Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (76)
"Beim Thema Apfelsaft lassen Kinder nicht mit sich handeln", las Kurtchen still, und Gernolf, mit dem einen Fuß auf der Rolltreppe, sagte in einem Ton, der zirka das Gefühl ausdrückte, das Kurtchen eben in der U-Bahn überfallen hatte: "So ein Schwachsinn. Kinder trinken praktisch alles, solange nur genügend Zucker und Farbstoffe drin sind" und stellte sich (demonstrativ, wie Kurtchen fand) rechts auf die Treppe. Kurtchen sagte nichts, sein Vorrat an zivilisationskritischem Furor war fürs erste aufgebraucht, er würde sich erst wieder aufregen, wenn drei dönerfressende Esel sich in der leeren Bahn neben ihn setzten und ihn vollstanken. Aber es war Samstag, die S-Bahn wäre nicht leer. Ordnungsgemäß stellte Kurtchen sich hinter den Freund, besah sich dessen Nacken und ertrug die kommunikationsfeindlichen Sekunden besser als die meisten.
In der Bahn schwiegen sie, auf eine freundliche, freundschaftliche, ein bißchen müde Art, und abermals merkte Kurtchen, daß ihm die Fahrt als solche gefiel und er, wo er schon mal saß, momentlang nichts dagegen gehabt hätte, wenn sie, einen sehr langen Bogen beschreibend, nach einer Stunde wieder da geendet wäre, wo sie begonnen hatte. In seinem Rücken redete eine Mutter auf ein Kind namens Heinrich ein, und Kurtchen mußte an seinen jüngstvergangenen Aufenthalt in der Rewe-Kassenschlange denken, als eine Mutter ihre im Grundschulalter befindliche Tochter mit den Worten "Constanze, laß das Snickers liegen!" ermahnt hatte; und wie er den felsenfesten Entschluß gefaßt hatte, seine Tochter Petra und seinen Sohn Frank zu nennen. Oder Horst. Geschwister Horst und Petra Sahne. Diese verzweifelten Individuationsversuche; früher hatten sich die Leute einfach einen Phantasialand- oder „Nicht hupen! Fahrer träumt von Eintracht Braunschweig“-Aufkleber an den Audi geklebt, und gut war es gewesen. Heute zeugten sie Kinder und nannten sie Constanze und Heinrich; dabei würde es reichen, mal auf diese ewigen Outdoorjacken zu verzichten.
Er ginge demnächst wieder mal zum Penny, da war die Welt aus Mandy, Jasmin und Hakan noch in Ordung.
Sie hatten die Vororte erreicht, auf den Bahnsteigen standen Männer in kurzen Hosen und Frauen mit dem, was in Deutschland als Frisur durchging.
"Wie würdest du deine Tochter nennen?" fragte Kurtchen Gernolf, wurde aber vom Lautsprecher und seinem "Zurückbleiben, bitte" unterbrochen, was ihm Gelegenheit gab, die Frage, als Gernolf ihn mit hochgezogenen Augenbrauen ansah, frisch zu formulieren:
"Wie würdest du unsere Tochter nennen?"
"Regula", sagte Gernolf. (wird fortgesetzt)
◀ | Sensation: Ex-Beatle geehrt! | HR verteidigt sich | ▶ |
