Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (52)
Und Werbung war es auch, wenn auch eine karg formulierte: „Wir machen nachher einen Ausflug, magst mit? Kuß, P.“ Kurtchens Herz tat das, was es in Romanen immer tut, was es aber, außer bei ernsthaften kardiovaskulären Problemen, nie tut, außer eben, wenn man zu viele Romane gelesen hat: Es setzte einen kleinen Schlag aus; machte aber gleich nach Vorschrift weiter, weil das erstens seine Aufgabe war und Kurtchen, zweitens, die Einladung auch noch gar nicht angenommen hatte, ja, sich sogar dahingehend beruhigen konnte, daß er ja gar nicht wisse, wer P. denn sei. Daß es Petra war, war zwar wahrscheinlich, aber er kannte schließlich einen Haufen Leute, Freunde, frühere Freunde, Bekannte, Freunde von Bekannten, innere, mittlere, äußere Kreise, es war kaum anzunehmen, daß nicht jemand mit P dabeisein sollte; denn so heikel Kurtchen war, was das Rubrum „Freund“ anging – darunter fielen tatsächlich nur Leute, mit denen er es ohne Dritte länger als zwei Kaffeelängen aushielt –, so unkompliziert war er, was seine zahlreichen Bekanntschaften betraf: Wie ein eiszeitlicher Gletscher schob Kurtchen eine Moräne aus Mensch vor sich her, so gut wie nie hatte er sich von Weggefährten getrennt, allenfalls Verbindungen auslaufen lassen, und selbst das hatte mindestens zwei vergessener Geburtstage in Folge bedurft. Er selbst vergaß Geburtstage praktisch nie (er wußte heute noch den von Susanne Giebenrath, von der er an die fünfzehn Jahre nichts mehr gehört hatte, aber nichts zu machen, 12. November, und jedes Jahr dachte er dran und mußte sich fast zwingen, nicht anzurufen), und manchmal war er sich nicht sicher, was er von dieser Art Treue halten sollte: Einerseits war's gewiß ein Wert an sich, andererseits waren sich die weisen Leute einig, daß es nicht gut sei, in der Vergangenheit zu leben, und davon, daß er den Geburtstag von Susanne Giebenrath nicht vergessen konnte, hatte niemand etwas, höchstens Susanne, aber die hatte zum Schluß nur noch zweimal im Jahr aus dem Auto angerufen, um sich die Heimfahrt vom Büro zu verkürzen, und das war ja nun wirklich das allerletzte.
Wann Petra Geburtstag hatte, wußte er nicht, und es wäre, wenn er es erführe, wieder ein Eintrag, der bis zum eiweißbedingten Verfall seines Hirnapparates haften bliebe, unauslöschlich, solang er seinen eigenen noch wußte. Er hatte, fiel Kurtchen auf, überhaupt erst einmal mit einer Frau geschlafen, deren Geburtstag er nicht kannte, und soweit er sich erinnerte, hatte das rein gar nichts ausgemacht, weder hinterher noch währenddessen, aber es war eine Ausnahme geblieben, eben die Ausnahme, die die Regel bestätigt, und die Regel war stets gewesen, daß er der Mann war, der die Geburtstage kennt und deshalb für schnelle Bettgeschichten nicht in Frage kam. (wird fortgesetzt)
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