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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Feindes Land

Heute morgen lag das „Zeit“-Magazin im Altpapierkorb, der im Treppenhaus die Prospekte aufbewahrt, bis sie wer entsorgt oder eben nicht entsorgt, und ich habe es (das Magazin) mit spitzen Fingern herausgezogen, so wie Alfred Biolek, nach eigener Aussage, immer das Feuilleton aus der FAZ zieht oder jedenfalls zog, er ist ja alt und krank, und ob er da wirklich noch Tag für Tag das Feuilleton aus der FAZ zieht, will ich gern bezweifeln. Meine Finger waren aber darum so spitz, weil ich gar nicht glaube, dass der „Zeit“-Abonnent im Hause als erstes, wenn er seine „Zeit“ aus dem Kasten holt, das Magazin wegschmeißt, wegen der Werbung vielleicht oder Martenstein, ich meine, wenn er Martenstein nicht mag, warum soll er dann die „Zeit“ abonnieren?

Nein, ich lege das Magazin nachher zurück, es wird aus dem „Zeit“-Packen herausgerutscht sein, ich wollte zum Frühstück nur was über den „Aufklärer, der nicht aufklären darf, S. 34“ erfahren, es geht da um NSU-Ermittlungen, oder sollen wir sagen: die einschlägigen Nichtermittlungen, und dass da in Thüringen ein Exermittler in seiner Waldhütte hockt und krankgeschrieben ist, weil er glaubt oder wissen will, dass da noch viel mehr falschgelaufen bzw. unterlassen bzw., wie das dann hinterher immer heißt, „versäumt“ worden ist, als man weiß, und er aber vor keinem Untersuchungsausschuss mehr sagen darf als das Allermindeste, Quellenschutz. Es geht in der (etwas wirren) Geschichte auch noch um zwei tote Kühe, von denen der Exermittler glaubt, sie seien ihm von Nazibauern vors Fenster gelegt worden und darum, dass vor der Hütte seit dem AfD-Triumph in Thüringen jetzt „Feindesland“ sei.

In der Morgenzeitung, derentwegen ich heute morgen überhaupt im Treppenhaus war, war dann zu lesen, ein Ingenieur habe der AfD sein gesamtes Vermögen in Höhe von sieben Millionen Euro vermacht. Hitler ist ja noch von der Großindustrie finanziert worden, seine Nachfolger kriegen’s jetzt von den Ingenieuren, und wenn ich an anderer Stelle die Einschätzung gewagt habe, die Welt, wie sie ist, sei ein einziger Triumph des Kleinbürgerlichen, so hab’ ich damit am Ende genauso sturheil recht wie mit der Voraussage, Annegret Kramp-Karrenbauer habe keine Chance und sie nie gehabt.

„die Mehrheit denkt wie wir und darf es nur geheim / Auch wenn sie das Gegenteil behaupten / sie sind doch alle Nationalsozialisten / das siehst du doch auf Schritt und Tritt / aber sie geben es nicht zu / ich kenne niemanden der nicht so denkt wie wir / … Das ist das Schreckliche … / dass wir der Welt nicht zeigen wer wir sind / wir zeigen es nicht / anstatt es zu zeigen ganz offen zu zeigen“ Thomas Bernhard, 1979

Nach dem Anschlag auf die Synagoge von Halle, den von einem Blutbad bekanntlich nur eine dicke Holztür getrennt hat, haben sich die Einsatzkräfte (oder vielleicht besser Nichteinsatzkräfte), berichten u.a. die „Süddeutsche“ und tagesschau.de, übrigens kein Bein ausgerissen. Wollte man es dem Anlass unangemessen humorisieren, so muss, während beim Anruf aus der belagerten Synagoge die Schüsse durchs Telefon knallten, der oder die Zuständige mit sehr viel Seelenruhe den Finger aus dem Popo gezogen haben, um dann nicht das SEK, sondern einen Streifenwagen vorbeizuschicken, dem eine Beamtin entstiegen sei, die weder Schutzkleidung angelegt noch sich um die vom Attentäter ermordete Passantin auf dem Gehsteig gekümmert, auch keinen Notarzt gerufen habe. Die Beamtin, sieht man wohl auf den Überwachungsbändern der Synagoge, spaziert ein wenig herum, bis dann nicht nur ein zweiter Streifenwagen erscheint, sondern auch der zwischenzeitlich mit dem Auto verschwundene Attentäter im selben, immerhin zur Fahndung ausgeschriebenen Auto zurückgekehrt und an den Beamten vorbeigondelt. Besonders bewacht war die Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag sowieso nicht.

Derweil legt Bundespräsident Steinmeier am Dresden-Gedenktag Wert darauf, dass die Deutschen angefangen hätten, und freut sich das Morgenblatt im Feuilleton, dass in Hamburg die „von den Nazis“ zerstörte Synagoge wieder aufgebaut werden soll. Dass der deutsche Ingenieur sein Vermögen nicht der jüdischen Gemeinde vermacht hat, leuchtet ein, wenn man sich klarmacht, dass die Juden ja sowieso das ganze Geld haben, und während oben fürs gute Deutschland geworben wird und in der Zeitung fürs gute Deutschland gelogen wird, bleibt Deutschland, sind wir ehrlich, so nicht so gut, wie wir es kennen.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Seid erschütterbar und widersteht

„König“ Zufall führte mich jetzt zweimal viertelstundenweise vor „Germany’s Next Topmodel“, und auf die Gefahr hin, mich sehr angreifbar zu machen, wunderte mich weniger die wunderhübsch unverhohlene Ausleseidee als der Pool, aus dem die Auslese erfolgte; wie soll ich das sagen. Sagen wir so: Man glaubt ja eine Vorstellung davon zu haben, wie so ein Supermodel aussieht, und die „Mädels“ (Heidi) bei „Heide Klump“ (Thomas Gsella) sehen partiell überhaupt nicht danach aus – wie soll ich das sagen. Sagen wir so: Ich hätte rein gar nichts gegen eine Welt, in der ambitionierte junge Frauen auch mit einer Körperhaltung, wie sie meiner liederlichen entspricht, und der zutiefst durchschnittlichen Aura durchschnittlich tätowierter Durchschnittsfräulein Topmodels werden können, aber dass die Welt, wie sie ist, so nicht ist, weiß Heidi freilich am besten. Es ist dies vermutlich eine zynische Mischung aus Identifikationsangebot einer- und der Gelegenheit andererseits, sich an fremder Durchschnittlichkeit zu weiden. Überdurchschnittlich war nämlich bloß der Satz einer Kombattantin: „Wenn ich nicht weiterkomm’, eskalier’ ich“, und der war die Viertelstunde aber wert.

Faszinierend jedenfalls die Lücke zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, und weil das natürlich meine ranzige Altmännerwahrnehmung ist, erinnere ich hier „gerne“ an TITANIC Heft 7/2002, Seiten 12ff., wo direkt überm Knick der Eröffnungsseiten ein Mann in den „besten“ Jahren sein Hemd bis zum Platzen füllt und allerspätestens anschließend alle Träume an ein Leben als Topmodel aufgegeben hat. Damals ging es um einen „antisemitischen Spaßwahlkampf in der Zone“, wo wir mit einem gelben Golf und allerhand Wahlkampfmaterial („Deutsche! Wehrt Euch! Wählt FDP!“) in die Fußgängerzone geprescht waren, um, der FDP-Politiker Möllemann hatte gerade dem Judenbengel Friedman das Misstrauen ausgesprochen, der lokalen Bevölkerung wie letztlich dem Eisenacher FDP-Kreisvorsitzenden philosemitische Spitzen zu entlocken: „Also viele sind froh, dass er“, Mölli, „mal ausspricht, was sich hier keiner zu sagen traut. Viele sind hier doch zurückhaltend, weil man Angst hat, die Dinge beim Namen zu nennen. Wissen Sie, das ist ein ziemlich heikles Thema, und man braucht Mut, um das auszusprechen! (vertraulich) Ich meine aber fast, dass es uns Stimmen bringt!“ Und zwar mindestens soviele wie das Wahlplakat mit der Aufschrift „Die liberale SpaSS-Partei“, gegen das der liberale Spitzenpolitiker nichts einzuwenden hatte: „Das ist Verpackung, das gehört dazu!“

„Schön, wie sich die Sterblichen berühren – / Knüppel zielen schon auf Hirn und Nieren, / dass der Liebe gleich der Mut vergeh… / Wer geduckt steht, will auch andre biegen. / (Sorgen brauchst du dir nicht selber zuzufügen; / alles, was gefürchtet wird, wird wahr!) / Bleib erschütterbar. / Bleib erschütterbar – doch widersteh.“ Rühmkorf, 1979

Es wird fast 18 Jahre dauern, bis mir der nächste ostdeutsche FDP-Kreisvorsitzende begegnet, diesmal des thüringischen Ilm-Kreises. Der wünscht sich via „Tagesthemen“, FDP-Ministerpräsident Kemmerich hätte „nicht so schnell aufgegeben“, und er bürgt für seinen Kreisverband. Caren Miosgas Satz aus der Anmoderation, Deutschland sei insgesamt „erschüttert“, ist also bloß eingeschränkt richtig: Deutschland ist erschüttert, soweit es nichts dagegen hat, dass Faschisten einen Ministerpräsidenten mitwählen, und weißgott nicht alle haben was dagegen. Der Kreisvorsitzende sagt, das seien doch gewählte Leute, und da hat er natürlich recht: Von Faschistinnen gewählte Faschisten repräsentieren den Volkswillen wie alle anderen auch, und der Volkswille ist, je nach Region, bis zu einem Viertel offiziell faschistisch, nichts zu machen.

König Zufall, dessen Zepter ich mich heute besonders willfährig füge, drückt mir eine Gremliza-Kolumne vom März 1989 in die Hand: „Der Erfolg der ,Republikaner’ lehrt, dass Nationalisten und Rassisten durch die öffentliche Beachtung ihrer ,Themen’ nicht besänftigt, sondern ermutigt werden; dass die Prinzipien antiautoritärer Erziehung an ihnen verloren sind und sie nur eines verstehen: den Stock – gesellschaftliche Ächtung, Drohung mit Entzug des Arbeitsplatzes und, wo sie laut werden, eins auf die Gosch“. Auf die Gosch kriegt aber bis heute eher die Antifa, zumal die im Osten, und sowenig ich gegen eine Welt hätte, in der eine ambitionierte Demokratie wüsste, was sie zu tun hat (etwa keinen Nazi mehr ins Fernsehen einladen), weiß ich doch am besten, dass die Demokratie, wie sie ist, so nicht ist, die deutsche schon einmal gar nicht, da kann sie erschüttert tun, wie sie will. Dass die Wessis die Ossis nach wie vor nicht verstünden, übermittelt eine Korrespondentin die lokale Stimmung, und mit ihrem Selbstwahrnehmungsproblem sind Klums Aspirantinnen also nicht allein.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Die andere Möglichkeit

Eine Metastudie – also eine Studie über Studien – hat festgestellt, dass die alte Beobachtung, Mädchen spielten anders als Jungen, der Triftigkeit nicht entbehre: Der männliche Nachwuchs interessiere sich, das legten die untersuchten Untersuchungen nahe, für Bagger, der weibliche für Puppen, Max fürs Raufen und Mia fürs Rollenspiel. Das Morgenblatt berichtete mit unverhohlener Genugtuung und schloss, jetzt könnten die Kinder, unbehelligt von Genderkram, einfach wieder „ihr Ding“ machen, so wie sie es, den wohlmeinenden Einflussversuchen der Erwachsenenwelt zum Trotz, ja immer schon getan hätten.

Nehmen wir an, die Beobachtung stimme; es ist ja gar nicht einzusehen, warum der Mensch, der ja sonst auch weithin atavistisch und naturhaft funktioniert, es in dieser Beziehung nicht tun sollte. Tucholsky, weißgott kein Rechter, hat sich wiederholt skeptisch über den mechanistischen Marxismus geäußert, der alles aufs Materielle, den Einfluss der Umwelt schiebe. Im Menschen, ich paraphrasiere frei, sei Verkehrtes angelegt, und damit sei zu rechnen.

Unterstellen wir also ruhig, es sei etwas dran: Jungen folgen Bewegung, Mädchen Farben, dann folgt daraus, anders, als es der Esel vom Morgenblatt glaubt, gerade nicht, man dürfe Mädchen in Rosa tauchen und Jungen in Blau. Die freie Gesellschaft wäre nämlich eine, in der jeder und jede die Wahl hat, und das Spielzeugregal mit den Plastikschnellkochtöpfen schränkt diese Wahl ein. Gesellschaft, wie wir sie imaginieren, ist immer: die andere Möglichkeit, ist nie das, was andere für uns vorsehen (und zwar aus Gründen für uns vorsehen). Neoliberale Metaphorik der Art, Globalisierung sei wie Stuhlgang, da sei nichts zu machen, beruft sich ja nicht zufällig auf Natur, denn Natur, das ist das Unausweichliche. So wie Menschen gelernt haben, sich vor Regen, Kälte, Hunger zu schützen, so können sie sich vor dem schützen, was ihnen (naturhaft) geschieht, und wer krank ist, geht ins Krankenhaus. Der Neoliberalismus sagt hier: Kein Geld, kein Krankenhaus, und genau das ist es.

„Ich kenne nichts ärmers / Unter der Sonn’ als euch, Götter! … Hier sitz’ ich, forme Menschen / Nach meinem Bilde, / Ein Geschlecht, das mir gleich sey, / Zu leiden, zu weinen, / Zu genießen und zu freuen sich, / Und dein nicht zu achten, / Wie ich!“ Goethe, 1774

Bei einer Abendbrotdiskussion mit liberalen Privilegierten, in der es um ihr und mein Privileg ging, nahmen die Privilegierten, bedrängt von meiner Frage, wer oder was unser Privileg denn rechtfertige, wie selbstverständlich bei der Biologie Zuflucht: Manches im Leben sei eben Pech, so wie manche eine Disposition für Alkoholismus oder Krebs hätten und andere nicht. Dass jeder seines Glückes Schmied sei, ist viel weniger die Parole als die Umkehrung: Das Glück ist eines jeden Schmied.

Es gibt ein berühmtes Experiment aus den sechziger Jahren, das einen Jungen, dessen Penis bei einer Beschneidung irreparabel verletzt worden war, als Mädchen deklarierte. David Reimer, der als Pubertierender beschlossen hatte, wieder als Junge zu leben, beging mit 38 Jahren Selbstmord, über seinen Fall wird bis heute diskutiert. Es ließe sich freilich schlicht finden, es müsse, bevor es ums Geschlecht (sex) geht, um die Geschlechterrolle (gender) gehen, die Erwartung, das dumm Binäre, das letztlich bloß der dummen Dichotomie von oben und unten entspricht. Rosa ist nicht das Problem; das Problem ist, dass aus dem Rosa etwas Graues folgt. Die Welt, wie wir sie uns vorstellen, sei aber keine graue, und daraus folge alles andere.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Zum besseren Verständnis

Mein vornehmster elterlicher Ehrgeiz ist, keinen elterlichen Ehrgeiz zu entwickeln, und doch denke ich manchmal, dass „Rainer Werner“ sehr gute, distinktorisch wertvolle Vornamen gewesen wären, zumal bei einem zweisilbigen Familiennamen auf -er, und schließlich heißen deutsche Serienschauspielerinnen auch nicht Liv Fries, sondern Liv Lisa Fries, wenn sie, zum Staffelstart von „Babylon Hauptstadt“, über das „Interesse an der Vergangenheit“ reden: „Wenn ich zum Beispiel mit meiner Oma rede, versuche ich immer zu verstehen, warum sie so denkt, wie sie denkt. Das ist eine Generationenfrage. Ich glaube, es geht um Bewusstsein und Reflexion darüber, was Menschen schon erlebt haben und was unsere Gesellschaft zu dem macht, was sie ist.“

Ihr Film- und Interviewkollege heißt vorbildlich profan Volker Bruch und kommt von Oma auf Opa: „Das war früher auch sein ,Jetzt’, und alles war irgendwie normal. Und deswegen interessiert mich, wie das, was für mich Geschichte ist, für die Menschen damals Realität war. Wenn man überlegt, warum junge Menschen die Entscheidungen treffen, die sie eben treffen, sieht man: Es sind immer auch gesellschaftliche Umstände, die zu etwas führen. Ein gesellschaftlicher Umstand, eine gesellschaftliche Not, die sich ein Ventil sucht. … Auch wenn viele Menschen heute auf diese Zeit blicken und sagen: Wie konntet ihr damals nur!“ Der Interviewer vom Morgenblatt hat verstanden, grad weil er weiß, dass es sich bei Fries und Bruch um „politische Menschen“ handelt: „Ein Urteil aus unserer heutigen gesellschaftlichen Situation wirkt da schnell anmaßend, weil man einfach nicht in den Schuhen der Menschen damals steckt.“ Und Bruch so: „Ja, genau.“ Und Fries so: „Das finde ich immer so interessant, weil man sich selbst ja nie gesellschaftlich oder geschichtlich einordnet, sondern immer nur im Jetzt ist, alleine mit seinen Problemen. Man ordnet sich nie in einen gesellschaftlichen Zusammenhang ein. Weil man immer nur diese eine Person in diesem einen Moment ist.“

„You'll stumble in my footsteps / Keep the same appointments I kept /
If you try walking in my shoes / Try walking in my shoes“ Depeche Mode, 1993

Gern will ich Liv Lisa Fries gelegentlich ein Bier ausgeben dafür, diesen Umstand tatsächlich „interessant“ und nicht saudummdoof „spannend“ gefunden zu haben; aber wen meint sie so verständnisvoll mit „man“? Den Schwimmbadkursvater, der, während sein kleiner Sohn unter seiner Aufsicht duscht, das Handy in der Hand hat? Die Schwimmbadkurseltern, die jede Woche wieder die Notfallplastiksäcke über die Turnschuhe ziehen, weil sie keinen Bock auf Badelatschen haben? Alle anderen, die sich nicht gesellschaftlich einordnen, sondern im Ruheabteil quatschen, den Q7 auf die Sperrfläche stellen und ihre Köter den Bürgersteig vollscheißen lassen? Oder doch diese Personen in diesem einen Moment, die, weil sie ein Ventil brauchen, Trump oder Orbán oder Höcke oder Hitler wählen?

Um Gerhard Polts Jahrhundertsatz zu variieren: Wer ist „man“? Ich nicht; und aber jedenfalls triftig, dass sich Bundespräsident Steinmeier in Yad Vashem schon wieder ausführlich für deutsche Verbrechen entschuldigt hat. Das kann er auch, denn die Verbrecher sind tot, die Überlebenden beinah sämtlich auch, und die Jungen ordnen sich gesellschaftlich oder geschichtlich nicht ein, sind immer nur im Jetzt, alleine mit ihren Problemen, und wollen sich keine Urteile mehr anmaßen, es sei denn, einer ist nicht vegan, da hat sich des Veganers Bruch alte Sichtweise, „dass jeder es so machen soll, wie er will“, geändert, und das lesen wir dann auch gefettet („Da hat sich meine Sichtweise geändert“). Weil, sein Opa, der musste letztlich Hitler wählen, aber heute, da muss man nicht mehr müssen, sondern macht sein Ding, und Spätere werden hoffentlich nicht so anmaßend sein, kein Verständnis zu haben.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Hau rein

Da man, wie wir von Pippi Langstrumpf wissen, viel zu hören bekommt, bevor einem die Ohren abfallen, mir meine Ohren aber lieb sind, lese ich verdächtige Artikel („Viele Eltern verzweifeln, weil ihre Kinder nicht lesen“) mitunter nicht, sondern scanne sie auf Stellen, die mein Vorurteil bestätigen, ich bin da richtig gut drin: „Meine Zehnjährige … gehört zur Fraktion der Literaturbegeisterten … Bei uns zu Hause sind Bücher sehr präsent … Vor allem verstopfen sie das Kinderzimmer meiner jüngeren Tochter, die sich ihren Proviant bei ihrer älteren Schwester besorgt, aber auch in der Stadtbibliothek … Ja, es kann auch nerven, sie von den Büchern wegzerren zu müssen, wenn es Essen gibt … Schon in der vierten Klasse hatte meine Tochter alle Harry-Potter-Bücher durch“ – um einen alten Satz Oliver Maria Schmitts aus dem Zusammenhang zu reißen: Etwas Widerwärtigeres kriegt man selten aufgetischt.

Denn das musste ja nun raus, welch wunderbarem Bücherhaushalt der SZ-Mann Christian Mayer vorsteht und dass seine klugen Töchter nicht zu den dummen Smartphone- und Videogören gehören, sondern Bücher verschlingen, ja regelrecht „Proviant“ brauchen; und da Metaphern selten ganz unschuldig sind, weist der Umstand, dass man auf Bücher „Heißhunger“ hat, auf ebenjenes Konsum- und Binge-Prinzip, das später, läuft es schlecht, für den Verzehr von etwas so Superleckerem wie einer „Gebrauchsanweisung fürs Lesen“ sorgen wird.

Geschrieben hat’s, natürlich, die Literaturquaktasche und Piper-Vorsitzende v. Lovenberg, die uns die Spitzenkitschgeschichte serviert, wie sie als Kind „ihre Zeit am liebsten mit den Figuren ihrer Bücher“ verbrachte, „mit Pippi Langstrumpf, Tom Sawyer, Oliver Twist“ und darum jetzt ein besserer Mensch ist: „Lovenberg glaubt fest daran, dass Lesen zu einem glücklicheren Leben führt, zu mehr Empathie, Gelassenheit und innerem Gleichgewicht – vorausgesetzt, dass Bücher rechtzeitig zu einem finden“, und da müssen Eltern jetzt schon wieder aufmerken, dass sie’s nicht von neuem falsch machen. Denn was Adorno in seinen „Reflexionen zur Klassentheorie“ den „Doppelcharakter der Klasse“ nannte, ist, dass sich Klasse nicht nur im Gegensatz zum Außen, sondern auch durch Kontrolle nach innen statuiert, und da sind die Bürgersleut’, allwo zuhaus eine sog. Bildung herrscht, nun mal obenauf. Denn wer liest, ist gelassener und ausgeglichener, also geradezu resilienter, und arm und belesen zu sein wär’ immerhin Poesie, während dumm und arm das Klassenziel schon einigermaßen verfehlt.

„Viel hilft viel.“ Volks(wirtschafts)weisheit

Wer liest, kann dann später auch Sätze husten, die mit „Insofern ist es wenig zielführend“ beginnen, und wen solche Sätze sowenig stören wie das unvermeidliche „Jungs“ (die schon eo ipso lieber Minecraft spielen), der sorgt denn auch fürs Bestsellerregal, wo man immer gar nicht weiß, was man zuerst stehenlassen soll. Meine freundliche Quartiersbuchhandlung macht bald Inventur, und vielleicht sollte ich helfen und könnte dabei das Verhältnis von vorrätiger Literatur in einem etwas engeren Sinne und Lesefutter bestimmen, ein Verhältnis, das nach konservativer (meiner) Schätzung bei eins zu zwanzig liegt. Das ist nur marktgerecht: In den Erdgeschosswohnungen meines linksgrünbürgerlichen Quartiers hat der Durchschnittsfernseher eine Bildschirmdiagonale von einsfünfzig, in den USA entwickeln sie jetzt erste Serienfomate speziell fürs Smartphone, und in Deutschland kann jedes sechste bis fünfte Kind überhaupt nicht gescheit lesen.

Deutschland ist übrigens laut Mayer „das Land von Goethe und Schiller, von Saša Stanišić und Juli Zeh“ wie auch das von Mayer, Scheck und Elke Heidenreich; und wer da beim Lesen gelassener und glücklicher wird, der kann es, fragt man mich, der beim Lesen nicht Wellness, sondern Widerstand sucht, auch gleich bleiben lassen.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Schnipsel

„Es is halt, sagn wer mal, um diese Zeit, bei minus acht Grad mitm Bootsverleih, weniger turbulent. […] Schaun Sie, es is weit und breit niemand da. Und diese Ruhe. Ich hab mir jetzt eine Regensburger mitgebracht und a Essiggurkn, und … ich könnt mir’s nicht schöner vorstellen. Ich kann mer’s nicht, es ist doch … Da, schauns her, man kann zuschaun, wie des langsam zufriert, und … die Gewissheit, dass heute keiner mehr kommt und ein Boot will, is doch … verstehn Sie!“ (Polt, Youtube s.v. „Bootsverleih“)

Ich versteh’s; die junge Dame en passant, die ihrem Begleiter mehrmals hocherfreut mitteilt, wie „angenehm“ sie die märzhaften zehn Grad plus am 10. Januar findet, „was für ein wirklich angenehmes Wetter!“, versteht’s evendöll schon weniger. Denn der Vorteil ist, sie könnt’ ein Boot ausleihen, wenn ihr nach Bootausleihen wär’, und sich beim Bootfahren auf den baldigen Frühling freuen, dem der Sommer folgt, der, rechnen wir’s aus und hoch, gewiss weniger angenehm werden wird. Aber scheißegal; bzw. wär’ dies ein sog. Zusammenhang, und dass man den nicht herstellt, egal wie’s in Australien brennt, darum geht’s.

*

„Bildungsrepublik“ ist, wenn kein Anschreiben der Schule ohne zwei bis fünf Kommafehler auskommt. Das muss so sein, denn der Enkel der Freundin der Mutter hat in der Oberstufe eine Eins in Deutsch, soll aber, sagt die Lehrerin, erzählt die Oma arglos, bitte an seiner schlimmen Rechtschreibung arbeiten. – Früher war Form der höchste Inhalt, heute geht’s allein darum, was hinten rauskommt. Und was hinten rauskommt, wissen wir.

*

Es hat einen tiefen, schönen Sinn, dass Bruegels berühmtes Wintergemälde „Die Jäger im Schnee“ den Nebentitel „Heimkehr der Jäger“ trägt. Die Gewissheit, dass heute keiner mehr kommt, es sei denn zum Schlittschuhlaufen; diese Ruhe aus getanem Tagwerk, tiefem Schnee und der Regensburger zum Abendbrot. Schnee, das bedeutet Stille, Stillstand; dass es, wie wir „Hysteriker“ (Nuhr) fürchten, damit ein Ende hat, setzt genau die Raserei ins Bild, die ihn, den Schnee, jetzt abschafft.

*

„In Wintermonaten weniger Mofas. / Der Wasserkessel auf der Ofenplatte summt. / Wir kennen die kälteren Zeiten. / Näher zwei Krähen, die plötzlich, / vor dem Fenster, verschwunden sind. / Wir schließen die Läden, / horchen noch / und halten die Uhr an.“ (Jürgen Becker) „One must have a mind of winter“ (Wallace Stevens). „Sommerschnee und Winterhitze demonstrieren gegen den Materialismus, der das Dasein zum Prokrustesbett macht“ – dass Karl Kraus einmal bloß zur Hälfte recht hätte, wir hätten’s kaum für möglich gehalten.

„ … noch einmal und es taut: der Schnee.“ Blumfeld, 2006

Das „Jahr der Scham“, wie die „Süddeutsche“ das vergangene zu Silvester in immer wieder gleich dummer Halbironie resümierte dergestalt, dass zur Flugscham jetzt auch Fleisch-, Internet- und letztlich Ausatem-Scham getreten sei oder immerhin zu treten habe, wenn es nach den Hysterikern geht usw. – dass es diese Scham (oder überhaupt welche) hierzulande nicht gibt, belegen allerdings nicht nur alle Zahlen zu Flugverkehr, Großautokauf und Konsum. Sondern halt auch die stur vorgetragenen, schamlosen Propagandamätzchen der Qualitätsspitzenpresse, der es um nichts als ums angenehme Konsumklima geht. Da kann es draußen scheppern, wie es will.

*

Und auch wenn wir dialektischen Materialisten und gottweißwie kritischen Theoretiker wissen, wie die Eliten die Massen manipulieren und dass nichts, was geschieht, etwas anderes wäre als ein Ausdruck von Klassenkämpfen, die, kulturindustriell verbrämt und propagandistisch aufgehoben, außerhalb Frankreichs kaum wen mehr kümmern: Nach dem elenden Brexit-Gewürge, das ja nun, wie’s aussieht, ein Ende mit Schrecken nimmt, möchte ich, auch wenn’s letztlich falsch ist, stoßseufzend den Slogan der Spitzenfirma Congstar variieren: Ihr wollt es. Ihr kriegt es.

Und dann ist’s, bitte, auch „gut“.

*

Und schließlich apropos: Der Unterschied zwischen Humanität und Barbarei ist gar nicht schwer zu bestimmen. Es ist genau der zwischen Polts Bootsverleiher und den drei Vollidioten (m/w) aus der Congstar-Werbung.

Verstehn S’.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: In der Balance

Jetzt hat der Leser, hat die Leserin wieder ein Jahr Sonntagsfrühstück vor sich, und vielleicht sogar wieder eins ohne Sommerpause, und wer immer findet, dass ich mal eine hätte machen sollen, der wisse, dass mir meine Idiosynkrasien sogar im Schlaf erscheinen; und ich tatsächlich geträumt habe, ich hätte rote New Balance-Turnschuhe an, und zwei Gedanken parallel hatte: dass das gut aussieht und eigentlich nicht geht.

Dazu muss man wissen (und weiß man aber, wenn man allsonntäglich „dran“ geblieben ist), dass mir ein waches oder magsein paranoides Empfinden für zeitgenössische Uniformierungen eignet, weil nämlich die Individualität, um die die freie Welt und dieses wunderbar freie Land herumgebastelt sind, meistenteils darin besteht, dass alle ohne weiteres das machen, was alle machen, und das Nachmachen machen gerade die, die sich auf ihre Übersicht Gott weiß wieviel zugute halten.

In meinem Viertel tragen die Erwachsenen Turnschuhe. Das ist ein polemischer Satz, denn natürlich tragen nicht alle Erwachsenen Turnschuhe; viele tragen auch Wanderstiefel. Von den zehn oder allenfalls zwanzig Prozent, die weder Turn- noch Wanderschuhe tragen, trägt die Hälfte diese australischen Rinderzüchterboots, die ich selbst mal hatte und die in der Straßenbahn neulich eine komplette Wohlstandsfamilie auf dem gut versiegelten Boden hielt. (Es ist ja nicht richtiggehend „falsch“, wenn die Söhne so aussehen wie die Väter und die Mütter so aussehen wie die Töchter; aber ist es darum – richtig?)

„Ich lerne sehen – ja, ich fange an.“ Rilke, 1910

Das gilt auch für den Turnschuh, der einst Uniformferne ausdrücken sollte und heute, wenn der Augenschein etwas besagt, zur Uniform gehört. Junge Eltern, die ja heute nicht mehr ernstlich jung sind, tragen Jeans und New Balance (wg. nicht aus dem Sweatshop), falls sie nicht Wolfskin und Wanderstiefel tragen, die idealerweise „Renegade“ heißen; wie das evtl. Erstaunlichste an der Gegenwart ist, wie wenig sich die Leut’ für Ideologie interessieren noch dann, wenn sie ihnen mit dem Hintern ins Gesicht springt. Die jahrzehntelange Abrichtung darauf, Ideologie sei, wenn man für einen Stasi-Witz nach Bautzen muss, trägt dicke Früchte, wenn die Kälte des Kosmos aus Resilienz mal Beweglichkeit, SUV plus Waldkindergarten schlicht gar nicht mehr empfunden wird. Also stiefeln alle durch eine feindliche Welt, in der jeder allein und für sich selbst verantwortlich ist, weshalb Neonwesten und grelle Fahrradhelmüberzüge immer populärer werden, nicht obwohl, sondern weil sie so entsetzlich sind. („Aber Neon rettet doch Leben!“ Falsch: Was Neon rettet, ist bloß eine Schwundstufe, und nicht die erste.) Und falls sie nicht stiefeln, dann tragen sie Sport, denn Sport ist nicht Mord, sondern alles. (Deshalb fallen Chucks auch heraus, denn mit denen kann nur Sport treiben, wer nicht älter als zwölf ist. Klassiker werden Klassiker, wenn Ideologie aus ihnen verdunstet.)

Wiederum soll sich niemand grämen, weil ich anmaßenderweise dekretiere, welche Schuhe man tragen darf und welche nicht, der Einzelfall ist ja ganz uninteressant. Was ich bloß nicht verstehe, ist, dass nie mal wer was merkt; falls sie’s denn überhaupt merken wollen und nicht sogar eine Sehnsucht nach der Masse haben, nach dem Gleichschritt als rundum Neuer Balance, die ich nicht fanatisch nennen will, damit das Jahr nicht unversöhnlich anhebt. – „Versöhnlich“, ach was: Waldkindergärten sind neoliberale Nazischeiße (Draußen zuhause / Ein deutscher Junge friert nicht), und man soll als Passantin in Wanderstiefeln und Outdoorhose (mit Reflektorstreifen) nicht in sein dummes Telefon tippen und das füglich quengelnde Kind dabei mit „Alles gut“ abspeisen, weil ich sonst nämlich kotzen muss.

So. Bis gleich!

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Keine Frage, DHT Speditionsgesellschaft,

steht da auf Deinen Lkw, sondern eine Aussage: »Lust auf Last«.

Als Du damit auf der Autobahn an uns vorbeirauschtest, waren wir erst mal verwirrt: Kann man wirklich Lust auf etwas haben, was laut Duden »durch sein Gewicht als drückend empfunden wird«? Erst dachten wir noch, dass Du vielleicht was anderes damit meinst. »Last Christmas, I gave you my heart«, »Last uns froh und munter sein«, »I last my heart in San Francisco« – irgendwie so was.

Aber offenbar behauptest Du tatsächlich einfach, dass Du Spaß an der monotonen und zermürbenden Aufgabe hättest, dem Kapitalismus seine Waren über die stinkenden Autobahnen zu fahren, dabei Sonntage auf zugepissten Autohöfen zu verbringen und Dich beim Überholmanöver von Teslas und Audi A-Sonstwas anhupen zu lassen. Diese »Lust« wünschen wir Dir von ganzem Herzen, aber vermuten doch ganz stark, dass Dir der Spruch von jemandem auf den Lkw diktiert wurde, der bei der Berufswahl »Lust auf Marketing« hatte und seine Mittagspausen nicht in der Fahrerkabine, sondern beim Bagel-Laden in der Innenstadt verbringt.

Fahren an der nächsten Ausfahrt ab: Deine Leichtgewichte von Titanic

 Mal halblang, Polizei Düsseldorf!

Irgendwie war ja zu erwarten, dass Du Dich in Deinen Ermittlungen zum Anschlag in Solingen von rassistischen Debatten und wütenden Rufen nach Massenabschiebungen beeinflussen lässt. Wenn Du in einem Aufruf an die Bevölkerung aber auch noch um »Angaben zur Herkunft der abgebildeten Regenjacke« bittest – gehst Du damit nicht ein bisschen zu weit?

Deine Sittenwächterin von der Titanic

 Hmmm, Aurelie von Blazekovic (»SZ«)!

Am Abend der Wahlen in Thüringen und Sachsen hatte die ZDF-Chefredakteurin Schausten dem 1. September 2024 den 1. September 1939 an die Seite gestellt, und dazu fiel Ihnen dies ein: »Das Dämonisieren von Rechtspopulisten hatte bisher keinen Erfolg. Egal, wie richtig es ist, dass die AfD gefährlich, radikal, extrem ist. Politiker, Journalisten, Demokratieverteidiger können das immer noch lauter und lauter rufen – aber es bringt nichts. Die berechtigten Warnungen sind inzwischen leere Formeln. Die Wahlergebnisse der AfD sind immer besser geworden, der Trotz immer erheblicher. Die Tatsache, dass sie sich beständig als Opfer von Medien inszenieren kann, hat der Partei genutzt. Es ist nicht die Aufgabe von Bettina Schausten, die AfD kleinzukriegen, sondern die der anderen Parteien. Sie sollten mal über den Tim-Walz-Weg nachdenken. Ist Björn Höcke etwa nicht weird

Ist er. Hitler war es auch, und ihn als »Anstreicher« (Brecht) oder inexistenten Krachmacher (Tucholsky) zu entdämonisieren, hat bekanntlich so viel gebracht, dass diese Sätze nie haben fallen müssen: »Man hat mich immer als Propheten ausgelacht. Von denen, die damals lachten, lachen heute Unzählige nicht mehr, und die jetzt noch lachen, werden in einiger Zeit vielleicht auch nicht mehr lachen.«

Wegweisend winkt Titanic

 Wie Ihr Euch als Gäste verhaltet, liebe »Zeit online«-Redaktion,

ist uns wirklich schleierhaft. Immerhin empfehlt Ihr allen guten Besucher/innen, beim Verlassen des Gästezimmers »mehr als eine Unterhose« anzuziehen. Da drängen sich uns einige Fragen auf: Ist Euch im Höschen öfters kalt? Ist das wieder so ein Modetrend, den wir verpasst haben? Gibt es bei Eurem Gastgeber keine Toilette und Ihr müsst vorbeugen?

Und wie trägt man überhaupt mehr als eine Unterhose? Muss man sich Buxen in aufsteigenden Größen kaufen oder reicht ein erhöhter Elastan-Anteil? Wie viele Schlüpferlagen empfiehlt der Knigge?

Denkbar wäre etwa, bei engen Freund/innen zu zwei, bei Geschäftskolleg/innen jedoch zu mindestens fünf Slips zu greifen. Aber wie sieht es aus bei der nahen, aber unliebsamen Verwandtschaft?

Trägt zur Sicherheit immer mindestens drei Stringtangas: Titanic

 Puh, Lars Klingbeil!

Gerade wollten wir den Arbeitstag für beendet erklären und auch die SPD mal in Ruhe vor sich hin sterben lassen, da quengeln Sie uns auf web.de entgegen, dass es »kein Recht auf Faulheit gibt«. Das sehen wir auch so, Klingbeil! Und halten deshalb jeden Tag, an dem wir uns nicht über Ihren Populismus lustig machen, für einen verschwendeten.

Die Mühe macht sich liebend gern: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

 Kurzzeitgenossen

Bei der Meldung zu Anton Bruckners 200. Geburtsjubiläum (4. September) und dem tags darauf sich jährenden Geburtstag Heimito von Doderers (5. September) mit Interesse bemerkt, dass beide Herren im Jahr 1896 kurz gleichzeitig am Leben waren: nämlich fünf Wochen und einen Tag lang, von Klein-Heimitos Entbindung bis zu Bruckners Tod am 11. Oktober. Solche ganz knapp verpassten Möglichkeiten der Seelenwanderung faszinieren mich. Was wäre gewesen, hätte man Doderer etwas später zur Welt gebracht, wäre Bruckners Geist schon ein paar Wochen früher »frei« gewesen? Hätte Wien / Ansfelden ein reinkarniertes Doppeltalent Heimtoni von Brucknerer überhaupt ausgehalten, hätte die literarisch-musikalische Welt unter dem Eindruck der »Strudlhofsinfonie«, des »Rondo in c-Moll für Streichquartett und einen Merowinger« (Alternativtitel: »Die tonale Familie«) oder der kurzen vierstimmigen Motette »Die Peinigung der Orgelpfeifelchen« vor Entzücken und Überwältigung alle viere von sich gestreckt, aufgegeben und ihren Kulturbeutel auf immerdar zusammengepackt? – Dass das Spekulieren über solche vergeigten Leider-nicht-Seelenwanderungen nur sehr ausnahmsweise Sinn ergibt, dämmerte mir aber, als ich ad notam nahm, mit welchen Gruselgestalten und potentiellen Reinkarnationsgefäßen seinerseits Doderer seine allerletzten Tage im Herbst 1966 verbringen musste: Stefan Raab (*20.10.66), David Cameron (*9.10.66), Caroline Beil (*3.11.66) und sogar noch haarscharf David Safier (*13.12.66, »Miss Merkel – Mord am Friedhof«; »Der kleine Ritter Kackebart«). Dann schon lieber die Seele mit in die Hölle nehmen.

Michael Ziegelwagner

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

 Reality-TV

Bei der Fernsehserie »Die Nanny« gibt es diese eine Szene, in der die Mutter der Nanny, Sylvia Fine, in einem Pariser Restaurant mit dem Kellner kommunizieren will. Da sie kein Französisch spricht, nutzt sie zum Austausch ausschließlich den Text des französischen Kinderliedes »Frère Jacques«: Mit »Frère Jacques« ruft sie den Kellner, mit »Ding-ding-dong« fordert sie einen neuen Kaffee und so weiter. In der Serie klappte das sehr gut, und als Kind fand ich es auch ausgesprochen lustig, war mir allerdings sicher, dass das in der Realität nie funktionieren würde – bis es mir selbst gelang. Das kam so: Im Fitnessstudio wartete ein junger Mann am Tresen vergeblich auf einen Trainer. Vergeblich, weil er die im Tresen eingelassene Klingel nicht betätigt hatte. Nun hatte ich ihn während des Trainings Französisch sprechen hören, sprach allerdings selbst keines. Da ich aber der Einzige war, der sein vergebliches Warten bemerkte, ging ich schließlich hin, zeigte auf die Klingel und sagte »Sonnez les matines! Sonnez les matines!« Er verstand sofort und klingelte ausgiebig. Kurz darauf erschien der Trainer und ließ ihn hinaus. Da soll noch mal einer sagen, Fernsehen würde im Leben nicht helfen.

Karl Franz

 Im Unterzucker

Wenn man sich bei seinem Lieblingsitaliener keine Pizza bestellen kann, weil man nicht alle Vespas auf den Fotos gefunden hat – liegt das dann am nicht bestandenen Turin-Test?

Lara Wagner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
09.10.2024 Lorsch, Theater Sapperlott Max Goldt
11.10.2024 Coesfeld, Stadtbücherei Gerhard Henschel
12.10.2024 Bad Lauchstädt, Goethe Theater Max Goldt
12.10.2024 Freiburg, Vorderhaus Thomas Gsella