Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (23)
Kurtchen, der mit dem Rücken zum Eingang saß, unterdrückte ohne weiteres den Impuls, sich sofort umzudrehen, weil er das nämlich verinnerlicht hatte, sich eben nicht umzudrehen, wenn wer auf etwas wies, das sich in seinem, Kurtchens, Rücken abspielte. Wahrscheinlich war das dieser legendäre Behaviorismus, dachte Kurtchen, der geraunte Sätze à la „Dreh dich nicht um, aber hinter dir küssen sich zwei nackte Lesben von der CDU“ wahrscheinlich einfach zu oft gehört hatte, um nicht zu wissen, daß offensiv vorgetragene Neugier unhöflich sei. Also blieb er sitzen, wie er saß, und wartete, daß die, von der die erstaunte Rede gewesen war, sein Blickfeld querte, denn das mußte sie, jedenfalls mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit.
Darüber erschrak Kurtchen dann ein bißchen: daß er Petra sogar von hinten ohne weiteres erkannte. Der Gang, die Haare. Ihm wurde flau, so wie ihm als Schüler flau geworden war, als Verena Lindinger oder Sophie v. Kesselbrink, ohne es zu wissen, ihre totale Unerreichbarkeit ausgespielt hatten, mit Henner Borowski oder Pauldieter Feist oder wie die Schwachköpfe alle hießen. Was aus denen wohl geworden war – Pauldieter war Kurtchen vergangenen Sommer in Berlin über den Weg gelaufen, er war jetzt wohl in der Zeitungsbranche, Großverleger oder was, und hatte Kurtchen Pläne für ein „satirisches Fernsehprogrammheft mit Service-Mehrwert und Modestrecke“ vorgetragen, das er aus „postmodernen Gründen“ unbedingt „wie ein Wrack oder einen Todesdampfer“ nennen wollte, „Gorch Fock oder MS Franziska, irgendwie so abgefuckt halt, camp sozusagen, Prenzelbergstyle“; dabei hatte er sehr entschlossen geraucht und insgesamt den Eindruck gemacht, er wisse nicht, wovon er eigentlich rede, ganz wie damals, als er Sophie mit Geschichten aus New York gefügig gemacht hatte, allesamt erfunden, wie Kurtchen wußte, denn Pauldieter litt unter Flugangst, und der Times Square war auch nicht in Soho.
Egal. Es war zu lange her das alles, auch wenn Kurtchen manchmal dachte, daß es immer weitergehe. Daß es, immerhin, schwächer geworden war über die Jahre, dafür war Kurtchen dankbar. Stumm sah er in sein leeres Glas.
Dabei sollte es doch aufhören. Reichten zwei Scheidungen etwa nicht? Ein weiteres Desaster konnte sich Kurtchen sowieso nicht leisten, und zum werweiß wievielten Male verfluchte er sich dafür, daß er sich, nachdem die erste Scheidung noch glimpflich abgegangen war, Doktor Primero in der zweiten Runde als Scheidungsanwalt hatte aufschwatzen lassen; nie würde er den erleichterten, geradezu amüsierten Blick der Gegenanwältin vergessen. So mußte es sein, in einen Schauprozeß zu geraten.
Und nun also Petra. Porno-Petra. (wird fortgesetzt)
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