Dax Werners Debattenrückspiegel KW 45
Liebe Freund_innen,
wenn die Inzidenzzahlen Aktienkurven wären, wären Sachsen, Thüringen und Bayern seit dieser Woche die reichsten Bundesländer Deutschlands. Denn dass Graphen derart steil und selbstbewusst in die Höhe schießen, passiert sonst eigentlich nur, wenn der US-amerikanische Dirk Rossmann, Elon Musk, versehentlich den Namen der nächsten ausgedachten Kryptoschrottwährung twittert. Doch 471, so beispielsweise die 7-Tage-Inzidenz in der Landeshauptstadt Dresden in Kalenderwoche 45 (kurz: Dresden 45), bedeutet, da verrate ich euch kein Geheimnis, das exakte Gegenteil von wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftlichem Fortschritt.
Denn statt Feierlaune in der Börse vor 8 war im Miniaturdebattenwunderland Twitter diese Woche analog zu den Inzidenzen wieder Lockdown-Stimmung angesagt; die üblichen Verdächtigen forderten einmal mehr Einschränkungen, Ausgangsbeschränkungen und Impfverpflichtungen, was der mobile Datentarif hergab; ganz so, als sei schon wieder 2020, Dieter Nuhr würde mitten in der Pandemie auftreten wollen und hätte vor lauter Ärger den australischen Busch in Brand gesteckt. Debattenzeitschleifen.
Frank Ulrich Montgomery, der Mann mit dem Namen, mit dem man einfach zwangsläufig Präsident des Weltärztebundes werden muss, ließ sich diese Woche bei Anne Will durch Twitter angezündet sogar dazu hinreißen, von einer "Pandemie der Ungeimpften" zu sprechen. Eine, wie wir Mittfünfziger natürlich sofort erkennen, wenig subtile Anspielung auf den berühmten Song "Diktatur der Angepassten" der Hamburger Band "Blumfeld". Ulf Poschardt vom militärhistorischen Onlinemagazin Welt nahm den Ball natürlich dankend an, kopierte einige Zeilen des Blumfeld-Songs "Wir sind frei" von songlyrics.net in sein Twitterprofil und garnierte diese mit seinem Lieblings-Emojo: Die Freiheitsstatue in New York.
Ihr spürt es: Spätestens Mitte der Woche wurde es debattentechnisch richtig unübersichtlich. Liegt auch daran, dass man in Deutschland im Jahr 2021 ohnehin vorsichtig sein sollte mit Begriffen wie "Tyrannei", "Diktatur" oder "Totalitarismus" – denn nicht nur, dass diese historisch durchaus vorbelastete Begriffswelt schon letztes Jahr durch schwäbische Esoteriker_innen "anders aufgeladen" worden wäre, lassen sich noch in jedem Backkatalog aller Hamburger Schule-Bands ein paar Catchphrase-Zeilen finden, die man für seinen Pandemie-Standpunkt "fruchtbar" machen kann.
Bei soviel Durcheinander geraten selbst die Coolsten ins Schleudern. Christian Lindner behauptete am Wochenende in den Tagesthemen, dass es wissenschaftlich gesichert sei, dass Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren "nicht wirksam sind". Geile Energie! Damit schließt er an die schöne Tradition von Armin Laschet (like wer sich erinnert) an, in Interviews nach Lust und Laune Dinge zu behaupten, die tags darauf von den Parteisoldaten der zweiten und dritten Reihe in den sozialen Medien glattgebügelt werden müssen. Insgesamt gut weggemanagt das Ding, einen kleinen Vorschlag für die Liberalen aus der Feder Peter Breuers hätte ich zum Schluss aber doch noch: Wenn sie die Ungeimpften so lieben, warum nehmen sie sie nicht zuhause bei sich auf?
Lässt das einfach mal so stehen: Dax Werner
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