Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Yin und Yang
Es ist ja gottlob immer alles Yin und Yang, und einerseits sind vormittags um elf auf der Post zwei von sechs Schaltern besetzt und reicht die Schlange bis auf die Straße (Pech), andererseits steht der Irre, der seinen ihm wildfremden Hintermann mit unerbetenen Geschichten über den besten Freund in Hameln und Geldanweisungen nach Indien beharkt, nicht wieder mal vor mir (Glück); und freilich ist es zwar Pech, dass während der halben Stunde, die ich mir die Beine in den Bauch stehe, hinter mir zwei unablässig quasseln, aber wiederum Glück, dass sie es auf eine Weise tun, die mir in meine Kolumne helfen.
Die Frau ist, wie sie später ungefragt mitteilen wird, 57, praktisch und sehr grau angezogen, hat eine Strähnchenfrisur und sich an der Schlange vorbei an einen Schalter begeben, um etwas in Erfahrung zu bringen, und mein Hintermann, vielleicht Anfang Dreißig, aber bestimmt eher auf der Schattenseite zuhause, ist damit nicht einverstanden. Die Frau sagt, sie sei aus Badenstedt und kenne sich hier nicht aus. Der Mann sagt (sinngemäß), die Post in Badenstedt sei ja wohl auch nicht anders als diese hier, und vorgedrängelt sei vorgedrängelt. Die Frau sagt, sie habe doch nur etwas fragen wollen, und sie habe doch auch erst ihn gefragt, habe sich aber hernach immer noch nicht ausgekannt, und deshalb sei sie vorausgegangen; der Mann antwortet, es gebe Fragen, die verdienten keine Antwort. Einerseits freue ich mich ja Tag für Tag über die lokale Freundlichkeit (keine Ironie), andererseits ist mir die Frau in ihrer aufdringlichen Geschwätzigkeit zuwider, und ich muss bereits aushalten, dass ein Monitor in Sichtweite „Eva Padbergs Baby-News“ bereithält.
„Nie darf der Fisch / Hinauf aus seinem Grunde steigen. / Des Landes wirksamstes Gerät / Darf man den Menschen nicht zeigen.“ Lao-tse, ca. 300 v.u.Z.
Das Interessante ist nun, dass der Mann und die Frau sich auf einmal vertragen, weil der Mann aus einem Grund, den ich nicht mitbekommen habe, „Hartz-IV-Empfänger“ sagt und sich beide einig sind, dass es so nicht weitergehen kann, weil alles im Arsch ist und so gut wie nichts mehr nachzuvollziehen. Der Mann, höre ich recht, war selbst einmal auf Hartz und sagt (erkennt), dass wir alle verarscht werden und Marionetten sind. Die Frau ist einverstanden, weil sie, wie alle anderen Deutschen, nichts gegen Ausländer hat, aber findet, dass die sich überall vordrängeln (!), aber sagen dürfe man nichts, und ihre Nachbarn seien Russlanddeutsche, und deren Sohn sei immer betrunken und schmiere Kot an die Wände, und immer müsse die Polizei kommen, und zwar von Steuergeld. Der Mann sagt, manche Leute seien krank, und er meint nicht verrückt oder abartig, er meint: krank/therapiebedürftig, und besteht darauf, dass es auf den jeweiligen Fall ankommt. Die Frau stimmt erst zu, lässt aber einen Satz folgen, in dem „Kindergeld“, „eins nach dem anderen“ und „schönes Leben machen“ vorkommen, und wenn Merkel sage, dass wir das schafften, dann wolle sie, die Frau, den Fernseher eintreten. Der Mann sagt, wir seien alle Menschen, und es sei eine Frage der Erziehung, was man vom anderen, Fremden denke, die Leute würden ja mit Absicht dumm gehalten, und die Frau tritt auch gleich den Beweis an. Dann kann ich gehen.
„Es durfte der Mensch nicht so gedemütigt werden.“ Wilhelm Genazino, 1977
Mein Morgenblatt lesen sie garantiert beide nicht (sie bringen Strasbourg mit den Gelbwesten durcheinander), aber für die, die es tun, gibt’s natürlich ebenfalls ein Angebot. Auf Seite 2 hat der Elsässer Attentäter „eine schwierige Biographie, wie sie häufig vorkommt in ärmeren Vororten Straßburgs. C., 1989 geboren, ist mit sechs Geschwistern aufgewachsen, die Schule hat er besucht, bis er 16 Jahre alt war. Dann folgte die Arbeitslosigkeit“, dann die Kleinkriminalität, dann der Knast. „Mit einem solchen Lebensweg fällt Chérif C. Genau in die Zielgruppe, aus der Islamisten gern Attentäter rekrutieren.“ Auf der Meinungsseite 4 ist nur mehr davon die Rede, Täter seien „immer öfter Kleinkriminelle, … Männer, die noch jung sind, aber ihr Leben schon als gescheitert betrachten; Typen, die man unter anderen Umständen vielleicht Amokläufer nennen würde; Gewalttäter, die oft einfach eine Ausrede suchen“, denn die Dinge sind oft einfach, ob für die Frau ohne Abitur aus Badenstedt oder den Ronen Steinke, der sogar auf der Uni war. Der einzige Unterschied ist, dass die einen dumm sind und die anderen dumm halten.
Es ist halt, Gott sei’s geklagt, immer alles Yin und Yang. (Ausnahme: der Politikteil der FAZ, der ist bloß Yang.)
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