TITANIC-Wut-Rubrik: Die offene Tür
Heute: Reinhard Reitel (66)
Üblicherweise bin ich kein sonderlich streitlustiger Mensch, meine Freunde bezeichnen mich gar als höflich und zuvorkommend. Es gibt allerdings Themen, da springt selbst mir die Schnur meines Barbourhutes über die Kimme, da könnte ich mich tagelang aufregen und nachts die Daunenkissen kaputtbeißen. Mache ich aber nicht, diesen Coup gönne ich meinen Peinigern nicht! Vielleicht haben Sie diese Verächter des guten Geschmacks selbst schon einmal bemerkt: Seit an Seit oder – schlimmer noch – im Gänsemarsch wetzen sie wie von der Amsel gestochen ihre Piste entlang, links und rechts einen Metallspieß in der Hand, den sie bei jedem Schritt unbarmherzig in die Erde rammen. Eine Fortbewegungsart, die jedes ästhetische Empfinden vermissen läßt! Die Rede ist natürlich von "Nordic Walking" einem gänzlich idiotischen "Fitneßtrend", der – wie alles Üble – aus Amerika zu uns herübergeschwappt ist, genauer: aus dem Norden davon. Leser mit Geographiekenntnissen ab der Sexta werden ahnen, daß ich von den USA spreche. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen war, zu meiner Kindheit jedenfalls (Jahrg. ’48) sind wir noch spielend von A nach B gekommen, ohne dabei wie eine Horde Behinderter irgendwelche Krücken ins Pflaster zu hacken. Die einzigen, die damals vergleichbare Spieße besaßen, waren die Zigeuner (gab wenige), und wenn es quiekte, war der Igel tot.
Es ist aber nicht bloß die Lächerlichkeit der Fortbewegungsweise, die die "Nodik Woaker" für optisch sensible Beobachter unerträglich macht. Bei genauerem Hinsehen offenbart sich dem geschulten Auge eine weitere, noch viel schrecklichere Geschmackssünde. Diese Bewegungsfanatiker tragen nicht etwa eine, die Würde halbwegs wiederherstellende, Sportivkleidung, nein, entweder zwängen sie sich in hautenge Spandexpellen, die ihre ohnehin hervorquellenden Gesäße (bes. bei Frauen!) noch wulstiger erscheinen lassen, oder – der Gipfel des Schwachsinns – sie beblößen sich mit "Functional-Wear" oder "Outdoor-Clothing" (Anglizismen!). Wie auf einer Mount-Himalaya-Expedition walzen sie bei Sonnenschein und blauem Himmel bis unters Gebiß bewaffnet mit High-Tech-Materialien, die Schibrille vorm Gesicht, ihren Zwei-Kilometer-Rundkurs um den Ententeich im Stadtpark und brausen dann mit ihrem Geländewagen zurück ins klimatisierte "Office". Daß sie dabei aussehen wie die Clowns, scheint sie nicht zu interessieren, den Kontakt zur echten Welt haben sie aus lauter Angst vor Krankheit und Gebrechen längst verloren. Das Leben kann tödlich sein, lache ich ihnen da bitter nach!
◀ | Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Definitely maybe | Aus Eugen Egners Püppchenstudio | ▶ |
Newstickereintrag versenden…