Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (15)
„Sekunde“, sagte Kurtchen und überließ Gernolf für einen Augenblick seiner Spitzengeschichte aus der Welt der Hochgastronomik, um den Türöffner zu drücken; öffnete, den Finger noch am Drücker, vorsorglich die Wohnungstür, um auf den Hall der aufspringenden Haustür, der dunkel durch den Treppenhauskamin zog, zu warten, und es hallte, und dann stapfte es; und je näher das Stapfen kam, desto deutlicher wurde es, asynkopisch, von einem Keuchen begleitet, und Kurtchen zwang sich, das nicht für eine Allegorie des täglich eine Stufe näher keuchenden Todes zu halten. Es war ja auch Unsinn, denn der Tod keuchte ja gar nicht, hatte es auch gar nicht nötig; es sei denn, der Tod wäre ein starker Raucher, was er sich ja erlauben dürfte, denn einen frühen, schmerzhaften Tod hätte er, der Tod, ja seinerseits kaum zu fürchten; und für die Schwangeren in seiner, des Todes, Nähe wäre es ja auch schon egal.
Unter derlei nichtsnutzigen Gedankenexperimenten verabredete sich Kurtchen mit Gernolf in der Extra Bar, wobei der erste Elan, per glücklicher Abendgestaltung dem Leben vielleicht eine Wendung ins auch grundsätzlich Elanhafte zu geben, schon still vor sich hin verdunstete angesichts der Möglichkeit, den Abend vor dem TV-Gerät zu verdämmern, weil sich dann der Umstand, daß nie etwas passierte, locker auf die eigene, vollautonom getroffene Entscheidung dazu schieben ließe, während ein Abend in der Extra Bar (oder wo immer), an dem nichts passierte (außer daß, im Idealfall, eine frustrierte Bedienung per vollgekotztem Küchenpapier einen Lokus zum Erliegen brachte), unter Umständen sehr unheilvoll metaphorische (wo nicht gar symbolische, Kurtchen hielt das immer nicht auseinander) Fäden aussponn und zu allerhand Fragen Anlaß gab wie der, wozu, wenn man heute nacht stürbe, das alles denn letztendlich nütze gewesen sei.
Wenigstens war der Mann, der geklingelt hatte, jetzt endlich oben angekeucht gekommen: groß und mit einem mittelmäßig sitzenden grauen Anzug versehen, erinnerte er Kurtchen sofort an den Sportfernsehmann Delling, der auch immer Anzüge trug, die qualitativ erkennbar unterhalb dessen siedelten, was sich ein Sportmoderator leisten konnte; und, was das betraf, auch leisten mußte, schließlich hampelte er ja vor einem Millionenpublikum herum, und Kurtchen hatte zwar nichts gegen Uneitelkeit, im Gegenteil, aber dafür eine Menge gegen mangelnde Professionalität. Er, Kurtchen, wartete seine Gasthermen schließlich auch nicht im Stresemann, weil das unpraktisch war und weil er auch gar keinen Stresemann besaß noch wußte, wo er auf die Schnelle einen hätte herkriegen sollen; und wer im Fernsehen stand, der sollte nicht so tun, als sei ausgerechnet im Fernsehen das Optische nur zweitrangig. Schlecht angezogene Funktionskleidungsopfer spazierten außerhalb des Fernsehens zu Hunderttausenden herum, und wenn das Fernsehen überhaupt eine Daseinsberechtigung hatte (außer der, Kurtchen beim Verdämmern seiner Lebensperspektiven zu unterstützen), dann doch bitte die, die zweite Wirklichkeit als zwar genauso dumm, wo nicht dümmer als die erste zu präsentieren, aber als immerhin besser aussehend!
Außerdem sollte ein Mann sich nicht von seiner Frau die Anzüge kaufen lassen, und vielleicht war es das, was ihn, Kurtchen, an Delling so deprimierte: daß er immer aussah, als kaufe ihm seine Frau mit demselben schlechtem Kaufhausgeschmack die Anzüge. Eine Niederlage für beide Geschlechter.
„Ja bitte“, sagte Kurtchen zu dem Mann, der schnaufend vor seiner Türe stand und sacht mit dem Penis wedelte. (wird fortgesetzt)
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