Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: You Name It
Früher oder später erwischt es ja viele, und bei mir war es jetzt soweit: CDU zu werden. Ich bin nun CDU, denn die CDU immerhin hat Bedenken angemeldet, ob inskünftig, wie von Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium vorgesehen, sich alle zehn Jahre sowohl Familien- als auch Vorname „anlasslos“ wechseln lassen sollen. Zwar sei, lauten die Bedenken, das Namensrecht in der gegenwärtigen Fassung „unübersichtlich“ und trage der wachsenden Zahl von Patchworkfamilien nicht Rechnung, aber aus Gründen der „Rechtsklarheit und Rechtswahrheit“ sei es besser, „dass Namen nicht beliebig oft und aus beliebigem Grund gewechselt werden können.“
Die SPD dagegen lobt das Ganze, sie hält es für eine Stärkung der persönlichen „Autonomie“, und dass die Verkommenheit dieser wunderbaren Partei immer neue Gipfel erklimmt, sei hier wieder mal gelobt. Denn wo gäb’s Autonomie denn anders als simulierte, und kennen „Individualitäts-“ und Wettbewerbsgesinnung eh schon keine Grenzen mehr, wenn Eltern ihren Nachwuchs Tusnelda-Marie Jolante oder Ron John Don nennen, macht die SPD das, wozu einzig sie noch da und nütze ist: Öl ins Feuer kippen.
An dieser Stelle hieß es neulich, gesellschaftlicher Fortschritt sei, nichts als „Schicksal“ hinzunehmen, und es gibt diesen schönen jüdischen (freilich auch realsozialistisch und vermutlich noch vielfach sonstwie adaptierten) Witz, wo ein Jude 1933 auf dem Amt mit dem Wunsch nach Namensänderung vorstellig wird: „Wie heißen Sie denn?“ „Adolf Stinkfuß.“ „Na, so möchte ich auch nicht heißen! Wie lautet Ihr Namenswunsch?“ „Moritz Stinkfuß.“ Wer sein Lebtag mit seinem Vornamen gehadert hat, für den mag’s jetzt eine Erleichterung sein, dass er ihn ändern darf; und nach zehn Jahren wieder, je nach kurrenter Lust und Mode.
„Die Individualität ist von der Besonderheit zu unterscheiden“ Hegel, 1821
Könnte man nun sagen: Was regt sich Gärtner auf, soll doch jeder heißen, wie er will. Vielleicht stimmt’s, und ich muss mich gar nicht aufregen. Was aber mit Sicherheit nicht stimmt, ist, dass derlei „Ferz“ (frankfurterisch für: Hirnfürze) die freie Entwicklung des einzelnen wären, die für die freie Entwicklung aller einsteht. „Sich neu erfinden“ im Dezenniumstakt ist bloß Teil totaler Selbstvermarktung und überdies ein aufschlussreiches Komplement: Denn einerseits brauchen wir Identität und Wurzeln und derlei, andererseits dürfen wir unsere Vergangenheit nach eigenem Ratschluss tilgen und statt Jakob dann Günter, statt Günter Rasputin und statt Rasputin Müller-Westernhagen Marius Maria Grönemeyer heißen. Und immer wieder anders: der Triumph reiner Gegenwart, und immer schreien alle „Orwell!“, aber wenn er mal einschlägig ist, sieht es niemand.
„Namen“, lautet ein bekanntes Dekret des Sozialdemokraten Carlo Schmid, „sind Realitäten erster Ordnung“, und das war natürlich damals schon Quatsch. Namen sind nämlich Schall und Rauch, und wer heute noch auf einer Lohnliste steht, von dem weiß morgen keiner mehr, wie er gestern hieß; es sei denn, er hieße Ingoflur Blühdorn, ein Name, den man sich merken muss (im Sinne von: man kann nicht anders!) und der, es gibt ihn wirklich, vielleicht nicht der beste, aber auch nicht der letzte Grund ist, das neue, prima Buch von Freundin Kathrin Hartmann zu kaufen, die nämlich weiß, dass kapitalistische Auswege meist bloß Sackgassen sind.