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Dax Werners Debattenrückspiegel KW 20

Liebe Leser:innen,

Olaf Scholz, der Kanzlerkandidat der Herzen, dessen "schlumpfiges Grinsen" vom SPD-Wahlkampfteam aus Mangel an Alternativen zum thematischen Kern seiner Kampagne gemacht worden ist, landete diese Woche aus seiner Sicht einen Big Point im Wahlkampf und stellte fest: Europa, das ist vor allen Dingen der Euro und diese putzigen kleinen gelben Sterne vor blauem Grund auf unseren Kennzeichen. Man könnte meinen, dass Scholz hier ein Europabild ganz nah am Menschen rendert: KFZ-Zulassungsstellen in ansonsten menschenleeren Gewerbegebieten, stadtplanerische Fehlermeldungen voller McDonald’s Drive-Ins und POLO Motorrad Stores, in denen man mit Euros bezahlt. Hier in NRW sagen wir dazu NRW Noir. Da ist er wieder, dachte Scholz auch über sich selbst, der große Hanseat mit dem sachlichen Blick aufs Wesentliche, ein nüchterner Denker und Lenker in der Tradition von Helmut Schmidt – er fehlt –, dessen leicht angegrautes Diktum "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen" heute vor allem in den Social-Media-Profilen von Männern mit Kinnbart, UV-Sonnenbrille und "Weder links noch rechts" in der Bio weiterlebt. Große Olafliebe eben.

Europa, das hat uns der gestrige Abend einmal mehr gezeigt, ist aber vor allem und in erster Linie Vision. Genauer gesagt: Der Eurovision Song Contest (ESC). Denn Europa, das ist so gesehen nur einmal im Jahr. Der deutsche Finalteilnehmer Jendrik holte mit seinem wichtigen Song "I Don't Feel Hate" zwar nur 3 Punkte und landete auf Platz 25, immerhin vor Großbritannien. Viel wichtiger aus meiner Sicht jedoch: Mit seinem Padawanzopf erinnerte er mich an meinen Jugendfreund Marcel, den alle nur "Sally" riefen, und der sich eigentlich nur dadurch auszeichnete, dass er ständig nach Kaugummi roch und die anderen Kinder auf dem Abenteuerspielplatz terrorisierte. Ein bisschen so wie Deutschland in Europa.

Inzwischen hat sich im Umgang mit deutschen letzten Plätzen im ESC eine gewisse Lockerheit breit gemacht. Während nach der Underperformance der letzten Jahre immer noch reflexhaft der NDR, Musik an und für sich oder Europa als Ganzes in Frage gestellt wurde, hat man sich hierzulande nun endlich an die hinteren Plätze gewöhnt, der vierte Platz von Michael Schulte 2018 in Lissabon wird uns vielleicht auch noch ein paar Jahre trösten. Entsprechend angetrunken und gelöst erschien Jendrik dann auch nach Mitternacht beim obligatorischen Interview mit der obligatorischen Barbara Schöneberger: "Es geht nicht ums Gewinnen, es geht um diesen ganz speziellen Eurovision-Vibe."

Damit hören die Parallelen zur SPD jedoch noch nicht auf. Vielleicht hatte Jendrik nämlich einfach nur bei der italienischen ESC-Party genascht, denn der ESC wurde durch einen Vorfall am Tisch der italienischen Siegerband Måneskin "überschattet", ich würde sagen: "aufgelockert". Die internationale ESC-Regie blendete den Tisch der Italiener nämlich genau in dem Moment ein, als sich der Sänger Damiano David gerade eine köstliche Linie Kokain genehmigte. Das sorgte international zwar für viel Aufregung, für mich machte sich der ESC in dieser Stelle jedoch ehrlich und transparent: Wer auf internationalem Niveau reüssieren will, kommt an Aufputschmitteln nicht vorbei. Für mich ein Fall für die ARD-Dopingredaktion und der erste Fernsehabend im Ersten, der mich mit einer unzähmbaren Lust, Kokain auszuprobieren, in die Nacht entlässt.

In diesem Sinne: Mission accomplished, ARD!

Angegeilte Grüße, Dax Werner

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Dax Werners Debattenrückspiegel KW 19

Liebe Leser:innen,

wieder sieben Tage rum, wieder eine Woche mit Siebenmeilenstiefeln zurück in die Welt vor Corona, die wir zuletzt nur noch aus den automatischen Foto-Zusammenstellungen unserer Smartphones kannten: "Guten Morgen Dax, erinnerst du dich an die Pokémon-Go-Safari-Zone im Westfalenpark Dortmund 2018?" Wenn ich ehrlich bin nur noch sehr bruchstückhaft, wie an einen im Traum erinnerten Traum, doch während ich die Worte mit dem bewährten Zwei-Finger-System ins Google Doc tippe, kann ich mich mit einem Mal doch wieder erinnern, sie schwingt zurück in mein Bewusstsein wie ein mit viel Verve nach einem wilden Bisasam geschleuderter Pokéball, plötzlich ist alles wieder da, auch wie es dort roch, damals im Westfalenpark: Nach harter Arbeit, nach Hoffnungen, nach Axe Dark Temptation ohne Aluminium, eben nach dem wilden, echten Leben.

Im Internet haben inzwischen über 30 Millionen Deutsche ein Foto eines Pflasters auf ihrem Oberarm gepostet, fast 10 Millionen sogar zwei Fotos. Dafür gibt’s nicht nur viele geile Likes und Herzchen, sondern auch Grundrechte zurück: Mit den zwei Fotos bewaffnet dürfen sich die Vollverimpften uneingeschränkt mit anderen Menschen treffen und nach neun Uhr Abends wieder das Haus verlassen, ohne dass das SEK sie umstellt. Gut so! Andererseits sorgt dieser Grundrechte-Vorteil der Generation 50-Plus naturgemäß für Neid und Missgunst bei der Generation X (Sascha Lobo, Cem Özdemir) und den Millennials (Typen wie ich), also den Menschen, die in der Regel nicht mal wissen, was ein Hausarzt eigentlich genau sein soll und lediglich hin und wieder, wenn es der hektische Alltag zwischen Netflix, Zoom und Twitter zulässt, in den Spam-Porno-DMs auf Instagram nach dem ersten Impfangebot Ausschau halten, das laut Dr. Merkel bis Ende des Sommers an alle Deutschen gehen sollte.

Mit solch einer postpubertären Anti-Haltung lässt sich die Deutschland AG jedoch nur schwerlich wieder auf Kurs bringen. Mit gutem Beispiel voran geht der Festivalsektor: Das bislang bei Bierhelm-Nutzer:innen aus Städten mit weniger als 30.000 Einwohner:innen beliebte "Rock am Ring"-Festival hat bereits auf die veränderte demographische Situation im Verbraucher-Segment reagiert und das Lineup entsprechend angepasst. Mit The Offspring, Bush und Green Day treten bei der nächsten Ausgabe Bands auf, deren Frontmänner die 50 bereits überschritten haben und mit großen Schritten auf die 60 zugehen. Ein starkes Signal an die Rentner:innen unter den deutschen Festival-Fans: We hear you. Auch der Anteil weiblicher Musikerinnen wurde nach den Experimenten in den vergangenen Jahren wieder auf zunächst 2 Prozent heruntergefahren (Berechnung von Sophie Hunger auf Twitter). Frauen und Rockmusik, das ist für das neue Publikum bei Rock am Ring dann doch einfach eine Spur zu progressiv. Der Köder muss eben dem Fisch schmecken, für das übernächste Jahr wird schon laut über noch ältere Männeracts nachgedacht, wie zum Beispiel Howard Carpendale, Semino Rossi oder die beliebten Höhner aus Köln. Doch nicht nur auf sondern auch neben der Bühne reagieren die Veranstalter auf das neue Publikum: Das Bier wird zum ersten Mal auch in praktischen Schnabeltassen ausgegeben, die Lautstärke auf Zimmerlautstärke gedrosselt ("Man soll sich ja auch noch unterhalten können") und die Festivaltage enden nun schon um 18 Uhr, damit man im Eifel-Umland noch "gemütlich was essen gehen kann".

Wenn ich ehrlich bin: Es ist exakt diese affengeile Anpacker-Mentalität, die ich zur Zeit an vielen Stellen in unserem Land vermisse. Vielleicht haben viele noch nicht verstanden, dass wir die Welt vor der Pandemie, die wir nur noch aus paywallfreien Spiegel-Online-Artikeln vor 2020 kennen – ich nenne sie zärtlich "unser Silmarillion" –, nicht mehr zurückbekommen. Die kulturelle Hegemon ist nicht mehr der gerade aus der Universität gespuckte und Filme ausschließlich im Originalton streamende Millennial, sondern der kaufkräftige Best Ager mit festem Wertesystem und zwei Biontech-Einstichen im Arm. Und wenn der eben noch einmal ein wackeliges Facebook-Video posten will, in dem er "Self Esteem" von The Offspring in Fantasie-Englisch mit grölt, dann ist es unsere Aufgabe, das irgendwie möglich zu machen. Tränenlachsmiley.

Auf die schöne neue Welt,

euer Dax Werner

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Dax Werners Debattenrückspiegel KW 18

Liebe Leser:innen,

erinnert ihr euch an den "Schmetterlingseffekt", diese in den Nullerjahren auffallend häufig für Hollywood-Filme ausgegrabene Idee der nichtlinearen Dynamik? Also die Frage, ob der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen kann? Über dieses Rätsel musste ich bei meinen Spaziergängen diese Woche sehr oft nachdenken. Jedoch immer nur bis 9 Uhr abends, denn spätestens dann wurde ich auf dem Heimweg von den zweifach Geimpften der Stadt mit Kraftausdrücken beleidigt, die ich hier weder wiedergeben kann noch möchte. "Schaut mal, da läuft er wieder, der feine Herr Kolumnist" und "Na, veräppelst du wieder andere Männer im Internet?" waren zwischen höhnischen Gelächter und Raucherhusten noch die harmloseren Invektiven der bei Flaschenbier und Filterzigarette cornernden Best Ager, während ihre Seniorenhandys die menschenleeren Straßen mit Semino Rossi und Helene bestreamten. Finstere Blicke gaben mir wortlos zu verstehen: Diese Stadt hier, mein Junge, gehört ab Montag uns.

Anyway. Im Lichte der neuesten "sprachjakobinischen Cancel-Kampagne selbstgerechter Lifestyle-Grüner" – ich zitiere die aktuellen Wortneuschöpfungen dieser KW – muss die Frage nach dem Schmetterlingseffekt ja eigentlich so lauten: Kann ein technischer Fehler auf Jens Lehmanns Handy die endgültige Meinungsdiktatur in ganz Deutschland auslösen? What are the odds? Trotzdem sieht es derzeit genau danach aus. Deswegen schlage ich vor, dass wir die Geschehnisse rekonstruieren und den Weg in die Diktatur gleichsam reverse engineeren. Solange es eben noch geht. 

Die Geschichte beginnt am Dienstagabend im Wohnzimmer des Ex-Nationaltorhüters. Auf Sky läuft irgendein Fußballspiel, in einer Werbepause grabbelt Lehmann mit Chipsfingern in den Ritzen des Rolf-Benz-Sofas (Modell MADE in Darbygrün) nach seinem Samsung Galaxy S III ("Die Büchse tut’s doch noch?"). Irgendwann fischt er das Ding triumphierend aus dem Eck, fast wie im Viertelfinale 2006 gegen die Gauchos. Er kann’s eben doch noch. Manchmal wünscht er sich diese irre Zeit irgendwie schon zurück. Dann schläft Lehmann zufrieden ein.

Als er aufwacht, ist er um drei Jobs ärmer. Am Abend zuvor hatte sich von seinem Samsung offenbar eine rassistische Whatsapp an den Kollegen Dennis Aogo gelöst. Lehmanns Versuch, das technische Missgeschick sachlich zu erklären ("In einer privaten Nachricht von meinem Handy an Dennis Aogo ist ein Eindruck entstanden …"), hat gegen die geballte power der linksliberalen Internetrambos nicht den Hauch einer Chance, für sie steht das Urteil mit der Anklage fest: Lehmann, der Nazi.

Und das ist das Stichwort für einen anderen lonesome wolf im Meinungskorridor der Angepassten: Die Lehmann-Meldung ist noch keine 5 Minuten auf dem Markt, da geht der Tübinger Grünen-OB Boris Palmer schon mit angelecktem Zeigefinger den Leitz-Ordner der von ihm persönlich verwalteten Facebook-Fake-Profile durch. Offenbar ist es Zeit für einen metasatirischen Kommentar nach dem Tübinger Modell. Nach kurzem Überlegen entscheidet er sich diesmal für "Nadine P.", diesen Account hat er schon lange nicht mehr benutzt. Was wäre, wenn er Nadine einen Augenzeugenbericht schreiben ließe, nach dem sich Aogo bereits selbst einmal in ähnlich rassistischer Weise geäußert hätte wie das Samsung-Telefon von Jens Lehmann? Würde das die Vorwürfe gegen Lehmann nicht entkräften? Weil details everything sind, lässt Palmer diese Episode am Strand von Mallorca spielen. Sommer, Sonne, eben all das, was den Menschen da draußen gerade fehlt. Das moralinsaure Gutmenschentum wieder und wieder der Nase nach durch die Debatten-Manege führen, das kann er eben. Doch damit nicht genug, der OB würzt die Vorführung mit einer Volte mehr, wechselt wieder auf sein Hauptprofil und zitiert Nadine P.’s Bericht als Boris Palmer, sogar – und vielleicht wollte er in der Rückschau genau ab da zuviel – ohne Anführungszeichen. Als er gestern erklärt, dass er mit diesem ironischen Zitat auf die generelle Konstruierbarkeit jedweder Rassismusvorwürfe aufmerksam machen wollte, wird das Parteiausschlussverfahren bereits vorbereitet.

Auf den Ascheplätzen der Kreisliga gab es damals eine einfache Regel: Wenn einer so übertrieben zaubert, dass es in arrogante Demütigung umschlägt, wird er umgetreten. Und es fällt mir noch eine Analogie ein, nämlich das Märchen des Ikarus, jenem Wachsflügelmann also, der der Sonne zu nahe kam und abstürzte.

Und plötzlich wurde es Nacht.

Good night and good luck,
Dax Werner

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Dax Werners Debattenrückspiegel KW 17

Liebe Leser:innen,

es ist der lang erhoffte Silberstreif am Horizont. Der manchen gar zu köstliche Impfnektar wird inzwischen mit Hochdruck von Kiel bis Sonthofen verabreicht, viele Menschen teilen in ihren sozialen Medien mit, dass auch sie nun die "Impfe intus" haben, kurz: die Impfkampagne kommt auch hierzulande ins Rollen, vielleicht langsamer als anderswo, nun jedoch mit Nachdruck, also ein bisschen so wie Donkey Kong auf der Rainbow Road in Super Mario Kart – von der Beschleunigung her mau, aber nach hinten raus mit beeindruckender pace.

Wurde auch Zeit, denn mitunter vergesse ich's fast selbst schon in all der Aufregung: Im September geht's ja schon in die Wahlkabine! Doch die klassischen Vor-Ort-Termine auf den Marktplätzen von Oldenburg, Hamminkeln und Güstrow, die Präsenzveranstaltungen der Demokratie sind – Verimpfe hin oder her – in diesem Wahljahr schon längst gecancelt. So fällt zu meinem großen Bedauern auch die inzwischen schon traditionelle Markus-Feldenkirchen-Roadstory mit dem SPD-Kanzlerkandidaten auf 16 eng bedruckten Spiegel-Seiten flach ("Ein Stiefel auf dem Highway, ein anderer in der unbarmherzigen Arithmetik der Demoskopie"). Dafür, und da sind sich Digitalexpert:innen eigentlich seit Jahren einig, werden das Internet und die Menschen darin für die #2021Elections eine immer größere Rolle spielen: Dieser Wahlkampf wird digital ausgefightet!

Welche Rolle werden also die berühmt-berüchtigten Putin-Bots spielen? Wie viele digitale Debattencamps stehen uns bis Herbst noch ins Haus? Und wird es im Wettstreit der Ideen eine Partei geben können, die nicht auf das Erfolgsrezept von Christian Lindner im letzten Wahlkampf (Schwarz-weiß-Fotos) setzt? Auch die grand old CDU hat die Zeichen der Zeit erkannt: In einem bislang von vielen fadenscheinigen Korruptionsvorwürfen geprägten Jahr hat sie sich nun die Dienste des Präsidenten a.D. des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Mönchengladbacher Originals Hans-Georg Maaßen für den Thüringer Wahlkreis 196 gesichert. Ich möchte ehrlich sein: Ein Hammer-Transfer!

Maaßen steht wie der Sauerländer Friedrich Merz für das gut verdienende Anti-Establishment der Partei, seine kultigen Sprüche sind schon fast so legendär wie die von Prinz Philip (Gott hab ihn selig): "Es gab keine Hetzjagden in Chemnitz!" oder "Eine Koalition mit der AfD? Man weiß ja nie!" Auch seine Twitter-Bio atmet schon diesen unverkennbaren Oswald-Spengler-Alarm-Sound: "Nüchterner Realist, der sich große Sorgen um die Zukunft Europas macht." Visuell bedient er die tiefe Sehnsucht der radikalen bürgerlichen Mitte nach dem deutschen royal: Dreiteiler, winzige Brille, wenige TV-Auftritte. Und während der CDU-Chef Armin "Arminion" Laschet das Internet so müde und einfallslos bespielt, als wäre es noch 2012 und er Oppositionsführer in NRW, beherrscht Maaßen die Klaviatur der sozialen Medien mit schlafwandlerischer Sicherheit: Seine Gedanken und Notizen werden regelmäßig von 80 000 Menschen auf Twitter gelesen und mit Fav versehen, eine Netzpolitik-Studie fand auch heraus, von wem: nämlich von denen, die sonst nur noch auf die journalistische "Arbeit" von Roland Tichy, Boris Reitschuster und Joachim Steinhöfel vertrauen. Clever: Mit HGM hat die Union bei aller gespielten Empörung nun wieder einen Fuß in der Tür beim komplett unzurechnungsfähigen Teil der Bevölkerung.

Gleichzeitig gilt HGM als unkontrollierbar, als einer, über den First-Tier-Politiker:innen stolpern: Schon Annegret Kramp-Karrenbauer und Andrea Nahles bissen sich an der Maaßen-Personalie mehr oder weniger die Zähne aus, deswegen ist CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak gut beraten, wenn er im Umgang mit der Thüringer Personalie harte Geschütze auffährt. Statt persönlich in den Osten zu fahren und sich dort wie weiland AKK die Finger zu verbrennen, forderte er noch am Freitag energisch eine neue Ehrenerklärung der Thüringer CDU zu "Werten und Politik der CDU sowie einer scharfen Abgrenzung zur AfD". Und wie wir aus der Causa Masken-Raffkes noch wissen, ist die Ehrenerklärung das mächtigste Tool im demokratischen Werkzeugkasten der Union.

Demoskopisches Ehrenwort: Dax Werner

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Dax Werners Debattenrückspiegel KW 16

Liebe Leser:innen,

im wievielten Monat des Semi-bis-Voll-Lockdowns befinden wir uns gerade? Die Älteren unter uns erinnern sich noch an die Bund-Länder-Konferenzen-Phase der Pandemie, kurz nach der Bananenbrot- und Tiger-King-Phase. Sie gaben Halt, Orientierung und ein Rest von Zeitgefühl, man konnte sich bei der Rekonstruktion der vergangenen Monate gut an diesen Phasen entlanghangeln, so wie ich als kleiner Bub meine Schuljahre den Fußball-Stars auf dem Cover der jeweiligen FIFA-Ausgabe zuordnete. Wie viele andere habe jedoch auch ich zugegebenermaßen vollkommen Überblick verloren, muss jede Woche für diese Kolumne literally ergoogeln, welche Kalenderwoche wir eigentlich schreiben und registriere lediglich sowohl eine extrem angespannte Stimmung im Internet als auch bei denen, um die es wirklich geht: Den Menschen da draußen.

So sind es vielleicht nicht die allerbesten Voraussetzungen für jede noch so durchdachte wie originelle satirische Video-Aktion, wenn Aufnahmebereitschaft und Ambiguitätstoleranz des Publikums gerade eh schon gegen Null gehen. Oder ist vielleicht exakt das Gegenteil wahr und Deutschland brauchte die #alles dichtmachen-Initiative einiger "mehr oder weniger bekannter Schauspieler:innen" (Marietta Slomka ungewohnt hämisch im "Heute-Journal") mehr denn je?

Eine Sache, in der ich mir jedenfalls ziemlich sicher bin: Wir dürfen die A-Liga-Schauspieler:innen dieses Landes, die ihre durch Schnelltests und Hygiene-Auflagen, wie etwa der verpflichtenden Nutzung von Plastikbesteck, möglich gemachten Filmdrehs gerade ziemlich einsam in ihren lichtdurchfluteten Altbauwohnungen verbringen, nicht vergessen; wir müssen uns klarmachen, was es mit diesen Menschen gemacht hat, als wir uns im letzten Jahr einige Wochen lang verabredeten, vom Balkon aus Applaus zu spenden. Jedoch nicht ihnen, den sensiblen Magier:innen der Leinwand, sondern – allen Ernstes! – dem Pflegepersonal, das im Grunde genommen einfach nur seinen Job runterspulte.

Das Öl des 21. Jahrhunderts ist bekanntlich Aufmerksamkeit und für die Menschen, die uns Woche für Woche mit immer neuen fantasievollen Folgen "Tatort", "Polizeiruf 110" und "Rosenheim Cops" versorgen, ist gerade 1973, nämlich: Ölkrise. Auch das gehört zur Wahrheit dazu und sollte im Debattenraum mitgedacht werden.

Doch in Zeiten immer engerer Meinungskorridore gilt man ja schon als "rechts", wenn man nur das schwäbische Querdenken-Krakele einiger pensionierter Lehrerehepaare aus dem Großraum Stuttgart wiederkäut und der avantgardistische Techno-Protest des Mit-Initiatoren und Filmregisseurs Dietrich Brüggemann ("Steckt Euch die Tests in den Arsch!") den Soundtrack liefert, zu dem in Berlin und Kassel Journalist:innen verprügelt werden. Debattenkultur bizarr! Dachte sich auch CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet, der sich am Freitag zu diesem Thema in die NDR-Talkshow "3 nach 9" äußerte und sich schützend vor die Missverstandenen stellte ("Diese Kritik muss möglich sein!"), während sich zeitgleich zahlreiche Schauspieler:innen genötigt sahen, ihre Videos zurückzuziehen. Diagnose: Vorauseilende Cancel Culture!

Der in meinen Augen spannendste Aspekt der Aktion ging in diesem diskursiven Wirrwarr selbstverständlich völlig unter: Dass sich nämlich Jan Josef Liefers über die neue angebliche Untertanen-Mentalität derjenigen Deutschen beschwert, die im Drosten-Brinkmann-Lauterbach-Rausch jeden noch so irren Lockdown abnicken würden, nachdem sich genau jener Liefers seit 20 Jahren als Ulk-Rechtsmediziner Boerne im Kult-Tatort Münster darum verdient macht, Polizei und staatliche Autorität vollends zu teddybärisieren. 

Aber vielleicht ist das ja Stoff für eine Kunstaktion an einem anderen Tag.

Performative Grüße: Dax Werner

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Dax Werners Debattenrückspiegel KW 15

Liebe Leser:innen,

es ist ein Sonntag des Innehaltens, denn ein Gigant hat Lebewohl gesagt: Prinz Philip von Griechenland und Dänemark wurde gestern in London beerdigt. Und mit ihm auch eine königliche Portion gute alte Comedy-Schule. Oder wie das ZDF teaserte: "Ein Royal deutscher Abstammung, der bei den Briten und in der Welt größte Sympathie genoss. Er punktete vor allem mit Humor, seine Sprüche sind legendär."

Noch 2002 eröffnete er ein Privat-Stand-Up für eine blinde Frau mit ihrem Blindenhund so: "Weißt du, dass es jetzt Esshunde für Magersüchtige gibt?" Ein anderes Mal fragte er einen Aborigine, ob er und seine Leute eigentlich immer noch mit Speeren nacheinander werfen würden. Der augenzwinkernde Schalk, das war seine Rolle. Pointentechnisch konnte Philipp nicht nur Florett, sondern mitunter auch Brechstange. Aber eben immer mit Herz.

Denn Prinz Philip war nicht nur der Ehemann von Queen Elisabeth II., sondern vor allen Dingen ein kultiger Spaßmacher vom alten Schlag, ein Windsor-Original, ein Witzemalocher, in letzter Konsequenz Norddeutscher. Kurz gesagt: Er war ein Fips Asmussen mit Krone. Seine Pointen waren so messerscharf wie berüchtigt, das eisglatte Parkett des europäischen Hochadels seine Bühne, auf der er sich zuletzt mit schlafwandlerischer Sicherheit bewegte, tänzelte gar. Doch wie so viele  andere Vertreter seiner Profession hatte auch er den besten Moment für den Abschied von eben dieser Bühne verpasst: 2015 war das und für nicht wenige Beobachter:innen damit schon ein paar Jahrzehnte zu spät.

Wie für jeden großen Komiker war auch für ihn Humor immer Fluchtversuch aus den Umständen gewesen, ein hundertjähriger Krieg mit sich selbst, gegen die Verhältnisse und Fesseln der royalen Familie, in die er eingeheiratet hatte und die mit dem Diebstahl von Reichtümern und Schätzen ihrer ehemaligen Kolonien reich geworden war – ein Umstand, der ihn Zeit seines Lebens bedrückte. Vielleicht war der Rucksack am Ende zu schwer, so dass es zum ganz großen Durchbruch dann doch nie gereicht hat.

Entsprechend wirkt sein Spätwerk dann auch konzeptueller, um nicht zu sagen: verbitterter. Ganze 16 Jahre schraubte und designte er am Land Rover Defender TD5 130, der ihn dereinst, also gestern, einmal zur letzten Ruhe fahren sollte. Ein Lebensthema ganz offenbar, jedoch eines, das sich in der heutigen beschleunigten Welt des Humors nicht mehr richtig erzählt. Wo Twitter, TikTok und Co. im Sekundentakt nach der nächsten Pointe lechzen, war der Prinzgemahl immer jemand gewesen, der sich Zeit nahm. Typisch Philip: Für die Trauerfeier in der St. George's Chapel sah das von ihm verfasste Drehbuch eine Gruppe verkleideter Männer vor, die auf fremdartigen Flöteninstrumenten exotische Melodien vortragen sollten. Auch bei den Windsors selbst konnte sich niemand einen Reim auf diesen und weitere Einfälle in Philips Verfügung zu machen, Pietät und Protokoll geboten jedoch nichts anderes als die restlose Umsetzung des letzten wahnwitzigen Willens.

Und dieser unbedingte Wille zur Ordnung, so wenig Sinn sie auch auf den ersten Blick macht, kann vielleicht auch erklären, warum mit ZDF, Phoenix und RTL gleich drei große deutsche Fernsehsender den gesamten Samstag über von der Trauerfeier streamten. Wo der erste und dann lange einzige Adlige, der einem hierzulande einfallen kann, Prinz Marcus von Anhalt heißt, ist die Sehnsucht nach etwas monarchischen Glamour, das ewig nervöse Schielen auf die übriggebliebenen europäischen Königshäuser nur allzu verständlich. Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Deutsche bei der Erwähnung des Élysée-Palastes eher an Rolf Seelmann-Eggebert als an Emmanuel Macron denken. Dementsprechend war die Stimme des ZDF-Experten Norbert Lehmann so belegt und andächtig, dass ich die Bundesliga-Konferenz auf dem Second Screen stellenweise leiser drehen musste, um ihn überhaupt zu verstehen. Gerade rechtzeitig, denn Lehmann war im Begriff, etwas juristisches Licht ins Dunkel Philips genauer Aufgabe zu Hof zu werfen: "Verfassungsrechtlich existierte er gar nicht."

Erst 1997 nahmen sie uns Diana, nun, nur 24 Jahre später, wurde der Schattenprinz Philip (99) mitten aus dem Leben gerissen. Er, der eigentlich gar nicht existierte. Vielleicht ordnete RTL-Adelsexperte Michael Begasse die Dimensionen dieser Tragödie senderübergreifend am treffendsten ein, als er in Richtung des ebenfalls sichtlich angefassten Guido Maria Kretschmer sinnierte: "Da stand ich bei der Hochzeit von Meghan, genau an dem Punkt. Schöne Erinnerungen. Aber wie du sagst, Guido: Der Tod gehört zum Leben dazu." Ein interessanter Gedanke, wie ich finde. Was hätte Prinz Philip dazu gesagt? Wir wissen es nicht. Seine letzte Pointe nahm er mit in die Familiengruft. Die Gag-Kanone aus dem Buckingham Palace ist für immer verstummt.

Und, um es mit Frauke Ludowig zu sagen: "Es ist so still, dass man die Schritte auf dem Kies hört."

Goodbye England's Rose.

Dein: Dax Werner

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Dax Werners Debattenrückspiegel KW 14

Liebe Leser:innen,

ich denke, ihr als kulturell informiertes Publikum habt es sowieso mitbekommen: Der für seinen gepfefferten Sprechgesang bekannte Musiker "Danger Dan" hat vor einigen Tagen einen Song veröffentlicht, in dem er sich nicht nur sehr kritisch mit einigen Influencern der neurechten Szene auseinandersetzt, sondern indirekt auch Kritik an der Polizei übt. Kein überproduziertes Effektfeuerwek, kein Beat, kein Overdub: Einfach nur ein Mann und sein im Antilopenmuster geairbrushtes Klavier mit einem Song, der nun sowohl im Internet als auch im linearen Fernsehen rauf und runter gespielt wird. Ein fast schon perfide harmlos daherkommendes Gesamtprodukt, das auf den ersten Blick keine Fragen offen lässt und nüchtern feststellt: "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt."

Doch stimmt das wirklich? 

Es ist allgemein bekannt, dass Hip-Hop 1986 von der Stuttgarter Band "Die Fantastischen Vier" erfunden wurde, einer Clique von Entrepreneuren und Programmierern, die eher zufällig ins Musikgeschäft stolperten. Damals setzten sich Michi Beck, Thomas Dürr, And.Ypsilon und Smudo in einer Reihenhaushälfte zusammen und definierten die vier Elemente des Hip-Hop: Gute Laune, clevere Wortspiele, Stuggitown und digitale Lösungen für die gesellschaftspolitischen Herausforderungen der Zukunft. Weitsichtig haben die vier bereits damals sperrige Reflexionen zur Kunstfreiheit oder populistische Pauschalurteile über die deutschen Sicherheitsbehörden außen vor gelassen. Mit den vier Elementen des Hip-Hop ließe sich über "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt" argumentieren: Die Polizei anscheißen, obwohl roundabout 99,9 Prozent der Bediensteten einen Riesenjob machen? Das hat mit Rap leider nichts zu tun. Da ist man auch auf einer Linie mit dem CDU-Influencer Wolfgang Bosbach.

Und so schmeckt der musikalische Impfstoff, den Danger Dan derzeit verimpft, einigen so gar nicht. Auch die Polizei selbst hat es trotz ihres aktuell extremen workloads geschafft, in den infamen Clip reinzuklicken. Der Zufall wollte es, dass sich auch unter den Engeln in Grün ein gestandener Rapper mit dem Künstlernamen "Zett Zinnotec" tummelt. Und der verabreichte Danger Dan gestern in einem Reaction-Video seine eigene Medizin. In der description box des Videos liefert der Künstler die backstory zu seinem Werk besser, als ich es zusammenfassen könnte: "[I]ch hab mich einfach auf einen schönen Abend nach einem schwierigen Dienst gefreut, etwas Spaß und etwas das schlechte Gefühl mehr für die Gesellschaft tun zu müssen, Politische Satire eben...und dann der Song Danger Dan 'Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt' ich glaube ich kann und habe auch schon so manches ertragen aber das, dass hat mein persönliches Limit überschritten, zumindest an jenem Abend." Die Ansprache ist emotional und atemlos; clever, denn so sind wir, die Hörer:innen, nach diesem Intro sofort mittendrin. 

Doch nach der Lektüre der Videobeschreibung und dem anschließenden Klick auf die Play-Taste lässt uns Zett Zinnotec zunächst zappeln: Denn darin liest er als erstes noch einmal den Titel des Youtube-Videos vor, das wir ohnehin gerade anschauen: "Reaktionsvideo auf Danger Dans Song 'Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt'". Der Künstler thematisiert die Gemachtheit des Werks im Werk selbst, und so beginnt ein metafiktionales Vexierspiel um die zentrale Frage: Wer spricht hier eigentlich gerade? Der Polizist, der Mensch oder der Rapper? Visuell wird dieses Spannungsverhältnis durch ein JPG in der oberen linken Ecke des Videos verstärkt, denn dort sieht man eine Polizeijacke und eine Polizeimütze an einen Kleiderhaken drapiert, was mich an das berühmte Buch "Außer Dienst: Eine Bilanz" von Bundeskanzler Helmut Schmidt erinnert. Er fehlt.

Dann beginnt der Track: "Ja mein lieber Danger denn, für dich wär' ich wirklich genn." Es ist die direkte Ansprache des Gegners, die wir bereits aus dem musikalischen Genre des "Battleraps" kennen – welche streng genommen jedoch auch nicht vereinbar ist mit den vier Elementen des Rap von 1986. Sei’s drum. Hervorzuheben scheint mir außerdem, dass Zett seinen Text mit Anleihen aus dem Hopeländischen garniert ("Danger Denn", "wirklich genn"), einer Kunstsprache, die seinerzeit die isländische Band Sigur Rós entwickelte, um noch effektiver von Elfen und Geysiren singen zu können. Ein subtiles Zitat im Zitat sozusagen, das dem Krawallo-Rapper Danger Dan ohne Lektüreschlüssel sicher verborgen geblieben wäre. Und dann kommt auch schon der eigentliche Höhepunkt des Videos, in dem Zinnotec das Stilmittel der hyperironischen Figurenrede für sich beansprucht: "Schlag mir in die Fresse rein, ich bin dein Bullenschwein." Gnadenloser wurden linksgrüne Gewaltfantasien gegen den Staat und die Ordnungsmacht noch nicht karikiert. Komplett Gänsehaut.

Und so stellt man sich nach diesen intensiven 111 Sekunden (womit Zinnotec auf subtilste Weise, nämlich auf der Ebene der Form, die Frage diskutiert, ob wir wirklich in einem Land leben wollen, in dem wir weder unter der 110 noch unter der 112 jemanden erreichen würden) eigentlich nur noch die Frage, warum sich Zett Zinnotec damals für die Polizei- statt der Rapkarriere entschieden hat. Und wie nicht anders zu erwarten war, beantwortet Zinnotec diese Frage mit seinem Song eigentlich gleich mit:

Weil es um unser Land geht.

 

Hip-Hop-Grüße gehen raus: Dax Werner

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Mal halblang, Polizei Düsseldorf!

Irgendwie war ja zu erwarten, dass Du Dich in Deinen Ermittlungen zum Anschlag in Solingen von rassistischen Debatten und wütenden Rufen nach Massenabschiebungen beeinflussen lässt. Wenn Du in einem Aufruf an die Bevölkerung aber auch noch um »Angaben zur Herkunft der abgebildeten Regenjacke« bittest – gehst Du damit nicht ein bisschen zu weit?

Deine Sittenwächterin von der Titanic

 Gut gehobelt, Noemi Molitor (»Taz«)!

»Unser Handwerk im Journalismus ist die Sprache. Bei genau diesem Werkzeug lohnt es sich also, genau hinzuschauen und auch ethische Fragen an orthografische Regeln zu stellen.«

Die Sprache: Handwerk und Werkzeug in einem. Wird auch nicht besser mit dem Fachkräftemangel, wie?

Schaut genau hin: Titanic

 Huch, Wolodymyr Selenskyj!

Laut Spiegel wollen Sie »überraschend nach Deutschland reisen«. Verständlich, Flugzeug oder Zug werden auf Dauer ja auch langweilig. Interessiert, ob Sie stattdessen einen Tunnel graben, mit einem Zeppelin fliegen oder doch per Faltkanu heranschippern, wünschen Ihnen in jedem Fall eine gute Reise

Ihre Travelguides von Titanic

 Priwjet, Roderich Kiesewetter!

Priwjet, Roderich Kiesewetter!

»Die AfD ist nicht besser oder schlechter als das BSW. Beide sind Kinder derselben russischen Mutter«, sagten Sie der FAS.

Da haben wir aber einige Nachfragen: Wer sind denn die Väter? Hitler und Stalin? Oder doch in beiden Fällen Putin? Und wenn BSW und AfD dieselbe Mutter haben: Weshalb ist der Altersunterschied zwischen den beiden so groß? War die Schwangerschaft mit dem BSW etwa eine Risikoschwangerschaft? Und warum sollte es keine Qualitätsunterschiede zwischen den Parteien geben, nur weil sie die gleiche Mutter haben? Vielleicht hat Russland ja sogar ein Lieblingskind? Können Sie da bitte noch mal recherchieren und dann auf uns zurückkommen?

Fragt die Mutter der Satire Titanic

 Really, Winona Ryder?

Really, Winona Ryder?

In einem Interview mit der Los Angeles Times monierten Sie, dass einige Ihrer jungen Schauspielerkolleg/innen sich zu wenig für Filme interessierten. Das Erste, was sie wissen wollten, sei, wie lange der Film dauere.

Wer hätte gedacht, Ryder, dass Sie als Kind aus der Glanzzeit des Fernsehkonsums einmal die Nase rümpfen würden, weil junge Menschen möglichst wenig vor der Glotze sitzen und sich stattdessen lieber bewegen wollen? Davon abgesehen: Sind Sie sicher, dass sich die Abneigung gegen Cineastisches und das Verlangen, bereits beim Vorspann die Flucht zu ergreifen, nicht nur auf Werke beziehen, in denen Sie mitspielen?

Fragt sich Ihre Filmconnaisseuse Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

 Reality-TV

Bei der Fernsehserie »Die Nanny« gibt es diese eine Szene, in der die Mutter der Nanny, Sylvia Fine, in einem Pariser Restaurant mit dem Kellner kommunizieren will. Da sie kein Französisch spricht, nutzt sie zum Austausch ausschließlich den Text des französischen Kinderliedes »Frère Jacques«: Mit »Frère Jacques« ruft sie den Kellner, mit »Ding-ding-dong« fordert sie einen neuen Kaffee und so weiter. In der Serie klappte das sehr gut, und als Kind fand ich es auch ausgesprochen lustig, war mir allerdings sicher, dass das in der Realität nie funktionieren würde – bis es mir selbst gelang. Das kam so: Im Fitnessstudio wartete ein junger Mann am Tresen vergeblich auf einen Trainer. Vergeblich, weil er die im Tresen eingelassene Klingel nicht betätigt hatte. Nun hatte ich ihn während des Trainings Französisch sprechen hören, sprach allerdings selbst keines. Da ich aber der Einzige war, der sein vergebliches Warten bemerkte, ging ich schließlich hin, zeigte auf die Klingel und sagte »Sonnez les matines! Sonnez les matines!« Er verstand sofort und klingelte ausgiebig. Kurz darauf erschien der Trainer und ließ ihn hinaus. Da soll noch mal einer sagen, Fernsehen würde im Leben nicht helfen.

Karl Franz

 Kurzzeitgenossen

Bei der Meldung zu Anton Bruckners 200. Geburtsjubiläum (4. September) und dem tags darauf sich jährenden Geburtstag Heimito von Doderers (5. September) mit Interesse bemerkt, dass beide Herren im Jahr 1896 kurz gleichzeitig am Leben waren: nämlich fünf Wochen und einen Tag lang, von Klein-Heimitos Entbindung bis zu Bruckners Tod am 11. Oktober. Solche ganz knapp verpassten Möglichkeiten der Seelenwanderung faszinieren mich. Was wäre gewesen, hätte man Doderer etwas später zur Welt gebracht, wäre Bruckners Geist schon ein paar Wochen früher »frei« gewesen? Hätte Wien / Ansfelden ein reinkarniertes Doppeltalent Heimtoni von Brucknerer überhaupt ausgehalten, hätte die literarisch-musikalische Welt unter dem Eindruck der »Strudlhofsinfonie«, des »Rondo in c-Moll für Streichquartett und einen Merowinger« (Alternativtitel: »Die tonale Familie«) oder der kurzen vierstimmigen Motette »Die Peinigung der Orgelpfeifelchen« vor Entzücken und Überwältigung alle viere von sich gestreckt, aufgegeben und ihren Kulturbeutel auf immerdar zusammengepackt? – Dass das Spekulieren über solche vergeigten Leider-nicht-Seelenwanderungen nur sehr ausnahmsweise Sinn ergibt, dämmerte mir aber, als ich ad notam nahm, mit welchen Gruselgestalten und potentiellen Reinkarnationsgefäßen seinerseits Doderer seine allerletzten Tage im Herbst 1966 verbringen musste: Stefan Raab (*20.10.66), David Cameron (*9.10.66), Caroline Beil (*3.11.66) und sogar noch haarscharf David Safier (*13.12.66, »Miss Merkel – Mord am Friedhof«; »Der kleine Ritter Kackebart«). Dann schon lieber die Seele mit in die Hölle nehmen.

Michael Ziegelwagner

 Alle meine Aversionen

Was ich überhaupt nicht schätze:
»Mädchen, ich erklär dir ...«-Sätze.

Was ich nicht so super finde:
Bluten ohne Monatsbinde.

Was ich gar nicht leiden kann:
Sex mit einem Staatstyrann.

Den Rest, auch Alkoholkonzerne,
mag ich eigentlich ganz gerne.

Ella Carina Werner

 Unangenehm

Auch im Darkroom gilt: Der Letzte macht das Licht aus.

Sebastian Maschuw

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Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
14.10.2024 Augsburg, Parktheater im Kurhaus Göggingen Hauck & Bauer und Thomas Gsella
15.10.2024 Tuttlingen, Stadthalle Hauck & Bauer und Thomas Gsella
16.10.2024 München, Volkstheater Moritz Hürtgen mit Max Kersting und Maria Muhar
16.10.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner