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Interview mit Thomas* vom Verein PRO-stitution – Sex muss käuflich bleiben
TITANIC: Danke, dass du dich mit uns getroffen hast.
Thomas: Danke für die Einladung. Mir bedeutet das immer viel, wenn so Positionen wie die meine innerhalb der Linken einen Space bekommen, man erfährt da ja heute viele krasse Gegenargumente. Also zu mir: Ich bin der Thomas, 32, und mache beruflich eigentlich was ganz anderes, ich arbeite in der mittleren Führungsebene von einem Autokonzern – halt so Lohnarbeit. Auf das Thema Sexarbeit bin ich damals nach dem Studium gekommen und habe ich mich am Anfang gar nicht so sehr politisch damit beschäftigt, weil das Thema damals ja auch noch sehr schambehaftet war. In meiner Männergruppe habe ich dann aber den Gabelstapler-Hansi und den Chemiker-Mike kennengelernt, die ähnliche Gefühle und Gedanken dazu hatten wie ich, und mit denen ich dann den Verein gegründet habe.
TITANIC: Wie sieht eure Arbeit als Verein aus?
Thomas: Einmal die Woche treffen wir uns in einem linken Kulturzentrum, wo wir uns sehr safe fühlen, da sind auch oft viele FLINTA anwesend, also weiblich gelesene Personen, Frauen. Die wuseln da einfach so herum und die Atmosphäre ist wirklich schön. Privat sitzt man dann oft auch nach dem Plenum noch zusammen bei ein paar Bier, das hat was ganz Intimes. Und was die zum Teil für Geschichten von Männern erzählen! Gruselig. Sorry, Sexismus regt mich immer direkt so auf [lacht].
TITANIC: Sind eure politischen Gegner eher Männer oder Frauen?
Thomas: Na ja, also leider sind SWERF halt meistens Frauen. Ich finde das auch ultra traurig, Misogynie tut ja immer nochmal mehr weh, wenn sie von Frauen kommt, also FLINTA, weiblich gelesenen Personen, Frauensternchen. Aber wir unterhalten uns natürlich auch viel mit Sexarbeiterinnen.
TITANIC: In welchen Kontexten finden diese Begegnungen statt?
Thomas: Na ja also das Private ist ja letztlich auch politisch, insofern kann so eine Begegnung erst mal in jedem Kontext stattfinden. Und [lacht] – na ja man muss jetzt schon auch sehen, das sind oft auch erschwerte Bedingungen, zum Beispiel Sprachbarrieren, oder dass man auch nicht immer genug Bargeld dabei hat. Aber wir versuchen schon, da allen eine entsprechende Stimme zu geben.
TITANIC: Warum, findest du, eignet sich das Intimste zur Ware?
Thomas: Na ja, da sag ich dann ganz ehrlich: Letztlich ist der Warenfetisch ein Fetisch wie jeder andere auch. Ich muss auch sagen, ich fühle mich mit der Frage ein kleines bisschen unwohl. Und es würde ja jetzt auch niemand sagen, wir müssen jetzt die Arbeit im Supermarkt abschaffen, weil das machen die Menschen auch nicht unbedingt gern, also die Frauen müssen da auch zur Arbeit gehen und haben da dann eine Scheide. Und letzten Endes ist keine Arbeit so inklusiv wie Sexarbeit.
TITANIC: Inwiefern?
Thomas: Na ja, wenn ich zum Beispiel zu einer Anwältin gehe, dann will ich ja, dass das eine Frau ist, die ich ernst nehme. In der Prostitution ist das anders: Da will ich ja erst mal einfach nur eine schöne Zeit haben. Und dafür ist es dann auch nicht wichtig, dass die Person da jetzt fließend Latein spricht oder hundert Nachkommastellen von Pi auswendig kann. Das ist ein System, das alle mit offenen Armen empfängt.
TITANIC: Kann man da dann noch von Freiwilligkeit sprechen?
Thomas: Freiwilligkeit, Schmeiwilligkeit. Wir drehen uns da auch ein bisschen im Kreis in der Debatte. Schau mal, Prostitution, das ist ein jahrhundertealtes Thema in der Linken. Das gab es in der Linken einfach schon immer. Das ist der älteste linke Beruf der Welt. Das hat Jürgen Kuczynski schon in seinem Klassiker "Vom dicken Knüppel zur automatischen Fabrik" so festgestellt und letztlich haben Marx und Engels ja auch Bedürfnisse gehabt.
TITANIC: Nun sind ja die allermeisten Prostitutierten Frauen und fast alle Freier sind Männer. Sexkauf scheint also schon was mit dem Patriarchat zu tun zu haben.
Thomas: Na ja, ich würde meine Dienste ja auch anbieten, aber ich glaub jetzt nicht, dass mich jemand will. Oder du vielleicht? [lacht]. Nein, aber im Ernst. Das liegt einfach ein bisschen in unserer Natur als Menschen begründet. Wer da ganz wundervolle Theoriearbeit geleistet hat, ist unser Genosse, der Fickschnitzel-Rudi. Der meinte, FLINTA wird das ja quasi seit Urzeiten ansozialisiert, dass sie sich um den Cis-Mann kümmern. Und die Sozialisation ist ja was, wogegen man als Gesellschaft erst mal wenig machen kann – und auch nicht sollte! Das hat Adorno jetzt auch nicht groß anders gesehen. Sex ist ja nichts anderes als Carearbeit. Und wenn die Frau dann Lohn dafür bekommt – also letztlich ist das Federici pur –, dann hat sie ja quasi einen Beruf. Also fast wie ein Mann.
TITANIC: In der Linken geht’s ja viel um sichere Räume für FLINTAs. Frauen sind aber in der Prostitution erst mal alleine mit fremden Männern hinter verschlossenen Türen. Wie bewertest du das?
Thomas: Na ja, ich kann nur immer wieder mit dem Supermarkt anfangen: Ist der Supermarkt letztlich ein sicherer Ort? Die U-Bahn? Nein! Das sind alles ganz ganz gefährliche Orte für Frauen!
TITANIC: In der Prostitution erleben aber schon deutlich mehr Frauen Gewalt als im Supermarkt.
Thomas: Na ja, aber man kann sich ja auch immer dafür entscheiden, einfach im Supermarkt zu arbeiten! Und Gewalt finden wir als Verein jetzt natürlich nicht so geil, da muss man dann letzten Endes auch an die Freier appellieren.
TITANIC: Wie stellt ihr euch ein System der Prostitution vor, in dem alle Frauen freiwillig arbeiten und keine Gewalt stattfindet?
Thomas: Na ja, das sind dann letztlich Details. Als Kommunist bin ich jetzt natürlich auch nicht der größte Reform-Fan. Der Drecksau-Thilo zum Beispiel hat da vor kurzem auch mal Horkheimer zitiert. Und letzten Endes ist da ja auch jeder für sich selber verantwortlich.
TITANIC: Auf eurer Webseite steht, Sexarbeit ist empowernd. Wie meint ihr das?
Thomas: Na ja, wir leben ja in einer Welt, wo man letztlich nach seinem Aussehen bewertet wird. Das hat letztendlich ja auch Zizek so gesehen. Und na ja, wenn du jetzt als FLINTA zum Beispiel ein bisschen rundlich bist, aber nicht da, wo man jetzt sagen würde, das sieht dann auch ansprechend aus, dann kannst du aber in der Sexarbeit halt immer noch eine Nische bedienen. Und vielen von den nicht so normschönen FLINTA wird dadurch überhaupt erst ihr Wert als Mensch so richtig bewusst. Ein gutes Beispiel ist da mein guter Freund Taschenvulva-Severin, der auch noch total aufgeschlossen ist, wo jetzt andere sagen würden, die schaut schon fast ein bisschen lesbisch aus. Letztlich geht es um Wert: Also wir wissen ja auch seit Marx, dass der Kapitalist unseren Mehrwert abschöpft. Und so wie der Arbeiter nicht die letzten drei Stunden seines Tages für den Chef am Band stehen will, wollen Frauen ja auch nicht die letzte Viertelstunde umsonst ficken. Ich könnte da ewig weiterreden [lacht]. Aber ja: Auch Frauen wollen letztlich wissen, dass sie was wert sind.
TITANIC: Aber wäre da nicht der bessere Ansatz, dafür zu kämpfen, dass Menschen ihren Status als Objekte überwinden und selbstwirksame Subjekte werden können?
Thomas: Ja, und genau da setzt die Sexarbeit an. Das ist für mich letzten Endes Dialektik.
*Name von der Redaktion geändert.
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Julia Pustet