Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (107)
Er war sich sicher, daß seine zweite geschiedene Frau nicht seinetwegen die S-Bahn genommen hatte (und zwar zwischen zwei Bahnhöfen; Kurtchen akzeptierte seinen schalen Zynismus, es wußte ja keiner); schließlich war sie es gewesen, die für die Scheidung gewesen war. Nein – und er blickte ins Fenster, wo er als graublauer Fleck auf hellem, irrealem Hintergrund ein phantastisches Doppelleben führte –: sie waren übereingekommen, die Sache zu beenden, am Ende eines Abends, als sie noch einmal versucht hatten, ihren ehelichen Pflichten auf eine Weise nachzukommen, die keine Partei gedemütigt und ratlos zurückließ; und wie gerade die unwillkommenen Gedanken sich um den Türsteher nicht scheren, sah er sich, kurioserweise von oben, mit nacktem, sich leicht und regelmäßig nordwärts verschiebendem Rücken arbeiten und war wieder der, der sicher wußte, daß das nichts mehr werden würde, wie lang er auch weiterpumpte; und der aber weitergemacht hatte, weil er Zeit für die Überlegung brauchte, ob es nicht allzu entsetzlich sei, diese Ehe mit einem vorgetäuschten Orgasmus zu beenden; zumal seinem ersten. Wie Ulrike sich verhalten hatte, ob sie Geräusche gemacht oder gelangweilt an die Decke geschaut hatte, er wußte es nicht mehr; wenn er es je gewußt hatte.
Petra schwieg auf eine Weise, die Kurtchen abweisend vorkam, aber er beruhigte sich damit, daß man einen Selbstmord, selbst einen fremden, nicht übergeht wie ein verlorenes Fußballspiel oder die Erinnerung an ein gescheitertes Familienweihnachten; und sah wieder nach links, verlegen, aber auch ein bißchen stolz auf seine gebrochene Beziehungsbiographie. Er kam sich sehr erwachsen vor, aber auch literarisch, irgendwie.
Petra sah in den Waggon hinein, durch die juvenilen Party- und Krachmacher hindurch, geradezu verbissen, als wären sie ein Paar und hätten sich gestritten; und der Gedanke machte Kurtchen melancholisch, einerseits. Aber er prüfte auch die Möglichkeit, ob das nicht der plausibelste Abschluß des Abends wäre: Was immer sie in ihm gesehen hatte, sie hatte sich getäuscht, und sie dachte nicht mehr daran, die Nachfolgerin einer Frau zu werden, die aus der Verbindung mit ihm, Kurtchen, ihre ganz eigenen Konsequenzen gezogen hatte. Und er bliebe allein mit sich und seinem Leben, wie es nun einmal war, und er würde klempnern und Bier trinken und abends Hansi Hinterseer gucken, den er heimlich bewunderte dafür, daß er tatsächlich immer der war, als der er wahrgenommen wurde. Hansi Hinterseer war immer derselbe, ein völlig kongruenter Mensch, er mußte glücklich sein und sah auch so aus. Fabelhaft.
"Wo steigst du aus?" fragte Petra. (wird fortgesetzt)
◀ | TITANIC Prokrastinationsservice | Aus dem aktuellen Heft: Das neue deutsche Volkslied | ▶ |
Newstickereintrag versenden…