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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (105)

(Was bisher geschah)

Petra schien auf einer Fortsetzung ihres Disputs nicht zu bestehen, und weil er keine Lust hatte, seine Erinnerungen auf ihre Klassifizierbarkeit als gute oder schlechte zu prüfen, dachte er sich in eine kleine Verachtung hinein, die sich daran entzündete, daß selbst eine Frau ohne Brüste eine bessere Adoles­zenz gehabt haben sollte als er: ein Feuerwerk aus Stelldicheinen und Eng­tanzweltrekorden, dann im Mondschein vom Stufenschwarm defloriert und ein Bündel süßer Er­innerungen für die Ewigkeit. Er dagegen: letzter beim Schwanzvergleich im Landschulheim, zwei Jahre später von Birgit Slomka auf dem Schulfest geohrfeigt. Dann Suff bis zum Abitur und überstürzte Heiraten mit absehba­rem Ergebnis. Er hatte sich angewöhnt, das für romantisch zu halten; gerade ging das aber nicht.

Der Lärm schwoll wieder, Mädchen kreischten, die Party schien in vollem Gang, und zu Kurtchens ehrlichem Mitleid gesellte sich Argwohn, das Gefühl, hier amüsiere sich wer auf seine Kosten.

"Wobei", Petra sah ihn von der Seite an. "Ob ich es noch mal bräuchte, das alles, wüßte ich jetzt auch nicht. Vorbei ist halt schon irgendwie vorbei. Ich meine", sie strich sich Haar hinters Ohr und sah wieder geradeaus, wie um die Gültigkeit ihrer Aussage zu unterstreichen, "wollte man im Ernst noch mal Abitur machen? Oder Führerschein? Noch mal Pickel haben und um zwölf zuhause sein müssen? Vom ewigen Liebeskummer mal zu schwei­gen."

"Sag ich ja", sagte Kurtchen, froh, daß er einverstanden sein durfte. Bis zur nächsten Station schwiegen sie, geradezu traut.

"Stimmt das eigentlich, daß du schon zweimal verheiratet warst?" Jetzt sah sie ihn wieder an, er hatte sie im Augenwinkel, er war ganz starr vor Überraschung; entspannte sich aber, als ihm einfiel, daß das irgendwann sowieso zur Sprache kommen mußte, und warum auch nicht, gab es ihm doch das Air eines Mannes, der das Leben kannte, und verdammt noch mal, er kannte es. Er wandte den Kopf, schmunzelte.

"Gut, was?" Eine vergleichsweise schwache Antwort, gemessen am Ausmaß seiner Lebenserfahrung; aber geschieden zu sein, und sei es doppelt, war nun mal keine Leistung an sich. Immerhin hatte er die Ehen überstanden, vielleicht zählte das.

"Du bist doch noch nicht mal vierzig, oder?"

"Früh gefreit, extrem bereut", erklärte Kurtchen munter. Das war sicheres Terrain und verschaffte ein wenig Abstand, war als Gegenstand aber intim genug, um die Spannung zu halten. "Na ja, so früh war's gar nicht. Es hielt immer nicht lange. Ich weiß auch gar nicht mehr genau, warum ich geheiratet habe."

"Die große Liebe." Petra ließ das Fragezeichen hörbar weg, es wäre auch zu sinnlos gewesen. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (104)

(Was bisher geschah)

Sie erhoben sich, in prekärer Gemeinsamkeit, Kurtchen tat müde; die Bahn entließ Leute, und Kurtchen wunderte sich, warum, sie fuhr doch in die Stadt, wer sollte, vom Lande kommend, hier schon aussteigen wollen; ein Rätsel auch dies.

In ihrem Wagen stand und fläzte lauthals eine Traube junger Menschen, für die der Abend, so schien es, erst begann, und Kurtchen setzte sich extra so, daß er das Treiben im Blick hatte, weniger aus Neugier denn aus Unlust, es im Rücken zu wissen. Petra setzte sich neben ihn und streckte die Beine von sich.

Drüben kreisten eine Sektflasche und eine für Limonade, an der ihr Besit­zer, ein bleicher, schmaler Junge mit Markenjeans und Fußballerfrisur, aber so konzentriert sog, daß Kurtchen ein eigenproduziertes Mischgetränk auf alkoholischer Basis vermutete. Der Junge tat ihm auf der Stelle leid, und in all der Konfusion, durch die Kurtchen sich bewegte wie ein Fisch in Gelee, spürte er Erleichterung und Trost: Wenigstens das hatte er hinter sich. Der Junge hatte die Flasche jetzt auf seinem Oberschenkel geparkt und fingerte auf seinem Telefon herum; sah plötzlich auf zur Nachbarbank, wo ein Al­terskollege sprachähnliche Geräusche machte, von denen der Junge anzu­nehmen schien, daß sie ihm galten; taten sie aber nicht, und wie aus Enttäu­schung nahm er den nächsten großen Schluck und widme­te sich wieder seinem Telefon, cool auf eine Weise, daß seine Anspannung zu greifen war. Denn heute abend galt es, so wie es jedes Wochenende galt, weibermäßig und überhaupt.

"Das letzte", sagte Kurtchen, zu Petra gewandt und momentweise unge­hemmt, "das wirklich allerallerletzte, was man sich wünschen sollte, ist, noch mal sechzehn zu sein."

"Schlechte Erinnerungen?"

"Wie sehen denn gute aus: So?" Er nickte diskret zu der feierbereiten Sekti­on der Anonymen Hormonsklaven hin.

"Das kommt bloß uns so doof vor jetzt", fuhr Petra erwachsen fort. "Viel­leicht ist das sogar die beste Zeit im Leben."

"Die beste Zeit." Er sagte es wie: Am Arsch die Räuber.

"Na ja", sie verschränkte die Arme vor der Brust. "Noch keine Verantwor­tung, der Kühlschrank immer voll, und kein Kuß ist so aufregend wie der erste. Überhaupt ist alles das erste Mal."

"Nämlich scheiße."

"Also doch schlechte Erinnerungen."

Daß es zu den größten Leistungen eines Menschen gehöre, die entsetzlichen Jahre zwischen zwölf und acht­zehn zu überleben: Kurtchen überlegte, wer das gesagt hatte. Es fiel ihm nicht ein. Er überlegte, ob er, ehrlich solida­risch, den Jungen um einen Schluck aus der Bombe bitten könnte. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (103)

(Was bisher geschah)

Kurtchen zwang sich, nicht schwärzer zu sehen als nötig. Erstens war Schweigen ja bekanntlich Gold, zweitens wurden alle Naslang irgendwelche Leute zusammengehauen, ohne daß er verlangen durfte, daß sich seine Begleiterinnen deswegen empörten, und drittens, dachte er, konnte er die Sauferei auch sein lassen, wenn's dann trotzdem schiefging.

Er setzte sich aufrecht und ließ die Unterarme auf den Schenkeln, mit den Innenseiten nach oben, wie ein fauler Junkie, der keine Lust hat, sich die letzte Spritze selbst zu setzen; atmete schwer ein und wieder aus und merkte, wie er gleichwohl weiter nach einer Erzählung fahndete, aus guter Erziehung oder weil er nicht zu früh aufgeben wollte, diesmal nicht; aber er dachte immer bloß "Bahnhof", und das einzige, was ihm dazu einfiel, war, wie er sich im Hauptbahnhof immer ärgerte, daß die Ankunftspläne auf den Bahnsteigen hingen, wo man doch die Ankunftspläne gerade brauchte, um den Bahnsteig zu erfahren, und es wunderte ihn schon wieder, daß er anscheinend der einzige war, dem das auffiel. Vielleicht sollte er Bahnhofschef werden; so verspätet, wie er insgesamt immer war! Störungen im Betriebsablauf, das war ja praktisch sein täglich Brot! ...konnte das Glück auf Gleis 6 leider nicht warten … wird der Anschluß leider nicht erreicht...

Immerhin drehte Petra jetzt den Kopf und machte, in Kurtchens wehe Spekulationen hinein, endlich Anstalten, auch mal was zu sagen; schließlich hatte sie ihn ja zum Aufbruch gelockt und also auch Verantwortung, was den Fortgang des Abends betraf.

"Ich hatte dich gar nicht als solch einen Schweiger in Erinnerung."

"Als was hattest du mich denn in Erinnerung", fragte Kurtchen, und der Ärger darüber, daß er, Emanzipation hin oder her, anscheinend doch als Unterhalter eingeplant war, war geringer als die Erleichterung darüber, daß er nicht mehr Bahnhof denken mußte.

"Weiß ich gar nicht", sagte Petra, und es klang kokett.

"Soviel Kontakt hatten wir ja bislang auch nicht", legte Kurtchen vor.

"Schade eigentlich", verwandelte Petra sicher, und trotzdem klang es wacklig.

"Jetzt haben wir ihn ja", sagte Kurtchen, reglos plänkelnd. Der Bahnhof hielt den Atem an, sein Inventar – Gleise, Bänke, Aushänge, Müllkübel – schwieg hochgespannt. Keiner rührte sich.

Kurtchen hätte, war ihm klar, jetzt küssen können; küssen müssen. Man merkt so was. Statt dessen sah er auf die Bahnhofsuhr. Er war tatsächlich ratlos. Warum war er ratlos? Er merkte, wie seine Miene einfror, weil sie bloß noch die Stellung hielt. Er war nicht mehr bei sich, spielerte schau. Tat souverän, wie ein Sechzehnjähriger.

Die Gleise sirrten, der Zug kam. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (102)

(Was bisher geschah)

"Den haben sie hier neulich zusammengehauen", sagte Kurtchen, fast schon trotzig. Wenn Liebe Dienstleistung war und zielgruppengerechtes Entertain­ment, dann war darauf gepfiffen. Sie hatten den Grün nun mal zusammengehauen, ob es Petra nun paßte oder nicht.

"Wie, zusammengehauen", fragte Petra, ohne erkennbaren Skandal in der Stimme.

"Raubüberfall", fiel Kurtchen ein, das klang nicht schlecht; und weil Petra nicht reagierte, fügte er hinzu: "Zwar nur ein Fünf­zig-Euro-Raubüberfall, aber ein Raubüberfall. Wenigstens haben sie ihn nicht gezwungen, die Geheimzahl seiner EC-Karte zu verraten. Aber er sah ganz schön ramponiert aus."

"Scheiße", sagte Petra, und es klang wie: Aha. Eine Meldung aus dem Poli­zeibericht. Kurtchen wurde heiß im Kopf, und er fragte sich, ob aus Scham oder Ärger. Er tippte auf Scham, er kannte sich.

Sie hatten den Bahnhof erreicht, und Kurtchen konzentrierte sich willig, den Zugang zum Bahnsteig zu finden, denn vor dem Bahnhof wurde gebaut, was, war nicht zu erkennen, Baugitterzäune sperrten nierenförmig den Vorplatz, man mußte um den Bahnhof halb herum; genügend Zeit zu überlegen, was auf dem Bahnsteig wäre, wenn die Bahn sich Zeit ließe; und dann war ja noch die Fahrt.

Sie erreichten den Bahnsteig, eine Zuganzeige gab es nicht, und Kurtchen mußte auf der Stelle wissen, wann die nächste Bahn fuhr, und schlenderte auf eine Art, daß es aussah, als sei ihm nichts egaler, zum Aushang.

"Zehn Minuten", sagte er, als er, zurückgekehrt, sich neben Petra auf die Bank fallen ließ. Er fühlte sich besser, er hatte gewisserma­ßen vorgelegt: ein Gesprächsversuch, eine nötige Information. Trotzdem war seine Befangenheit nicht verschwun­den, und er stellte sich auch diese Frage noch: was daran der Situation ge­schuldet und was daran er selbst war.

Das ließ sich aber nicht trennen.

Die Situation, dachte es in Kurtchen, was denn für eine Situation. Muß denn immer alles eine Situation sein? Warum saß er ständig in irgendwelchen Situationen herum? Gewiß gab es Menschen, die kannten keine Situationen, für die war alles Ablauf und Gleichmaß und eins nach dem andern; egal, was sie taten, es ging ja weiter. Er aber steckte in Situationen. Er suchte sie nicht; sie fanden ihn. Kurt­chen stellte sich vor, wie er sich morgen eine hal­be Stunde aufs Klo setzen und auskosten würde, daß es sich beim Scheißen um keine Situation handel­te. Er dachte ausdrücklich Scheißen. Ah, wie wür­de er scheißen!

Bis es soweit war, sah Petra, die Arme schwingengleich auf der Rückenleh­ne, schweigend Richtung Gleis, und Kurtchen lehnte sich auf der Bank nach vorne und stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel, die Hände verschränkt, und dachte, daß es das jetzt als Foto geben müßte, denn damit wäre alles gesagt. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (101)

(Was bisher geschah)

Kurtchen überlegte ernsthaft, ob er zur Abwechslung nicht sich, sondern Pe­tra dafür hassen könnte, daß sie, vor Müdigkeit, Alkohol oder unvollständi­ger Emanzipation, kein Gespräch in Gang brachte, von ihm aus über Pornos oder den dusseligen Irgendwie-Heiner, Spitzenthemen, zu denen sich garan­tiert was sagen ließe; wenigstens kamen ihnen jetzt zwei Halbwüchsige entgegen, und Kurtchen, Kurtchen hatte es, Ehre sei Gott in der Höh'.

Er wartete, bis die beiden weg waren; sagte dann:

"Kennst du Grün?"

"Wie, die Farbe?"

"Nee, den Doktor. Peter. Peter Grün. Dr. Peter Grün."

Petra schüttelte den Kopf, und Kurtchen wollte schon weiter investigieren, ließ es aber bleiben, weil er sich nicht der Information aussetzen wollte, Pe­tra lese all die Zeitungen nicht, für die Grün über Fußball, Bier und die Feh­ler der Zivilisation schrieb, eine Information, die zu einem späteren Zeit­punkt, nach stattgehabtem Verkehr oder dem Entschluß, gemeinsam auf eine Einbauküche in der Trendfarbe Mauve zu sparen, durchaus verkraftbar gewesen wäre, momentan aber die Verwirrung bloß gesteigert hätte. Das Dumme war, daß jetzt, wo Petra Grün nicht kannte, Grüns Geschichte "im Por­temonnaie waren wasweißich fünfzig Euro, die hätten die Herren kriegen können, bitte, danke, wiedersehn. Ich versteh die Welt nicht. Seh ich denn so faschistisch aus, daß man mich schlagen muß, wo man mich trifft? Seit zwanzig Jahren wohne ich in diesem verranzten Viertel und bin mit jeder ar­men Seele sofort solida­risch. Und wer kriegt auf die Fresse? Ackermann? Nein. Ich" – daß diese Geschichte jedenfalls nicht mehr viel taugte, um so weniger, als Geschichten von gewaltbereiten Halbwüchsigen, die einem im Dunkeln begegnen, nicht zu der Sorte Geschichten gehörte, die man Frauen auf dem nächtlichen Heimweg erzählt.

Kurtchen unterdrückte den Reflex, auf die Uhr zu sehen, er wußte eh, daß er bloß fünf Sekunden hatte, vielleicht zehn, um mit einer soliden Meldung über Peter Grün herauszukommen, einer, deren Nachrichtenwert so hoch wäre, daß persönliche Bekanntschaft keine Rolle spielte.

"Und? Was ist mit dem?" fragte Petra freundlich, wie erleichtert, daß sie nicht mehr schwiegen.

Der steht im Stall und macht muh, dachte Kurtchen automatisch, obwohl Petra den Grün ja nun mal nicht kannte. Vielleicht mußte er, Kurtchen, Mutti mal wieder besuchen; daß er so ein wohlerzoge­ner, mit den Feinheiten des Comments auf geradezu idiosynkratische Weise vertrauter Klempner geworden war, war ja schließlich ihre Schuld. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (100)

(Was bisher geschah)

"Na dann, gute Reise", sagte Gernolf noch und winkte schwach. Es klang nicht höhnisch. Kurtchen hob die rechte Faust in Kopfhöhe, klappte den Daumen ans Ohr und den kleinen Finger zum Mund, was verschwörerischer wirkte, als es gemeint war; Gernolf nickte, als habe er nichts anderes erwartet. Es sah aus wie: Ich hör dann von dir. Du machst das schon.

Aber was?

Kurtchen winkte in den Rest der Runde, machte kehrt und schloß zu Petra auf, die, wie ungeduldig, bereits ein paar Schritte vorausgegangen war. Sie fielen gemeinsam in Schritt, und Kurtchen machte ein aus Stöhnen und Prus­ten unscharf zusammengesetztes Geräusch, das in etwa dem lokalen Kerle naa entsprechen und gewisserma­ßen kopfschüttelnde Befriedigung an­gesichts der abendlichen Gesamtentwicklung anzeigen sollte. Als sei damit alles gesagt, schwieg er dann.

Die Nacht blieb still, die Vorstadt lag im Licht der Straßenbeleuchtung, im Rinnstein schliefen Autos. Kurtchen überlegte, wie es wäre, jetzt allein nach Haus zu laufen, im Kopf ein sanftes Rauschen, zuhause etwas Gras und rei­zend idiotische Dauerwerbesendungen für Schlager-CDs; statt dessen galt es, das Unwahrscheinliche wahrscheinlich zu machen, um die Konsequen­zen per tradierter Semantik realisierter Kommunikation im Sinne eines Ver­haltensmodells passionierter Liebe in aller Universalität anzunehmen und sich in der Komplementärrolle des liebenden Weltbestätigers –

Kurtchen zwang sich, ein paarmal energisch "Gastherme" zu denken, dann ging es wieder.

Sie liefen auf der leeren Straße, nebeneinander, immer noch schweigend, und Kurtchen überlegte, wie es wäre, tatsächlich gar nichts zu sagen, wo es doch ohnehin mit jedem Schritt schwieriger wurde, damit anzufangen; und wo er schon für sich in Anspruch nahm, in den Grenzen des gesellschaftlich Möglichen emanzipiert zu sein, gab es ja auch keinen Grund, den Unterhal­ter auch dann zu spielen, wenn das doch eben jenes Gefälle zwischen Herr und Dame voraussetzte, das für überwunden zu halten doch zur Grundaus­stattung des zeitgenössischen Intellektuellen gehörte, hantiere er zwecks Le­bensunterhalt auch mit Spülknien, Heizkörpern und Schrumpfmuffen – –

es hatte keinen Zweck. Er wollte etwas sagen, er mußte etwas sagen, er wuß­te nichts zu sagen, und mit jedem Meter, den sie gingen, kam er unerbittlich zu sich und schwand die Illusion, er sei sein Gegenteil; spätes­tens am S-Bahnhof, dachte Kurtchen, wäre er wieder vollständig mit sich identisch, und das half ja nun gar nicht. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (99)

(Was bisher geschah)

Aus der Geschichte zu lernen hätte also unbedingt bedeutet, sich um Gernolf nicht zu scheren, und obwohl es nicht einmal sicher war, daß der Freund, den man ja auch nicht mit der Kalaschnikow gepudert hatte, von Kurtchens Aufbruch irgendein Aufhebens machen würde, fand Kurtchen sich, nach all der Zeit, noch immer außerstande, einen Egoismus als nötig und moralisch un­anfechtbar zu akzeptieren; das Unheil lag, wie er wußte, schon in der Tatsa­che, daß er das Wort Egoismus überhaupt dachte.

Petra stand so unvermittelt auf, wie es die Bierbank erlaubte, und Kurtchen ertappte sich dabei, wie er hoffte, sie trete bloß aus und lasse ihn fürs erste sitzen; doch Petra blieb stehen und warf sich ihre Tasche um, es stand "Ibe­ria" darauf; und Fred hob den Kopf und nickte leicht, es war hier kein Be­dauern, es war nun mal soweit. Nicht denken, es ist wie immer. Nichts ist einfach wie immer. Es ist immer wieder von neuem wie immer. Kurtchen sah, wie er stand, und er sah, wie er sah, daß sie stand, am anderen Ende des Raumes, sehr blond, sehr fremd, und er erinnerte sich, wie er gedacht hatte, daß es möglich sei, im Prinzip, und wie er aber gewußt hatte, daß es ihm nicht möglich sei, niemals, schon gar nicht durch die Traube derer, die sie umstanden; und wie um sich, ein halbes Leben (und zwei Ehen) später, noch einmal das Ge­genteil zu beweisen, arbeitete er sich aus der Bank und stand und hörte sich sagen:

"Feierabend."

Das konnte freilich vieles heißen, und er sah Petra an und stierte dabei mehr als nötig, Trunkenheit zu simulieren; sie sah zurück, die Linke auf der Flan­ke der Tasche, mit der Rechten eine dunkle Strähne hinters Ohr wischend, das rote T-Shirt sanft gehügelt; und er mochte sich täu­schen, aber sie sah erwartungsvoll aus; und wenn er, der mit Erwartungen nicht umgehen konnte, jetzt rülpste und vielleicht so was sagte wie "Mann" oder "uff", dann war er aus der Sache raus, jedenfalls für heute, aber der Gedanke verließ ihn, wie er gekommen war, durch die Hintertür.

"Wir bleiben noch", sagte da Gernolf. "Wir bleiben doch noch, nein?"

"Wir bleiben noch", sagte Fred, eher resigniert als freudig.

"Aber hallo", sagte Heiner dumm.

Und kaum hatte sich Kurtchen gefragt, was Gernolf neuerdings mit Fred und Heiner hatte und ob und wie das Fickproblem von gestern ausgeräumt wäre, hörte er Petra Abschiedsfloskeln schäkern, überlegte kurz, ob er seinen Aufbruch begründen sollte oder müßte, wußte aber nicht wie und ließ es bleiben, es schien auch keiner zu erwarten, niemand hielt ihn auf, schon das war selt­sam, galten sie bereits als Paar? Und wenn ja, warum?

Er hatte Schiß. (wird fortgesetzt)

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Stefan Schlatt, Reproduktionsbiologe an der Uni Münster!

Sie gaben im Zeit-Wissensteil ein ganzseitiges Interview, das wie folgt betitelt wurde: »Der Hoden ist der Kanarienvogel des Mannes«. Eine billige Masche der Zeit, mit einer bizarren Überschrift Neugier zu wecken, das war uns sofort klar. Dennoch wollten wir natürlich wissen, in welchem Zusammenhang Sie das oben Zitierte von sich gaben.

»Der Testosteronspiegel des Mannes geht nur langsam zurück, vor allem, weil er im Alter immer dicker wird und nicht mehr so gesund ist wie mit 25. Dies zeigt sich dann an der Hormonproduktion im Hoden. Bergleute haben früher Kanarienvögel mit unter Tage genommen, die Alarm schlugen, wenn die Luft dünner wurde. Man könnte sagen: Der Hoden ist der Kanarienvogel des Mannes.«

Wo sollen wir anfangen, Schlatt? Der Kanarienvogel diente Bergleuten als Indikator für die sinnlich nicht wahrnehmbare Gefahr der Kohlenmonoxidvergiftung. Diese soll in Ihrer Metapher wohl der niedrige Testosteronspiegel sein, der nicht etwa durch das Übergewicht, sondern nur durch den Hoden zu erkennen ist. Und das geschieht wie, Schlatt? Schlägt der Hoden Alarm, indem er laut zwitschert? Sind die Kanarienvögel unter Tage nicht vielmehr verstummt und tot umgefallen? Und was ist in Ihrer Analogie eigentlich der Käfig für den singenden Hoden?

Fest steht hier im Grunde nur eins: Bei Ihnen piept es gehörig – im Kopf und in der Hose.

Tirili: Titanic

 Und Du, »Braunschweiger Zeitung«,

hast uns mit Deiner Überschrift »Diese beiden tödlichen Keime bekämpfen Forscher aus Braunschweig« einen kleinen Schrecken eingejagt. Viel lieber wäre uns in eh schon schweren Zeiten die Headline »Forscher aus Braunschweig bekämpfen diese beiden tödlichen Keime« gewesen.

Bitte auf uns arme Seelen achten, wünscht sich

Deine Titanic

 Wenn Sie, Micky Beisenherz,

als Autor des »Dschungelcamps« gedacht hatten, Sie könnten dessen Insass/innen mit einer Scherzfrage aus der Mottenkiste zu der Ihnen genehmen Antwort animieren, dann waren Sie aber so was von schief gewickelt; die RTL-»Legenden« wollten Ihnen nämlich partout nicht den Gefallen tun, auf die Frage, womit sich Ornitholog/innen beschäftigten, einfach und platterdings »mit Vögeln« zu antworten.

Stattdessen kamen: »Was ist das denn?« oder »What the fuck …?«. Dafür zu sorgen, dass so aus Ahnungslosigkeit ein Akt des Widerstands gegen Ihre idiotische Fangfrage wurde, das soll Ihnen, Beisenherz, erst mal jemand nachmachen.

Mit der Ihnen gebührenden Hochachtung: Titanic

 Grüß Gott, Söder!

Grüß Gott, Söder!

Wie schlossen Sie Ihr Statement vor dem israelischen Generalkonsulat in München, wenige Stunden, nachdem ein 18jähriger mit einem Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett auf dieses geschossen hatte und daraufhin von der Polizei erschossen worden war? Sie sagten: »Nochmals vielen Dank an alle Beteiligten!« Der Hauptbeteiligte, das war freilich der Attentäter – Ihre Danksagung lässt also tief blicken! Denn was täten Sie ohne durchgeknallte Islamisten mit anachronistischer Bewaffnung, die vom Rückstoß eines historischen Repetiergewehrs beinahe umgeworfen werden und von Ihrer Polizei spielend leicht umgenietet werden können?

Aber Obacht! Nicht dass Sie sich beim nächsten Mal zu noch offenherzigeren Reaktionen hinreißen lassen und zum Abschluss »So ein Tag, so wunderschön wie heute« anstimmen. Könnte möglicherweise missverstanden werden!

Meint Titanic

 Wie Ihr Euch als Gäste verhaltet, liebe »Zeit online«-Redaktion,

ist uns wirklich schleierhaft. Immerhin empfehlt Ihr allen guten Besucher/innen, beim Verlassen des Gästezimmers »mehr als eine Unterhose« anzuziehen. Da drängen sich uns einige Fragen auf: Ist Euch im Höschen öfters kalt? Ist das wieder so ein Modetrend, den wir verpasst haben? Gibt es bei Eurem Gastgeber keine Toilette und Ihr müsst vorbeugen?

Und wie trägt man überhaupt mehr als eine Unterhose? Muss man sich Buxen in aufsteigenden Größen kaufen oder reicht ein erhöhter Elastan-Anteil? Wie viele Schlüpferlagen empfiehlt der Knigge?

Denkbar wäre etwa, bei engen Freund/innen zu zwei, bei Geschäftskolleg/innen jedoch zu mindestens fünf Slips zu greifen. Aber wie sieht es aus bei der nahen, aber unliebsamen Verwandtschaft?

Trägt zur Sicherheit immer mindestens drei Stringtangas: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Aus der militärgeschichtlichen Forschung

Feldjäger sind auch nur Sammler.

Daniel Sibbe

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

 Reality-TV

Bei der Fernsehserie »Die Nanny« gibt es diese eine Szene, in der die Mutter der Nanny, Sylvia Fine, in einem Pariser Restaurant mit dem Kellner kommunizieren will. Da sie kein Französisch spricht, nutzt sie zum Austausch ausschließlich den Text des französischen Kinderliedes »Frère Jacques«: Mit »Frère Jacques« ruft sie den Kellner, mit »Ding-ding-dong« fordert sie einen neuen Kaffee und so weiter. In der Serie klappte das sehr gut, und als Kind fand ich es auch ausgesprochen lustig, war mir allerdings sicher, dass das in der Realität nie funktionieren würde – bis es mir selbst gelang. Das kam so: Im Fitnessstudio wartete ein junger Mann am Tresen vergeblich auf einen Trainer. Vergeblich, weil er die im Tresen eingelassene Klingel nicht betätigt hatte. Nun hatte ich ihn während des Trainings Französisch sprechen hören, sprach allerdings selbst keines. Da ich aber der Einzige war, der sein vergebliches Warten bemerkte, ging ich schließlich hin, zeigte auf die Klingel und sagte »Sonnez les matines! Sonnez les matines!« Er verstand sofort und klingelte ausgiebig. Kurz darauf erschien der Trainer und ließ ihn hinaus. Da soll noch mal einer sagen, Fernsehen würde im Leben nicht helfen.

Karl Franz

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

 Im Unterzucker

Wenn man sich bei seinem Lieblingsitaliener keine Pizza bestellen kann, weil man nicht alle Vespas auf den Fotos gefunden hat – liegt das dann am nicht bestandenen Turin-Test?

Lara Wagner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
11.10.2024 Coesfeld, Stadtbücherei Gerhard Henschel
12.10.2024 Bad Lauchstädt, Goethe Theater Max Goldt
12.10.2024 Freiburg, Vorderhaus Thomas Gsella
12.10.2024 Magdeburg, Moritzhof Hauck & Bauer