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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (27)

(Was bisher geschah)

Gernolf hatte jetzt den Kopf gehoben und fixierte Fred, dessen Blick seiner­seits ein bißchen aus der Bahn geraten war. Unsicher, ob Gernolf nicht doch bereit sei, das alles klaglos hinzunehmen und das Spiel ironisch mitzuspielen (weil sie doch alle Männer waren, die wußten, was gespielt wird), hing Fred ein halbes, in seiner Halbheit geradezu klägliches Grinsen im Gesicht, das so aussah, als bereue es das im Übermut Gesagte schon und nehme es nur all­zugerne zurück, wenn damit wieder alles gut und auf Anfang gesetzt wäre. Allein, es war zu spät.

"Deine Frau ist mir scheißegal", sagte Gernolf ruhig, und es klang trotzdem kursiv. "Und wenn die halbe Stadt behauptet, ich hätte sie gefickt, so wisse, ich hab sie nicht gefickt. Ich ficke nämlich niemals die Frauen von anderen, nicht einmal, wenn diese anderen Verfasser von belletristischem Konsensschrott sind. Und lieber sterbe ich allein unter der Alten Brücke, als meinen Namen auf einem Buch zu sehen, das im Bahnhofsbuchhandel in Stapeln liegt. Und jetzt entschuldigt mich, bitte."

Er erhob sich, zog mit nach wie vor bemerkenswer­ter Ruhe die Jacke über, faßte in die Hosentasche, kramte einen Schein hervor und legte ihn neben sein leeres Bierglas. Er nickte Kurtchen zu, Fred nicht, und verschwand.

Kurtchen war, wie die meisten Männer, kein Multitasker, aber das gelang ihm doch: zu überlegen, wo und in welchem Zusammenhang er das Wort „Konsensschrott“ schon einmal gehört hatte, und gleichzeitig auf Freds Re­aktion zu spitzen, zumal unter den besonderen, hervorragend skandalösen Bedingungen des Anwurfs, er, Fred, glaube zu Unrecht, Gernolf habe seine, Freds, Frau gefickt, ein Gerücht bzw. Vorgang, von dem Kurtchen nichts wußte und von dem nicht einmal klar war, ob Fred von ihm wußte, so konsterniert, ja betreten, wie er drein­schaute.

Da Fred nichts sagte und mit belegtem Blick versuchte, sein Bierglas in den Tisch zu schrauben, legte Kurtchen alle Möglichkeiten wie Patiencen vor sich aus: Fred glaubte, Gernolf habe seine, Freds, Frau gefickt, wußte es aber nicht genau und zog es deshalb vor, Gernolf auf anderem, vergleichsweise sicherem Ter­rain anzugreifen, wobei fürs erste offen blieb, ob Gernolf Freds Frau nun gefickt hatte oder nicht. Oder: Fred wollte Gernolf nur ein bißchen aufziehen, ohne zu wissen, daß das Gerücht ging, Gernolf ficke mit seiner, Freds Frau, und Ger­nolf glaubte aber, er, Fred, wisse es und wolle ihn, Gernolf, aus der Reserve locken. Oder: Gernolf fickte tatsächlich mit Freds Frau und nutzte die Gelegenheit von Freds unwissend plänkelnder Angeberei zu einer geschickt plazierten Lüge, die sich vor Freds ungezogenem Triezen wie ein gerechter Befreiungsschlag ausnahm. Oder, oder, oder! Es war ganz wunderbar, und während am Kartentisch schon wieder jemand schrie, überlegte Kurtchen hastig, wie er es vermeiden könnte, Aufklärung über den wahren (und als solchen von vornherein viel uninteressanteren) Sachverhalt zu erlangen, er wollte das gar nicht wissen; wollte lieber unkommentiert abwarten, wie die Sache weiterging, wollte in Ruhe die Weiterungen der Affaire beobachten, was viel mehr (und vor allem: viel längeres) Amüsement versprach als die Wahrheit. Von der hatte er, Kurtchen, ja nichts, ja, sie konnte ihm egal sein, denn weder ging es ihn etwas an, mit wem Gernolf fickte, noch, mit wem Freds Frau fickte, und wenn Gernolf Freds Frau fickte, dann war das eine Sache zwischen Fred, Freds Frau und Gernolf.

Das beste wäre, dachte Kurtchen, wenn Fred einfach aufstünde und ginge; das zweitbeste, wenn er bliebe und von der Sache nicht weiter die Rede wäre. Das war kaum zu schaffen, aber Kurtchen wollte es versuchen.

"Du liegst... im Bahnhofsbuchhandel?" fragte er und mühte sich, nicht iro­nisch zu klingen. (wird fortge­setzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (26)

"Hast du vom Verlag ‘Paare Mutanten’ schon gekriegt?" fragte Fred, an Kurtchen gewandt, und legte die Unterarme übereinander, und einerseits fiel Kurtchen intern ein bißchen zusammen, weil der Umstand, daß er vor Minu­ten noch an einer peinlichen Investigation in puncto Petra vorbeigeschrammt war, es ja nun noch nicht rechtfertigte, das Ausbleiben der einen Peinlichkeit durch die nächste zu salvieren. Andererseits war ihm jedes Thema lieber als Petra; und außerdem war Gernolf ja auch gar nicht angesprochen, und Kurt­chen wurde nicht schlau aus der Frage, ob das bloß der Tangentialbekannt­schaft der beiden geschuldet war oder doch einer Bosheit, die der brave Fred bislang recht gut verborgen hatte.

"Ist jedenfalls noch nichts angekommen", sagte Kurtchen wahrheitsgemäß. "Bin gespannt. Ich wußte ja gar nicht, daß du's neuerdings mit Science Ficti­on hast."

"Nicht Science Fiction. Horror!" korrigierte Fred, und Kurtchen bemühte sich, gleichzeitig Fred anzusehen und Gernolf im Augenwinkel zu behalten.

"Ein Genrewechsel", erläuterte der Hollandfahrradfahrer und sah, wie um luftzuholen, auf seine Unterarme. "Ich dachte: Fred, natürlich kannst du jetzt die nächsten fünfzig Jahre deine Boy meets Girl-Stiefel schreiben." Er sah kurz über Kurtchens Kopf hinweg, riß den rechten Arm nach oben, spreizte Dau­men, Zeige- und Mittelfinger ab und sprach lautlos ein "drei Bier" in die Luft, Gernolf war also offiziell anwesend.

"Ich weiß ja jetzt, wie es geht. Einmal im Jahr einen Riemen runterklop­pen, im unteren Drittel der Spiegel-Bestseller landen, ab und zu mal in der FAZ ste­hen und auf der Buchmesse mit der Loverberg", Fred ließ seine Zun­ge an­deutungshalber zwei Hügel in die Backe stoßen, Kurtchen hatte das abermals für ein Gerücht gehalten, da konnte man mal sehen; wenn's nicht eh gelogen war. Oder jedenfalls übertrieben. "Aber ihr wißt ja, wie es ist" – Fred seufzte, und Kurtchen bewunderte Freds bald ex-, bald inkludierende Taktik sehr –, "man wird nicht jünger, und eines morgens sitzt man wie all die anderen Trottel in der Küche und fragt sich: Kann das schon alles gewe­sen sein?"

Wieder brach am Kartentisch ein Lärmen los, aber Kurtchen war viel zu sehr damit beschäftigt, Freds Versuch zu folgen, Gernolf vorzuführen, und diesen Versuch auf einer Skala, die von "Sausack" bis "Feinstironiker" reichte, sau­ber ein­zutragen.

Gernolf grinste jetzt auf eine vage einverständige Art, was Kurtchen für ein Angebot hielt, die Sache tatsächlich ironisch zu verhandeln. Fred indes woll­te wohl wirklich trumpfen, war vielleicht auch einfach schon hinüber, ab vier ging da der Kühlschrank auf, das war bekannt. "Ich meine, anfangen ist ja leicht. Starting up's the easiest thing. Da schimmert's noch, da wohnt ein Zauber inne und alles. Tödlich wird das erst", und Fred stieß ein bißchen auf, "wenn die Routine beginnt. Was würde ich darum geben", und Kurt­chen hätte schwören können, daß halbsekundenweis' etwas sehr Dämoni­sches über Freds im übrigen argloses, graumeliert umwölktes Antlitz wischte, "wenn ich noch mal am Schreibtisch sit­zen könnte, ein leeres Blatt Papier vor mir und tau­send Ideen im Kopf. So frei bist du doch im Grunde nie wieder." Fred grinste jetzt, er hielt's wohl nicht mehr aus.

"Jetzt paß mal auf, du Arschloch", Gernolf hatte weder die Stimme noch den Blick gehoben, und Kurtchen, der stets für sich in Anspruch nahm, aus Al­ters- wie allgemein philosophischen Gründen dem Klammergriff der Neu­gier längst entkommen zu sein, fürchtete sich zwar ein bißchen, weil er es haßte, wenn Leute, die er mochte, sich zankten und er sich dazu verhalten mußte; freute sich aber auch sehr auf das, was jetzt fol­gen würde, denn er wußte es kein Stück. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (25)

Diese Petra jedenfalls (und Kurtchen sträubte sich gewohnheitsmäßig, das zuzugeben) gefiel ihm; hatte ihm auch schon gefallen, bevor das Porno-Gerücht die Runde gemacht hatte; und weil er aber entschlossen war, abstinent zu leben (so wie ein Alkoholiker weiß, daß ein Tropfen genügt, um alles wieder in die Grütze zu reiten), versuchte er beharrlich, sich in Pubertätstzeiten zurückzubeamen und das, was er damals als gemein und schicksalhaft empfunden hatte, heute als gesund und insgesamt vernünftig zu adoptieren. Er wollte, wie mit 16, sitzen und tatenlos schauen, und wenn's für eine kleine Phantasie reichte, nichts dagegen. Der Unterschied wäre, daß sein, Kurtchens, Wohlgefallen diesmal souverän und unbedingt interesselos sein müßte, daß er, gewissermaßen mönchisch, absichts- und überzeugungsvoll verzichten wollte. Was, wie er mit einem Weh, das erstaunlich ans vergangen pubertäre gemahnte, feststellte, überdies die Möglichkeit, sich einen 1a Korb zu holen, aufs glücklichste ausschloß.

"Ist das nicht diese Petra?" hörte Kurtchen neben sich und sah simultan zwei Fingerknochen auf die Tischplatte sausen. Er blickte hoch und sah Fred Fröhn, der, halbhoch, hager und schon leidlich grau, ohne die Finger von der Tischplatte zu nehmen zum Tresen sah, wo sich Petra rank und rehhaft installiert hatte.

"Hm-hmm", machte Kurtchen, dem sehr daran gelegen war, das Thema zu wechseln. "Wenn du Bier holen gehst, bringst mir eins mit?"

"Mir auch", sagte Gernolf und hob sein leeres Glas.

"Drei kann ich nicht tragen", sagte Fred, zog seine schwindsüchtige schwarze Jeansjacke und hing sie über die Lehne des Stuhles neben Gernolf. "Kommt doch bestimmt gleich wer, oder?"

"Bestimmt", sagte Gernolf mit demselben gedimmten Ton wie vorhin, der die allfälligen Anteile von Sarkasmus und Resignation verbarg.

"Ah, Scheiße", sagte Fred Fröhn unverhofft und streckte seine zehn Finger von der Hand. Sie sahen irgendwie verölt aus.

"Ich hab mir eben ein Hollandrad geliehen", sagte er, wobei er das geliehen so eigentümlich betonte, daß Kurtchen sich nicht sicher war, ob er geklaut meinte, auch wenn das eigentlich überhaupt nicht Freds Art war. Fred sah eigentlich aus, als betrüge er nicht einmal das Finanzamt.

"Und kaum bin ich aus dem Haus, fällt mir die Kette von dem Scheißding. Dreigang", ergänzte Fred, als sei das wichtig.

"Keinen Schraubenzieher dabei?" fragte Kurtchen, rhetorisch.

"Und kein Taschentuch. Das Grobe hab ich mir erst mal an die Jacke geschmiert, muß nachher gleich mal Hände waschen."

"Nachher", wiederholte Kurtchen und ließ es wie Kopfschütteln klingeln.

"Pfff", machte Fred wegwerfend, und damit war die Sache beigelegt.

Eine Weile sagten sie nichts, und Kurtchen hoffte, Fred würde nicht von seinem neuen Buch reden, um dem armen Gernolf nicht in die Verlegenheit zu bringen, von seinen seit Jahren vollgestrickten Romanschubladen erzählen zu müssen. Fred nämlich war so klug (oder so faul, das kam hier aufs selbe raus), das Romanwesen nicht neu erfinden zu wollen, sondern erzählte von Männern und Frauen und warum die Dinge nicht so laufen, wie sie sollen. Kurtchen, der als Klempner, wie sich denken läßt, eine geradezu natürliche Distanz zu allem übertrieben Avantgardistischen hatte (denn Wasser ist Wasser, Gas ist Gas und Scheiße ist Scheiße, da biß der Rollgabelschlüssel kein Spülknie durch), hatte Gernolf stets verschwiegen, wie sehr ihm das gefiel, auch wenn er Freds aktuellen Romantitel "Paare Mutanten" für ein Gran zu geschmäcklerisch und auch irgendwie abgeschrieben hielt. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (24)

Porno-Petra hieß so, weil das Gerücht ging, sie habe einmal in einem Erotik­film geschauspielert; ein Gerücht, das sich, wie Kurtchen herausgefunden zu haben meinte, weder jemals bestätigen noch als Ente erweisen würde, denn dafür müßte ja jemand zugeben, Erotikfilme zu konsumieren; und das tat ja keiner; außer seinem Bekannten Franzjürgen Manulesco, einem halbrumänis­chen Ex-Rock'n'Roll-Tanzmeister mit österreichischem Paß, der der­lei als Ausdruck popkulturellen Selbstverständnisses betrachtete und kei­nen Hehl aus seiner Sammlung einschlägiger Preziosa machte, ja sogar da­mit angab.

Aber von ihm, dem Franzl, stammte die hochspekulative Sex-Info nicht, und aus, wie Kurtchen sicher wußte, rein akademischer Neugier bzw. prole­tarischem Bildungsbewußtsein im Verfolg der vornehmsten Traditionen der deutschen Arbeiterklasse hatte er, Kurtchen, die Causa durch eine mehrstün­dige Inter­netrecherche aufzuklären versucht, die aber bis auf ein paar halb­lahme Kol­lateralerektionen ergebnislos geblieben war. Was Kurtchen tat­sächlich er­leichtert hatte; denn so sehr die Nacktheit einer bekannten, doch ungreifba­ren Dame auch die Phantasie beflügeln und den Abend gerade des einsamen Mannes verkürzen und verschönern mag, so präferierte Kurtchen doch in diesem speziellen Fall die Vorstellung einer Exklusivität, wie sie mit dem Auftritt in einem dieser zeitgenössisch trüben Fließbandprodukte kaum zu vereinbaren gewesen wäre. Nicht daß er direkt verliebt in Petra war; der­lei sich nicht mehr zu gestatten war er schließlich fest entschlossen. Aber wo der Geist willig ist, ist das Fleisch halt doch das schwache Geschlecht, und gegen sein Herzflattern konnte Kurtchen sowenig ausrichten, so sehr dieses nämlich vegetativ und ipso facto nicht auszuschalten war.

Petra selbst – hochgewachsen, brünett und wo nicht grad anorektisch und busenlos, doch so schmal, daß, wenn das mit der Schauspielerei denn wahr war, ein etwaiger Film fast schon ein Fetischbedürfnis bedient hätte – schien das Gerücht entweder nicht zu kennen (was vor dem Hintergrund des zwar keinesfalls provinziellen, aber auch nicht unbedingt hochmetropolita­nen und jedenfalls eher übersichtlichen Charakters von Kurtchens Heimat­stadt und der relativen Enge der Kreise, die die Seinen darin zogen, nicht un­bedingt glaublich schien) oder zu ignorieren, wenn man nicht sogar anneh­men wollte (und diese Möglichkeit gefiel Kurtchen am besten, schon weil sie Beweis für seinen psychologischen Scharfblick war), Petra kenne das Ge­rücht und tue aber in voller Absicht nichts, um seine Schwungkraft zu brem­sen, derart im Geheimnis zu bleiben und sich, gerade als Nichtsexbombe, an der stillen Macht über Männerfantasien zu weiden, in denen sie mithin so oder so die Hauptrolle spielte, ob es diesen Film nun gab oder nicht, wie Kurtchen, obzwar er sich mangels Informiertheit nie als Poststrukturalisten ausgegeben hätte (er sprach ja nicht einmal recht französisch), unversehens auffiel. (wird fortgesetzt)


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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (23)

Kurtchen, der mit dem Rücken zum Eingang saß, unterdrückte ohne weiteres den Impuls, sich sofort umzudrehen, weil er das nämlich verinnerlicht hatte, sich eben nicht umzudrehen, wenn wer auf etwas wies, das sich in seinem, Kurtchens, Rücken abspielte. Wahrscheinlich war das dieser legendäre Be­haviorismus, dachte Kurtchen, der geraunte Sätze à la „Dreh dich nicht um, aber hinter dir küssen sich zwei nackte Lesben von der CDU“ wahrschein­lich einfach zu oft gehört hatte, um nicht zu wissen, daß offensiv vorgetrage­ne Neugier unhöflich sei. Also blieb er sitzen, wie er saß, und wartete, daß die, von der die erstaunte Rede gewesen war, sein Blickfeld querte, denn das mußte sie, jedenfalls mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit.

Darüber erschrak Kurtchen dann ein bißchen: daß er Petra sogar von hinten ohne weiteres erkannte. Der Gang, die Haare. Ihm wurde flau, so wie ihm als Schüler flau geworden war, als Verena Lindinger oder Sophie v. Kessel­brink, ohne es zu wissen, ihre totale Unerreichbarkeit ausgespielt hatten, mit Henner Borowski oder Pauldieter Feist oder wie die Schwachköpfe alle hie­ßen. Was aus denen wohl geworden war – Pauldieter war Kurtchen vergan­genen Sommer in Berlin über den Weg gelaufen, er war jetzt wohl in der Zeitungsbranche, Großverleger oder was, und hatte Kurt­chen Pläne für ein „satirisches Fernsehprogrammheft mit Service-Mehrwert und Modestrecke“ vorgetragen, das er aus „postmodernen Gründen“ unbe­dingt „wie ein Wrack oder einen Todesdampfer“ nennen wollte, „Gorch Fock oder MS Franziska, irgendwie so abgefuckt halt, camp sozusagen, Prenzelbergstyle“; dabei hatte er sehr entschlossen geraucht und insgesamt den Eindruck gemacht, er wisse nicht, wovon er eigentlich rede, ganz wie damals, als er Sophie mit Ge­schichten aus New York gefügig gemacht hatte, allesamt erfunden, wie Kurtchen wußte, denn Pauldieter litt unter Flugangst, und der Times Square war auch nicht in Soho.

Egal. Es war zu lange her das alles, auch wenn Kurtchen manchmal dachte, daß es immer weitergehe. Daß es, immerhin, schwächer geworden war über die Jahre, dafür war Kurtchen dankbar. Stumm sah er in sein leeres Glas.

Dabei sollte es doch aufhören. Reichten zwei Scheidungen etwa nicht? Ein weiteres Desaster konnte sich Kurtchen sowieso nicht leisten, und zum wer­weiß wievielten Male verfluchte er sich dafür, daß er sich, nachdem die erste Scheidung noch glimpflich abgegangen war, Doktor Primero in der zweiten Runde als Scheidungsanwalt hatte aufschwatzen lassen; nie würde er den er­leichterten, geradezu amüsierten Blick der Gegenanwältin vergessen. So mußte es sein, in einen Schauprozeß zu geraten.

Und nun also Petra. Porno-Petra. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (22)

Gernolf lachte sein hohes, keckerndes Lachen, das aber schon ein sentimen­talisches war, oder jedenfalls fast; Kurtchen, der mehr beifällig als begeistert mitlachte, einfach, weil er vor lauter Anwälten heute Abend noch nicht recht zum Trinken gekommen war (und er zwar auch ohne Alkohol fröhlich sein konnte, es zum entgrenzten Lachen aber eben ein entgrenzendes Quantum brauchte, denk' mal logisch), war einfach noch nicht recht angekommen heute abend, was daran liegen mochte, daß ein Höhepunkt wie der mit den Jus-Idioten eigentlich ans Ende eines Abends gehörte, besser noch in seine Mitte; wie lustig und um wie vieles faszinierender deren Auftritt geworden wäre, hätte er, hätte Kurtchen, Herrn Primero gleich, seinen Anteil bereits intus gehabt!

Die Sache mit dem Helm damals, erinnerte sich Kurtchen, hatte jedenfalls ein besseres Timing gehabt, da waren sie genau in der richtigen Verfassung gewesen, ein Sommerabend in der Gartenwirtschaft, jeder hatte seine drei Halben im Kopf, man merkte, es lief, die ersten losen Worte rollten lustig über den Tisch, und dann war man, warum auch immer, auf Fehlentschei­dungen gekommen, und er, Kurtchen, hatte erzählt, wie ein Schulfreund von ihm in Frankreich Urlaub gemacht hatte, mit 17 oder was, das Geld war al­tersbedingt knapp gewesen, aber am letzten Abend, da waren der Schul­freund und seine zwei Mitreisenden in ein Restaurant gegangen und hatten Loup de mer hier und Entrecôte da bestellt, und der Schulfreund hatte Lust auf ein Steak gehabt und nahm, um's nicht zu übertreiben, ein steak tartar, und wie groß war die Überraschung, als er am letzten Abend seines Urlaubs vor einem Berg rohem Hackfleisch saß! Eine gute Geschichte; die aber nichts war gegen die, die der Hammer-Heinz auf Lager hatte. Der Hammer-Heinz hatte nämlich als Dreizehnjähriger bei irgendeinem Dorffest irgendei­ne Tombola gewonnen und hatte auswählen dürfen zwischen einem Motor­radhelm und der für einen Dreizehnjährigen sagenhaften Summe von 500 Mark in bar, und trotzdem hatte er in jugendlicher Spontaneität den Helm verlangt, "obwohl ich kein Stück rennsportbegeistert war, versteht ihr, gar nicht! Der Helm war für einen Erwachsenen und hat nicht einmal gepaßt, und das ganze Bürgerhaus hat mich wohl für den absoluten Schwachkopf gehalten, sogar meine Mutter hat ge­dacht, ich bin bescheuert, und hat das Scheißding dann dem Nachbarjungen geschenkt."

An den Sommer damals hatte Kurtchen keine Erinnerung mehr, nur an die­sen einen Abend, an dem sie tatsächlich stundenlang und immer und immer wie­der über die Helmgeschichte gelacht hatten, und zwar so ekstatisch, be­freit und glücksnah, daß man um die Annahme nicht herum kam, die Lacher hät­ten wenn nicht diesen, so doch allesamt einen sehr ähnlichen Helm un­term Bett. Der Hammer-Heinz, der könnte sich auch mal wieder blicken las­sen, dachte Kurtchen und sog heftig sein Bier zuende, wie um den Abend von da­mals, den wundersamen, wunderbaren Helm-Abend, noch einmal herbei­zuzwingen.

"Was macht die denn hier", sagte Gernolf plötzlich und nickte mit dem Kinn invers Richtung Eingang. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (21)

Kurtchen war nicht religiös, wärmte sich aber doch an dem Gedanken, die Tatsache, daß der Anwalt und seine Frau sich unversehens erhoben und mit dem eher seriös als augenzwinkernd vorgetragenen Hinweis, es sei "time to say goodbye", nach Hause zu stiefeln sich anschickten (der Sicherheit we­gen, wie Kurtchen reflexhaft vermutete) sei das Werk eines gnädigen Gottes, der zwar, und sei's zum eigenen Gaudium, eine Menge zulasse und hinneh­me, aber eben auch wisse, wann es genug sei. Jedenfalls manchmal und wenn es im globalen Maßstab eigentlich überhaupt keine Rolle spielte.

"Freunde von dir?" fragte Kurtchen Gernolf und bemühte sich, die Ironie gerade eben so an der Wahrnehmungsgrenze zu halten.

"Die besten, die ich je hatte!" rief Gernolf fröhlich und hatte die Ironie aber genauso fein dosiert, daß sie nun ein bißchen ratlos voreinander saßen, im dicken, watteweichen Gebrumm und Gebrause der mittlerweile bumsvollen Kneipe.

"Apropos Anwalt", machte Gernolf plötzlich, der mit dem sicheren Instinkt desjenigen, der weiß, wann eine Geschichte auserzählt ist, die beiden Ham­mel von eben gar nicht mehr erwähnte. "Hast du gehört, dem Doktor Primero haben sie die Lizenz entzogen, oder suspendiert, ich weiß nicht, wie man da sagt bei Anwälten."

"Die... pffff... Zulassung entzogen?" versuchte Kurtchen, der es halt auch nicht wußte.

"Irgendwie so", sagte Gernolf und wischte Tabakkrümel vom Tisch, ohne sich darüber zu wundern, immerhin herrschten in der Extra Bar die gesetzli­chen Rauchbeschränkungen, jedenfalls bis zehn, wenn der Wirt die Küche schloß. Kurtchen, der selbst eher ausnahmsweise rauchte, hatte es längst auf­gegeben, hinter das Gesetz als solches und seine vielfältigen Aus- und Neben­regelungen sehen zu wollen, er nahm es, wie es kam und freute sich, wann immer ihm der Abend in einem dieser mediokren mittelurbanen Bistrolokale einfiel, in das er, weil aus beruflichen Gründen in einem ihm eher fremden Teil der Stadt gelandet, aus Zufall gelangt war und wo er das junge Servierfräulein gefragt hat­te, warum hier überall geraucht werde. "Unsere Gäste rauchen gern", hatte das Fräulein ernst gesagt, das von einem Rauchverbot schien's noch nie etwas gehört hat­te und überhaupt so aussah, als nehme es am politischen Tagesgeschehen eher gar nicht teil. So ging es nämlich schließlich auch.

"Es muß", fuhr Gernolf fort, "sich um irgendein Strafverfahren gehandelt haben, aber mehr so was Unterklassiges, ich glaube, was so normale Anwäl­te machen, hat mit dem Fall für zwei eher nichts zu tun. Jedenfalls soll der Primero direkt aus dem Moseleck ins Gericht gefallen und auf dem Gerichts­klo eingeschlafen sein. Ich hab das vom Weigand, und der hat es vom Nut­ten-Ludwig, der den, der da angeklagt war, wohl aus seiner Zeit beim Fi­nanzamt kennt. Irgendeine Kiezprügelei, so was, ist auch egal. Jedenfalls ist der Primero dann wohl doch noch im Gerichtssaal erschienen, unrasiert und wohl irgendwie auch vollgepinkelt, jedenfalls immer noch total dicht, ohne Robe und alles, und der Richter hat gesagt, Herr Rechtsanwalt, schämen Sie sich nicht, wie Sie aussehen? Nein, hat der Primero da gesagt, Sie etwa? Da muß sein Mandant, irgendso ein Pitbull-Vokuhila, einen Lachkrampf be­kommen haben, und der Primero auch, und der Richter schreit: Sie sind ja völlig verhandlungsunfähig! Und da hat, da hat", Gernolf lachte schon im Vorgriff auf die Pointe, "da hat der Primero gesagt, mit seinem Baß, du kennst ihn: DANN KÖNNEN WIR DIESEN PROZESS JA AUF AUGEN­HÖHE FÜHREN, HERR VOLKSGERICHTSRAT! Und dann hat er sich zu seinem Mandanten um­gedreht und den gefragt, ob er mal Feuer hat, und der hatte, und Primero ist rauchend wieder raus aus dem Saal." (wird fortgesetzt)

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hä, Ärzteverbände und Pflegekräfte?

Angesichts der schlechten Versorgungslage habt Ihr bei einer Protestkundgebung auf Euren Plakaten unter anderem »Weitsicht statt Kurzsicht« gefordert. Wir sind zwar nicht vom Fach, aber ist es nicht so, dass in der Augenheilkunde weder Myopie noch Hyperopie als erstrebenswert gelten?

Sieht schon doppelt:

Eure Titanic

 Stark, Bürgerbewegung Finanzwende!

Dass CumEx-Chefermittlerin Anne Brorhilker ihren Job als Oberstaatsanwältin aufgibt und stattdessen bei Eurem zwar ehrenwerten, aber vergleichsweise machtlosen Verein anheuert, war, wie Ihr in Eurem Newsletter mitteiltet, auch für Euch eine »Riesenüberraschung«.

Irritiert hat uns allerdings die dortige Zusammenfassung Eurer Ziele: »Gemeinsam arbeiten wir für Finanzmärkte, die uns allen dienen. Gegen Finanzkriminalität und Ungeheuerlichkeiten wie CumEx. Und dafür, dass Überschuldete nicht mit ihren Problemen alleine gelassen werden, dass die Schufa ihre Marktmacht nicht ausnutzt und dass öffentliche Gelder weiter intransparent und klimaschädlich angelegt werden können.« Na, wenn Ihr Euch dafür einsetzt, finden wir Eure Machtlosigkeit gar nicht mehr so schlimm!

Arbeitet für und gegen alles und jeden: Titanic

 Ach so, Jella Haase!

Ach so, Jella Haase!

Auf das Thema patriarchale Strukturen in der Filmbranche angesprochen, sagten Sie: »Frauen sind Teil meiner Filmfamilie geworden.«

Wir freuen uns schon auf Ihre nächsten Interviews mit ähnlich aussagekräftigen Zitaten wie: »Stühle sind Teil meiner Einrichtung geworden«, »Kohlenhydrate sind Teil meiner Ernährung geworden« oder »Dämliche Statements rauszuhauen, ist Teil meiner Tätigkeit als Schauspielerin geworden«!

Grüßt erwartungsvoll: Ihr Briefeteil der Redaktionsfamilie Titanic

 Aber, aber, Michael Douglas!

Für Ihre Titelrolle in einer Serie über Benjamin Franklin hätten Sie zuerst »jede Menge Make-up- und Prothesen-Tests gemacht«, wie Sie der FAZ erzählten, »mit Doppelkinn, dickem Bauch und allem Drum und Dran«. Allerdings habe Ihnen das zu lange gedauert und auch die Vorstellung nicht behagt, acht Folgen unter der Maske versteckt zu sein: »Also haben wir entschieden, dass es auch ohne Makeup geht und ich die Rolle schlicht mit Schauspielerei ausfülle.« Aber, Douglas, warum sind Sie denn bei Ihren früheren Engagements nie auf die Idee gekommen?

Fragen

Ihre Cineast/innen von Titanic

 Wir haben da eine Idee, FiniBee!

Ihr seid »Frankfurts erstes Powerbank Sharing Startup« und versprecht mit Euren Ladestationen schnelle Abhilfe, wenn man mal mit fünf Prozent Restladung auf dem Telefon vor dem Kiosk steht.

Da uns genau das jetzt passiert ist, sind wir zur Powerbank-Station geschwirrt und hatten im Handumdrehen wieder Saft: nur schnell den QR-Code scannen, die App installieren, die eigene Telefonnummer eintippen, ein Passwort ausdenken (»AarghGleich3%«), ein Bezahlverfahren einrichten, einen anderen QR-Code scannen, den richtigen Aufstellort per Kartenansicht suchen, ein paar Knöpfe drücken und schon die rettende Leihbatterie entnehmen. Puh!

Wenn Ihr jetzt noch die Spannung, die der Wettlauf zwischen Telefontod und Ausleihe in uns erzeugt, direkt zur Energiegewinnung nutzen könntet, hättet Ihr eine komplett ökologische Lösung ganz ohne Powerbanks gefunden!

Geladene Grüße von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Grausiger Befund

Als Angstpatientin weiß ich den Smalltalk zu schätzen, den meine Zahnärztin vor der Behandlung mit mir führt, aber ihre beiläufige Bemerkung, dass sie True-Crime-Fan sei, während sie die Instrumente sortierte, war für unsere Vertrauensbasis eher kontraproduktiv.

Loreen Bauer

 Das Ende ist nah!

Wenn man aus dem radiologischen Zentrum kommt, fällt der Blick sogleich auf die gegenüberliegende Neuapostolische Kirche. Jesus überstrahlt eben doch alles.

Teresa Habild

 Energievampir

Wie groß doch der Unterschied zwischen dem Leben in der Stadt und dem auf dem Land ist, fiel mir wieder auf, als ich mit meiner Tante vom Hof telefonierte und wir uns über unsere Erschöpfung austauschten: Ich erklärte mir meine große Müdigkeit damit, dass ich den Tag zuvor in der Therapie eine neue Erkenntnis gewonnen hatte, gegen die ich mich aber noch sperre. Das verbrauche natürlich schon viel Energie, außerdem wolle sich mein Gehirn so wenig mit der neuen Erkenntnis beschäftigen, dass es lieber in die Schläfrigkeit flüchte. Sie wiederum begründete ihre Mattheit mit den Worten: »Ich glaube, mich hat was gebissen, das müde macht.«

Laura Brinkmann

 Morgengrauensport

Mitten in der Nacht, halb drei vor der Szenekneipe in München: Ein volltrunkener Totalspack wankt hinter seiner Suffbraut her aus der Fußballzeige-Gaststätte, beide laut auf bairisch aufeinander einbrüllend. Draußen, zwischen dem halben Dutzend Rauchern, hievt sie ihren Quellkörper mit einer trägen Drehung herum, verlagert die Schwere auf den hinteren Krautstampfer und zimmert ihrem imbezilen Begleiter mit Effet eine knallharte Linke flach auf die Fresse. Public Watsching in Bayern eben.

Theobald Fuchs

 Should I stay or should I go?

Kurz vor meinem ersten Backpacker-Urlaub seit dreißig Jahren habe ich beim Befüllen des Kulturbeutels festgestellt, dass statt der fünfunddreißig Kondome, die ich als Teenager in Erwartung amouröser Begegnungen eingepackt und natürlich originalverschweißt wieder mit nach Hause gebracht hatte, nun Tablettenschachteln, Cremes, Salben, Pflästerchen, Nahrungsergänzungsmittel und massenhaft Tütchen mit Gel gegen saures Aufstoßen das Gros meines Waschtascheninhalts ausmachen. Mein Problem: Bei aller Ernüchterung ist die Gewissheit, dass ich dieses Mal jedes einzelne Teil aufreißen und hemmungslos zur Anwendung bringen werde, für mich schon wieder so aufregend, dass ich am liebsten zu Hause bleiben würde.

Patric Hemgesberg

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
13.06.2024 Winterthur, Lauschig Ella Carina Werner
14.06.2024 München, Volkstheater Moritz Hürtgen mit Ella C. Werner und Dax Werner
15.06.2024 Kremmen, Tiefste Provinz Max Goldt
18.06.2024 Düsseldorf, Goethe-Museum Hans Traxler: »Traxler zeichnet Goethe«