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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Die Korrektur

Mit dem fortschreitenden Erwachsensein setzt ja die sog. Lebenserfahrung ein, und eine meiner Lebenserfahrungen lautet, dass Dienstag ein sehr guter Arzttag ist. Montag ist ein schlechter Arzttag, weil am Wochenende alle merken, dass sie krank sind, am Freitag gehen sie noch einmal, damit sie das Wochenende gut überstehen, aber am Dienstag sitze ich selbst als Kassenpatient und beim Facharzt nur genau so lange im Wartezimmer, wie es braucht, um zwei Ausgaben der „Bunten“ durchzublättern. Das ist genau die richtige Länge, denn mein Friseur ist einer von denen, die statt der „Bunten“ „Lucky Lucke“ ausliegen haben, und wenn man wissen will, was an dieser Welt falsch ist, ist die „Bunte“, „Burdas gruseliges Schmodderblatt“ (Gerhard Henschel), ja nun genau das Richtige.

Meine Lieblingsgeschichte war die eines jungen Prominenten, der sich ein Öko-Tiny-House aufs von der Oma geerbte Grundstück gebaut hat, weil wir uns, sagt er, nämlich alle ändern müssen, und sein nächster Plan, sagt er, ist „ein Elektroauto, am liebsten von Porsche“. Ich hab sogar noch mal zurückgeblättert, ob ich da ein Ironiesignal übersehen hätte („und lacht“), aber nix, zum Öko-Tiny-House gehört ein Elektroporsche wie die „Bunte“ ins Wartezimmer. Dass im Vermischten (also: im Vermischten vom Vermischten, vermischt ist in der „Bunten“ ja nun alles) plötzlich Jonathan Franzen auftauchte, war erst mal weniger plausibel, aber das muss er als Anführer der „Spiegel“-Bestsellerliste Sachbuch („Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können“) nun einmal aushalten; wie er es ebenfalls aushalten muss, zum Kaufobjekt von „Bunte“- und „Spiegel“-Kundschaft zu werden, die es gern liest, dass Nichtstun letztlich dasselbe ist wie nicht Nichtstun, auch wenn Franzen das nicht schreibt, sondern dafür plädiert, nicht quasireligiös die Weltrettung zu betreiben, sondern lieber den einen oder anderen Apfelbaum zu pflanzen und die Welt bis zu ihrem sicheren Untergang zu einem besseren Ort zu machen. Bzw. gerade deswegen.

Wäre Franzen nun nicht in der „Bunten“ aufgetaucht, ich hätte es nicht wieder ausgegraben: wie ich vor Monaten noch einmal „Die Korrekturen“ in der Hand hatte und gar nicht mehr verstehen konnte, was ich daran, wie alle Welt, mal gefunden habe, so quälend akribisch ausgemalt war das alles, ein All-inclusive-Angebot aus Psychologie und Detailbesessenheit, das zum ächzenden Querlesen geradezu einlud. Als wär’ Literatur nicht Kondensat, sondern bloß jener Positivismus, den Spezialbeobachtungen wie „Das Licht hatte die Farbe von Reiseübelkeit“ weniger unterlaufen denn verstärken.

„Waldmann saß und hat hinaufgesehn, / und er sah die Welt wie sie verdorrte. / Plötzlich spürte er die Macht der Worte. / Später ist dann gar nichts mehr geschehn.“ Ror Wolf, 2015

Nee, da soll, auch wenn die Dialoge in Ordnung sind, von Lovenberg mit glücklich werden, ich finde ja Philip Roth schon überschätzt. Aber das macht auch nichts; Franzen ist natürlich immer noch viel besser als Neu-Star und Gurkenkönigin Raphaela Edelbauer („Das Loch übte eine mesmerisierende Gewalt aus, ein kollektives Begehren, das das wirtschaftliche Hymen zu durchbrechen strebte, welches das Land von seiner Bevölkerung getrennt hatte“), der Kollege Michael Ziegelwagner im Januarheft ihren mesmerisierenden Murks gerechterweise um die Ohren hat fliegen lassen. Aber weshalb ich überhaupt darauf komme: Mir ist ein altes Franzen-Interview in Erinnerung, in dem der passionierte Vogelfreund sinngemäß sagte, gewiss lasse er sich das passionierte Vogelbeobachten in aller Welt nicht ausreden („Sie wollen jetzt sicher von mir hören, dass ich in kein Flugzeug mehr steige“), und nun also: think local, act local. Und klar, wenn sein Agent oder seine Agentin sagt, komm, wir lassen deinen im New Yorker erschienenen Aufsatz in Deutschland als Buch binden, gibt noch mal was extra, sagt er natürlich nicht nein. Ich finde trotzdem, dass man nie schreiben soll, was die Leute hören wollen, schon gar nicht die falschen, und dass es einen unter Qualitätsgesichtspunkten noch heikleren Platz gibt als auf der „Spiegel“-Bestsellerliste: auf der „Spiegel“-Sachbuch-Bestsellerliste.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Puh, »Frankfurter Rundschau«!

»Während im Süden Europas weiter enorme Hitze herrscht, sorgt ein kurzweiliges Tief in Deutschland für eine Abkühlung.« Es bleibt aber dabei: Die Tiefs sorgen für Abkühlung, und für die Kurzweil sorgen Deine Sprachkapriolen. Nicht durcheinanderbringen!

Warm grüßt Titanic

 Kann es sein, Tod,

dass Du, so wie alle anderen in der Handwerksbranche auch, mit Nachwuchsmangel zu kämpfen hast? Und dass Du deshalb Auszubildende akzeptieren musst, die schon bei den Basiskompetenzen wie Lesen Defizite aufweisen?

Oder hast Du, der Seniorchef höchstpersönlich und wieder zu eitel, eine Brille aufzusetzen, am 11. August beim gerade mal 74 Jahre alten Kabarettisten Richard Rogler angeklopft? Nur, um dann einen Tag später, nachdem Dir der Fehler aufgefallen war, beim 91jährigen Bauunternehmer und Opernballbesucher Richard Lugner vorbeizuschauen?

Antwort bitte ausschließlich schriftlich oder fernmündlich an Titanic

 LOL, Model Anna Ermakova!

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung verrieten Sie Ihre sprachlichen Ambitionen: »Ich möchte unbedingt lernen, Witze auf Deutsch zu machen. Ich will die Leute zum Lachen bringen, ohne dass sie nur über mich lachen«. In Deutschland fühlten Sie inzwischen »eine solche Wärme«.

Der war schon mal gut!

Loben die Witzeprofis von Titanic

 Etwas unklar, mallorquinische Demonstrant/innen,

war uns, warum wir Euch bei den Demos gegen den Massentourismus immer wieder palästinensische Flaggen schwenken sehen. Wir haben lange darüber nachgedacht, welchen logischen Zusammenhang es zwischen dem Nahostkonflikt und Eurem Anliegen geben könnte, bis es uns einfiel: Na klar, Ihr macht Euch sicherlich stark für eine Zwei-Staaten-Lösung, bei der der S’Arenal-Streifen und das West-Malleland abgeteilt werden und der Rest der Insel Euch gehört.

Drücken die diplomatischen Daumen: Eure Friedenstauben von Titanic

 Dumm gelaufen, Kylian Mbappé!

Ihnen wurde ein BMW i7 M70 xDrive »überlassen« (Spiegel), jedoch haben Sie gar keinen Führerschein, haha! Wer soll den geschenkten Gaul nun lenken, rätselte daraufhin die Presse: »Mbappé von Real Madrid: Darum bleibt sein Luxus-Auto in der Garage« (msn.com).

Tja, da kann man nur hoffen, dass von Ihren 72 Millionen Euro Jahresgehalt ein paar Cents übrig bleiben, um einen Chauffeur einzustellen.

Aber bitte vorher alles genau durchrechnen!

Mahnt Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Abwesenheit

Vielen Dank für Ihre E-Mail. Ich bin vom 02.–05.09. abweisend. Ab 06.09. bin ich dann wieder freundlich.

Norbert Behr

 Schock total

Wenn im Freibad dieser eine sehr alte Rentner, der sich beim Schwimmen kaum fortzubewegen scheint, der bei seinen zeitlupenartigen Zügen lange untertaucht und von dem man dachte, dass er das Becken schon vor langer Zeit verlassen hat, plötzlich direkt vor einem auftaucht.

Leo Riegel

 Hä?

Demenz kennt kein Alter.

Moppel Wehnemann

 Schierlingsbücher

Kaum jemand erinnert sich an das allererste selbstgelesene Buch. War es »Wo die wilden Kerle wohnen« oder doch Grimms Märchen? Schade, denke ich mir. Es könnte eine Wegmarke in die wunderbare Welt der Bibliophilie sein. In meiner Erinnerung wabert stattdessen leider nur ein unförmiger Brei aus Pixibüchern. Diesen Fehler möchte ich am Ende meines Leselebens nicht noch einmal machen. Und habe mir das Buch »Essbare Wildpflanzen« bestellt.

Teresa Habild

 Etwas Heißem auf der Spur

Jedes Mal, wenn ich mir im Hochsommer bei herabgelassenen Rollläden oder aufgespanntem Regenschirm vergegenwärtige, dass das Leben in unseren versiegelten Städten auf entsetzlich wechselhafte Weise öde und klimatisch vollkommen unerträglich geworden ist, frage ich mich unwillkürlich: TUI bono?

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

Titanic unterwegs
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer
17.09.2024 Stadthagen, Wilhelm-Busch-Gymnasium Wilhelm-Busch-Preis Hilke Raddatz mit Bernd Eilert
18.09.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella