Newsticker

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Meditation und Markt mit Dax Werner

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

Liebe Leser*innen,

dieser Tage erreichen mich viele Emails und Nachrichten in meiner geschlossenen Telegramgruppe, die Fragen laufen alle in eine ähnliche Richtung: Wie navigiert Dax Werner momentan privat durch die Krise?

Die Antwort ist relativ einfach: Ich bin seit Wochen damit beschäftigt, die sich ständig verändernden Pandemie-Maßnahmen in meine Tagesroutinen zu integrieren. Dabei erweist sich das föderale Mega-Puzzle Bundesrepublik einmal mehr als Stärke und Schwäche zugleich: Aus Sorge vor einer Infektion meines Huawei-Mobiltelefons habe ich bislang alle Houseparty-Konferenzen mit Freunden in anderen Bundesländern abgesagt, vorgestern bin ich dann aber doch mal in unseren Ikea in Kamen gefahren, weil die Nachbarn schon eine ganze Weile angewiderte Blicke in Richtung unseres „Balkons“ werfen und unser MP Laschet die Möbelhäuser als bundesweit erster wieder aufgeschlossen hat. Auch hier wieder: Deutschland der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Oder wie Ulf Poschardt schreiben würde: Ein Land mit unterschiedlichen "Drifts".

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Zum Beispiel ist Markus Söder formal noch Ministerpräsident des Freistaats Bayern, obwohl er für mich eigentlich und durch die normative Kraft des Faktischen – ein Begriff, den ich gerade gegoogelt habe – schon längst die BRD regiert. Denn während der hemdsärmlige Mit-Aspirant Laschet mit peinlichen Nachfragen zur Heinsberg-Studie aufgehalten wird, hat sich Söder, der vor noch gar nicht allzu langer Zeit lediglich durch extrem nischige Karnevalsverkleidungen auffiel, längst in den präsidialen Modus kalibriert: Interviews führt er nur noch per Webcam-Schalte, in Talkrunden übernimmt er die Rolle des verständnisvollen Mediators und lobt seit einigen Tagen Journalisten für ihre in Fragen verpackte Sachkenntnis. Mehr Kanzlerformat geht nicht.

Doch ein Wort der Warnung sei hier auch gesetzt: Selten fallen Helden schneller als in Krisenzeiten, die Beispiele sind zahllos. Mit dem nachlassenden Interesse an RKI-Pressekonferenzen sank auch rasch der Stern des entschlossenen Krisenmanagers Jens Spahn, und selbst der Podcast des Popvirologen Prof. Christian Drosten rangiert zwar in den Charts noch auf der Eins, jedoch Obacht: Er spürt bereits den Atem der deutlich älteren Männer auf den Plätzen 3 (Gabor Steingart) und 9 (Kekulés Corona-Kompass), und auf Twitter und in der "Bild" gilt Drosten sogar schon länger als persona non grata.

Wie man gut erkennen kann, habe ich für die heutige Kolumne einige Fremdwörter gegoogelt. Das hat mit meiner durch die Krise neu entfachten Leidenschaft für komplizierte Wörter zu tun: Jeden Tag versuche ich, ein neues schwieriges Wort zu lernen und damit im Internet anzugeben.

Vielleicht klappt es ja auch mit dieser Kolumne?

Herzlich, Euer Dax Werner

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Inside TITANIC (24)

Intime Einblicke in das Innere der TITANIC-Redaktion und ihrer Mitglieder. Heute: Fabian Lichter über das Abgehängt-Sein.

Deutschland lockert sich, doch ich bin nicht dabei. Während die ersten bereits wieder aus ihren Homeoffice-Höhlen in ihre Büro- oder Redaktionsräume tigern, um loszupowern und das BIP anzukurbeln, arbeite ich immer noch eremitisch von zu Hause aus, umgeben von Staubsauger und Wäscheständer, ewiges Provisorium. Grund: familiäre Verpflichtungen und Todesangst. Das ist okay und fühlt sich richtig an. Die Nachteile eines Lebens über Monate in denselben vier Wänden liegen aber auf der Hand: Verwahrlosung, Hausstauballergie und seltsame Halluzinationen von Tentakelwesen, die mir dann und wann erscheinen und mich mit meinen geheimsten Gedanken erpressen, ehe sie sich mit einem Funkenschlag in Luft auflösen. Meine einzige Verbindung zur Außenwelt, der Jitsi-Stream in die TITANIC-Redaktion, läuft mysteriöserweise in gerade noch messbaren Geschwindigkeiten und liefert mir nurmehr knapp einen mickrigen Frame pro Sekunde auf meinen Bildschirm. Folge: Meine KollegInnen sind zu unheimlichen Schemengestalten verkommen, ein breiiger Matsch aus Pixeln, so groß wie Fußballfelder. Auch der Sound lässt lediglich noch einzelne Wortbröckchen durchsickern, die ich mir notiere und aus denen ich versuche, meine Aufgabenstellung für das kommende Heft zusammenzureimen. Meine Notizen aus 1 1/2 Stunden Redaktionskonferenz lauten: Maske, Laschet, Frankfurter Schnitzel. Hilfe! Kann mich irgendjemand hören?

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Meditation und Markt mit Dax Werner

Neues aus Wissenschaft & Forschung

Liebe Leser*innen,

der Innovationsstandort Deutschland bebt auch trotz Pandemie weiter! Denn im Technologiecluster Berlin ereignete sich am vergangenen Sonntag ein wissenschaftlicher Durchbruch von internationaler Bedeutung: Einem Forschungsteam der Fachhochschule Biberach an der Riß ist es zum ersten Mal gelungen, eine komplette, geschlossene Facebook-Verschwörungsgruppe aus dem Internet in die physische Welt, genauer: vor die Tore der Berliner Volksbühne zu teleportieren. Anwohner twitterten in den sozialen Medien bereits von Lichtblitzen und Explosionen, als sich nur wenige Sekunden später eine bunte Horde von Truthern, Reichsbürgern und Skeptikern auf dem Rosa-Luxemburg-Platz materialisierte: Manche trugen ein Pappschild mit dem Grundgesetz vor dem Bauch herum, viele filmten sich sogar bereitwillig selbst.

In einem ersten gut gelaunten Statement zeigten sich die Forscher zufrieden: "Heute ist vielleicht ein kleiner Tag für die Quantenforschung, ein großer Tag jedoch für viele Mitglieder der Facebook-Gruppe, von der so mancher seit Jahren kein Tageslicht mehr gesehen hat! Zur Stunde gehen wir von circa 1000 erfolgreichen Teleportationen aus."

Gleichzeitig wurde jedoch auch Kritik am Test laut, den manch einer unter ethischen Gesichtspunkten für mindestens fragwürdig hält: "Den Teilnehmern wurde weisgemacht, dass sie auf eine ganz gewöhnliche Hygienedemonstration gehen würden! Quo vadis, Germaniae?" polterte Tübingens OB Boris Palmer auf Facebook. "Inhaltlich geht es den Demonstrierenden um legitime Anliegen", pflichtete ihm Prof. Kekulé in den Drunterkommentaren bei. "Etwa, dass die NWO, Bill Gates und China den Corona-Virus erfunden haben, damit die ohnehin schon gebeutelten Menschen dieses Landes ihr Grundrecht auf Grillen und Demonstrieren verlieren. Aufwachen, Leute!"

Längst aufgewacht zeigte sich später am Abend NRWs Ministerpräsident Armin Laschet, oder wie wir Nordrhein-Westfalen ihn inzwischen liebevoll nennen: der Macher aus Öcher. In einem vieldiskutierten Auftritt bei Anne Will brachte AL das große Unbehagen der Deutschen gegen die Wissenschaft als solche volksnah zum Ausdruck und führte als Beispiel die ständigen Kurswechsel der Top-Virologen in der Pandemie an: "Frau Will, da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt: Eine Sache ist entweder richtig oder falsch. Und wenn das einmal feststeht, ändert sich das auch nicht mehr!" Schade, dass alle Talkshows gerade auf Studiopublikum verzichten: Hier hätte es Applaus hageln müssen!

Und für seine ganz eigene Wissenschaftstheorie ist Laschet vermutlich selbst das beste Beispiel: Denn während einige immerfort Schlechtgelaunte ihm aktuell vorwerfen, das Interesse am Wohl der Kinder und Schwächen der Gesellschaft in der Lockerungs-Diskussion nur vorzuschieben, um die Jahresbilanzen seiner rheinischen Wirtschaftsbuddies zu retten, ist doch das Gegenteil der Fall: Ich kann mich an keine Talkshow seit Ende der Neunzigerjahre erinnern, in denen Laschet das Wohl der Armen, Schwachen und Kinder nicht an die erste Stelle gesetzt hätte! Ich möchte sogar weitergehen: Laschet ist für mich der deutsche Bernie Sanders. Denn auch gegen ihn gab es beispiellose Schmutzkampagnen. Weil er nicht davor zurückschreckte, die Wahrheit auszusprechen.

Cui bono? Connected die Dots, Leute.

Euer Dax Werner

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Inside TITANIC (23)

In der heutigen Folge der Zuhauskolumne schildert Telepraktikantin Julia Mateus, wie eine TITANIC-Hospitanz in der Isolation abläuft.

Über das Arbeiten im Home-Office ist in den letzten Wochen viel kolumniert worden. Zwischenbilanz: Es ist grundsätzlich möglich, aber ein Home-Office ist oft doch eher ein Heim als ein Büro, so wie auch ein sog. Hotelzug, in dem Fahrgäste bei Unwettern übernachten müssen, weiterhin ein Zug ist und kein Hotel, auch wenn die Bezeichnungen vielleicht etwas anderes suggerieren mögen.

Der Arbeitstag im TITANIC-Heimpraktikum beginnt am Frühstückstisch. Hier werden Nachrichten konsumiert und je nach Tagesform die ersten Scherze am Lebenspartner getestet. Danach steht ausführliche Themenrecherche auf dem Programm. "Mal was ohne Corona-Bezug" will ich mir einfallen lassen. Eine typische Praktikantenaufgabe, die schon mal ein paar Stunden am Wohnzimmerschreibtisch füllen kann.

Kaum habe ich mich zwischendurch zum nachmittäglichen Spaziergang durchs nahe gelegene, hoffentlich niedrig frequentierte Industriegebiet aufgemacht, kriege ich eine Benachrichtigung, dass uns Webmaster Alexander Golz asap zur Videokonferenz erwartet. Fast hätte ich es verschwitzt!

Nach zehn Minuten voll gegenseitigem Mobbing ("Er kann uns alle lachen sehen, aber hört nichts", "Dein Kopf ist angeschnitten", "Haha, jetzt hat sie sich bewegt") sind die psychisch angeschlagenen Redaktionsmitglieder erschöpft. Sinnkrisen entstehen, die Systemrelevanz der Satire wird infrage gestellt: "Mit welchen Themen soll man jetzt noch um die Ecke kommen?" fragt Chefredakteur Moritz Hürtgen.

Dann ist das Meeting bald zu Ende und der Arbeitstag auch. Doch es ist nicht die einzige Frage, die offen bleibt. Wird der Zuchtpilz von Torsten Gaitzsch und Martina Werner in den nächsten Wochen die Redaktionsräume erobern? Welcher Supermarkt liefert uns doch noch unsere lieb gewonnene Konferenzschokolade, die 300g-Erdnuss-Karamell-Milka, ins Home-Office?

Die eine oder andere beantwortet vielleicht die nächste Folge der Hauskolumne oder auch das kommende TITANIC-Heft, das am Freitag erscheint.

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Meditation und Markt mit Dax Werner

Das Heinsberg-Protokoll

Liebe Leser*innen,

nennt mich altmodisch, aber ich steh' auf Netiquette im Web. Auch und gerade in Zeiten von Corona. Egal, ob wir unseren eigenen Brand nun auf Facebook, Twitter oder Fortnite promoten: Ein liebes Wort oder eine kleine Geste von Herzen haben noch nie geschadet.

Leider habe ich in den letzten Tagen – trotz der wichtigsten kirchlichen Feiertage! – davon besonders wenig erleben dürfen. Im Gegenteil: In der Causa Heinsberg-Studie gibt es für meine lieben Berliner Freund*innen bei der PR-Agentur "Storymachine" gerade mächtig Gegenwind auf der digitalen Datenautobahn. 80 Millionen Corona-Experten machten sich kurz nach Erscheinen der zweiseitigen Mammut-Studie mit der besonders kritischen Lupe daran, das Haar in der Suppe zu suchen, obwohl die frohe Botschaft des Viren-Beau Prof. Dr. Hendrik Streeck von Kai Diekmann, Philipp Jessen und Co. doch zeitgleich und vollumfänglich in die sozialen Netzwerke gedonnert wurde: Nach Ostern rollen wir den Elektrogrill wieder raus!

Und als wäre das noch nicht genug, wird in typisch deutscher Nichtsgönner-Manier darauf herumgeritten, dass die PR-Profis ihre magischen Internet-Fähigkeiten völlig selbstlos in den Dienst der guten Sache gestellt haben. Ganz ehrlich: Welchen Vorteil soll denn eine PR-Agentur daraus ziehen, dass sie kostenlos die erste große Studie zur Jahrhundert-Pandemie veröffentlicht? Da fehlt mir einfach die Fantasie. Der Druck wurde jedoch schnell so groß, dass "Storymachine"-Chef Jessen zum Interview-Termin bei der – das ist bekannt – besonders Diekmann-kritischen Plattform Meedia.de antanzen musste. Jetzt wird’s ungemütlich. Meedia erinnert uns im Intro zum Interview nochmal an das jahrhundertealte Gesetz bei "Storymachine": "Die Devise bei Storymachine ist klar: Über Kunden wird nicht geredet." Zeig mir einen Deutschen, der diese Storymachine-Devise nicht kennt, und ich zeige dir einen Lügner. Danach geht es im Interview zur Sache: "Welche Herausforderungen gibt es bei der Zusammenarbeit?", "Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Prof. Streeck und dem Universitätsklinikum Bonn?" und "Wird Storymachine zukünftig mehr Einblicke in die eigene Arbeit und Projektbeteiligungen geben?". Egal, wie sehr eine(r) was verbockt hat: Niemand hat es verdient, in einem E-Mail-Interview derart rufschädigend auseinandergenommen zu werden. Ich werde erstmals in der jahrhundertealten Geschichte dieser Kolumne eine Beschwerde beim Deutschen Presserat einreichen.

Vielleicht sind die Nörgler, Nichtsgönner und Internet-Rambos da draußen erst zufrieden, wenn gar keine Studien mehr veröffentlicht werden. Ich weiß es nicht.

Wütende Grüße: Euer Dax Werner

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Inside TITANIC (22)

Intime Einblicke in das Innere der TITANIC-Redaktion und ihrer Mitglieder. Heute: Ella Carina Werner über erhellende Hingucker bei der Homeoffice-Konferenz.

Das Schönste am Homeoffice sind die Videokonferenzen, und das Schönste an Videokonferenzen sind die Raumhintergründe der Kolleg/innen. Die könnte ich mir stundenlang ansehen. Oft beuge ich mich dafür über den Bildschirm, ganz dicht. Da ist das Regal mit den nachlässig quer übereinander gestopften Büchern (lesbar: "Beim Fressen beim Fernsehen fällt der Vater dem Kartoffel aus dem Maul", Eckhard Henscheid). Da ist der magische dreiköpfige Holzaffe. Da lugt die halbleere Flasche Anisschnaps hervor. Zufall oder raffiniertes Arrangement? Da schmunzelt die Stoffente vom Bildrand. Seelenlose Satire vs. Schmusetier, bei solch starken Antinomien erklärt sich manch charakterliche Auffälligkeit von selbst.

Ein, zwei KollegInnen drehen ihre Rechner so, dass man im Hintergrund nur eine weiße Wand sieht, aber auf jeder weißen Wand gibt es den einen geheimnisvollen Fleck oder den einsamen Eisennagel, der von einem überstürzt abgehängten Manet- oder Uli-Stein-Druck erzählt. Den Inhalten der Konferenzen folgen kann ich bei alledem nicht, aber das macht nichts. Als ob es in Homeoffice-Zeiten noch um Content ginge. Auch Videobotschaften von Promis und Politikern betrachte ich aus selbigen Gründen gern, vor allem als Standbild. Nicht jeder hat eine knuddelige Diddl-Maus auf dem Fensterbrett sitzen wie Dorothee Bär, aber ein bukolisches Landschaftsgemälde, ein Globus und zwei hübsche blonde "Töchter" wie in der Villa von US-Komiker Jimmy Fallon tun's auch.

Ich für meinen Teil habe hinter meinem Schreibtisch meine TITANIC-Sammelordner aufgereiht, 39 an der Zahl, dazu mehrere komiktheoretische Kompendien, darunter auch englische (Empfehlenswert: "A Cultural History of the Fart"), und alles, aber auch wirklich alles von Oliver Maria Schmitt; Erstausgaben, handsigniert, was man von außen leider nicht sieht. Das Arrangement hat mich zwei Arbeitstage gekostet. Der Chef fragt, wo meine Beiträge bleiben, aber Homeoffice kostet eben Zeit. Leider mosern die KollegInnen, mein Videobild sei verpixelt bzw. komplett unscharf, also alles für die Katz. Heute Abend Schlag 20 Uhr sind unsere privaten Gemächer übrigens exklusiv in einer TITANIC-Live-Lesung sehen, wofür ich den Raum noch mal kräftig umdrapiere.

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Meditation und Markt mit Dax Werner

Jeder kämpft für sich allein

Liebe Leser*innen,

gestern Mittag erreichten mich die ersten wütenden E-Mails: Wo denn die zweiwöchige Kolumne bliebe, es sei langsam ja einmal Zeit und die Fernsehgebühren für den April vorerst einbehalten. Deswegen an dieser Stelle: Bitte beruhige dich, Mama! Keine Entschuldigung, aber der Versuch einer Erklärung: Ich bin beim Streamen eingeschlafen und habe schon länger kein Gefühl mehr dafür, welchen Tag wir eigentlich schreiben. Als ich eben aufwachte, lief jedenfalls das Amazon Original von Chris Tall: Mich hat das irgendwie angepowert, diese subtile "Jeder kann es ins Fernsehen schaffen"-Submessage, das Tröstende in der Tragödie. Und ich glaube, das ist genau der Spirit, den Christian Lindner meinte, als er diese Woche in "Bild" erklärte, dass die Bevölkerung in Normalzeiten betüddelt und unterfordert werde und die Krise eigentlich erst so richtig zeige, was in uns stecke.

Auch mein Eindruck in den letzten Tagen, dass die Ausnahmesituation das Beste aus uns rausholt: In den Supermärkten herrscht zum Beispiel blanker survival of the fittest. Wer nicht schon eine Stunde vor Ladenöffnung auf dem Parkplatz ausharrt, hat es in my humble opinion nach auch nicht verdient, entspannt auf Toilette gehen zu können oder in den Genuss von Bananen zu kommen. Viele Menschen in diesem Land haben den köstlichen Geschmack von purem Weizenmehl (405) inzwischen schon vergessen, weil sie nach wie vor zu zweistelliger Uhrzeit aufstehen. Nichts erzählt die Geschichte dieser Pandemie eindrücklicher als die Blicke der Menschen zwischen den Tiefkühlfächern und dem Aktionsregal. Zwischen "Von hier an kämpft jeder für sich allein" und "Ich habe vier Wochen lang keine Nachrichten gelesen, was ist hier eigentlich los?" ist im Grunde alles dabei.

Und dann sehe ich in junge, hungrige Gesichter, die – Gnade der frühen Geburt – Abitur und Studium schon hinter sich haben und jetzt eigentlich bereit wären für Karriere und Gehaltsverhandlung. Doch statt Zukunftsgeilheit geht bei vielen die Angst um: Was, wenn Julia Klöckner mobilmacht und mich aufs Spargelfeld schickt? Wie macht sich die Saison dann später im CV? Planungssicherheit sieht anders aus.

Full Darwin Mode offenbar auch in der Virologenbubble: Der von mir erst vor zwei Wochen an dieser Stelle hochgelobte Cheferklärer Prof. Dr. Christian Drosten erwägt offenbar den Rückzug aus den Medien. In seinem Podcast beschwert er sich, dass Wissenschaftler mehr und mehr als Entscheidungsträger dargestellt werden. Manche unken schon: Vielleicht ist dieser Mann einfach nicht gemacht für das Haifischbecken Aufmerksamkeitsökonomie. Ich glaube, ich weiß, wie Drosten sich fühlen muss: Als mein erster Tweet bei "Twitterperlen" gefeatured wurde, war da auch erst einmal ein paar Tage Leere. Aber dann ging's weiter. Denn es muss weiter gehen. Irgendwie.

Keep on fighting, Prof. Drosten.

Dein Dax Werner

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sind Sie sicher, Rufus Beck?

Im Interview mit Deutschlandfunk Kultur zum 25. Jubiläum des Erscheinens des ersten deutschsprachigen »Harry-Potter«-Buchs kamen Sie ins Fantasieren: Würde Harry heutzutage und in der echten Welt leben, dann würde er sich als Klimaschützer engagieren. Er habe schließlich immer für eine gute Sache eingestanden.

Wir möchten Sie an dieser Stelle daran erinnern, dass Harry Potter ein Zauberer ist, sich folglich gar nicht für den Klimaschutz engagieren müsste, sondern ihn mit einem Schnips obsolet machen könnte. Da allerdings in sieben endlos langen »Harry Potter«-Bänden auch keine Klassenunterschiede, Armut oder gar der Kapitalismus weggezaubert wurden, fragen wir uns, warum Harry gerade bei der Klimakrise eine Ausnahme machen sollte. Aber wo Sie schon so am Fabulieren sind, kommen wir doch mal zu der wirklich interessanten Frage: Wie, glauben Sie, würde sich Ihr Kämpfer für das Gute zu Trans-Rechten verhalten?

Hat da so eine Ahnung: Titanic

 Du, Krimi-Autorin Rita Falk,

bist mit der filmischen Umsetzung Deiner zahlreichen Eberhofer-Romane – »Dampfnudelblues«, »Sauerkrautkoma«, »Kaiserschmarrndrama« – nicht mehr zufrieden. Besonders die allerneueste Folge, »Rehragout-Rendezvous«, erregt Dein Missfallen: »Ich finde das Drehbuch unglaublich platt, trashig, stellenweise sogar ordinär.« Überdies seien Szenen hinzuerfunden worden und Charaktere verändert. Besonders verabscheuungswürdig seien die Abweichungen bei einer Figur namens Paul: »Der Film-Paul ist einfach ein Dorfdepp.«

Platt, trashig, ordinär – das sind gewichtige Vorwürfe, Rita Falk, die zu einer vergleichenden Neulektüre Deiner Romane einladen. Da fällt uns übrigens ein: Kennst Du die Geschichte vom Dorfdeppen, der sich beschwert, dass der Nachbarsdorfdepp ihn immer so schlecht imitiert?

Wär’ glatt der Stoff für einen neuen Roman!

Finden Deine Trash-Flegel von Titanic

 Puh, 47jährige,

bei Euch läuft es ja nicht so rund gerade. »Nur mit Unterhose bekleidet: 47-Jähriger flippt an Trambahn-Haltestelle aus« müssen wir pfaffenhofen-today.de entnehmen. InFranken meldet: »143 Autos in vier Jahren zerkratzt – 47jähriger Verdächtiger wurde festgenommen«, und schließlich versaut Rammstein-Ekel Lindemann Euch noch zusätzlich das Prestige. Der ist zwar lang nicht mehr in Eurem Alter, aber von dem Lustgreis ist in letzter Zeit dauernd im Zusammenhang mit Euch die Rede, weil er sich als 47jähriger in eine 15jährige »verliebt« haben will.

Und wenn man sich bei so viel Ärger einfach mal einen antrinkt, geht natürlich auch das schief: »Betrunkener 47-Jähriger landet in Augustdorf im Gegenverkehr«, spottet unbarmherzig lz.de.

Vielleicht, liebe 47jährige, bleibt Ihr besser zu Hause, bis Ihr 48 seid?

Rät die ewig junge Titanic

 Sakra, »Bild«!

Da hast Du ja wieder was aufgedeckt: »Schauspieler-Sohn zerstückelt Lover in 14 Teile. Die dunkle Seite des schönen Killers. Im Internet schrieb er Hasskommentare«. Der attraktive, stinknormal wirkende Stückel-Killer hat Hasskommentare im Netz geschrieben? So kann man sich in einem Menschen täuschen! Wir sind entsetzt. Dieses Monster!

Indes, wir kennen solche Geschichten zur Genüge: Ein Amokläufer entpuppt sich als Falschparker, eine Kidnapperin trennt ihren Müll nicht, die Giftmischerin hat immer beim Trinkgeld geknausert, und das über Leichen gehende Hetzblatt nimmt’s gelegentlich mit der Kohärenz beim Schlagzeilen-Zusammenstückeln nicht so genau.

Grüße von der hellen Seite des Journalismus Titanic

 Ei Gude, Nancy Faeser!

Ei Gude, Nancy Faeser!

Als Bundesinnenministerin und SPD-Spitzenkandidatin für die hessische Landtagswahl stellen Sie im Wahlkampf wöchentlich eine weitere Verschärfung des Asylrechts in Aussicht, um bei Ihren stockkonservativen hessischen Landsleuten zu punkten. Das Dumme ist nur, dass Sie damit bis jetzt bei Ihrer Zielgruppe nicht so recht ankommen. Der sind Sie einfach zu zaghaft.

Da hilft nur eins: Klotzen, nicht kleckern! Ihr Amtsvorgänger Horst Seehofer (CSU) hat es doch vorgemacht und sich über die Abschiebung von 69 Afghan/innen an seinem 69. Geburtstag gefreut! Das haben alle verstanden. Tja, Ihr 53. Geburtstag am 13. Juli ist schon rum, die Chance ist vertan! Jetzt hilft nur noch eins: gemeinsame Wahlkampfauftritte mit Thilo Sarrazin!

Und flankierend: eine Unterschriftensammlung gegen die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, die es Migrant/innen erleichtert, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, ohne die eigene aufzugeben. Für Unterschriftenaktionen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sind die Hess/innen seit jeher zu haben (»Wo kann ich gegen die Ausländer unterschreiben?«). Und dass Sie damit gegen Ihren eigenen Gesetzentwurf agitieren – das werden die sicher nicht checken!

Darauf wettet Ihre Wahlkampfassistenz von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Backpainer-Urlaub

Eine Thailandreise ist die ideale Gelegenheit, sich bei unzähligen Thaimassagen endlich mal jene Rückenschmerzen rauskneten zu lassen, die man vom Tragen des Rucksacks hat, den man ohne die Thailandreise gar nicht gekauft hätte.

Cornelius W. M. Oettle

 Brotlose Berufsbezeichnung

Ich arbeite seit Jahren erfolgreich als honorarfreischaffender Künstler.

Jürgen Miedl

 Löffelchenverbot

Ich könnte niemals in einer Beziehung mit Uri Geller sein. Ich will mich einfach für niemanden verbiegen.

Viola Müter

 Tagtraum im Supermarkt

Irre lange Schlange vor der Kirche. Einzelne Gläubige werden unruhig und stellen Forderungen. Pfarrer beruhigt den Schreihals vor mir: »Ja, wir machen gleich eine zweite Kirche auf!«

Uwe Becker

 Kartoffelpuffer

Die obligatorische halbe Stunde, die deutsche Rentnerehepaare zu früh am Bahnhof erscheinen.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
22.09.2023 Mainz, Frankfurter Hof Max Goldt
23.09.2023 Mönchengladbach, Theater im Gründungshaus Max Goldt
24.09.2023 Aschaffenburg, Hofgarten Thomas Gsella mit Hauck & Bauer
26.09.2023 Bern, Berner Generationenhaus Martin Sonneborn