Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Feindes Land
Heute morgen lag das „Zeit“-Magazin im Altpapierkorb, der im Treppenhaus die Prospekte aufbewahrt, bis sie wer entsorgt oder eben nicht entsorgt, und ich habe es (das Magazin) mit spitzen Fingern herausgezogen, so wie Alfred Biolek, nach eigener Aussage, immer das Feuilleton aus der FAZ zieht oder jedenfalls zog, er ist ja alt und krank, und ob er da wirklich noch Tag für Tag das Feuilleton aus der FAZ zieht, will ich gern bezweifeln. Meine Finger waren aber darum so spitz, weil ich gar nicht glaube, dass der „Zeit“-Abonnent im Hause als erstes, wenn er seine „Zeit“ aus dem Kasten holt, das Magazin wegschmeißt, wegen der Werbung vielleicht oder Martenstein, ich meine, wenn er Martenstein nicht mag, warum soll er dann die „Zeit“ abonnieren?
Nein, ich lege das Magazin nachher zurück, es wird aus dem „Zeit“-Packen herausgerutscht sein, ich wollte zum Frühstück nur was über den „Aufklärer, der nicht aufklären darf, S. 34“ erfahren, es geht da um NSU-Ermittlungen, oder sollen wir sagen: die einschlägigen Nichtermittlungen, und dass da in Thüringen ein Exermittler in seiner Waldhütte hockt und krankgeschrieben ist, weil er glaubt oder wissen will, dass da noch viel mehr falschgelaufen bzw. unterlassen bzw., wie das dann hinterher immer heißt, „versäumt“ worden ist, als man weiß, und er aber vor keinem Untersuchungsausschuss mehr sagen darf als das Allermindeste, Quellenschutz. Es geht in der (etwas wirren) Geschichte auch noch um zwei tote Kühe, von denen der Exermittler glaubt, sie seien ihm von Nazibauern vors Fenster gelegt worden und darum, dass vor der Hütte seit dem AfD-Triumph in Thüringen jetzt „Feindesland“ sei.
In der Morgenzeitung, derentwegen ich heute morgen überhaupt im Treppenhaus war, war dann zu lesen, ein Ingenieur habe der AfD sein gesamtes Vermögen in Höhe von sieben Millionen Euro vermacht. Hitler ist ja noch von der Großindustrie finanziert worden, seine Nachfolger kriegen’s jetzt von den Ingenieuren, und wenn ich an anderer Stelle die Einschätzung gewagt habe, die Welt, wie sie ist, sei ein einziger Triumph des Kleinbürgerlichen, so hab’ ich damit am Ende genauso sturheil recht wie mit der Voraussage, Annegret Kramp-Karrenbauer habe keine Chance und sie nie gehabt.
„die Mehrheit denkt wie wir und darf es nur geheim / Auch wenn sie das Gegenteil behaupten / sie sind doch alle Nationalsozialisten / das siehst du doch auf Schritt und Tritt / aber sie geben es nicht zu / ich kenne niemanden der nicht so denkt wie wir / … Das ist das Schreckliche … / dass wir der Welt nicht zeigen wer wir sind / wir zeigen es nicht / anstatt es zu zeigen ganz offen zu zeigen“ Thomas Bernhard, 1979
Nach dem Anschlag auf die Synagoge von Halle, den von einem Blutbad bekanntlich nur eine dicke Holztür getrennt hat, haben sich die Einsatzkräfte (oder vielleicht besser Nichteinsatzkräfte), berichten u.a. die „Süddeutsche“ und tagesschau.de, übrigens kein Bein ausgerissen. Wollte man es dem Anlass unangemessen humorisieren, so muss, während beim Anruf aus der belagerten Synagoge die Schüsse durchs Telefon knallten, der oder die Zuständige mit sehr viel Seelenruhe den Finger aus dem Popo gezogen haben, um dann nicht das SEK, sondern einen Streifenwagen vorbeizuschicken, dem eine Beamtin entstiegen sei, die weder Schutzkleidung angelegt noch sich um die vom Attentäter ermordete Passantin auf dem Gehsteig gekümmert, auch keinen Notarzt gerufen habe. Die Beamtin, sieht man wohl auf den Überwachungsbändern der Synagoge, spaziert ein wenig herum, bis dann nicht nur ein zweiter Streifenwagen erscheint, sondern auch der zwischenzeitlich mit dem Auto verschwundene Attentäter im selben, immerhin zur Fahndung ausgeschriebenen Auto zurückgekehrt und an den Beamten vorbeigondelt. Besonders bewacht war die Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag sowieso nicht.
Derweil legt Bundespräsident Steinmeier am Dresden-Gedenktag Wert darauf, dass die Deutschen angefangen hätten, und freut sich das Morgenblatt im Feuilleton, dass in Hamburg die „von den Nazis“ zerstörte Synagoge wieder aufgebaut werden soll. Dass der deutsche Ingenieur sein Vermögen nicht der jüdischen Gemeinde vermacht hat, leuchtet ein, wenn man sich klarmacht, dass die Juden ja sowieso das ganze Geld haben, und während oben fürs gute Deutschland geworben wird und in der Zeitung fürs gute Deutschland gelogen wird, bleibt Deutschland, sind wir ehrlich, so nicht so gut, wie wir es kennen.