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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Dies und das (nicht)

Ein Text ist ja immer alle Texte, die man nicht schreibt, und also will ich mich heute nicht schon wieder des Geschreis wegen „sprachpolizeilicher Aktivitäten“ annehmen, das selbst so gebildete Männer (aber eben meistens: Männer) wie Thomas Steinfeld (SZ) und Peter Eisenberg (Linguistik) erheben, weil sich die Praxis durchsetze, „noch jedem ,Straftäter’ eine ,Straftäterin’ an die Seite zu stellen“, ach Gott; als wäre Polizei nicht das, was die Regeln durchsetzt, und wer setzt fürs Milieu die Regel durch, daß gemischtgeschlechtliche Gruppen unters männliche Rubrum fallen? Herr Steinfeld und Herr Eisenberg. Bin ja selbst Sprachpolizist (wenn auch einer ohne Knarre und Mandat), und ich erkenne einen, wenn ich ihn sehe. Und was den „zunehmend ideologischen Gebrauch der Sprache“ angeht, könnte Steinfeld zunächst einen Zettel in die Redaktion hängen lassen mit jenem zunehmend, sogar „massiv“ (Steinfeld) hirnverengenden Orwell-Vokabular, das seine Zeitung erst mal meiden soll, bevor’s wieder gegen irgendwelche Genderfaschist*innen geht.

Was ich hier auch nicht leisten will, ist, dem alten Adorniten, in dessen Mailverteiler ich (was gar nicht stört) geraten bin, den Wunsch zu erfüllen, es möge endlich mal einer den Oliver Welke und seine „Heute Show“ abwatschen, denn erstens hat das Kollege Mentz bereits getan („ein Eventmanager vom Sportfernsehen“), und zweitens bin ich mir nicht sicher, ob mir Welke nicht sogar ein bißchen leid tut. Er tut so gerne, was er tut, man sieht’s ihm an, aber er weigert sich zu sehen – oder sieht es ganz im Ernst nicht –, daß es auf der Welt nichts Affirmativeres, herrschaftsideologisch Aufgeladeneres gibt als Sport/Fußball und daß es, nicht moralisch, sondern handwerklich, nicht aufgehen kann, wenn ein Champions-League-Grüßaugust (und sei’s ein freundlicher) Satire gegen die da oben vorträgt. „Drei Mann in einem Raum, da ist schlecht Fotze lecken“ (Helge Schneider). Es geht schlicht nicht.

„Was ich nicht loben kann, / davon sprech ich nicht.“ Goethe, 1827

Und weil ich das alles nicht ausführen mag, bleibt glücklich Zeit, um mich auch einmal zu freuen, über ein Wunder fast, das freilich bloß ein Korrespondentenwechsel ist und jedenfalls dafür sorgt, daß der Gazastreifen plötzlich nicht mehr allein unterm perfiden Juden leidet: „Trotz des jüngsten Versöhnungsabkommens zwischen Fatah und Hamas: Die Lage in Gaza bleibt hoffnungslos. Bei der Übergabe der Verwaltung hakt es, viele Menschen warten seit Monaten vergeblich auf ihr Gehalt. … Der politische Analyst Talal Okal ... sieht die Schuld an der derzeitigen Verzögerung eher in Gaza … Die Autonomiebehörde zahle weiter die Stromrechnungen nicht, so daß es nur drei Stunden am Tag Elektrizität gebe. Auch hinter Okals Haus brummt ein kastengroßer Generator, mit dem drei Dutzend Haushalte versorgt werden – zum siebenfachen Preis des öffentlichen Stroms. Die Straßen sind Pisten, über welche Autos und noch mehr Eselskarren holpern. Asphalt gibt es in dieser Stadt mit rund einer halben Million Einwohnern nicht überall, dafür jede Menge tischgroße Schlaglöcher. Viele Gebäude stehen leer, die zehn Kinos der Stadt sind Brandruinen – von Hamas-Anhängern gestürmt. Auch das Museum und die Bibliothek sind zu. Dafür steht alle paar hundert Meter eine Moschee – nagelneu, von Katar finanziert. Rund ein Drittel der Frauen auf den Straßen trägt Niqab, den Gesichtsschleier.“

So sieht er also aus, der Freiheitskampf, und sogar seine Profiteure lernt man kennen; und da ich ja heut’ so viel nicht habe aufschreiben müssen, grüße ich die neue Israel-Korrespondentin der „Süddeutschen Zeitung“ Alexandra Föderl-Schmid. Ihr Vorgänger Peter Münch ist jetzt in Wien; kann er ja mit Strache mal essen gehen.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Krisenmanagement

„In Deutschland sind über zwei Millionen Kinder von Armut betroffen“, heißt im Weihnachtsbrief des Deutschen Roten Kreuzes. „Die Wohnungsnot ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, hieß es letztens in der Zeitung. In Nordrhein-Westfalen ist der Feldhamster, las ich andernorts, ausgestorben; immer mehr heimische Vogelarten verschwinden oder sind längst verschwunden, der Kuckuck zum Beispiel wird die Klimaerwärmung wohl nicht überleben; und wegen Insektensterben, Klimawandel und monokultureller Idiotie wird der Apfelanbau, am Bodensee und anderswo, in näherer Zukunft in ernste Schwierigkeiten geraten. (In Kalifornien und China werden die Blüten bereits von Hand bestäubt.) Derweil ist der Absatz von Sportgeländewagen ungebrochen und sehen selbst Leute mit Kindersitz keinen Widerspruch darin, den Nachwuchs in Autos durch die Welt zu kutschieren, die nicht nur diese Welt ruinieren helfen, sondern anderen Kindern bei einem Unfall keine Chance lassen; und tun moderne Eltern für ihre Kinder alles, sind aber, sofern der morgendliche Ausflug in die Stadtteilbibliothek irgendwas besagt, nicht in der Lage, auch nur für zwei Minuten ihre elenden Daddelphones im Parka zu lassen.

Shampoos und Cremes, sofern nicht aus dem Bioladen, sind randvoll mit Mikrokunststoff, der die Gewässer versaut und irgendwann wieder auf dem Teller landet; der Fernsehbericht darüber ist von der Erheblichkeit dieser Tatsache aber so wenig überzeugt, dass er mit Hochgeschwindigkeitsmontage und völlig sinnlosen Zooms (bei Interviews!: rein ins Gesicht, raus ausm Gesicht) um die Aufmerksamkeit der Leute buhlt, die ihr Daddelphone nicht aus der Hand legen können und deren Sprachschatz sich so rasant auf die Hauptbestandteile „alles gut“ und „lecker“ reduziert; derweil kopiert ein ARD-Fernsehfilm, ohne es wohl selbst zu merken, fugenlos die Bild- und Musiksprache der Margarinewerbung, und die Morgenzeitung – wo, wer’s aushält, verfolgen kann, wie das Plusquamperfekt aus der Sprache verschwindet, das totaler, verhältnisloser Gegenwart halt auch im Weg steht – hat gleichzeitig keine Schwierigkeiten mit der Schlagzeile: „O Pannenbaum“.

„,Wie meinst ,Krise’, Spatzl? – ,Ja merkst du das denn nicht? Merkst du nicht, in was wir da alle hineinschlittern?’ – ,In was?’ – ,Aber das liegt doch förmlich in der Luft, ich saug mir das doch nicht aus den Fingern, das spürn wir doch alle!’“ Dietl/Süskind, 1983 

Nennen wir’s ruhig Krise: ökologisch, geistig, sittlich, und selten genug, daß ich mit der Zeitung mal d’accord bin: „Daß in Deutschland gerade etwas schiefläuft, das gilt vielen als der einzig sichere Befund in diesen unsicheren Zeiten … So viel Ungewißheit, die Republik im Stillstand, das Land in der Schwebe. Wer hat da Angst? Wer hat nun Hoffnung? … Siemens schmeiße raus, und die Politik schmeiße hin. Dafür habe man nicht gewählt … Was darf eine Demokratie den Bürgern zumuten? Oder, andersherum: Was müssen die Bürger auch einmal aushalten können? … So eine Krise prüft ein Land … Hört man [Herfried Münkler, der jüngst ein Buch zum Dreißigjährigen Krieg veröffentlicht hat] zu, erscheinen Mißlichkeiten wie der Rückzug eines FDP-Chefs aus der Jamaika-Runde im Vergleich zur Auslöschung Magdeburgs 1631 als Fliegenschiß der Geschichte.“

Allerdings nur dann. Ein Satz, der nach dem Nannen-Preis geradezu schreit.

Wer solch krisenfesten Journalismus hat, muß sich vor dem Weltuntergang jedenfalls nicht fürchten. Er mag ihn fast herbeisehnen.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Was gesagt werden muß

Die Ära Merkel geht zu Ende, lese ich, und darüber müssen sich alle freuen, die wie Wolfgang Streeck, Professor für Soziologie und emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, seit Jahren wider die Postdemokratie anreden; denn „die Demokratie, wie wir sie kennen, ist auf dem Weg, vom Kapitalismus abgetrennt und um seinetwillen auf eine Kombination von Rechtsstaat und öffentlicher Unterhaltung reduziert zu werden“, wie Streeck in seinem lesenswerten, hier schon zitierten Band „Die gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“ 2015 zusammenfaßte.

Wie groß also Streecks Erleichterung, daß es mit Merkels marktkonformer Nichtpolitik zu Ende geht, und so riesig ist sein Braß auf das „System Merkel“ als „postdemokratische Reduzierung von Strategie auf Taktik von einer politischen  Klasse, die ihre Regierungsfunktion an den globalen Markt und die europäische Technokratie abgetreten hat“, daß die FAZ nicht anstand, eine ganze erste Feuilletonseite dafür freizuräumen: „Auf dem Gipfel ihrer Macht, getragen von der ,Willkommenskultur’ und einer so angsterzeugten wie -verbreitenden Gleichschaltungsbereitschaft der politischen Klasse, regierte Merkel wie eine Monarchin … In der substanzentleerten und sentimentalisierungsbedürftigen deutschen Postdemokratie dagegen konnte Merkel für ihre Grenzöffnung den Sonderstatus einer ,Hier stehe ich, ich kann nicht anders’-Entscheidung beanspruchen … Dauertest einer demokratischen Öffentlichkeit auf ihre Fähigkeit und Bereitschaft hin …, unter laufender Opferung ihres Intellekts immer neue Absurditäten zu glauben oder wider besseres Wissen zu bekennen – etwa die Behauptung der Regierungschefin, man könne Grenzen heutzutage nicht mehr schließen ... Wenn eine Öffentlichkeit wie ein Tanzbär am Nasenring regierungsamtlicher Wahrheiten durch die Manege gezogen wird und sich ziehen läßt … Diejenigen, die sich im Herbst 2015 zu einer Einheitsmedienlandschaft zusammengefunden hatten, die bei Strafe moralischer Exkommunikation nicht so genannt werden durfte … Antifa als politische Bazooka … Merkels germanozentrische ,Flüchtlingspolitik’, ohne Vorwarnung der Partnerländer überfallartig ins Werk gesetzt, hat den Ausgang des Brexit-Referendums mitverursacht und die Ablehnungsfront der Ostländer konsolidiert … willigste Medienmaschine … regierungsamtlicher Antifaschismus …“

„Nur so ist allen […] und letztlich auch uns zu helfen.“ Grass, 2012

Man kann der substanzentleerten und sentimentalisierungsbedürftigen deutschen Postdemokratie ja viel vorwerfen: daß sie immer mehr Leute, auch Kinder, verarmen läßt und die Zahl der Wohnungslosen einen neuen Höchststand erreicht hat; daß immer mehr Menschen in Prekärjobs arbeiten und im Alter noch dümmer dastehen werden als jetzt schon; daß es eine Zweiklassenmedizin und eine Zweiklassenbildung gibt und die Armen dumm bleiben und früh sterben; daß sie der Industrie bei jeder Gelegenheit in der Arsch kriecht und gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen kaum mehr als das Nötigste unternimmt; daß sie Waffen an Despotien verkauft, mit subventionierten Nahrungsmitteln aus brutalisierter Landwirtschaft die Dritte Welt überschwemmt und sich eine willigste Einheitsmedienmaschine hält, die das und die verwandten Absurditäten für eine wunderbar funktionierende Marktwirtschaft im besten Deutschland aller Zeiten hält. Daß ihr größtes Problem hingegen der Flüchtling sei, der einer Welt zu entkommen versucht, für die dieses Deutschland Tag für Tag einsteht, oder Einheitsmedien, die wenigstens manchmal versuchen, dem anti-antifaschistischen Affen des demokratischen Souveräns nicht mehr Zucker zu geben als unbedingt nötig, und daß die Überwindung deutscher Postdemokratie bedeuten soll, daß nicht etwa über den Widerspruch von Kapital und Demokratie und eine Zukunft für alle geredet werde, sondern über Kanaken: ich bin begeistert.

Mit Rechten reden? Ich muß sie lesen, das genügt.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Mit Netz, ohne doppelten Boden

Die Geschichte war für mich eigentlich durch, weil die Morgenzeitung im Fall Spacey so stimmenreich wie einhellig darauf bestand, Leben und Kunst nicht in einen Topf zu werfen. Von den „sabbernden Erwartungen an Stars und deren vermeintliche Authentizität“ schrieb der gelernte Kunsthistoriker Peter Richter. „Keiner ist gezwungen, die Arbeit eines Menschen anzuschauen, den er verabscheut. Kevin Spacey aus einem Film zu schneiden ist kein besonders tröstliches Zeichen für das kulturelle Klima der Gegenwart.“ Und die gelernte Kunsthistorikerin Kia Vahland klagte, heute würden Kunstwerke häufig „nicht ästhetisch, sondern biographisch“ legitimiert: „Vielleicht sollte man Verbrecher, ob Künstler oder nicht, mit juristischem Augenmaß beurteilen.“

Als nun auch der große Komiker Louis C.K. an den Pranger geriet, rettete die FAZ in Gestalt einer Johanna Dürrholz meinen Frühstückstag, die, wenn auch invers, den sabbernden Erwartungen an Stars und deren vermeintliche Authentizität aufsaß: „Dabei gibt es durchaus frauenfeindliche Figuren in amerikanischen Serien, deren Darstellern man den Sexismus verzeiht: Barney Stinson ist vermutlich der größte Sexist der Fernsehgeschichte. Sein Ziel ist die ,perfekte Woche’, also in einer Woche mit sieben Frauen zu schlafen, jeden Tag mit einer anderen. Er hat Regeln für sein Dating-Leben, die allesamt darauf hinauslaufen, daß er keine Frauen daten kann, die Übergewicht haben (…). Wieso ist dieser schrecklich-schlimme Mensch witzig? Ja, wieso mag man dieses frauenverachtende Arschloch sogar irgendwie? Das liegt zum einen am Regulativ der anderen Charaktere“, recte: Figuren, „in der Sendung (…). Zum anderen aber ist bekannt, daß Neil Patrick Harris, der Barney Stinson verkörpert, ein großer Humanist und Menschenfreund ist, ein gutmütiger Broadway-Star, der zwei Kinder hat und verheiratet ist – mit einem Mann. Die Diskrepanz zwischen Harris und Stinson könnte also größer kaum sein. Und das macht Barney Stinson in seiner Unerträglichkeit nicht nur erträglich, nein, es macht ihn irgendwie sympathisch. Das verdeutlicht, daß eine Sache, die in der Debatte um den Mißbrauchsskandal in Hollywood immer wieder gefordert wird, eben doch nicht immer möglich ist: Künstler und Werk sind nicht jedes Mal glasklar voneinander zu trennen.“

„Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.“ Schiller, 1798

Ob sich nun, rein sprachlich, etwas glasklar voneinander trennen läßt, ist die eine Frage; ob man Künstler und Werk trennen muß, die andere, denn der Künstler, soviel ist wahr, ist sein Werk; aber wenn der Künstler abends ins Kino geht oder seine Kinder ins Bett bringt, seine Frau schlägt oder beim Essen schmatzt, dann ist er ein Mensch, ein guter oder nicht so guter, ein netter Kerl oder ein Arschloch oder vielleicht beides. Und erstaunlich nun die Überzeugung, privates Idealverhalten (nach wessen Ideal?) sei Bedingung für Anstößiges, Frivoles, Heikles in der Kunst: „Weil nämlich, wer politisch inkorrekte Witze, frauenfeindliche Witze macht, die nur machen darf, wenn er sonst im Leben eine völlig reine Weste hat. Sonst funktioniert die überspitzte Ironie, die nur durch das Doppelspiel aus Fakt und Fiktion gelingt, nicht mehr. Wenn die Vorwürfe gegen Louis C.K. stimmen, ist er einfach nur ein weißer Mann mittleren Alters, der gern vor seinen Mitarbeiterinnen masturbiert. Und darüber schlimmstenfalls noch geschmacklose Witze erzählt.“

Richtig ist, daß Satire ihre Umgebung, ihren Hintergrund hat: Ein politisch inkorrekter, frauenfeindlicher Witz in TITANIC ist etwas anderes als ein ebensolcher Witz in „Bild“. Verwegen (wo nicht autoritär) ist aber die Annahme, das Privatleben eines Künstlers stehe für seine Kunst ein, was ja auch nur in Zeiten funktioniert, wo jeder private Furz sofort ins Weltnetz gelangt. Von Gerd Dudenhöffer etwa ist nie recht bekannt geworden, inwieweit er mit seiner Kunstfigur, dem saarländischen Spießer Heinz Becker, identisch ist, die vom Vereinsfest berichtet, auf dem die Bedienung keine Weiße war: „Ich haan gesaat, die macht des bestimmt schwarz.“ Es spielt auch keine Rolle; es wäre sogar schädlich. Denn der Saal steht kopf, und wer mitlacht, kann sich fragen, ob er mit Heinz Becker lacht oder über ihn, falls sich das nun wieder trennen läßt. Komik, Satire zumal, hat ja nun mal was mit Ambivalenz zu tun.

Louis C.K., der geschiedene mittelalte Comedian, der in New York lebt und zwei Töchter hat, steht auf der Bühne (oder vor der Kamera) als geschiedener mittelalter Comedian, der in New York lebt und zwei Töchter hat. Neben sehr vielem anderem (auch Politischem) geht es oft ums Onanieren, und das ist schon darum lustig, weil hier Banales und Existentielles so griffig in eins fallen. Es wird nicht weniger lustig, wenn ich erfahre, der private C.K. habe Frauen genötigt, ihm beim Onanieren zuzusehen. Seine Witze, sofern sie Sex, Ehe oder Elternschaft zum Thema haben, werden auch nicht plötzlich geschmacklos, weil er sich als Privatperson nichteinvernehmlich vor Frauen entblößt oder Anstalten dazu gemacht hat. Freilich wird auf der Bühne Leben verhandelt, und die Interpretin kann jetzt sagen, ah, da kommt es her. Aber auf der Bühne ist auf der Bühne ist auf der Bühne, und auf der Bühne zu wichsen (zu stehen, zu töten) ist etwas anderes als auf dem Marktplatz, nicht allein rechtlich (wie Louis C.K. jetzt erfahren muß), sondern kategoriell. Daß die Bühne das Wohnzimmer eines Künstlers sei, ist noch bei 300 Auftritten im Jahr eine Metapher.

„Die ästhetische Dimension bewahrt sich noch eine Freiheit des Ausdrucks, die den Schriftsteller und Künstler befähigt, (…) das sonst Unnennbare zu nennen.“ Marcuse, 1964

Ob das alles wiederum die positivistische Unfähigkeit „zum Absehen von der empirischen Wirklichkeit im Modus der Einbildungskraft“ (Klaue, wir hatten das) ist, das Unvermögen gerade der Jüngeren, unterm Regiment der Alternativlosigkeit Sozialisierten, Fiktion ohne Fakt zu denken und mehr als das Sosein wahrzunehmen, nämlich Marcuses „ästhetische Dimension“, muß hier nicht entschieden werden. Peter Richter ist jedenfalls so alt wie ich, Kia Vahland hat 2011 promoviert; Kollegin Dürrholz, falls ich beim Googeln die Richtige erwischt habe, hat 2015 in Bonn ihre Bachelorarbeit eingereicht.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Aus Gründen

Wär’ mein Gedächtnis nicht so schwammig, ich wüßte noch, bei welcher Gelegenheit ich jetzt neuerlich dachte, mein Widerstand gegens Gerede von der „Realsatire“ sei aufgebenswert; zu lächerlich, mit satirischen Mitteln nicht recht einholbar war gewesen, was mir da untergekommen war; wie ja bereits nach dem Friedensnobelpreis für Henry Kissinger Tom Lehrer gesagt haben soll, Satire sei ab sofort überflüssig. Und ist Trump etwa keine per se satirische Figur? Was soll da eins noch zur Kenntlichkeit entstellen?

Ein lieber Freund und überaus geschätzter Kollege, höchstgradig belesen, Marxist und Adornit, echauffiert sich über die (etwas ältere) Meldung, die Fa. Beiersdorf („Nivea“) habe eine über Facebook im Mittleren Osten verbreitete Reklame für ein Deodorant nach Protesten zurückgezogen; der Claim, unter einer von hinten fotografierten Brünetten im weißen Bademantel: „White Is Purity“. Den fand ein Shitstorm sogleich „rassistisch“, und der Freund, der weiß, wie dumm gerade Linkes sein kann, zitiert beifällig, was der Frankfurter Allgemeinen Ursula Scheer dazu eingefallen war: „Rassistisch war an dieser Anzeige gar nichts. Sie zeigt keinen Millimeter Haut, welcher Pigmentierung auch immer, sondern offenbarte ungewollt, welche Macht die selbsterklärten Reinheitswächter der Sprache und der Bilder inzwischen haben. Mit im Betroffenheitsgestus vorgetragenen Unterstellungen lösen sie zielsicher absurde Selbstbezichtigungen aus. ‚Weiß ist die Farbe der Unschuld‘ wird zum gefährlichen Satz. ‚Black is beautiful‘ ist nicht minder riskant.“

Das wäre dann also meine nächste Baustelle: die politische Korrektheit.

Im Stehsatz meiner Überzeugungen ist die political correctness, mindestens diesseits des Atlantiks und als ubiquitär vorgestellt, rechter Popanz, Wahn und Projektion, und wer jammert, die Welt sei mit Verboten linker Moralinskis vollgestellt, soll mir sagen, warum die Welt eher so aussieht, als sei alles erlaubt. Die Zahl der Insekten ist in Deutschland in den vergangenen dreißig Jahren um beklemmende 75 Prozent zurückgegangen, weil die Bauern ihre Felder zu Tode spritzen, Felder, auf denen etwa der Futtermais wächst, den unsere stolz unkorrekten Antiveganer mit jedem Schnitzel und jedem Steak verzehren. Gender? Raubt uns die Luft zum Atmen; dabei gibt es die gendergerechte Sprache in keiner Tageszeitung, keiner Tagesschau, keinem Hörfunkprogramm. Wer sich weder an einer Universität aufhält noch die alternative Linkspresse liest, kommt mit dem „Genderwahnsinn“ hauptsächlich dann in Berührung, wenn sich die Herrenpresse darüber echauffiert. Derweil sind, zum Beispiel, ums britische Parlament herum mal wieder Aberdutzende Frauen betatscht, vergewaltigt und sonstwie molestiert worden. Die politische Korrektheit ist gewiß humorlos; aber sonderlich humorig sind die Verhältnisse vielleicht auch nicht.

„Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“ Marx, 1859

Politische Korrektheit ist Moral, und Moral und Humor sind nicht unbedingt Geschwister. Humor markiert Distanz, also Ironie, und Kollege Mentz beschwert sich, die jüngeren Leute wären nach seinem Eindruck immer weniger in der Lage, mit Ironie, Ambivalenz und doppeltem Boden umzugehen: Sie wüßten lediglich, daß man nicht mehr „Neger“ sagen darf, wüßten aber nicht mehr, daß man es sagen kann, um etwas anderes mitzuteilen. Sprachregelungen sind, wie Regelung immer, autoritär, und was politisch korrekter Haltung zweifellos eignet, ist jene positivistisch-gewalttätige Identität von Sache und Begriff, die Adorno perhorresziert hat. Darauf beruft sich linke PC-Kritik, und wer meine oben skizzierten Überlegungen unterschreiben kann, mag einmal Magnus Klaues exzellenten Band „Verschenkte Gelegenheiten“ (Freiburg 2014) lesen. Darin beschreibt Klaue einen Fall, in dem sich Grundschulkinder bei einem Verlag beschweren, in einem seiner Bilderbücher gebe es einen Schulleiter, sie hätten aber eine Schulleiterin, und außerdem seien in dem Buch alle weiß, während in ihrer Klasse auch türkische und afrikanische Kinder säßen. „In der Tat“, schreibt Klaue, „hätten angesichts der Beschwerde bei den Pädagogen die Alarmglocken schrillen sollen. Nicht aber, weil das Pixi-Buch den weiblichen und nichtweißen Teil der Menschheit diskriminierte, sondern weil die Minderjährigen, statt die Staatsbürgererziehungswerbung kurzerhand in die Tonne zu hauen, offenbar gleich ihren verblödeten Eltern sich und alle anderen allein als Zugehörige von amtlich anzuerkennenden Cliquen, Ethnien und Kulturgemeinschaften zu denken vermögen und sich dementsprechend ausgegrenzt fühlen, sobald sie in einem Buch, das sie lesen müssen, nicht mit all ihren ureigenen Partikulareigenschaften angemessen repräsentiert sind; weil sie also die angeblich so kindertypische Fähigkeit zur Phantasie, zum Absehen von der empirischen Wirklichkeit im Modus der Einbildungskraft, ebenso wenig entwickelt zu haben scheinen wie ihre Erziehungsberechtigten die vermeintlich erwachsene Fähigkeit zur Abstraktion.“

Die analog und dialektisch in der Lage sein müßte, in Absehung von der empirischen (und halt meistens rassistischen) Wirklichkeit einen weißen Bademantel für einen weißen Bademantel zu halten und weiße Reinheit für die des Arztkittels, zumal in einer mittelöstlichen Umgebung, die unter der Dichotomie schwarz/weiß evtl. gar nicht so leidet. Ist es so einfach?

Wer sich ein bißchen weiter auf die Nivea-Affäre einläßt, als es Ursula Scheer getan hat, findet beim ersten Googeln heraus, daß amerikanische Nazis umgehend gratuliert haben; daß die Marke Dove erst vor vier Wochen eine Reklame zurückgezogen hat, in der aus einer schwarzen Frau nach Benutzung eines Duschgels eine weiße wird; daß es tatsächlich eine sehr alte Tradition der Seifenreklame gibt, die aus Schwarzen Weiße werden läßt. Wer überdies noch die „Süddeutsche“ zur Hand hatte, erfuhr, daß es in Afrika einen Riesenmarkt für Hautbleichmittel gibt, aus Gründen, die man sich denken kann, und wer einen Blick auf die inkriminierte Reklame wirft (im Netz ohne weiteres zu finden), wird nicht daran zweifeln, daß es sich bei dem Fotomodell um eine Weiße handelt, auch ohne daß ihre Haut zu sehen wäre.

„Ihrem Wesen und Begriffe nach … ist also Sittlichkeit das Innehalten der Mitte. Fragt man dagegen nach dem Werte und dem Guten überhaupt, so bezeichnet sie darin ein Äußerstes.“ Aristoteles

Man kann der PC von links vorwerfen, autoritär, gratismoralisch, humorlos und anmaßend zu sein, und man darf bezweifeln, daß sie jene, die sie grimmig exekutieren, zu besseren Menschen macht. Was bei allem Argwohn aber nicht aus den Augen verloren sei, ist, daß sie ihren Grund hat. Und zwar ihren schlechten.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Vom Dorfe

Die Kleinfamilie hatte ja die längste Zeit nicht den besten Ruf, schon weil, wer zweimal mit derselben pennte, Establishment war. Die Kleinfamilie, das war immer bloß Terror, Abhängigkeit, Gewalt; man lese hierzu Kafka, Gisela Elsner oder Peter Brückner (1972): „Die Familie … kann zu ihrer eigenen – in der Ideologie längst geleisteten – Humanisierung wenig beitragen, obgleich es Güte, Zuneigung gewiß auch gibt. Partikularisierung, Parzellierung, Isolierung des Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft und ihr Fundus an zwischenmenschlicher Feindseligkeit reproduzieren sich zu prägnant in der sozialen Organisation, in der zugleich zu viel Nähe herrscht.“ In ihr wie in der bürgerlichen, romantisch verbrämten Ehe „wird verfestigt, was der einzelne zu fliehen trachtet – Isolierung bei allseitiger Abhängigkeit“.

Man kann sagen, die Kleinfamilie ist, obwohl nie weg, wieder voll da, und wer immer jung und dumm und einverstanden ist, kann es zeigen, indem er zu teure Kinderwägen kauft, Hausgeburten will oder „Nido“ liest. Gut, daß jetzt die Österreicherin Mariam Irene Tazi-Preve, Politikwissenschaftlerin an der University of New Orleans, in ihrem Buch „Vom Versagen der Kleinfamilie: Kapitalismus, Liebe und der Staat“ endlich „mit traditionellen Strukturen abrechnet“ und der „Süddeutschen“ bereitwillig „das Ende der Kleinfamilie“ ausmalt: „Es gibt viele alternative Familienformen, nur westliche Gesellschaften leben so ein rigides ,Vater, Mutter, Kind’-Modell. Kennen Sie das afrikanische Sprichwort ,Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen’? Das führt zwar jeder im Mund, doch niemand lebt so. Zwei Bezugspersonen sind für ein Kind jedoch zu wenig. Ich halte ein matrilineares Verständnis von Verwandtschaft für ideal, wie das beispielsweise in Burkina Faso üblich ist. Dort fühlen sich alle Frauen einer Familie für alle Kinder verantwortlich, die Kinder wachsen also mit mehreren Müttern auf. Wer die leibliche Mutter ist, ist irrelevant, ein Wort für ,Tante’ gibt es gar nicht. Die Brüder der Mutter fungieren als soziale Väter. Das ist quasi das Gegenteil des irrsinnigen Mutterwahns, den wir speziell in Deutschland pflegen, wo wir der Frau, die das Kind geboren hat, die komplette Verantwortung aufbürden.“

„Auf die alte Goethesche Frage: warum aus liebenswürdigen Kindern so unausstehliche Erwachsene werden? lautete heute eine erste Antwort: dies geschähe aus dem Geiste des Widerspruchs von Lohnarbeit und Kapital.“ Brückner, 1972

Kinder benötigten auch jenseits von Mutter und Vater „starke, verlässliche Bezugspersonen, die wir als solche wertschätzen sollten. Leider werden sie zu oft als mittelmäßiger Ersatz für den aufgrund der starken Erwerbszentriertheit von Männern leider nicht anwesenden oder zu wenig anwesenden Vater gesehen. Meine Botschaft ist: Diese Beziehungen sind Familie!“, zumal sowieso jede zweite Ehe geschieden wird und „stabile Beziehungen kaum möglich in unserem Wirtschaftssystem“ sind. Denn „auf dem Arbeitsmarkt herrschen Konkurrenzdenken, Kosten-Nutzen-Logik und Profitmaximierung. Im Familienleben hingegen sind emotionale Zuwendung und Empathie wichtig. Familie und Beruf gleichzeitig leben zu wollen, ist daher wie die Quadratur des Kreises. Alles, was das eine System stützt, führt im anderen zum Scheitern.“ Und solange wir also an der „intakten Kleinfamilie“ als Norm und „Mythos“ festhalten, lenken alle „Vereinbarkeitsdebatten“ bloß davon ab, „wie viele Menschen an der Kleinfamilie leiden“.

Nichts gegen die Matrilinearität – „der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts“ (Friedrich Engels, Ursprung der Familie) –, aber wenn es zur Kindererziehung ein ganzes Dorf benötigt, muß man das Dorf freilich zurückhaben wollen. Nichts gegen den Hinweis, daß Vereinbarkeitsdebatten das Problem bloß bandagieren und nicht beheben; aber daß wir starke, verlässliche Bezugspersonen wertschätzen sollen, damit Mutti nicht zusammenklappt und Vati seiner Erwerbszentriertheit frönen kann, scheint eher ein Beweis für die häufige Beobachtung zu sein, daß die Leut’, selbst die akademischen, sich etwas anderes als Kapitalismus gar nicht mehr vorstellen können. Früher wollten sie die Kleinfamilie noch sprengen, um dem Kapitalismus eins auszuwischen; heute bauen sie Familie um „unser Wirtschaftssystem“ herum und kommen sich vermutlich noch fortschrittlich dabei vor.

Ich für meinen Teil, dem Dorf entronnen, hab’ meine Kleinfamilie ganz gern; das mag auch daran liegen, daß ich das Bezugspersonal von jeher wertschätze und überdies weiß, wo der Feind steht. Und daß der keine Feindin ist.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Ficker

Es begegnen einem im Leben ja viele gute Sätze, die (und sei’s bloß sinngemäß) in Erinnerung bleiben; jedenfalls mir unvergeßlich der arglose Fernsehsatz des kanadischen Sprinters und hernach überführten Superdopers Ben Johnson vor Olympia 1988, er nehme halt immer „diese Pillen“; unvergeßlich auch der jüngere Satz Heiner Geißlers, es sei „inzwischen wieder klar, daß der Kapitalismus nicht die Wirtschaftsphilosophie der CDU ist“. Ein dritter denkwürdiger Satz, aus der Gegenwart, zitiert von einer Schauspielerin, die auf „Spiegel online“ vom habituellen Sexismus auch hinter deutschen Bühnen und Kameras berichtet, geäußert von einem TV-Regisseur: „Ich würde jetzt gern deine Brüste aus deinem Ausschnitt holen und daran herumspielen.“

Das gibt’s doch nicht; das gibt es eben doch bzw. ist „so plump, so sexistisch und dumpf, daß man es kaum glauben will“, wie die „Süddeutsche“ schreibt, die wie zuvor die „Spon“-Kollegin deutsche Schauspielerinnen nach ihren Erfahrungen im „festbetonierten System aus Männerallmacht und dem Ausgeliefertsein der Frauen“ gefragt hat, um mehr zu erfahren über „die Besetzungscouch, das Möbelstück der Männermacht“ und „Frauen als Freiwild“. Fassen wir’s zusammen: „Nicht aus dem Kopf gegangen ist ihr die Frage eines leitenden Fernsehmannes, der auf einer Premierenparty wissen wollte, ob sie mit ihm ,ficken’ würde … ,Das Schlimme ist, daß die Verzweiflung auf dem Markt so groß ist, daß es [das System Besetzungscouch] auch noch klappt.’ … Die Frauen, die gelernt haben, lieber zu gefallen als nein zu sagen, liefere es den Männern aus. … ,Der Intendant weiß um seine Macht, die Schauspielerin um ihre Ohnmacht’ … Frauen haben nicht nur keine Macht, sie verdienen auch weniger … 34 Prozent verdienen die Frauen im Theater weniger als ihre männlichen Kollegen, das sind 1000 Euro im Monat … ,Solange die Hierarchien im Theater in dieser Form bestehen und es noch den Unterschied zwischen Männerhöchstgage und Frauenhöchstgage gibt, ist der Respekt nicht da’“.

„Der Gedanke an Glück ohne Macht ist unerträglich, weil es überhaupt erst Glück wäre.“ Adorno/Horkheimer, 1947

Geht es um Mann und Frau, dann geht es in der falschen Gesellschaft um Macht und Hierarchie und Männer, die gelernt haben zu dominieren, und Frauen, die gelernt haben zu gefallen. Nach wie vor, war neulich wieder mal zu lesen, werden Mädchen anders erzogen als Jungen, wird hie Fügsamkeit belohnt, wo dort Widerstand toleriert wird. Warum das so ist, ist Gegenstand von Genderforschung, aber hört der deutsche Mann, heiße er nun Hacke, Klute oder Martenstein, „Gender“, dann geht er durch die Decke und fühlt sich von politischer Korrektheit erstickt, ohne etwas von Macht, Verzweiflung, Markt wissen zu wollen. Er will es nicht wissen, weil und solange er profitiert, und sind die Söhne plötzlich schlechter in der Schule als die Töchter, weil Schule Fügsamkeit belohnt, geht das Geplärre los, die Jungen würden von den überwiegend weiblichen Grundschullehrkräften benachteiligt.

In der Konkurrenzgesellschaft des „freien“ Marktes gibt es nur Macht und Ohnmacht, Ficken und Geficktwerden, und das Machtgefälle bezeichnen eben jene Vokabeln, über die in den herrschaftsnahen Anti-Gender-Kolumnen so gern gelächelt wird: Sexismus, Rassismus, Chauvinismus. Die Geschlechterfrage (im weitesten Sinne) ist eine Machtfrage, und Sexismus, ob am Theater, im Büro oder in der Werbung, ist Ausdruck des Umstands, daß sie sich stellt, indem sie nicht gestellt wird. „Wird das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern kleiner, werden die Abhängigkeiten kleiner und der Sexismus weniger“, sagt in der SZ eine Schauspielerin. Daß der Satz sich leicht verallgemeinern lasse, ist eine Wahrheit, die nicht sehen darf, wer von der Lüge profitiert.

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg