Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (22)
Gernolf lachte sein hohes, keckerndes Lachen, das aber schon ein sentimentalisches war, oder jedenfalls fast; Kurtchen, der mehr beifällig als begeistert mitlachte, einfach, weil er vor lauter Anwälten heute Abend noch nicht recht zum Trinken gekommen war (und er zwar auch ohne Alkohol fröhlich sein konnte, es zum entgrenzten Lachen aber eben ein entgrenzendes Quantum brauchte, denk' mal logisch), war einfach noch nicht recht angekommen heute abend, was daran liegen mochte, daß ein Höhepunkt wie der mit den Jus-Idioten eigentlich ans Ende eines Abends gehörte, besser noch in seine Mitte; wie lustig und um wie vieles faszinierender deren Auftritt geworden wäre, hätte er, hätte Kurtchen, Herrn Primero gleich, seinen Anteil bereits intus gehabt!
Die Sache mit dem Helm damals, erinnerte sich Kurtchen, hatte jedenfalls ein besseres Timing gehabt, da waren sie genau in der richtigen Verfassung gewesen, ein Sommerabend in der Gartenwirtschaft, jeder hatte seine drei Halben im Kopf, man merkte, es lief, die ersten losen Worte rollten lustig über den Tisch, und dann war man, warum auch immer, auf Fehlentscheidungen gekommen, und er, Kurtchen, hatte erzählt, wie ein Schulfreund von ihm in Frankreich Urlaub gemacht hatte, mit 17 oder was, das Geld war altersbedingt knapp gewesen, aber am letzten Abend, da waren der Schulfreund und seine zwei Mitreisenden in ein Restaurant gegangen und hatten Loup de mer hier und Entrecôte da bestellt, und der Schulfreund hatte Lust auf ein Steak gehabt und nahm, um's nicht zu übertreiben, ein steak tartar, und wie groß war die Überraschung, als er am letzten Abend seines Urlaubs vor einem Berg rohem Hackfleisch saß! Eine gute Geschichte; die aber nichts war gegen die, die der Hammer-Heinz auf Lager hatte. Der Hammer-Heinz hatte nämlich als Dreizehnjähriger bei irgendeinem Dorffest irgendeine Tombola gewonnen und hatte auswählen dürfen zwischen einem Motorradhelm und der für einen Dreizehnjährigen sagenhaften Summe von 500 Mark in bar, und trotzdem hatte er in jugendlicher Spontaneität den Helm verlangt, "obwohl ich kein Stück rennsportbegeistert war, versteht ihr, gar nicht! Der Helm war für einen Erwachsenen und hat nicht einmal gepaßt, und das ganze Bürgerhaus hat mich wohl für den absoluten Schwachkopf gehalten, sogar meine Mutter hat gedacht, ich bin bescheuert, und hat das Scheißding dann dem Nachbarjungen geschenkt."
An den Sommer damals hatte Kurtchen keine Erinnerung mehr, nur an diesen einen Abend, an dem sie tatsächlich stundenlang und immer und immer wieder über die Helmgeschichte gelacht hatten, und zwar so ekstatisch, befreit und glücksnah, daß man um die Annahme nicht herum kam, die Lacher hätten wenn nicht diesen, so doch allesamt einen sehr ähnlichen Helm unterm Bett. Der Hammer-Heinz, der könnte sich auch mal wieder blicken lassen, dachte Kurtchen und sog heftig sein Bier zuende, wie um den Abend von damals, den wundersamen, wunderbaren Helm-Abend, noch einmal herbeizuzwingen.
"Was macht die denn hier", sagte Gernolf plötzlich und nickte mit dem Kinn invers Richtung Eingang. (wird fortgesetzt)
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