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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Aus Gründen

Wär’ mein Gedächtnis nicht so schwammig, ich wüßte noch, bei welcher Gelegenheit ich jetzt neuerlich dachte, mein Widerstand gegens Gerede von der „Realsatire“ sei aufgebenswert; zu lächerlich, mit satirischen Mitteln nicht recht einholbar war gewesen, was mir da untergekommen war; wie ja bereits nach dem Friedensnobelpreis für Henry Kissinger Tom Lehrer gesagt haben soll, Satire sei ab sofort überflüssig. Und ist Trump etwa keine per se satirische Figur? Was soll da eins noch zur Kenntlichkeit entstellen?

Ein lieber Freund und überaus geschätzter Kollege, höchstgradig belesen, Marxist und Adornit, echauffiert sich über die (etwas ältere) Meldung, die Fa. Beiersdorf („Nivea“) habe eine über Facebook im Mittleren Osten verbreitete Reklame für ein Deodorant nach Protesten zurückgezogen; der Claim, unter einer von hinten fotografierten Brünetten im weißen Bademantel: „White Is Purity“. Den fand ein Shitstorm sogleich „rassistisch“, und der Freund, der weiß, wie dumm gerade Linkes sein kann, zitiert beifällig, was der Frankfurter Allgemeinen Ursula Scheer dazu eingefallen war: „Rassistisch war an dieser Anzeige gar nichts. Sie zeigt keinen Millimeter Haut, welcher Pigmentierung auch immer, sondern offenbarte ungewollt, welche Macht die selbsterklärten Reinheitswächter der Sprache und der Bilder inzwischen haben. Mit im Betroffenheitsgestus vorgetragenen Unterstellungen lösen sie zielsicher absurde Selbstbezichtigungen aus. ‚Weiß ist die Farbe der Unschuld‘ wird zum gefährlichen Satz. ‚Black is beautiful‘ ist nicht minder riskant.“

Das wäre dann also meine nächste Baustelle: die politische Korrektheit.

Im Stehsatz meiner Überzeugungen ist die political correctness, mindestens diesseits des Atlantiks und als ubiquitär vorgestellt, rechter Popanz, Wahn und Projektion, und wer jammert, die Welt sei mit Verboten linker Moralinskis vollgestellt, soll mir sagen, warum die Welt eher so aussieht, als sei alles erlaubt. Die Zahl der Insekten ist in Deutschland in den vergangenen dreißig Jahren um beklemmende 75 Prozent zurückgegangen, weil die Bauern ihre Felder zu Tode spritzen, Felder, auf denen etwa der Futtermais wächst, den unsere stolz unkorrekten Antiveganer mit jedem Schnitzel und jedem Steak verzehren. Gender? Raubt uns die Luft zum Atmen; dabei gibt es die gendergerechte Sprache in keiner Tageszeitung, keiner Tagesschau, keinem Hörfunkprogramm. Wer sich weder an einer Universität aufhält noch die alternative Linkspresse liest, kommt mit dem „Genderwahnsinn“ hauptsächlich dann in Berührung, wenn sich die Herrenpresse darüber echauffiert. Derweil sind, zum Beispiel, ums britische Parlament herum mal wieder Aberdutzende Frauen betatscht, vergewaltigt und sonstwie molestiert worden. Die politische Korrektheit ist gewiß humorlos; aber sonderlich humorig sind die Verhältnisse vielleicht auch nicht.

„Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“ Marx, 1859

Politische Korrektheit ist Moral, und Moral und Humor sind nicht unbedingt Geschwister. Humor markiert Distanz, also Ironie, und Kollege Mentz beschwert sich, die jüngeren Leute wären nach seinem Eindruck immer weniger in der Lage, mit Ironie, Ambivalenz und doppeltem Boden umzugehen: Sie wüßten lediglich, daß man nicht mehr „Neger“ sagen darf, wüßten aber nicht mehr, daß man es sagen kann, um etwas anderes mitzuteilen. Sprachregelungen sind, wie Regelung immer, autoritär, und was politisch korrekter Haltung zweifellos eignet, ist jene positivistisch-gewalttätige Identität von Sache und Begriff, die Adorno perhorresziert hat. Darauf beruft sich linke PC-Kritik, und wer meine oben skizzierten Überlegungen unterschreiben kann, mag einmal Magnus Klaues exzellenten Band „Verschenkte Gelegenheiten“ (Freiburg 2014) lesen. Darin beschreibt Klaue einen Fall, in dem sich Grundschulkinder bei einem Verlag beschweren, in einem seiner Bilderbücher gebe es einen Schulleiter, sie hätten aber eine Schulleiterin, und außerdem seien in dem Buch alle weiß, während in ihrer Klasse auch türkische und afrikanische Kinder säßen. „In der Tat“, schreibt Klaue, „hätten angesichts der Beschwerde bei den Pädagogen die Alarmglocken schrillen sollen. Nicht aber, weil das Pixi-Buch den weiblichen und nichtweißen Teil der Menschheit diskriminierte, sondern weil die Minderjährigen, statt die Staatsbürgererziehungswerbung kurzerhand in die Tonne zu hauen, offenbar gleich ihren verblödeten Eltern sich und alle anderen allein als Zugehörige von amtlich anzuerkennenden Cliquen, Ethnien und Kulturgemeinschaften zu denken vermögen und sich dementsprechend ausgegrenzt fühlen, sobald sie in einem Buch, das sie lesen müssen, nicht mit all ihren ureigenen Partikulareigenschaften angemessen repräsentiert sind; weil sie also die angeblich so kindertypische Fähigkeit zur Phantasie, zum Absehen von der empirischen Wirklichkeit im Modus der Einbildungskraft, ebenso wenig entwickelt zu haben scheinen wie ihre Erziehungsberechtigten die vermeintlich erwachsene Fähigkeit zur Abstraktion.“

Die analog und dialektisch in der Lage sein müßte, in Absehung von der empirischen (und halt meistens rassistischen) Wirklichkeit einen weißen Bademantel für einen weißen Bademantel zu halten und weiße Reinheit für die des Arztkittels, zumal in einer mittelöstlichen Umgebung, die unter der Dichotomie schwarz/weiß evtl. gar nicht so leidet. Ist es so einfach?

Wer sich ein bißchen weiter auf die Nivea-Affäre einläßt, als es Ursula Scheer getan hat, findet beim ersten Googeln heraus, daß amerikanische Nazis umgehend gratuliert haben; daß die Marke Dove erst vor vier Wochen eine Reklame zurückgezogen hat, in der aus einer schwarzen Frau nach Benutzung eines Duschgels eine weiße wird; daß es tatsächlich eine sehr alte Tradition der Seifenreklame gibt, die aus Schwarzen Weiße werden läßt. Wer überdies noch die „Süddeutsche“ zur Hand hatte, erfuhr, daß es in Afrika einen Riesenmarkt für Hautbleichmittel gibt, aus Gründen, die man sich denken kann, und wer einen Blick auf die inkriminierte Reklame wirft (im Netz ohne weiteres zu finden), wird nicht daran zweifeln, daß es sich bei dem Fotomodell um eine Weiße handelt, auch ohne daß ihre Haut zu sehen wäre.

„Ihrem Wesen und Begriffe nach … ist also Sittlichkeit das Innehalten der Mitte. Fragt man dagegen nach dem Werte und dem Guten überhaupt, so bezeichnet sie darin ein Äußerstes.“ Aristoteles

Man kann der PC von links vorwerfen, autoritär, gratismoralisch, humorlos und anmaßend zu sein, und man darf bezweifeln, daß sie jene, die sie grimmig exekutieren, zu besseren Menschen macht. Was bei allem Argwohn aber nicht aus den Augen verloren sei, ist, daß sie ihren Grund hat. Und zwar ihren schlechten.




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Briefe an die Leser

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt