Newsticker

Nur diese Kategorie anzeigen:Gärtners Sonntagsfrühstück Eintrag teilenEintrag per Email versenden Mit Facebook-Freunden teilen Twittern mit Google+ teilen

Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Ein Hilferuf

Am Mittwoch bekam die Gesamtschule Wuppertal-Barmen den deutschen Schulpreis. „Die Kanzlerin“, berichtete die Morgenzeitung, „ehrt damit eine Schule, die für mehr Gerechtigkeit in der Bildung steht, für mehr Chancen auf dem Weg zum Abitur“. In Barmen lernen alle, needless to say, bis zur 9. Klasse gemeinsam. „Das ist die politische Botschaft dieses Preises, gegen eine frühe Auslese, so wie sie gerade in unionsgeführten Ländern noch immer praktiziert wird.“

Das, was die Morgenzeitung als politische Botschaft feiert, ist auch eine, allerdings fürs reine Gegenteil. Denn während die hohe Politik, und sei’s in Vertretung von Robert-Bosch- und Heidehof-Stiftung, Schulpreise recht regelmäßig an integrative Blümchenmodelle vergibt, kann sie sich darauf verlassen, daß der bildungspolitische Zug immer schneller in Richtung Auslese, Elite, Hochleistung fährt, wofür schon die traditionelle deutsche Bürgerangst sorgt, mit den kleineren Leuten in einen Topf geworfen zu werden.

So hatte dieselbe (süddeutsche) Morgenzeitung, die hier so integrativ tat, ihre Ausgabe klientelgerecht mit einem Teaser über einen sog. „Notenschwindel“ eröffnet und also darüber, daß ein Einser-Abi in Thüringen viel wertloser sei als, natürlich, eins in Bayern. „Das ist ungerecht, verzerrt den Wettbewerb um Studienplätze und beeinflußt Lebenswege. Warum tut keiner was dagegen?“ Ein regelrechter Hilferuf, denn ein durch die Ungnade des falschen Wohnorts verzerrter Lebensweg gehört nun mal ins Getto oder den Busch, aber doch nicht in die Münchner Volvo-Viertel, wo die Leute so stolz sind auf ihr Eliteabitur und sich dann aber beschweren, wenn es anderswo u.U. einfacher zu haben ist. Ein Widerspruch, mit dem freilich leben muß, wer einen „Wettbewerb um Studienplätze“ längst als Normalität akzeptiert hat und nicht sieht, daß Bildung, die eine sein wollte, an dieser Stelle schon keine mehr sein kann.

„Von Paul Nizan stammt der Satz: ,Ich war zwanzig Jahre alt und ich habe niemandem erlaubt zu sagen, dies sei die schönste Zeit meines Lebens.’ Wenn dieser Satz auch für die heutige heranwachsende Generation noch seine Richtigkeit hat, dann vor allem deshalb, weil es für niemanden zu ertragen ist, in diesem Alter der neuen Projekte und Ideen feststellen zu müssen, daß es keine solchen Projekte und keine Chancen gibt, durch Erfahrung den Dingen auf den Grund zu gehen. Wenn es keine solchen Projekte gibt, bleibt den Jugendlichen nur die blanke Konkurrenz gegeneinander, die erbitterter denn je geführt wird. Dann werden nur noch Mengen eines Wissensstoffs angehäuft, um die Auslese unter den Schülern noch effizienter zu gestalten, oder um sie noch besser zu drillen, nicht aber um das Wissen in einer gesellschaftlich nützlichen Weise oder für eine vernünftige Entwicklung der Persönlichkeit zu entfalten.“ Bourdieu, 1992  

Jedenfalls wollen, während sich in Wuppertal ein paar Hippies um die Loser kümmern, die Kultusminister laut geneigter FAZ „auch Leistungsstarke besser fördern“, nachdem sie sich „jahrelang ... auf leistungsschwache Schüler konzentriert“ haben. „Eine gute Schule“, läßt sich die sächsische Ministerin Kurth (CDU) via SZ vernehmen, „fördert sowohl die benachteiligten Kinder, läßt aber auch Talente nicht verkümmern. Auch das ist eine Frage von Bildungsgerechtigkeit.“ Weshalb jetzt gerechtigkeitsfördernd nachgerüstet wird, inkl. „Spezialklassen für Hochbegabte oder gar eigene Schulen“ (ebd).

Das hat, versteht sich, natürlich rein gar nichts damit zu tun, daß es in diesem Land einen Riesenpool von unterforderten Spitzentalenten gäbe und daß, wer bislang durch Begabung aufgefallen war (und also aus dem richtigen Stall kam), nicht ohne Elitenbrimborium an seinem Platz gelandet wäre. Aber wo die „Inflation von Spitzennoten“ (FAZ) samt passendem Bachelor den Markt mit Bildungszertifikaten überschwemmt, die, Angebot und Nachfrage, immer wertloser (und eben auch im betriebswirtschaftlich gewünschten Sinne: billiger) werden, benötigen Distinktionswahn und Wettbewerbsfetisch ein neues Ausleseprogramm, zum Heile von Status und Standort; gewisse Vulgaritäten werden dabei billigend in Kauf genommen: „Bayern baut … acht Gymnasien mit Hochbegabten-Klassen zu Kompetenzzentren aus“ (SZ). Das „Deppen-Divis“ (Jürgen Roth), das wir sonst stillschweigend korrigieren: hier hat es einmal seinen Platz / in diesem Schmutz von einem Satz.

„Kurth sagt, man habe sich hierzulande lange Zeit mit Eliten schwergetan“, weshalb das Geburts- und Besitzprivileg in jedem Fall schützende deutsche Schulsystem nachweislich das ungerechteste des Kontinents ist. Sie lügen, wenn sie den Mund aufmachen, und sich mit diesem Land und seinen zauberhaften Eliten schwerzutun muß darum, ich bitte, uns Minderbegabten überlassen bleiben.




Eintrag versenden Newstickereintrag versenden…
Felder mit einem * müssen ausgefüllt werden.

optionale Mitteilung an den Empfänger:

E-Mail-Adresse des Absenders*:

E-Mail-Adresse des Empfängers*
(mehrere Adressen durch Semikolon trennen, max. 10):

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
14.05.2024 Frankfurt, Goethe-Universität Martin Sonneborn
15.05.2024 München, Volkstheater Moritz Hürtgen mit S. El Ouassil und M. Robitzky
16.05.2024 Regensburg, Alte Mälzerei Max Goldt
17.05.2024 A-Linz, Posthof Max Goldt