Inhalt der Printausgabe

Die PARTEI informiert


Martin Sonneborn (MdEP)
Bericht aus Brüssel
Folge 21

»Man soll nur von Europa sprechen, denn die deutsche Führung ergibt sich ganz von selbst.«

Außenpolitisches Amt der NSDAP

Das Parlament in Straßburg mit den Augen eines Pressefotografen gesehen (links: das Winston-Churchill-Gebäude)

Straßburg, EU-Parlament

Unser neues Büro liegt angenehm abgelegen im vierten Stock des »Winston Churchill«-Gebäudes, eines skurrilen 70er-Jahre-Baus aus solidem Asbest, durch einen Arm der Ill sorgsam getrennt vom modernen Hauptkomplex des Parlaments. Ich stehe im Erdgeschoss und warte auf einen der vier mittlerweile schon wieder futuristisch anmutenden Fahrstühle. Jedes Mal, wenn ich hier stehe, muss ich daran denken, dass die französische EP-Präsidentin Nicole Fontaine ihrerzeit die neun Stockwerke zu ihrem Büro lieber zu Fuß zurücklegte als in einem der berüchtigten Fahrstühle. Kling! Als sich die Fahrstuhltür öffnet, gibt sie überraschend den Blick frei auf die Frisur von Frau vonderLeyen, vonderLeyen selbst direkt darunter, dahinter eine kleine Entourage inklusive Leibwächter. Mir fällt nichts Lustiges ein, also nicke ich ihr zu und sage: »Frau vonder, ähem Leyen auf dem Weg nach unten?« vonderLeyen lacht und schüttelt abwehrend den Kopf: »Nein, nein!« »Doch, doch«, entgegne ich, »ich habe es ganz genau gesehen.« (Entourage ab)

→ Sachdienliche Hinweise von t-online

t-online: Sie haben von der Leyen mal als »völlig kenntnisfrei« und »inkompetent« bezeichnet. Es klingt, als sehen Sie das immer noch so?

MS: Ich glaube sogar, dass Frau von der Leyen eine Gefahr für die EU darstellt. So furchtbar wie Ex-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit seinen steuerpolitischen Entscheidungen in Luxemburg und seiner neoliberalen Ausrichtung in der EU gewesen ist: Er war doch jemand, der Typen wie Victor Orban kaltstellen konnte. Notfalls mit einer kleinen Ohrfeige. Das traue ich von der Leyen nicht zu. Wir wissen ja, dass sie mit Stimmen der Polen und Ungarn gewählt wurde, also durch illiberale Regierungen, und dass sie denen nun entgegenkommen muss.

t-online: Als eine vernünftige Entscheidung könnte der »Green Deal« der EU gesehen werden – oder was stört Sie am Klimaschutz?

MS: Ich glaube nicht, dass es einen echten »Green Deal« geben wird. Ich glaube, das ist eine Etikettierung, um Wirtschaftswachstum als Umweltschutz zu verkaufen. Aber das ist die falsche Richtung, »Die Partei« fordert eine Reduzierung des BIP auf sozialund umweltverträgliche 50 Prozent. Der »Green Deal« ist Augenwischerei.

Straßburg, MEP-Bar

Bei Kaffee & subventionierter Torte sichte ich PARTEI-Aktivitäten im Netz und freue mich über ein Plakat der PARTEI Freiburg: »Steuertricks verhindern: Bon-Pflicht für Cum-Ex-Deals!« Das wird Olaf Scholz nicht ge… »Mr. Sonneborn?« Ich blicke auf: »Wer will das wissen?« Zwei eher unseriös wirkende Herren stehen vor mir und lächeln mich sympathieheischend an: »Wir sind aus Aserbaidschan …« »Herzlichen Glückwunsch. Ich bin ein Bewunderer Ihrer autoritären Staatsform.« »Oh, ja, gut. Wir möchten Sie gern einladen, nach Baku.« Das überrascht mich, immerhin stehe ich seit unserer ersten Bergkarabach-Reise* auf Diktator Aliyevs Schwarzer Liste und vermeide bei Reisen Zwischenlandungen in Baku genauso wie in der Türkei. »Interessante Idee. Würde ich zurückkommen?« Die beiden Galgengesichter schauen sich an, grinsen vielsagend, dann sagt der eine: »Also, wenn es Ihnen soooooo gut gefällt, können Sie auch dort bleiben!« Ein guter Witz, finde ich, zumindest wenn man weiß, dass der Reise-Blogger Alexander Lapshin nach einem öffentlichkeitswirksamen Besuch in Bergkarabach von einer aserbaidschanischen Sondereinheit entführt und in Baku im Gefängnis fast zu Tode gefoltert wurde.

»Wir können gerne in Brüssel darüber sprechen, bitte mailen Sie einfach meinem Assistenten.« Dann widme ich mich wieder meiner Torte und denke noch ein wenig über die Einladung nach. Wahrscheinlich geht es ja doch eher um Bestechung als um eine handgreifliche Revanche für unseren Arzach-Besuch, eine geschmackvolle Gucci-Herrenhandtasche voller Geld vielleicht. Ich sollte mich mal mit Karin Strenz von der CDU austauschen, im Europarat genießt die hochkorrupte CDU-Bundestagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern zwar längst lebenslanges Hausverbot, der Deutsche Bundestag aber hat bisher keinerlei Sanktionen gegen sie erlassen.

Brüssel, Café Belga

Büroleiter Hoffmann ruft an und berichtet, dass er nach einer öffentlichen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses (AFET) mit einer Bekannten von einer armenischen NGO Kaffee getrunken habe, weil Bergkarabach uns als offizielle Beobachter zu den Wahlen Ende März eingeladen hat. Beim Abschied sei ihm eine junge Frau aufgefallen, die vorher auch im AFET gesessen habe. Und die habe ihn dann recht offensiv angesprochen, um ihm zu erklären, dass Aserbaidschan viel schöner sei als Armenien. Die Aserbaidschaner seien auch die besseren Menschen, er solle sich das Land mal ansehen; solange er nicht auf der Blacklist stehe, sei das kein Problem. Das I-Phone, das sie in der Hand hielt, sei im Aufnahmemodus gewesen.

Brüssel, Büro

Chris Schiller, neuer Parlamentarischer Assistent in meinem Büro, will einen Vortrag technisch vorbereiten, den ich gleich vor einer Schülergruppe halten soll. »Dustin, wie logge ich mich am Parlamentscomputer im Besucherbereich ein?« »Mit dem Parlamentsaccount. Das Passwort ist ›Welcome 2008‹. Steht da aber auch auf der Tastatur.« Großer Lacher.

Einem Bericht meines Lieblingsfernsehsenders Phoenix entnehme ich, dass die überalterten Volksparteien CDU und SPD permanent viele Mitglieder verlieren. Als drittstärkste Partei bei den Erstwählern dürfte die Biologie langfristig auf unserer Seite sein, denke ich. Bis ich lesen muss, dass in Köln ein 72jähriger CDU-Lokalpolitiker unter Alkoholeinfluss mit einem scharfen Revolver einem 20jährigen in die Schulter geschossen hat.

→ Sachdienliche Hinweise aus dem Netz

MS: Ich möchte die Kollegen von der @CDU nachdrücklich bitten, nicht weiter auf Erstwähler zu schießen… ZwinkerSmiley! #niewiederCDU

Die PARTEI Karlsruhe retweetet unterdessen eine lustige Auseinandersetzung zwischen den Twitter-Accounts der AfD und der Russischen Botschaft.

→ Sachdienliche Hinweise aus dem Netz

Alice Weidel: Vor 75 Jahren flohen 2,5 Millionen Deutsche vor der vorrückenden Roten Armee, völlig überhastet nur mit dem Notwendigsten auf Pferdewagen oder mit Schubkarren in den minus 20 Grad kalten Winter. Heute gedenken wir der Opfer von Flucht und Vertreibung #AfD

Botschaft der Russischen Föderation: Da sollte man sich vielleicht auch daran erinnern, weswegen die Rote Armee vorrücken musste

Lustigerweise hat die Antwort der Russen schon deutlich mehr Likes als der ursprüngliche Tweet. Um die Ulknudel der AfD ein wenig zu ärgern, antworte ich ihr ebenfalls, mit einem freundlich angemessenen #HitlerbärtchenSmiley. Wenig später liegt Weidel auf einem ehrenvollen dritten Platz, die Zahlen der Likes unter beiden Antworten steigen derart schnell an, dass die AfD-Tussi einfach alles komplett löscht.

Auch andere schwelgen dieser Tage in Erinnerungen. Eine Woche später ist in der Botschaft der Vereinigten Staaten in Dänemark zum Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz Gedenken angesagt.

→ Sachdienliche Hinweise aus dem Netz

U.S. Embassy Denmark: Heute ist der Internationale Holocaust-Gedenktag. Vor 75 Jahren befreiten amerikanische Soldaten das Lager Auschwitz-Birkenau. #WeRemember

Schlag Sahne: #WeCantRemember

Rob_Frantic: Westfront, Ostfront, dies das. Ist ja auch schon 75 Jahre her …

Hajo Thelen: Die Kurden haben auf jeden Fall nicht geholfen !!!111111elf

Hermes Shollock: Ist sowas damit gemeint, wenn man sagt, dass die Sieger die Geschichtsbücher schreiben?

Walter Ruhetag: Haben die beim »Spiegel« abgeschrieben?

Tatsächlich, ein Kontrollblick auf Twitter zeigt, der »Spiegel« hatte im Netz vermeldet: »Auschwitz war das größte Vernichtungslager der Nazis. Vor 75 Jahren wurde es von der amerikanischen Armee befreit«, damit noch 576 Likes sowie 122 Retweets kassiert und sich dann umgehend entschuldigt. Da die dänische US-Botschaft vermutlich nicht zu den verbliebenen Spiegel-Abonnenten zählt, vermute ich hinter dem Tweet eine weitere Ausprägung des in Europa zurzeit um sich greifenden geschichtsrevisionistischen Aktionismus. Auch die Präsidenten von EU-Parlament, -Rat und -Kommission, Sassoli, Michel und vonderLeyen hatten gerade offiziell & feierlich erklärt, »alliierte Truppen« hätten Auschwitz befreit. Zum 70. Jahrestag unter EP-Präsident Chulz waren es immerhin noch russische Truppen gewesen, zum 75. sind es alliierte, in der Mehrzahl.

Dann aber belehrt mich eine einfache Google-Recherche eines Besseren: Die US-Botschafterin in Dänemark heißt Carla Sands und hat weder ihr Kunststudium in Pennsylvania abgeschlossen noch den Pre-Med-Kurs, der auf ein (tier-)ärztliches Studium vorbereiten soll. Nach einer Handvoll Gastauftritten in der Soap »Reich und schön« war ihr größter beruflicher Erfolg eine Hauptrolle in dem Film »Deathstalker and the Warriors from Hell«, dritter Teil einer Fantasy-Serie, »die sich wie ihre Vorgänger durch mystischen Firlefanz, martialisches Schwertergerassel und unfreiwillige Komik auszeichnet« (Lexikon des internationalen Films). Wenig später heiratete sie den 150 Millionen Dollar schweren Immobilienhändler Fred, beförderte sich nach dessen Tod zum CEO seiner Firma und spendete rund 350 000 Dollar an Donald Trump. Der ernannte sie im Gegenzug zur Botschafterin in Kopenhagen. Unter Dänen war sie bisher nur mit ein paar ungeschickteren Äußerungen aufgefallen sowie der lauthals propagierten Forderung, das Land sollte gefälligst mehr amerikanische F-35-Kampfjets kaufen.

»Kassieren eigentlich diese dämlichen US-Botschafter Provisionen, wenn sie den Verkauf amerikanischer Rüstungsgüter ankurbeln?« frage ich meine Europapolitische Beraterin. »Dieser fiese Grenell in Berlin befiehlt der Bundesregierung doch auch ständig die Erhöhung der deutschen Rüstungsausgaben.« Sie zuckt mit den Schultern: »Na und? Es regt ja auch niemanden mehr auf, was Trump im Zuge von Erdogans Invasion in Syrien gesagt hat: Er habe seine Truppen abgezogen außer denen, die die Ölquellen unter Kontrolle haben. Er hat mehrfach getönt ›But we have the oil!‹«

»Heee, Moment, Öl scheint wichtig zu sein heutzuta… «

»Und dass viele US-Soldaten neu in Saudi-Arabien stationiert wurden, obwohl sie eigentlich aus der Region abgezogen werden sollten. Trump hat wörtlich gesagt: ›We’re sending more troops to Saudi Arabia, and Saudi Arabia is paying us for it … they’re paying us. They’ve already deposited $1 billion in the bank.‹ Man darf die US Forces jetzt offiziell eine Söldner-Armee nennen, Trump selbst sagt, dass man sie kaufen kann. Man kann sie mieten, wenn man es sich leisten kann. Zum Kindergeburtstag. Vor 20 Jahren wäre das noch eine Schlagzeile gewesen, aber heute?«

Straßburg, Plenarsaal

Wegen einer emotionalen Debatte um die kleinen Nationalflaggen auf den Tischen von Osteuropäern und Lega-Nord-Italienern verzögern sich die Abstimmungen. Egal, lese ich noch ein bisschen im Netz herum. Und habe gleich bessere Laune, als ich im »Tagesspiegel« sehe, dass über 100 Beamte der Staatsanwaltschaft diverse Räumlichkeiten von MdB Karin Strenz und ihrem Kompagnon Eduard Lintner, ehemals Bundestagsabgeordneter der CSU, durchsucht haben. Lintner, der den Aserbaidschanern als Leiter einer Wahlbeobachtungsdelegation offiziell bescheinigt hatte, ihre doch sehr grob gefälschten Wahlgänge hätten »deutschen Standards entsprochen«, hatte aus Baku über 800 000 Euro kassiert.

Katarina Barley

Bestens gelaunt verlasse ich nach den Abstimmungen den Plenarsaal, werde dabei von Katarina Barley überholt, die mit einer Assistentin schnellen Schrittes an mir vorbeizieht. »Wo ist der Fototermin? Im dritten Stock?« fragt die Assistentin energisch, bleibt stehen, schaut sich in dem doch recht komplexen Gebäude um, richtet den Blick dann nach oben: »Wo ist der dritte Stock?« Auch wenn die Damen zur politischen Konkurrenz gehören, will ich nicht unhöflich sein: »Der dritte Stock ist zwischen dem zweiten und dem vierten. Aber: Es ist zu spät für Fototermine!« Während die Assistentin mich irritiert fixiert, lächelt Barley mich an und sagt mit leichter Resignation in der Stimme: »Es ist zu spät für alles.«

Brüssel, Büro

Stimmt doch gar nicht! Die »Berliner Zeitung« veröffentlicht neue Umfragewerte. Laut Forsa kommt die FDP in Berlin, wo sie in der EU-Wahl noch hinter uns gelegen hatte, auf überraschende sechs Prozent; allerdings kann man dem Kleingedruckten entnehmen, dass die Umfrage noch vor der idiotischen Zirkusnummer in Thüringen durchgeführt worden war. Der graue Balken der PARTEI steht bei soliden zehn Prozent, irritierenderweise steht allerdings »Sonstige« darüber.

Jeder 10. wählt Sonstiges

→ Sachdienliche Hinweise aus dem Netz

Marco Bülow: Wäre es mal möglich, wenn 10% Sonstige auswählen mal aufzuzeigen, wer da im Einzelnen mit gemeint ist? Sind fast doppelt so viele, wie FDP wählen. Z.B. Die PARTEI?

MS: Solln wa uns nu in SONSTJE umbenenn, wa, Forsa? BaliiinSmiley!

Autobahn Brüssel-Straßburg

Als ich im Deutschlandfunk den Vorschlag Christian Lindners höre, in Thüringen jetzt eine Expertenregierung einzusetzen, ein Vorschlag, den zuvor schon Höcke von der AfD gemacht hatte, verliere ich die Nerven und schreibe bei Tempo 140 einen Tweet.

→ Sachdienliche Hinweise aus dem Netz

MS: Nach all dem, was er angerichtet hat mit seinen machtlüsternen Markt-Radikalinskis – könnte Christian Lindner jetzt bitte einfach mal drei Tage die Fresse halten? KeinSmiley

Straßburg, Parlament

VonderLeyen (Abb. ähnl.)

Die Vorgänge in Thüringen, das permanente Gleichsetzen von Links und Rechts, des sympathischen Sozialdemokraten Bodo Ramelow mit unsympathischen Nazis wie Höcke ist ein Anlass, einmal mit der ebenso unsinnigen wie wirkungsvollen »Hufeisen-Theorie« aufzuräumen, die wohl als das erbärmlichste politische Analyse-Angebot des 21. Jahrhunderts in die Geschichte der Demokratie eingehen dürfte. Zumal die Blaupause für den Kulturbruch, sich von Rechtsradikalen ins Amt wählen zu lassen, aus Brüssel stammt: Ursula vonderLeyen hatte schon vor Monaten heftig um die entscheidenden Stimmen von Rechtsnationalisten der polnischen PISS-Partei und der ungarischen Abgeordneten Victator Orbáns geworben. (Merkel hatte extra noch Paul Ziemiak nach Polen geschickt, zu geheimen Verhandlungen beim Picknick von Jaroslaw Kaczynski. Polnische Medien hatten es stolz ausgeplaudert.) Und war mit diesen knapp gewählt worden. In einer 60-Sekunden-Rede ist dieses Thema nicht zu schaffen, deswegen beantragt Büroleiter Hoffmann einen 20-Minuten-Slot vor einer Parlamentskamera.

Straßburg, Medienbereich des Parlaments

Zur Illustration einer kleinen Kritik des Hufeisen-Theorems hat Praktikantin Amelie mir zwei repräsentative Armbinden gebastelt. Schwierigkeiten erwarten wir nicht, Hammer & Sichel auf der einen Seite werden von einem Hakenkreuz auf der anderen Seite locker wieder ausgeglichen.

Leider ist die letzte Kameraposition hinten in der Ecke besetzt, ich muss vorne am Gang sprechen, in Sichtweite aller MEPs, die zwischen Plenarsaal und MEP-Bar verkehren. Während ich noch fix einen Tweet zur Stürmung der Blackrock-Zentrale in Paris formuliere, erklärt Büroleiter Hoffmann den beiden Technikern die Situation, dann legen wir los.

→ Sachdienliche Hinweise aus dem Netz

Die Franzosen stürmen Blackrock, in Deutschland wird diskutiert, ob ein Blackrock-Mann Kanzlerkandidat werden soll… #Fotzenfritz

Böse Blicke einer osteuropäischen MEP neben mir begleiten meinen Aufsager. Nach der Frage »Was ist das eigentlich für ein Land, in dem einem auf Anhieb mindestens fünf gefährliche Rechtsextremisten einfallen, aber kein einziger gefährlicher Linksextremist außer Johannes Kahrs?« reiße ich die Hammer-und-Sichel-Binde herunter, drei Sätze später auch das Hakenkreuz.

David-Maria Sassoli

Normalerweise erhält man seine Filmdatei vom Mediendienst des EP etwa eine Stunde später per Mail zugestellt. Diesmal nicht. Büroleiter Hoffmann fragt mehrmals telefonisch nach, wird mit fadenscheinigen Ausreden bis abends vertröstet. Schließlich wird er persönlich vorstellig beim Leiter der Kommunikation und erfährt, dass ausgerechnet in dem Moment, als ich lediglich noch mit einer Hakenkreuz-Binde geschmückt in die Kamera polemisierte, ein doch recht irritierter Parlamentspräsident Sassoli vorbeilief. Der habe wenig Verständnis für meinen Aufzug gezeigt und sofort die Auslieferung der Datei untersagt. Hoffmann knurrt, das sei Zensur, und bittet das Büro des Präsidenten um eine Stellungnahme. Die erfolgt am nächsten Morgen schriftlich: Präsident Sassoli befürchtet, die kleine Rede werde »die Würde des Hauses beschädigen«. Smiley. Sein Vorgänger, der Mussolini-Verehrer Tajani, hätte mir vermutlich Pralinen geschickt. Wir verfassen eine kurze Pressemitteilung und beschließen, die Rede am Freitag in Brüssel einfach selbst noch einmal aufzunehmen. Und das tun wir dann auch. Hier ist sie zu sehen:

→ Sachdienliche Hinweise aus dem Netz

Johannes Kahrs: »Was ist das eigentlich für ein Land geworden, in dem einem auf Anhieb fünf gefährliche Rechtsextremisten einfallen – aber kein einziger gefährlicher Linksextremist? Außer Johannes Kahrs.« Gerade im Stern Online gelesen. Ist von Sonneborn

MS: Ich bitte um Verzeihung, lieber Johannes Kahrs, ich wollte Ihnen nicht schmeicheln… Smiley!

 

 


 

Achtung, Durchsage: Dieser Bericht wurde aus Mitteln des Europäischen Parlamentes finanziert und zeigt möglicherweise ein Zerrbild desselben.

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Lieber Fritz Merz,

im Podcast »Hotel Matze« sagst Du, dass Du in Deutschland große Chancen bekommen hättest und etwas zurückgeben wolltest. Jawollo! Wir haben da direkt mal ein bisschen für Dich gebrainstormt: Wie wär’s mit Deinem Privatjet, dem ausgeliehenen vierten Star-Wars-Film oder dem Parteivorsitz? Das wäre doch ein guter Anfang!

Wartet schon ganz ungeduldig: Titanic

 Wurde aber auch Zeit, Niedersächsische Wach- und Schließgesellschaft!

Mit Freude haben wir die Aufschrift »Mobile Streife« auf einem Deiner Fahrzeuge gesehen und begrüßen sehr, dass endlich mal ein Sicherheitsunternehmen so was anbietet! Deine Mitarbeiter/innen sind also mobil. Sie sind unterwegs, auf Achse, auf – um es einmal ganz deutlich zu sagen – Streife, während alle anderen Streifen faul hinterm Büroschreibtisch oder gar im Homeoffice sitzen.

An wen sollten wir uns bisher wenden, wenn wir beispielsweise einen Einbruch beobachtet haben? Streifenpolizist/innen? Hocken immer nur auf der Wache rum. Streifenhörnchen? Nicht zuständig und außerdem eher in Nordamerika heimisch. Ein Glück also, dass Du jetzt endlich da bist!

Freuen sich schon auf weitere Services wie »Nähende Schneiderei«, »Reparierende Werkstatt« oder »Schleimige Werbeagentur«:

Deine besserwisserischen Streifbandzeitungscracks von Titanic

 Mahlzeit, Erling Haaland!

Mahlzeit, Erling Haaland!

Zur Fußballeuropameisterschaft der Herren machte erneut die Schlagzeile die Runde, dass Sie Ihren sportlichen Erfolg Ihrer Ernährung verdankten, die vor allem aus Kuhherzen und -lebern und einem »Getränk aus Milch, Grünkohl und Spinat« besteht.

»Würg!« mögen die meisten denken, wenn sie das hören. Doch kann ein Fußballer von Weltrang wie Sie sich gewiss einen persönlichen Spitzenkoch leisten, der die nötige Variation in den Speiseplan bringt: morgens Porridge aus Baby-Kuhherzen in Grünkohl-Spinat-Milch, mittags Burger aus einem Kuhleber-Patty und zwei Kuhherzenhälften und Spinat-Grünkohl-Eiscreme zum Nachtisch, abends Eintopf aus Kuhherzen, Kuhleber, Spi… na ja, Sie wissen schon!

Bon appétit wünscht Titanic

 Du wiederum, »Spiegel«,

bleibst in der NBA, der Basketball-Profiliga der Männer in den USA, am Ball und berichtest über die Vertragsverlängerung des Superstars LeBron James. »Neuer Lakers-Vertrag – LeBron James verzichtet offenbar auf Spitzengehalt«, vermeldest Du aufgeregt.

Entsetzt, Spiegel, müssen wir feststellen, dass unsere Vorstellung von einem guten Einkommen offenbar um einiges weiter von der Deiner Redakteur/innen entfernt ist als bislang gedacht. Andere Angebote hin oder her: 93 Millionen Euro für zwei Jahre Bällewerfen hätten wir jetzt schon unter »Spitzengehalt« eingeordnet. Reichtum ist wohl tatsächlich eine Frage der Perspektive.

Arm, aber sexy: Titanic

 Ach, welt.de!

Die Firma Samyang stellt offenbar recht pikante Instant-Ramen her. So pikant, dass Dänemark diese jetzt wegen Gesundheitsbedenken vom Markt genommen hat. Und was machst Du? Statt wie gewohnt gegen Verbotskultur und Ernährungsdiktatur zu hetzen, denunzierst Du Samyang beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, wo Du fast schon hämisch nachfragst, ob das Produkt vielleicht auch hierzulande verboten werden könne.

Das Amt sekundiert dann auch sogleich bei der Chilifeindlichkeit und zählt als angebliche »Vergiftungssymptome« auf: »brennendes Gefühl im (oberen) Magen-Darm-Trakt, Sodbrennen, Reflux bis hin zu Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen im Bauch- und Brustraum. Bei hohen Aufnahmemengen können zudem Kreislaufbeschwerden auftreten – beispielsweise Kaltschweißigkeit, Blutdruckveränderungen und Schwindel«. Hallo? Neun von zehn dieser »Nebenwirkungen« sind doch der erwünschte Effekt einer ordentlich scharfen Suppe! Erbrechen müssen wir höchstens bei so viel Hetze!

Feurig grüßt Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
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09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster