Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (47)
Kurtchen fror jetzt ziemlich, und unter den guten Gründen, nicht mitten in der Nacht von einer Brücke zu starren und wildfremden Hunden beim Pinkeln zuzusehen, war der, eine Lungenentzündung zu vermeiden, womöglich der beste. Trotzdem unwillig stieß Kurtchen sich vom Geländer ab und machte sich, wie er hoffte, endgültig auf den Heimweg. Jetzt war's auch nicht mehr weit.
Wie immer, wenn er spät nach Hause kam, wunderte er sich, daß der Einkaufskiosk an seiner Straßenecke so unverbrüchlich lange offen hielt, auch wenn es heute, wo es längst schon Samstag war, weniger wundersam war als montags oder mittwochs. Wie eine Tankstelle hellerleuchtet, den einsamen, nicht mehr ganz neuen Bistrotisch nebst einer Eisreklame wie aufgegeben vor der Tür, gähnte der Laden durch eine weitoffene Türe und mit Zeitschriftentiteln und noch mehr Eisreklamen zugeräumte Schaufenster in die Nacht hinaus, und noch nie war Kurtchen dringewesen. Dies jedoch weniger seiner Doktrin wegen, Rätsel Rätsel sein zu lassen, als um dem spätnächtlichen Drang, Unsinn in sich hineinzuessen, nicht nachzugeben und sich der Zwei-Zentner-Grenze, die Kurtchen nur mit Weh und Ach auf Distanz hielt, nicht durch unbedachte und in aller Regel ja auch völlig unnötige Mitternachtsimbisse doch wieder zu nähern.
Kurtchen war immer ein schlankes Kind gewesen, ein dünnes gar, und zu seiner aktuellen, durchaus leicht wampigen Gestalt erst im Zuge seiner ersten Ehe gelangt, wo es außer Fertiggerichten nichts gegeben hatte. Nicht, daß Kurtchen darauf bestanden hätte, bekocht zu werden – derlei Unemanzipiertheiten waren ihm ganz fremd –, nein, Sibylle mochte einfach nichts anderes. So wie es Kinder gibt, die außer Nudeln mit Soße nichts zu sich nehmen, akzeptierte seine erste Frau nur Nahrungsmittel, die aus der Tiefkühltruhe oder wenigstens der Dönerbude kamen, was Kurtchen anfangs noch für cool, spätstudentisch und gendermainstreamig gehalten hatte, allerdings wohl doch eher einem frühkindlichen Defekt entsprang bzw. einer Abwehrreaktion auf eine unter Rohkost zugebrachte Kindheit. Kurtchen wäre nicht so weit gegangen zu sagen, daß das der Grund für die Scheidung gewesen war, aber als Sibylle, die über einen Spitzenstoffwechsel verfügte und nie ein Gramm Übergewicht gehabt hatte, die frischen Käsespätzle, für deren Zubereitung Kurtchen die Küche ruiniert und einen halben Abend drangegeben hatte, nur pflichtschuldig probierte, um eine halbe Stunde später das letzte Snickers aus dem Kühlschrank zu fressen, war Kurtchen ohne weiteren Kommentar in die Kneipe verschwunden und erst zwei Tage später unter Umständen, die mit der Person wechselten, die von ihnen berichtete, wieder nach Hause zurückgekehrt. (wird fortgesetzt)
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