Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (102)
"Den haben sie hier neulich zusammengehauen", sagte Kurtchen, fast schon trotzig. Wenn Liebe Dienstleistung war und zielgruppengerechtes Entertainment, dann war darauf gepfiffen. Sie hatten den Grün nun mal zusammengehauen, ob es Petra nun paßte oder nicht.
"Wie, zusammengehauen", fragte Petra, ohne erkennbaren Skandal in der Stimme.
"Raubüberfall", fiel Kurtchen ein, das klang nicht schlecht; und weil Petra nicht reagierte, fügte er hinzu: "Zwar nur ein Fünfzig-Euro-Raubüberfall, aber ein Raubüberfall. Wenigstens haben sie ihn nicht gezwungen, die Geheimzahl seiner EC-Karte zu verraten. Aber er sah ganz schön ramponiert aus."
"Scheiße", sagte Petra, und es klang wie: Aha. Eine Meldung aus dem Polizeibericht. Kurtchen wurde heiß im Kopf, und er fragte sich, ob aus Scham oder Ärger. Er tippte auf Scham, er kannte sich.
Sie hatten den Bahnhof erreicht, und Kurtchen konzentrierte sich willig, den Zugang zum Bahnsteig zu finden, denn vor dem Bahnhof wurde gebaut, was, war nicht zu erkennen, Baugitterzäune sperrten nierenförmig den Vorplatz, man mußte um den Bahnhof halb herum; genügend Zeit zu überlegen, was auf dem Bahnsteig wäre, wenn die Bahn sich Zeit ließe; und dann war ja noch die Fahrt.
Sie erreichten den Bahnsteig, eine Zuganzeige gab es nicht, und Kurtchen mußte auf der Stelle wissen, wann die nächste Bahn fuhr, und schlenderte auf eine Art, daß es aussah, als sei ihm nichts egaler, zum Aushang.
"Zehn Minuten", sagte er, als er, zurückgekehrt, sich neben Petra auf die Bank fallen ließ. Er fühlte sich besser, er hatte gewissermaßen vorgelegt: ein Gesprächsversuch, eine nötige Information. Trotzdem war seine Befangenheit nicht verschwunden, und er stellte sich auch diese Frage noch: was daran der Situation geschuldet und was daran er selbst war.
Das ließ sich aber nicht trennen.
Die Situation, dachte es in Kurtchen, was denn für eine Situation. Muß denn immer alles eine Situation sein? Warum saß er ständig in irgendwelchen Situationen herum? Gewiß gab es Menschen, die kannten keine Situationen, für die war alles Ablauf und Gleichmaß und eins nach dem andern; egal, was sie taten, es ging ja weiter. Er aber steckte in Situationen. Er suchte sie nicht; sie fanden ihn. Kurtchen stellte sich vor, wie er sich morgen eine halbe Stunde aufs Klo setzen und auskosten würde, daß es sich beim Scheißen um keine Situation handelte. Er dachte ausdrücklich Scheißen. Ah, wie würde er scheißen!
Bis es soweit war, sah Petra, die Arme schwingengleich auf der Rückenlehne, schweigend Richtung Gleis, und Kurtchen lehnte sich auf der Bank nach vorne und stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel, die Hände verschränkt, und dachte, daß es das jetzt als Foto geben müßte, denn damit wäre alles gesagt. (wird fortgesetzt)
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