Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Definitely maybe
Es war mir nicht angenehm, daß der hochgeschätzte Qualitätszeitungskollege E. auf dem Messefest über den ersten „Roman“ des Berliner Dauerfräuleins J. Hermann ins Rasen kam: hohle Nuß, trübe Tasse, und mein alter bester Schreibtischkumpel, der E.s ca. gleichlautende, mir unbekannte Rezension belobigt hatte, nur deswegen nicht applaudierte, weil er Bier trinken mußte; unangenehm, weil ich nicht mitschimpfen konnte. Obwohl ich den „Roman“ gelesen hatte. Aber mir ist von so vielen anderen Büchern im Leben schlecht geworden, und ich bilde mir ein, die schlechten Bücher an den ersten zwei Sätzen erkennen zu können, und mir war von „Aller Liebe Anfang“ eben nicht schlecht geworden, obwohl ich wußte, daß mir eigentlich hätte schlecht werden müssen, und so stand ich zwischen diesen beiden klugen Menschen und wich auf die lahme Formel aus, dieser „Roman“ sei, na ja, Durchschnitt? „Das ist ja fast ein Ritterschlag“, wunderte sich E., „wenn du das sagst.“ Er hält mich für streng, und das machte es mir noch unangenehmer, weil ich's ja offenbar nicht war.
Als professioneller Meinungsaussteller quält es mich naturgemäß, keine rechte Meinung zu haben, und so las ich, kaum zuhause, E.s Rezension: Der Hermann Buch sei überhaupt kein Roman, allenfalls eine Erzählung, voller aufgerüschter Trivialitäten, psychologisch ganz und gar unfundiert, im Detail fehlerhaft und sowieso redundant. Sie, die Hermann, habe nämlich nichts und wieder nichts mitzuteilen, und schreiben könne sie halt auch nicht, es sei alles ganz furchtbar. Der Zufall wollte es, daß Frau und Schwiegervater gerade auf dem DVD-Sofa saßen und sich über Helge Schneiders „Jazzclub“ ausschütteten, einen Film, der auf ein psychologisches Fundament bekanntlich völlig verzichtet, den Unterschied zwischen trivial und bedeutsam ganz selbstverständlich ignoriert und praktisch nichts mitzuteilen hat, es sei denn eben das. Ein Meisterwerk.
Das ist „Aller Liebe Anfang“, die Geschichte um eine (natürlich) unzufriedene Frau und einen Stalker, der diese Unzufriedenheit ins Bild setzt, freilich nicht. Es ist eine gewohnheitsmäßig epigonale, nach allen Carverschen Regeln summende Kurzsatzlitanei, nach einer einzigen (nämlich eben dieser) Stilidee tänzelnde November- und Teelichtprosa, deren Zentralwort, versteht sich, „vielleicht“ sein muß, was schon deshalb ganz praktisch ist, weil auf der sachlichen Ebene manches wackelt, wie ja schon die wahnsinnigen Namen der Hauptfiguren, eigentlich, vorn und hinten nicht stimmen: Stella, Jason, Ava, wie man halt so heißt in Berlin oder dem (vage amerikanischen) Märchenland, in dem (wie E. moniert) der Papa nicht Architekt, Ingenieur oder Maurer ist, sondern „Häuser baut“. Und da haben wir es aber dann: „Aller Liebe Anfang“ ist sowenig psychologischer Realismus, wie es ein „Roman“ ist, das ist nur Etikett. Es ist ein dunkel gemeintes Märchen für die Sorte Erwachsene, die in unseren Städten hockt und sich fürchtet, weil sie manchmal ahnt, daß sich das Unglück nicht bannen läßt, indem man seine Kinder Ava nennt. Es gibt nichts mitzuteilen, man weiß nicht mal, was denken, denn denken ist Kritik, und die kommt nicht infrage. Man könnte mal, man müßte mal, / indessen: Immanenz total. Also steht immer alles auf der Kippe, und der Witz ist, es stimmt ja auch.
„... es gibt nur das, was in uns ist, sonst nichts … glauben Sie mir, daß man das nicht aushalten kann?“ Hermann, 2014
E. (herzliche Grüße!) liebt Thomas Mann, aber Thomas Mann könnte heute nicht mehr schreiben, jedenfalls den „Zauberberg“ nicht. Man kann selbstredend trotzdem origineller und besser schreiben als Judith Hermann, denn die kann nur Stimmung, aber ist das heute nicht alles, Stimmung? Und wenn Literatur ja vielleicht doch ein bißchen dazu da ist, etwas über die Welt zu erfahren, in der man es aushalten muß: ist sie nicht gerade so, die Welt, trivial, stillgestellt, redundant, suggestiv? Ganz so wie z.B. die Brigitte; aber wer allein das Kursbuch läse, der wüßte ja rein gar nichts.
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