Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (83)
Tatsächlich war jetzt ein Getränk vonnöten; einerseits, weil es warm und die Anreise ja ohne Flüssigkeitszufuhr vonstatten gegangen war, zweitens, weil Kurtchen sich in Petras Nähe nicht recht behaglich fühlte, um so weniger, als ihm seine Vergangenheit schon wieder im Genick saß; und Kurtchen, während er sich halbherzig mühte, den Gesprächsgegenstand der anderen zu eruieren, die alte lästige Frage auf Abstand zu halten versuchte, warum er die Dinge getan hatte, die er getan hatte, und warum andere nicht. Es war, er wußte das, ganz sinnlos, das wissen zu wollen, das Leben blieb, was der Fall war; und trotzdem hätte er gern eine Erklärung gehabt. Die hatte er nicht, und wenn er mal eine hatte, kam sie ihm wie eine Rechtfertigung vor, und eine Rechtfertigung war keine Erklärung. Eine Rechtfertigung war ja bloß die Erklärung des kleinen Mannes, dachte Kurtchen versuchsweise und zwang sich, weil kein Bier in Sicht war und er weiterhin nicht wußte, was Petra nie probiert hatte, dies noch aufzuhellen, bevor der Tag dann weiterging: In der Rechtfertigung lag schon das Wissen, es verdorben zu haben, sie war bloß der Versuch, das Ausbleiben eines Gelingens als weltgeistkompatibel und gewissermaßen naturnotwendig auszumalen. Was er, Kurtchen, suchte, waren aber keine Rechtfertigungen – die hatte er zur Genüge, er hatte sich sein halbes Leben lang für jeden Scheiß gerechtfertigt, allein dafür, daß er trotz akademischer Bildung Gasthermen wartete, stand ständig eine Rechtfertigungspflicht im Raum –, nein: er suchte eine Erklärung. Er suchte einen guten Grund für all die guten Gründe. Und da es den nicht zu geben schien, da alles immer irgendwie geschah und Evidenz reklamierte, fühlte er sich den Vorgängen auf eine Weise ausgeliefert, die genau die Biere heischte, die momentan nicht kamen. Aus irgendeinem Grund, der so gut oder so schlecht war wie jeder andere auch.
"Irgendwie achthundert Euro", sang Irgendwie-Heiner, das Thema schien gewechselt zu haben.
"Ist das viel?" fragte Petra, ehrlich Anteil nehmend.
"Keine Ahnung", replizierte Heiner, "irgendwie weiß ich das kein Stück. Ich meine, für mich ist das auf jeden Fall irgendwie viel. Der Typ beim TÜV meinte, der Motor verliert irgendwie Öl, und ich so, aha, und der Prüfer sagt, das tropft voll unten raus, und ich sage, was, ich hab doch aber grad erst irgendwie die Ventilschaftdichtungen machen lassen, und gucke dabei so, als wüßte ich, was das ist, eine Ventilschaftdichtung, jedenfalls sagt der Prüfer irgendwie, tja, trotzdem, ölt, tropft, bläst voll raus, und ich fahr zu meiner Hinterhofwerkstatt, und gestern ruft irgendwie mein Schrauber an und sagt: Achthundert Euro. Das kann natürlich irgendwie stimmen, das kann aber auch irgendwie nicht stimmen, ich meine, wie soll ich das wissen?"
"Internet", höhnte Gernolf freundlich. (wird fortgesetzt)
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