Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (21)
Kurtchen war nicht religiös, wärmte sich aber doch an dem Gedanken, die Tatsache, daß der Anwalt und seine Frau sich unversehens erhoben und mit dem eher seriös als augenzwinkernd vorgetragenen Hinweis, es sei "time to say goodbye", nach Hause zu stiefeln sich anschickten (der Sicherheit wegen, wie Kurtchen reflexhaft vermutete) sei das Werk eines gnädigen Gottes, der zwar, und sei's zum eigenen Gaudium, eine Menge zulasse und hinnehme, aber eben auch wisse, wann es genug sei. Jedenfalls manchmal und wenn es im globalen Maßstab eigentlich überhaupt keine Rolle spielte.
"Freunde von dir?" fragte Kurtchen Gernolf und bemühte sich, die Ironie gerade eben so an der Wahrnehmungsgrenze zu halten.
"Die besten, die ich je hatte!" rief Gernolf fröhlich und hatte die Ironie aber genauso fein dosiert, daß sie nun ein bißchen ratlos voreinander saßen, im dicken, watteweichen Gebrumm und Gebrause der mittlerweile bumsvollen Kneipe.
"Apropos Anwalt", machte Gernolf plötzlich, der mit dem sicheren Instinkt desjenigen, der weiß, wann eine Geschichte auserzählt ist, die beiden Hammel von eben gar nicht mehr erwähnte. "Hast du gehört, dem Doktor Primero haben sie die Lizenz entzogen, oder suspendiert, ich weiß nicht, wie man da sagt bei Anwälten."
"Die... pffff... Zulassung entzogen?" versuchte Kurtchen, der es halt auch nicht wußte.
"Irgendwie so", sagte Gernolf und wischte Tabakkrümel vom Tisch, ohne sich darüber zu wundern, immerhin herrschten in der Extra Bar die gesetzlichen Rauchbeschränkungen, jedenfalls bis zehn, wenn der Wirt die Küche schloß. Kurtchen, der selbst eher ausnahmsweise rauchte, hatte es längst aufgegeben, hinter das Gesetz als solches und seine vielfältigen Aus- und Nebenregelungen sehen zu wollen, er nahm es, wie es kam und freute sich, wann immer ihm der Abend in einem dieser mediokren mittelurbanen Bistrolokale einfiel, in das er, weil aus beruflichen Gründen in einem ihm eher fremden Teil der Stadt gelandet, aus Zufall gelangt war und wo er das junge Servierfräulein gefragt hatte, warum hier überall geraucht werde. "Unsere Gäste rauchen gern", hatte das Fräulein ernst gesagt, das von einem Rauchverbot schien's noch nie etwas gehört hatte und überhaupt so aussah, als nehme es am politischen Tagesgeschehen eher gar nicht teil. So ging es nämlich schließlich auch.
"Es muß", fuhr Gernolf fort, "sich um irgendein Strafverfahren gehandelt haben, aber mehr so was Unterklassiges, ich glaube, was so normale Anwälte machen, hat mit dem Fall für zwei eher nichts zu tun. Jedenfalls soll der Primero direkt aus dem Moseleck ins Gericht gefallen und auf dem Gerichtsklo eingeschlafen sein. Ich hab das vom Weigand, und der hat es vom Nutten-Ludwig, der den, der da angeklagt war, wohl aus seiner Zeit beim Finanzamt kennt. Irgendeine Kiezprügelei, so was, ist auch egal. Jedenfalls ist der Primero dann wohl doch noch im Gerichtssaal erschienen, unrasiert und wohl irgendwie auch vollgepinkelt, jedenfalls immer noch total dicht, ohne Robe und alles, und der Richter hat gesagt, Herr Rechtsanwalt, schämen Sie sich nicht, wie Sie aussehen? Nein, hat der Primero da gesagt, Sie etwa? Da muß sein Mandant, irgendso ein Pitbull-Vokuhila, einen Lachkrampf bekommen haben, und der Primero auch, und der Richter schreit: Sie sind ja völlig verhandlungsunfähig! Und da hat, da hat", Gernolf lachte schon im Vorgriff auf die Pointe, "da hat der Primero gesagt, mit seinem Baß, du kennst ihn: DANN KÖNNEN WIR DIESEN PROZESS JA AUF AUGENHÖHE FÜHREN, HERR VOLKSGERICHTSRAT! Und dann hat er sich zu seinem Mandanten umgedreht und den gefragt, ob er mal Feuer hat, und der hatte, und Primero ist rauchend wieder raus aus dem Saal." (wird fortgesetzt)
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