Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (72)
Wie um Kurtchen eine Fristverlängerung zu gewähren, erschien jetzt auch die Bedienung, und Kurtchen überraschte sich damit, daß er enttäuscht war, weil sie nicht kam, um das Frühstück zu bringen, sondern um die Bestellung für ein solches erst einmal aufzunehmen.
Nachdem das erledigt war, wußte er endgültig nicht mehr, was er Gernolf sagen sollte, weil es nach wie vor zu früh war für grundsätzliche Kommentare zur Lebenssituation anderer und weil er einerseits nicht einer sein wollte, der Gernolfs quasikünstlerisches Geeiere durch wohlwollendes Zureden verlängerte, andererseits auch nicht dafür einstehen konnte, daß der alte Knallkopf und Tagedieb nicht nächstes Jahr die Novelle des Jahrzehnts hinaushaute. Ein fliehendes Taxi. O Mann.
"Wie ist es denn", fragte Gernolf jetzt zurück und klang wie einer, der Angst vor der Antwort hat.
"Wenn du", begann Kurtchen und zwang sich, den Blick vom Taxistand zu wenden, "dich, ähm … vielleicht wirklich erst einmal auf so kleine Sachen konzentrierst, dann … – ist das auf jeden Fall, na ja, was weiß ich, nicht gleich wieder so ein Krampf wie mit einem Großroman, du mußt ja nicht gleich der neue Franzen werden, ist doch vielleicht nicht schlecht, klein anzufangen, steigern geht später immer noch", was zum Teufel laberte er da bloß, "und eine Novelle, gut, da hättest du schon mal den Bauplan, das käm dann von, pfff, vornherein mehr vom Stofflichen", sehr gut, Kurt, weiter!, "und die Gefahr ist kleiner, daß man sich in irgendwelchen Erzählebenen und diesem ganzen Scheiß", sehr gut, "verrennt", besser: verirrt, aber gesagt, war gesagt, "und vor allen Dingen könntest du ohne allzu großen Aufwand", so ein Quatsch, aber egal, "jedenfalls erst einmal, na ja, vielleicht, was zu Ende bringen?" Ups. Dachte Kurtchen dann doch und sah, während er Gernolf wie mutig anschaute, vor seinem geistigen Auge, wie Gernolf aufstand, erklärte, er, Gernolf, denke gar nicht daran, seine, Kurtchens, Frau zu ficken, einen Schein auf den Tisch legte und ging. Aber Gernolf saß und äugte wägend, die Arme vor der Brust. Und Kurtchen hatte ja auch gar keine Frau. Noch nicht. Der Inhalt seines Unterbauchs stellte sich kurz auf den Kopf. Dann ging es wieder.
Gernolf schwieg, aber nicht feindlich, und Kurtchen dämmerte, daß er, gewissermaßen aus Versehen und purer Not, genau die richtige Antwort gegeben hatte. Wieder lief die Frau am vordersten Taxi vorbei, diesmal in die andere Richtung. Vielleicht traute sie sich nicht, ein Taxi zu betreten. Aus Angst, in der Tür steckenzubleiben.
"Nimm dir", fuhr Kurtchen, indem er die Tonkurve sanft sich senken ließ zum Zeichen, daß genug gesagt sei, passabel fort, "die sogenannte unerhörte Begebenheit und erzähl sie. Stell dir vor, du siehst das im Fernsehen oder liest es irgendwo und willst einfach wissen, wie es ausgeht. Warum die dicke Frau da zum Beispiel gleich zum dritten Mal an den Taxen vorbeistreift."
"Was für eine dicke Frau", fragte Gernolf, der offenbar nicht den Ehrgeiz hatte, sich auf dem Klappentext seiner Erstlingsnovelle als präziser Beobachter feiern zu lassen. (wird fortgesetzt)
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