Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (74)
Sie hatten Glück gehabt, die Bahn war gekommen, als sie eben die Rolltreppe verließen, und Kurtchen hatte sich gewundert, warum ihn das so freute, denn eilig hatten es beide nicht, und die Bahnen fuhren schließlich in zureichend hoher Frequenz; und weder war er ungern, wo er herkam, noch da, wo es hinging. Kurtchen, während Gernolf, gähnend und die Hände in den Taschen seiner Jeans, sich schlurfend asymptotisch der hereinsausenden, blaugrünen Kolonne näherte, überlegte, daß ihn die bloße Eleganz des Vorgangs freute, daß ihn die Tatsache des reibungslosen Übergangs ein starkes Argument für die Richtigkeit seiner Pläne war: auch hier war Form der höchste Inhalt.
Jetzt saßen sie jedenfalls in der schon wieder ziemlich vollen Bahn, das einkaufswillige, mehrheitlich in seine Mobiltelefone starrende Publikum eines freundlichen Samstagnachmittags, auf dem Weg zu Karstadt, Jeans Inn oder Schuh-Görtz. Gernolf hatte noch immer die Hände in den Taschen und den Kopf an der Scheibe, was ihn ungelenk aussehen ließ, aber (und vielleicht deswegen) auch jünger machte; Kurtchen hatte eine Ausgabe des Bahnmagazins Mobil entdeckt, die zwischen Sitz und Wagenwand stak und von der nicht recht einleuchtete, wo sie herstammte, diese Linie war nämlich keine, die zum Bahnhof fuhr. Immerhin konnte es sein, daß die Wagen immer mal wieder auf anderen Linien eingesetzt wurden, damit ihnen, wie Kurtchen schalkhaft dachte, nicht langweilig würde. Er beschloß, auch dieses Rätsel Rätsel sein zu lassen und blätterte, da Gernolf weiter schwieg, angelegentlich durch den Kundenbindungsunschlitt. Und las:
"Frage des Monats: Dicki oder Schnucki? Ihre Freundin will es wissen: 'Findest Du mich zu dick?' Sagen Sie die Wahrheit oder antworten Sie nett und diplomatisch? Schicken Sie ihre Antwort [Dicki oder Schnucki] bis zum", schon vorbei, schade, "per SMS an 32222. Als Dankeschön für Ihre Teilnahme erhalten Sie eine für Sie kostenlose SMS mit der Auswertung der Abstimmung aller Teilnehmer sowie einen kostenlosen Handy-Klingelton zum Download: eine platzende Brötchentüte."
Wie erschrocken sah Kurtchen auf und in den Waggon hinein; aber auch nach dieser Sauerei, nach diesem postdemokratischen Hirnskandal, nach diesem Verrat an allem, was Geist zu nennen die Menschen sich trotz allem verstanden, machte alles einfach weiter, suchte im Smartphone nach Brötchentütenklingeltönen und scherte sich nicht; und Kurtchen fand sich abermals eingewickelt in diesen spezifischen Gefühlsstoffmix aus 50 Prozent Überlegenheit und 50 Prozent Depression, denn siehe: "'Laubbläser oder Blasmusik – was nervt mehr?' fragten wir in unserer vergangenen Ausgabe. 81 Prozent antworteten LAUB und 19 Prozent MUSIK" – – – und wo, ach, wo war das tausendstel Prozent, das antwortete: ARSCHGESICHTER...
Gernolf gähnte abermals. (wird fortgesetzt)
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