Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (94)
Gottlob und bevor nämlich Petra sich in einer Weise äußern konnte, wie Männer sie erwarten müssen, die vergessen haben, daß Selbstmitleid kein Pluspunkt ist, hub Heiner an zu krähen, und Kurtchen sah sogleich nach links und bedachte die Frage, inwieweit hier Ausgleich möglich sei zwischen der Intimität am Tischrand und den gruppendynamischen Erfordernissen des Abends; und als sei (wie ihm ein Schalk sogleich einflüsterte) heute sozusagen Memorial Day, erinnerte er sich an das drängende Beigefühl seiner ersten, durchaus noch kindlichen Verliebtheit, deren er sich vor der Rotte seiner gleichfalls noch kaum sexualfähigen Bolz- und Freibadkameraden nämlich ziemlich geschämt hatte; was tatsächlich als Hauptgrund dafür gelten mußte, daß die Beziehung zu Carolin aus der 6b alsbald gescheitert war.
„Ach komm!“ schrie Heiner jetzt geradezu, und Fred sagte leichthin: „Tja!“, und Gernolf hatte das Kinn in der aufgestützten Rechten abgelegt und verfolgte den fröhlichen Disput mit dem müden Wohlwollen eines Vaters, der nach einem langen Tag im Büro noch gezwungen ist, sich die „Dreigroschenoper“ in der Bearbeitung für Oberschulen anzusehen.
„Wenn ich es sage“, legte Fred nach und griff nach Kurtchens Tabak.
„Das ist; das ist doch Inzest irgendwie“, sang Heiner jetzt schon fast seriös und sah halb fragend, halb beifallheischend um sich.
„Ist kein Inzest“, sprach Gernolf aus der hohlen Hand. „Nur bei Verwandtschaft ersten Grades oder in direkter Linie oder wie das heißt. Überhaupt ist das nicht einmal überall verboten, habt ihr das gewußt?“
„China“, sagte Kurtchen, bloß um was zu sagen.
„So ein Quatsch“, sagte Petra freundlich, und Kurtchen war (zum wievielten Male schon) froh, daß sie nicht auf der Intimität bestand und sich ohne weiteres ins Geschehen einschaltete.
„Stimmt“, sagte Kurtchen, „habe ich verwechselt. Ich meinte: Lesbos.“
„Lesbischer Inzest“, tat Gernolf still empört und schüttelte den Kopf, soweit das in der Arretierung möglich war, das Handgelenk schaukelte sanft, „du schaust die falschen Filme.“
„Wieso die falschen?“ fragte Fred mit der unschuldigsten aller seiner Mienen.
„Mich müßt ihr nicht ansehen“, sagte Petra glänzend, „ich bin Einzelkind“, und entweder war sie ein Musterfall von Nervenstärke, oder an dieser Pornogeschichte war halt doch nichts dran, und während Kurtchen schon wieder sein Bier austrank, war er sich schon wieder nicht sicher, ob er das nun gut fand oder nicht. (wird fortgesetzt)
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