Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochend-Fortsetzungsroman (79)
Kurtchen, wie er so in den Spätsommersonnenschein trat und an die Abende mit Herrn Primero dachte – besonders an den einen im Schlappehannes, als er, Kurtchen, mit geborgten fünf Euro die versammelte Runde beim Schwimmen ausgenommen hatte, Herr Primero, auf durchaus festliche Weise besoffen, das mit äußerster Konzilianz begrüßt hatte, indem er minutenlang in wortloser Anerkennung auf den Tisch einhieb und irgendwann der Wirt, ein Neuling, der die Gepflogenheiten des Erfolgsjuristen noch nicht kannte, daraufhin mahnend an den Tisch getreten war mit dem naiven Hinweis, im Lokal seien auch noch andere Gäste aufhältig, und man möge doch das Lärmen bitte lassen usw., und daraufhin der Primero aber erst recht und wie enthemmt weitergehauen hatte, bis der Wirt, nach neuerlicher Mahnung, ein "Hausverbot" über die Runde verhängte und sich dafür naturgemäß ein "Arschloch" bzw. "Wichsbruder" einhandelte und sich noch viel mehr eingehandelt hätte, hätten sie den zeternden Primero nicht unter dem beruhigenden Hinweis, "die Weiber" seien um diese Uhrzeit "eh alle im Hexenhaus", aus dem Lokal geschleift –, merkte, wie er Durst bekam und sich auf den Nachmittag zu freuen begann; dann fiel ihm Petra ein, und er freute sich erst recht, wenn es sich mit der Freude auch verhielt wie mit Milch, in die man Nesquik tut: Sie wird süßer, aber auch dunkler. Kurtchen beschloß, die Analogie in Richtung "Kabafit Erdbeer" zu variieren, dann wäre sie nämlich immer noch süß, dafür aber auf eine Weise rosa, daß selbst Kinder, die beim Thema Apfelsaft absolute Unbestechlichkeit gelernt hatten, rückhaltlos einverstanden wären.
"Tschuldigung", machte Kurtchen, der in Gedanken etwas dicht an einem entgegenkommenden Bahnkunden vorbeigestreift war; aber der Bahnkunde reagierte nicht, so wie früher, als Kurtchen noch Autofahrer gewesen war, höchstens die Hälfte der Fahrzeugführer, denen Kurtchen etwa durch Überlassen einer Vorfahrt die Passage erleichtert hatte, durch freundliches Kopfnicken Kurtchens Bemühungen anerkannt hatte, im Sinne eines friedlichen, möglichst reibungsfreien Miteinanders Rücksicht zu nehmen, selbst auf Kosten eines eigenen Vorteils. Herr Primero, dachte Kurtchen und spürte wieder, wie der schwarze Hauch der völligen Vergeblichkeit um seine Schläfen strich, machte es richtig, der haute auf den Tisch, wo immer es ging und benannte, wie unwillentlich im Einzelfall auch immer, die schauerliche gesellschaftliche Realität beim Namen: Arschlöcher und Wichsbrüder alle miteinander.
"Wir laufen", fragte Gernolf so tonlagenstabil, daß es wie ein Wunsch klang. Kurtchen sah sinnlos auf die Uhr, denn weder waren sie fest verabredet, noch war sein Durst so groß, daß er die Vorfreude, die ja nicht zu unrecht als haushoch überlegene große Schwester der Freude galt, unter sich begraben hätte. (wird fortgesetzt)
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