Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (58)
Kurtchen legte den Dreck zurück, kratze sich in Bauchhöhe seinen aufgrund mangelnden Nuß- und Bananenverzehrs bloß mäßig attraktiven Body und kramte das lokale Anzeigenkäseblatt hervor, auf der Suche nach kalmierendem Unrat, und siehe, aus einer Selbstanzeige, die eine Lücke im Inserateteppich füllte, fiel er schon heraus:
"Werbung macht Sinn(e)!"
Bravo. Bzw. kam das an den Sinnlos-Evergreen "Döner is(s)t lecker" schon ziemlich nah heran; tröstlich doch, daß derlei nie starb. Die Nachbarschafts-Dönerbude warb neuerdings mit dem Aushang "Original Dönerfleisch", was immer das nun wieder bedeuten mochte; es sauste quasi sphärisch alles. Und was war das im Westfälischen noch gleich gewesen, als Slogan eines Türenfachmarkts, von ihm, Kurtchen, durch das Fenster einer Regionalbahn aufgeschnappt:
"Gesichter einer Tür" – ?
Nein, er hätte Provinzwerbefachmann werden sollen. Konnte er natürlich immer noch.
Kurtchen, kaum hatte er sich an einem ungelenken und insgesamt recht fehlerhaften Bericht über die Aktivitäten der örtlichen Glasreinigerinnung festgelesen, hörte, wie schon wieder das Telefon ging, ihm die Brüchigkeit seines Exils vor Ohren zu führen; und er sagte, weil Erkenntnis ausgesprochen zu werden wünscht, "Scheiße" und beendete, auch wenn er den Anrufbeantworter nicht einholen würde, seine Sitzung und nahm's als Zeichen, daß es kein Ausweichen gab und daß er es mit seinen ewigen Ausweichversuchen, mit diesem habituellen Schlingern nicht besser machte, schon eher im Gegenteil.
Tatsächlich lief der Anrufbeantworter schon, aber wie zur Bekräftigung eines Entschlusses, der sich gleichwie von selbst getroffen hatte, unterbrach Kurtchen, mit offenem Gürtel, die dämliche Ansage auf Höhe des "Crême fraiche" und sagte "Ja bitte", wie er es immer tat, weil er aus Gründen, die er hoffentlich vergessen hatte, auf die landestypische Sitte, beim Abheben des Hörers den Namen zu nennen, verzichtete. Fakt war: Zu mehr Rebellion hatte es nie gelangt. Wenn nicht Klempnern schon eine war. Wenigstens für ein Akademikerkind. Gas, Wasser, Scheiße. Scheiße.
"... um zwei oder wann los, wir nehmen die Bahn, vielleicht ist heute der letzte warme Tag. Bock?"
Kurtchen merkte, daß er den Anfang des Satzes vor lauter Bewußtseinsstromerei gar nicht mitgekriegt hatte, und erst das ironische Zittern, das dem juvenilen Bock beigegeben war, weil Fred halt auch schon auf die fünfzig ging, katapultierte ihn schlagartig in die Wirklichkeit zurück. Kurtchen überlegte, wo er sein Notizbuch hatte. Wenn seine Autobiographie, was zu befürchten stand, zu langweilig wurde, konnte er immer noch ein Buch schreiben, das aus verkommenen, trotzdem im Umlauf befindlichen Sätzen bestand. (wird fortgesetzt)
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