Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (100)
"Na dann, gute Reise", sagte Gernolf noch und winkte schwach. Es klang nicht höhnisch. Kurtchen hob die rechte Faust in Kopfhöhe, klappte den Daumen ans Ohr und den kleinen Finger zum Mund, was verschwörerischer wirkte, als es gemeint war; Gernolf nickte, als habe er nichts anderes erwartet. Es sah aus wie: Ich hör dann von dir. Du machst das schon.
Aber was?
Kurtchen winkte in den Rest der Runde, machte kehrt und schloß zu Petra auf, die, wie ungeduldig, bereits ein paar Schritte vorausgegangen war. Sie fielen gemeinsam in Schritt, und Kurtchen machte ein aus Stöhnen und Prusten unscharf zusammengesetztes Geräusch, das in etwa dem lokalen Kerle naa entsprechen und gewissermaßen kopfschüttelnde Befriedigung angesichts der abendlichen Gesamtentwicklung anzeigen sollte. Als sei damit alles gesagt, schwieg er dann.
Die Nacht blieb still, die Vorstadt lag im Licht der Straßenbeleuchtung, im Rinnstein schliefen Autos. Kurtchen überlegte, wie es wäre, jetzt allein nach Haus zu laufen, im Kopf ein sanftes Rauschen, zuhause etwas Gras und reizend idiotische Dauerwerbesendungen für Schlager-CDs; statt dessen galt es, das Unwahrscheinliche wahrscheinlich zu machen, um die Konsequenzen per tradierter Semantik realisierter Kommunikation im Sinne eines Verhaltensmodells passionierter Liebe in aller Universalität anzunehmen und sich in der Komplementärrolle des liebenden Weltbestätigers –
Kurtchen zwang sich, ein paarmal energisch "Gastherme" zu denken, dann ging es wieder.
Sie liefen auf der leeren Straße, nebeneinander, immer noch schweigend, und Kurtchen überlegte, wie es wäre, tatsächlich gar nichts zu sagen, wo es doch ohnehin mit jedem Schritt schwieriger wurde, damit anzufangen; und wo er schon für sich in Anspruch nahm, in den Grenzen des gesellschaftlich Möglichen emanzipiert zu sein, gab es ja auch keinen Grund, den Unterhalter auch dann zu spielen, wenn das doch eben jenes Gefälle zwischen Herr und Dame voraussetzte, das für überwunden zu halten doch zur Grundausstattung des zeitgenössischen Intellektuellen gehörte, hantiere er zwecks Lebensunterhalt auch mit Spülknien, Heizkörpern und Schrumpfmuffen – –
es hatte keinen Zweck. Er wollte etwas sagen, er mußte etwas sagen, er wußte nichts zu sagen, und mit jedem Meter, den sie gingen, kam er unerbittlich zu sich und schwand die Illusion, er sei sein Gegenteil; spätestens am S-Bahnhof, dachte Kurtchen, wäre er wieder vollständig mit sich identisch, und das half ja nun gar nicht. (wird fortgesetzt)
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