieser Störung seiner Abendpläne, von denen er zwar nicht wußte, wie sie aussahen, aber immerhin soviel ahnte, daß sie nicht die Fraternisierung mit zwei untersetzten, irgendwie mondgesichtigen und darüber hinaus wildfremden Menschen einschlossen, vielleicht sogar ärgern sollte, an der Tür stehengeblieben war. Wo Gernolf diese Gestalten nur immer auflas, Kurtchen blieb es ein Rätsel.
Trotzdem konnte er nicht den Rest des Abends an der Tür stehenbleiben, außerdem hatte Gernolf ihn gesehen und winkte ihn an den Tisch. Kurtchen ergab sich.
Er klopfte mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte, um nicht Leute grüßen zu müssen, von denen er nicht wußte, ob er sie überhaupt grüßen wollte; und wie sich aber rasch herausstellte, waren die beiden ihm und seiner Ankunft gegenüber vollkommen gleichgültig, und auch Gernolf machte keine Anstalten, die zwei vorzustellen. Kurtchen setzte sich, unbeachtet.
„Jetzt muß ich dich fragen: Wie wohnst du?“ fragte der Mann, der eine Frisur auf dem Kopf hatte, wie man sie Mitte der Achtziger zum letzten Mal getragen haben mochte, und auch da bloß noch in der DDR. „Ich bin nämlich“, die Antwort auf die Frage, wie Gernolf wohne, schien nicht weiter wichtig, „einer der wenigen Anwälte, die Verständnis haben für Nachbarschaftsschwierigkeiten.“
„Ich hab leider auch Mietrecht gemacht“, sekundierte die Frau, die, auf diese speziell deutsche Weise groteskbebrillt, freudlos und zufrieden zugleich wirkte, in schillernden Grautönen gekleidet war und hauptsächlich in einer Art Glockenrock steckte, die brünetten, in der Mitte gescheitelten Haare fielen ihr fettig auf die Schultern; und intuitiv wußte Kurtchen, daß er sich soeben an den Tisch mit den zwei größten Idioten der Stadt gesetzt hatte. Er winkte der Bedienung und begann, da keiner der beiden Notiz von ihm nahm, sich auf den erwartbaren Stumpfsinn zu freuen.
Der Mann ging auf die Einlassung seiner Frau zum Mietrecht gar nicht ein, wie die beiden überhaupt sehr geübt darin schienen, aneinander vorbei zu reden. Anders, überlegte Kurtchen und legte das Kinn in seiner per Ellbogen auf Kinnhöhe installierten rechten Handfläche ab, hielten sie es wahrscheinlich nicht aus.
Der Mann sprach auf eine bräsige Art überlegen, die er sich von Jockel Fischer abgeschaut haben mochte, als der noch Bundesaußenminister war, was, ganz wie beim Vorbild, die Wirkung seiner Nichtswürdigkeiten ins Numinose hinein verstärkte. „Weil, du mußt wissen, ich bin Dienstleister. Irgendein Typ sagt: du hast einen Kirschbaum, du hast ne ockerfarbene Markise, dein Opel parkt zu tief. Nun gut. Was dann?“
Der Mann streckte die leeren Handflächen in die Luft zum Zeichen, daß sich hier jede Antwort erübrige, und Gernolf war klug und sagte nichts.
„Einen Staatsanwalt für Familienrecht gibt es ja leider nicht“, ergänzte die Frau couragiert und schaute erst Gernolf und dann Kurtchen an, als sei genau dieser Umstand die Quintessenz des Markisendiskurses und nicht ein Beweis für Kurtchens Überlegung, in Zeiten der umfassenden Gleichberechtigung müsse es eben auch geistig behinderte Rechtsanwälte geben. Ja, sogar retardierte Anwaltspärchen; die mußten dann halt zusammenlegen, um die 110 IQ-Punkte, die es für ein Jurastudium wohl brauchte, zusammenzukriegen. (wird fortgesetzt)
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