Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (104)
Sie erhoben sich, in prekärer Gemeinsamkeit, Kurtchen tat müde; die Bahn entließ Leute, und Kurtchen wunderte sich, warum, sie fuhr doch in die Stadt, wer sollte, vom Lande kommend, hier schon aussteigen wollen; ein Rätsel auch dies.
In ihrem Wagen stand und fläzte lauthals eine Traube junger Menschen, für die der Abend, so schien es, erst begann, und Kurtchen setzte sich extra so, daß er das Treiben im Blick hatte, weniger aus Neugier denn aus Unlust, es im Rücken zu wissen. Petra setzte sich neben ihn und streckte die Beine von sich.
Drüben kreisten eine Sektflasche und eine für Limonade, an der ihr Besitzer, ein bleicher, schmaler Junge mit Markenjeans und Fußballerfrisur, aber so konzentriert sog, daß Kurtchen ein eigenproduziertes Mischgetränk auf alkoholischer Basis vermutete. Der Junge tat ihm auf der Stelle leid, und in all der Konfusion, durch die Kurtchen sich bewegte wie ein Fisch in Gelee, spürte er Erleichterung und Trost: Wenigstens das hatte er hinter sich. Der Junge hatte die Flasche jetzt auf seinem Oberschenkel geparkt und fingerte auf seinem Telefon herum; sah plötzlich auf zur Nachbarbank, wo ein Alterskollege sprachähnliche Geräusche machte, von denen der Junge anzunehmen schien, daß sie ihm galten; taten sie aber nicht, und wie aus Enttäuschung nahm er den nächsten großen Schluck und widmete sich wieder seinem Telefon, cool auf eine Weise, daß seine Anspannung zu greifen war. Denn heute abend galt es, so wie es jedes Wochenende galt, weibermäßig und überhaupt.
"Das letzte", sagte Kurtchen, zu Petra gewandt und momentweise ungehemmt, "das wirklich allerallerletzte, was man sich wünschen sollte, ist, noch mal sechzehn zu sein."
"Schlechte Erinnerungen?"
"Wie sehen denn gute aus: So?" Er nickte diskret zu der feierbereiten Sektion der Anonymen Hormonsklaven hin.
"Das kommt bloß uns so doof vor jetzt", fuhr Petra erwachsen fort. "Vielleicht ist das sogar die beste Zeit im Leben."
"Die beste Zeit." Er sagte es wie: Am Arsch die Räuber.
"Na ja", sie verschränkte die Arme vor der Brust. "Noch keine Verantwortung, der Kühlschrank immer voll, und kein Kuß ist so aufregend wie der erste. Überhaupt ist alles das erste Mal."
"Nämlich scheiße."
"Also doch schlechte Erinnerungen."
Daß es zu den größten Leistungen eines Menschen gehöre, die entsetzlichen Jahre zwischen zwölf und achtzehn zu überleben: Kurtchen überlegte, wer das gesagt hatte. Es fiel ihm nicht ein. Er überlegte, ob er, ehrlich solidarisch, den Jungen um einen Schluck aus der Bombe bitten könnte. (wird fortgesetzt)
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