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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Es ist zugerichtet

Ich vergesse ja schlechthin alles, aber was ich nicht vergessen kann, ist die Wand im Münchner „Museum für Mensch und Natur“, die zirka „So isst die Welt“ heißt und auf großen Fotos zeigt, wie man in (Gedächtnisprotokoll) Gambia, Vietnam, Kolumbien isst, wo sich die Tische unter Nahrungsmitteln biegen, die allesamt das sind, was man unprozessiert nennt, aber auch unverarbeitet nennen könnte: Gemüse, Obst, Fisch, Nüsse, regional natürlich je anders, aber doch immer gleich. Die Irritation, die den an Supermarkt und Schokoriegel gewöhnten Besucher gleich erfasst, rutscht ins Bild, wenn wir die englische Familie sehen (es könnte auch eine deutsche oder amerikanische sein), die hinter einem Tisch voller Nahrungsmittelverpackungen steht, und in den Verpackungen ist dann irgendwas aus modifizierter Stärke, Palmöl, Zucker und Aroma.

Selbst wenn man nichts über Kritische Theorie wüsste, über Entfremdung oder zweite Natur, hier bekäme man einen Eindruck. Und selbst wenn man, wie ich, nicht gern auf Märkte geht, weil man lieber in Regale fasst und sich Leuten, die auf Märkte gehen, nicht recht zugehörig fühlt, fällt einem kein Grund ein, warum es nun unbedingt Bratkartoffeln im Vakuumpack geben muss, außer dass es natürlich Popkultur ist, was es ja immer ist, und dass, wer nicht kocht, mehr Zeit zum Arbeiten und Konsumieren hat und dass, wer alles aus der Packung holt, gegens Zurichten und Zugerichtetwerden vielleicht weniger haben wird als der, der nicht. (Das gilt natürlich nur abstrakt, denn auf dem Markt ist ja erst recht alles superlecker. Immerhin läuft der entsetzliche Rewe-Kundenfunk nicht, der letzte Beweis dafür, dass „lecker“ die übelste aller affirmierenden Terrorvokabeln ist: Konsum, das ist Fressen, und wie ist das Fressen? Lecker. Lecker! Leckerleckerlecker!)

„Kraft in den Teller. Knorr auf den Tisch.“ Beckenbauer, 1966

Jetzt kommt also die Lebensmittelampel, die, weil letztlich immer alles Sozialdemokratie ist, am System industrieller Quatschnahrungsmittelproduktion nichts ändern, aber verhindern will, dass die Leut’ nicht wissen, was sie da tun. Vermutlich ist auch das wieder ein Teil jener Gängelung und Volkserziehung, die Libertäre von rechts und links als unfrei und unerwachsen verachten, als sei nicht jeder Kunde Kind und ginge es nicht darum, jenen zähmenden Eingriff zu simulieren, der den kapitalistischen Auswuchs immer mal wieder zurückschneidet. Es gibt ja stets eine Wirtschaft, die produziert, und einen Staat, der aufs Produzierte sieht, damit niemand dran sterbe, wobei Marktbetrügereien und Panschereien so alt sind wie der Markt selbst. Den Unterschied macht, dass das Mittel zum Zweck geworden ist, dass produziert wird um der Produktion willen und das Bedürfnis nach Bratkartoffeln im Vakuumpack als bizarr künstliches gelten muss.

Die Lebensmittelampel, übrigens selbst ein Firmenprodukt, mag simplem Verbraucherinnenschutz Genüge tun; wovon sie aber verlässlich ablenkt, ist, dass sie so überflüssig wäre wie ein Hollandrad mit Ökosiegel, wenn Lebensmittel nicht als Konkurrenzwirtschaftsprodukte in Marketingabteilungen entwickelt würden. Die Lebensmittelampel, weil es sie gibt, ist die Grünphase selbst, damit alles in jener Bewegung bleibe, die wiederum kluge Leute für Stillstand halten, und falls es die Sozialdemokratie bald nicht mehr gibt, liegt es schlicht daran, dass sie so schrecklich unausweichlich geworden ist.

Der Küchenzettel für Sonntag, den 6. Oktober: Wirsing mit Salzkartoffeln, Apfelmus (aus dem Glas).




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg