Dax Werners Debattenrückspiegel KW 17
Liebe Leser:innen,
es ist der lang erhoffte Silberstreif am Horizont. Der manchen gar zu köstliche Impfnektar wird inzwischen mit Hochdruck von Kiel bis Sonthofen verabreicht, viele Menschen teilen in ihren sozialen Medien mit, dass auch sie nun die "Impfe intus" haben, kurz: die Impfkampagne kommt auch hierzulande ins Rollen, vielleicht langsamer als anderswo, nun jedoch mit Nachdruck, also ein bisschen so wie Donkey Kong auf der Rainbow Road in Super Mario Kart – von der Beschleunigung her mau, aber nach hinten raus mit beeindruckender pace.
Wurde auch Zeit, denn mitunter vergesse ich's fast selbst schon in all der Aufregung: Im September geht's ja schon in die Wahlkabine! Doch die klassischen Vor-Ort-Termine auf den Marktplätzen von Oldenburg, Hamminkeln und Güstrow, die Präsenzveranstaltungen der Demokratie sind – Verimpfe hin oder her – in diesem Wahljahr schon längst gecancelt. So fällt zu meinem großen Bedauern auch die inzwischen schon traditionelle Markus-Feldenkirchen-Roadstory mit dem SPD-Kanzlerkandidaten auf 16 eng bedruckten Spiegel-Seiten flach ("Ein Stiefel auf dem Highway, ein anderer in der unbarmherzigen Arithmetik der Demoskopie"). Dafür, und da sind sich Digitalexpert:innen eigentlich seit Jahren einig, werden das Internet und die Menschen darin für die #2021Elections eine immer größere Rolle spielen: Dieser Wahlkampf wird digital ausgefightet!
Welche Rolle werden also die berühmt-berüchtigten Putin-Bots spielen? Wie viele digitale Debattencamps stehen uns bis Herbst noch ins Haus? Und wird es im Wettstreit der Ideen eine Partei geben können, die nicht auf das Erfolgsrezept von Christian Lindner im letzten Wahlkampf (Schwarz-weiß-Fotos) setzt? Auch die grand old CDU hat die Zeichen der Zeit erkannt: In einem bislang von vielen fadenscheinigen Korruptionsvorwürfen geprägten Jahr hat sie sich nun die Dienste des Präsidenten a.D. des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Mönchengladbacher Originals Hans-Georg Maaßen für den Thüringer Wahlkreis 196 gesichert. Ich möchte ehrlich sein: Ein Hammer-Transfer!
Maaßen steht wie der Sauerländer Friedrich Merz für das gut verdienende Anti-Establishment der Partei, seine kultigen Sprüche sind schon fast so legendär wie die von Prinz Philip (Gott hab ihn selig): "Es gab keine Hetzjagden in Chemnitz!" oder "Eine Koalition mit der AfD? Man weiß ja nie!" Auch seine Twitter-Bio atmet schon diesen unverkennbaren Oswald-Spengler-Alarm-Sound: "Nüchterner Realist, der sich große Sorgen um die Zukunft Europas macht." Visuell bedient er die tiefe Sehnsucht der radikalen bürgerlichen Mitte nach dem deutschen royal: Dreiteiler, winzige Brille, wenige TV-Auftritte. Und während der CDU-Chef Armin "Arminion" Laschet das Internet so müde und einfallslos bespielt, als wäre es noch 2012 und er Oppositionsführer in NRW, beherrscht Maaßen die Klaviatur der sozialen Medien mit schlafwandlerischer Sicherheit: Seine Gedanken und Notizen werden regelmäßig von 80 000 Menschen auf Twitter gelesen und mit Fav versehen, eine Netzpolitik-Studie fand auch heraus, von wem: nämlich von denen, die sonst nur noch auf die journalistische "Arbeit" von Roland Tichy, Boris Reitschuster und Joachim Steinhöfel vertrauen. Clever: Mit HGM hat die Union bei aller gespielten Empörung nun wieder einen Fuß in der Tür beim komplett unzurechnungsfähigen Teil der Bevölkerung.
Gleichzeitig gilt HGM als unkontrollierbar, als einer, über den First-Tier-Politiker:innen stolpern: Schon Annegret Kramp-Karrenbauer und Andrea Nahles bissen sich an der Maaßen-Personalie mehr oder weniger die Zähne aus, deswegen ist CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak gut beraten, wenn er im Umgang mit der Thüringer Personalie harte Geschütze auffährt. Statt persönlich in den Osten zu fahren und sich dort wie weiland AKK die Finger zu verbrennen, forderte er noch am Freitag energisch eine neue Ehrenerklärung der Thüringer CDU zu "Werten und Politik der CDU sowie einer scharfen Abgrenzung zur AfD". Und wie wir aus der Causa Masken-Raffkes noch wissen, ist die Ehrenerklärung das mächtigste Tool im demokratischen Werkzeugkasten der Union.
Demoskopisches Ehrenwort: Dax Werner
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