Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (101)
Kurtchen überlegte ernsthaft, ob er zur Abwechslung nicht sich, sondern Petra dafür hassen könnte, daß sie, vor Müdigkeit, Alkohol oder unvollständiger Emanzipation, kein Gespräch in Gang brachte, von ihm aus über Pornos oder den dusseligen Irgendwie-Heiner, Spitzenthemen, zu denen sich garantiert was sagen ließe; wenigstens kamen ihnen jetzt zwei Halbwüchsige entgegen, und Kurtchen, Kurtchen hatte es, Ehre sei Gott in der Höh'.
Er wartete, bis die beiden weg waren; sagte dann:
"Kennst du Grün?"
"Wie, die Farbe?"
"Nee, den Doktor. Peter. Peter Grün. Dr. Peter Grün."
Petra schüttelte den Kopf, und Kurtchen wollte schon weiter investigieren, ließ es aber bleiben, weil er sich nicht der Information aussetzen wollte, Petra lese all die Zeitungen nicht, für die Grün über Fußball, Bier und die Fehler der Zivilisation schrieb, eine Information, die zu einem späteren Zeitpunkt, nach stattgehabtem Verkehr oder dem Entschluß, gemeinsam auf eine Einbauküche in der Trendfarbe Mauve zu sparen, durchaus verkraftbar gewesen wäre, momentan aber die Verwirrung bloß gesteigert hätte. Das Dumme war, daß jetzt, wo Petra Grün nicht kannte, Grüns Geschichte – "im Portemonnaie waren wasweißich fünfzig Euro, die hätten die Herren kriegen können, bitte, danke, wiedersehn. Ich versteh die Welt nicht. Seh ich denn so faschistisch aus, daß man mich schlagen muß, wo man mich trifft? Seit zwanzig Jahren wohne ich in diesem verranzten Viertel und bin mit jeder armen Seele sofort solidarisch. Und wer kriegt auf die Fresse? Ackermann? Nein. Ich" – daß diese Geschichte jedenfalls nicht mehr viel taugte, um so weniger, als Geschichten von gewaltbereiten Halbwüchsigen, die einem im Dunkeln begegnen, nicht zu der Sorte Geschichten gehörte, die man Frauen auf dem nächtlichen Heimweg erzählt.
Kurtchen unterdrückte den Reflex, auf die Uhr zu sehen, er wußte eh, daß er bloß fünf Sekunden hatte, vielleicht zehn, um mit einer soliden Meldung über Peter Grün herauszukommen, einer, deren Nachrichtenwert so hoch wäre, daß persönliche Bekanntschaft keine Rolle spielte.
"Und? Was ist mit dem?" fragte Petra freundlich, wie erleichtert, daß sie nicht mehr schwiegen.
Der steht im Stall und macht muh, dachte Kurtchen automatisch, obwohl Petra den Grün ja nun mal nicht kannte. Vielleicht mußte er, Kurtchen, Mutti mal wieder besuchen; daß er so ein wohlerzogener, mit den Feinheiten des Comments auf geradezu idiosynkratische Weise vertrauter Klempner geworden war, war ja schließlich ihre Schuld. (wird fortgesetzt)
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