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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Deutsche, wehrt Euch!

Ich habe, ich muss es gestehen, mich mitschuldig gemacht, als ich vor Wochen, beim Warten auf die U-Bahn vorm Fahrgastfernsehen, mich nicht einmischte, als die zwei freundlichen Kleinbürger drei Sitze weiter sich so über die Schlagzeile „16jähriger greift 19jährigen mit dem Messer an“ freuten, weil sie nämlich genau wussten, wie absichtsvoll hier die Migrationshintergründe verschwiegen worden seien; und natürlich war es in erster Linie Feigheit, in zweiter aber das Wissen, dass Alltagsrassismus so heißt, weil er Alltag ist, und wie und zu welchem Ende wehrt man sich gegen Alltag?

Dass wir uns jetzt aber wirklich mal langsam wehren müssten, war die einhellige Überzeugung der Medienarbeit in den Stunden und Tagen nach Hanau, und Rainald Becker, dieser verlässliche CDU-Esel in Diensten des SWR, schoss in den Tagesthemen so furchtlos gegen die spalterische Hetze der AfD, wie es Altenbockum, auch ein sehr Verlässlicher, in seiner FAZ gegen das schlimme Internet tat, in dessen „Darkroom“ (erstaunlich, wie sicher der aufrechte Heteromann Altenbockum nach den passenden Metaphern fasst) sich „Verschwörungstheorien, Verfolgungswahn und Menschenverachtung“ verbänden; wie, die Weisheit des Weltgeistes ist eo ipso unerreicht, amerikanische Untersuchungen lt. SZ schon am Tag vor Hanau herausgefunden hatten, dass rechte Propaganda vom schnellen Internet profitiere. Geradezu in die Mangel nahm Caren Miosga, vor Beckern, den hessischen CDU-Innenminister, die Polizei müsse doch unsere migrantischen Nachbarn schützen, und was mit den NSU-Akten sei, die die Hessen nicht herausrückten, und zum zweiten fiel dem Minister freilich wenig, zum ersten aber füglich ein (ich übersetze), die Polizei könne ja nun nicht vor jeder Shishabar und jedem türkischen Imbiss Posten beziehen. Was, bedenkt man die Nazis in der Polizei selbst, die vom Faxgerät des Reviers Opferanwältinnen Drohbriefe schicken, vielleicht auch kontraproduktiv wäre.

„Wäre es da / Nicht doch einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und /
Wählte ein anderes?“ Brecht, 1953

Hanau, das sind wieder mal die sog. Versäumnisse: das sind die Waffen, die Tobias R. als Sportschütze legalerweise hatte; das sind seine Youtube-Botschaften, die im großen weiten Internet für niemanden, der nicht gezielt danach suchte, auffindlich waren; das ist ein Verfassungsschutzpräsident, dessen rechtsnationale Sympathien jahrelang kein Problem waren. Könnte freilich sein, dass der Eifer, mit dem sich Presse und Funk auf all das stürzen, nicht nur damit zu tun hat, dass Presse und Funk die sog. Ausländerpolitik in diesem Land, vom widerwärtigen „Asylkompromiss“ nach den Pogromen der Neunziger bis zur europäischen Frontex- und Hopp-Politik heute, so gut wie immer mitgetragen haben und eine Kraft wie Becker, die sich jetzt gegen die Gleichsetzung von links und rechts ins Zeug legt, für genau diese Gleichsetzung mit „DDR light“-Gerede in Richtung Linkspartei jahrzehntelang einstand. Nein, sie ahnen auch, dass das Problem nicht die Nazis in der Polizei und die Nazis als V-Leute und die Nazis in den Parlamenten sind, sondern die freundlichen Nachbarn in der U-Bahn, die einen guten Döner zwar schätzen, Türken aber nach wie vor für natural born Messerstecher halten und deshalb auch gar nicht verstehen, was alle gegen Sarrazin haben.

Georg Mascolo, der in den Tagesthemen als „ARD-Terrorexperte“ firmierte, wünschte sich fromm die Lichterketten zurück; doch so hell kann es gar nicht werden, dass es Licht ins Dunkel jener Köpfe brächte, die die Nazis in die Parlamente wählen oder den Nazis in den Parlamenten mit Heimat- oder homophober oder Leitkulturscheiße (ja, Frau Dorn, auch Sie sind gemeint) vorarbeiten und mit Nazis allzeit reden wollen; wobei der Hang zum Selbstgespräch ja verbreitet ist. „Dass die pathische Meinung der sogenannten normalen immanent ist“, hat Adorno vermutet. „Unterm Bann der zähen Irrationalität des Ganzen ist normal auch die Irrationalität der Menschen“, und wenn sich sogar die Vormacht der westlichen Welt einen faschistischen Gauner als Präsidenten leistet, ist gar nicht recht einzusehen, warum ausgerechnet die Hiesigen stillhalten sollten und dem Hass, der zum System gehört wie das Gift zur Mamba, nicht immer wieder und immer gewalttätiger Ausdruck verleihen.




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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Bitte schön, Annika Stechemesser!

Sie sind Klimaforscherin in Potsdam, wurden in der Frankfurter Rundschau am Tag nach den brisanten Landtagswahlen zum Thema »effektiver Klimaschutz« interviewt, und da wir heute auf keinen Fall Witze mit Namen machen wollen, lassen wir das einfach mal so stechen, äh, stehen!

Ganz lieb grüßt Ihre Titanic

 Mal halblang, Polizei Düsseldorf!

Irgendwie war ja zu erwarten, dass Du Dich in Deinen Ermittlungen zum Anschlag in Solingen von rassistischen Debatten und wütenden Rufen nach Massenabschiebungen beeinflussen lässt. Wenn Du in einem Aufruf an die Bevölkerung aber auch noch um »Angaben zur Herkunft der abgebildeten Regenjacke« bittest – gehst Du damit nicht ein bisschen zu weit?

Deine Sittenwächterin von der Titanic

 Philipp Bovermann (»SZ«)!

Früher hatten Sie Angst vor der Klimakatastrophe. Heute sind Sie Mitte dreißig und haben dazugelernt: »Ich kann heute nur noch darüber staunen, wie wenig tief mich die Tatsache bekümmert, dass der Planet überhitzt, dass Arten verschwinden, Ökosysteme kollabieren, Regenwälder brennen, Meeresböden sich in Wüsten verwandeln. Menschen werden sterben, Menschen sterben schon heute, das Leid der Tiere sprengt alle Vorstellungskraft – aber jetzt stehe ich auf meinem Balkon, habe mir ein Leben aufgebaut, mit einem tollen Job, einer tollen Frau, einer tollen Tochter, unten auf dem Teich schwimmt eine Entenfamilie vorbei, und geblieben ist nur die sanfte Sorge, dass ich mir zu wenig Sorgen mache. Ich grusele mich vor mir selbst. Aber nur ein winziges bisschen.« Denn »vielleicht ist es rational, wegen des Klimawandels ruhig zu bleiben und sich auf das Leid im Hier und Jetzt zu konzentrieren. Die Welt wird schon nicht gleich untergehen.«

Nein, Kollege Bovermann, wird sie nicht, jedenfalls Ihre nicht. An den Menschen in Südostasien oder Osteuropa, betroffen von einem exemplarischen Regen aus der neuen Klimagegenwart, schwimmen derweil keine Entenfamilien, sondern ihre toten Töchter vorbei, während Sie sich so arg auf das Leid im Hier und Jetzt konzentrieren, dass es alle Vorstellungskraft sprengt.

Vorm ewigen Jungspießer gruselt’s da ein bisschen: Titanic

 Ho ho ho, Venezuelas Präsident Nicolás Maduro!

Ho ho ho, Venezuelas Präsident Nicolás Maduro!

Mitten im Streit um das wohl von Ihnen manipulierte Wahlergebnis bei der Präsidentschaftswahl haben Sie wieder einmal tief in die politische Trickkiste gegriffen: »Es ist September, und es riecht schon nach Weihnachten«, frohlockten Sie in einer Fernsehansprache. »Als Dank an das kämpferische Volk werde ich daher Weihnachten per Dekret auf den 1. Oktober vorziehen.«

Wir haben sogar eine noch bessere Idee, Maduro: Könnten Sie nicht per Dekret Weihnachten von Anfang Oktober bis Ende Dezember stattfinden lassen? Im Gegensatz zum Kanzler in seinem kapitalistischen Schweinesystem können Sie doch sicher bestimmen, dass die planwirtschaftliche Lebkuchen-Vanillekipferl-Produktion schon im Juni anläuft. So können Sie sich nicht nur ein paar Tage, sondern ganze drei Monate Ruhe zum Fest schenken!

Rät Titanic

 Katsching, Todd Boehly!

Sie haben sich von Ihrem sauer Errafften den englischen Fußballverein FC Chelsea angelacht, der Titel holen soll, allerdings unter Ihrer Leitung lediglich einen einstelligen Tabellenplatz im nationalen Wettbewerb vorzuweisen hat. Zur Generalüberholung der in der Mittelmäßigkeit versackten Blauhemden sind auf Ihr Geheiß für über eine Milliarde Euro insgesamt 39 Fußballer verpflichtet worden, womit der aktuelle Kader mindestens 44 Spieler umfasst (darunter zehn Torhüter, von denen laut derzeit gültigem Regelwerk leider trotzdem nur einer das Tor hüten darf).

Zu dem über Ihrer Truppe ausgekübelten Spott tragen wir allerdings nicht bei, aus unserem Mund also keine Mutmaßungen über beengte Verhältnisse unter der Dusche oder die vollen Körbe am Trikotwaschtag. Denn selbstverständlich wird ein ausgebufftes Finanzgenie wie Sie, Boehly, seine Gründe haben, viermal elf Freunde mit Verträgen, die zum Teil bis ins nächste Jahrzehnt laufen, auszustatten. Denn wissen wir nicht alle, dass in diesen unsicheren Zeiten das Geld auf der Bank am besten aufgehoben ist?

Guckt eh lieber von der Tribüne aus zu: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Reality-TV

Bei der Fernsehserie »Die Nanny« gibt es diese eine Szene, in der die Mutter der Nanny, Sylvia Fine, in einem Pariser Restaurant mit dem Kellner kommunizieren will. Da sie kein Französisch spricht, nutzt sie zum Austausch ausschließlich den Text des französischen Kinderliedes »Frère Jacques«: Mit »Frère Jacques« ruft sie den Kellner, mit »Ding-ding-dong« fordert sie einen neuen Kaffee und so weiter. In der Serie klappte das sehr gut, und als Kind fand ich es auch ausgesprochen lustig, war mir allerdings sicher, dass das in der Realität nie funktionieren würde – bis es mir selbst gelang. Das kam so: Im Fitnessstudio wartete ein junger Mann am Tresen vergeblich auf einen Trainer. Vergeblich, weil er die im Tresen eingelassene Klingel nicht betätigt hatte. Nun hatte ich ihn während des Trainings Französisch sprechen hören, sprach allerdings selbst keines. Da ich aber der Einzige war, der sein vergebliches Warten bemerkte, ging ich schließlich hin, zeigte auf die Klingel und sagte »Sonnez les matines! Sonnez les matines!« Er verstand sofort und klingelte ausgiebig. Kurz darauf erschien der Trainer und ließ ihn hinaus. Da soll noch mal einer sagen, Fernsehen würde im Leben nicht helfen.

Karl Franz

 Alle meine Aversionen

Was ich überhaupt nicht schätze:
»Mädchen, ich erklär dir ...«-Sätze.

Was ich nicht so super finde:
Bluten ohne Monatsbinde.

Was ich gar nicht leiden kann:
Sex mit einem Staatstyrann.

Den Rest, auch Alkoholkonzerne,
mag ich eigentlich ganz gerne.

Ella Carina Werner

 Mitläuferin? Ganz im Gegenteil!

Meine Oma fuhr im Widerstand Motorrad.

Andreas Maria Lugauer

 Unangenehm

Auch im Darkroom gilt: Der Letzte macht das Licht aus.

Sebastian Maschuw

 Quo vadis, Fortschritt?

Unfassbar: Nach so vielen Jahren des Horrorfilms gruseln sich die Leute noch vor der Nosferatu-Spinne. Wann taucht in unseren Breiten endlich die Slasher- oder Zombie-Spinne auf?!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
09.10.2024 Lorsch, Theater Sapperlott Max Goldt
11.10.2024 Coesfeld, Stadtbücherei Gerhard Henschel
12.10.2024 Bad Lauchstädt, Goethe Theater Max Goldt
12.10.2024 Freiburg, Vorderhaus Thomas Gsella