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Dax Werners Debattenrückspiegel KW 30

Liebe Leser_innen,

die letzten Tage verbrachte ich auf einem herrlichen Ferienhaus auf dem Land, in dem jedoch das WLAN nicht funktionierte. Für jemanden wie mich, der auch in der Freizeit ständig angeschwitzt mit anderthalb Füßen im Debatten-Boxring steht, natürlich nicht weniger als eine Katastrophe. Wie soll das Internet eine Woche ohne meine Meinung auskommen? Wie soll ich ohne die Meinung der anderen auskommen? Je länger ich über meine Situation nachdachte, desto mehr wurde mir die nationale Tragweite des WLAN-Problems bewusst. Hier ging es nicht nur um mich, hier ging es um unser Land.

Ich beschloss, die Ruhe zu bewahren und zu überlegen, was Florian Schröder in meiner Situation tun würde. Der Passwortschutz der einbalkigen “Merkel muss Weg”-Netzwerke in Reichweite war das eine My zu strong, auch meine 20 Gigabyte reinsten teutonischen LTE-Datenvolumens waren nach einer Handvoll Focus-online-Artikel mit selbststartenden Werbevideos schnell runtergerockt, deswegen schrieb ich mit den letzten paar Megabyte eine gepfefferte Mail an den Ferienhaus-Vermieter: “Entschuldigung, aber das Internet ist irgendwie alle? NOTFALL! GLG”. Nun half nur noch beten.

Tagelang geschah nichts. Keine Antwort, kein Internet, keine Debatte. Dann, ein Tag vor der Abreise, die Überraschung, nein: das Wunder: Jemand hatte während unseres Wanderausflugs einen handgeschriebenen Zettel unter die Wohnungstür geschoben. Darauf der Name einer Fritzbox und ein 32-stelliges Passwort. “Es gibt doch noch einen Gott”, hörte ich mich tränenerstickt flüstern. Unten rechts auf dem Zettel hatte jemand einen Bärchen-Sticker aus der Ummantelung einer Backzeitschrift platziert, beide Bären schmiegten sich aneinander und blickten zufrieden nach oben. Richtung WLAN.

Doch das Signal war zu schwach. Ich bewegte mich Richtung Haustür, dann in den Flur, nach einem Moment Zögern auch in die Gärten der benachbarten Ferienhäuser. Immer wieder war das Netzwerk für einen Moment lang einen Balken stark da, verschwand jedoch gleich darauf wieder. Ich beschloss es im Nachbarort zu probieren und wanderte eine Stunde zu Fuß in den nächsten Ort. Es dämmerte, mein Blick war auf mein Display fixiert, so dass ich immer wieder vom Fußweg abkam in Richtung der Bundesstraße neben mir. Immer wieder torkelte ich auf die Fahrbahn, hin und wieder mussten mir Autos und Traktoren hupend und fluchend ausweichen. Sie konnten nicht wissen, worum es hier ging.

Dann hielt ein Lkw neben mir. Der Fahrer kurbelte das Beifahrerfenster herunter und obwohl der Motor noch lief, konnte ich es deutlich hören: Im Innern des Fahrerhaus lief der “Geistertruck” von Tom Astor. Mir wurde mulmig. “Wohin musst du, Junge?” fragte mich der Fahrer. “Richtung Internet, Trucker”, antwortete ich lautlos. Dann nahm er mich mit.

Stumm fuhren wir durch die Nacht, ich stellte keine Fragen. Kurz vor der tschechischen Grenze erreichten wir einen Serways-Rasthof, in dem noch Licht brannte. Der Trucker grüßte wortlos und warf mich vor dem Eingang raus. Inzwischen war es 3 Uhr morgens, ich blickte auf mein Huawei: Tatsächlich, hier gab es ein funktionierendes WLAN. Atemlos loggte ich mich in das offene Netzwerk und akzeptierte die AGBs, ohne sie durchzulesen. Dafür war heute keine Zeit.

Binnen Sekunden holte ich mir das Debatten-Update, das ich so dringend gebraucht hatte: TikTok, Instagram, Bild-Startseite. Irgendetwas stimmte nun wohl auch nicht mit einem zehn Jahre alten Buch von Armin Laschet, das er ohnehin nicht selbst geschrieben hatte. In der Zeit, in der ich nach Internet gesucht hatte, hatte sich der inzwischen zweite Plagiatsskandal dieses Bundestagswahlkampfs ereignet. Ein stummer Schock. Ich öffnete die Facebook-App und tippte ohne nachzudenken los, mit jedem Buchstaben spürte ich, wie ich langsam ruhiger wurde:

“Die Literatur verliert seit jeher an Bedeutung (wie anders wäre das Phänomen Ferdinand von Schirach zu erklären?), im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird inzwischen jede Sendung, in der zufällig ein Buch auftaucht, vorsorglich abgesetzt – und plötzlich kennt ein ganzes Land kein anderes Thema als die kollaborativ erarbeiteten Werbebroschüren eines 1,72 Meter großen Aacheners und einer grünen Fast-Noch-Millennial aus Hannover? Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der Bücher so viel bedeuten.”

Der Morgen graute. Den Schlusssatz schrieb ich mit letzter Kraft und konnte gerade noch so auf “Absenden” klicken, bevor ich völlig entkräftet vor dem Raststätten-Eingang zusammen sackte und in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.

Eine erholsame KW wünscht euch einmal mehr:

Dax Werner




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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Nice one, Ted Cruz!

Sie sind US-Senator und mittlerweile auch hierzulande als rechter Hardliner und Schwurbelkopf der Republikaner halbwegs bekannt. Derzeit setzen Sie sich für die Begrenzung auf zwei Amtszeiten für Senator/innen ein. Und wollen gleichzeitig für eine eigene dritte kandidieren.

Diesen Ansatz finden wir sehr vielversprechend, um die Anliegen Ihrer Partei durchzubringen. Sie sollten ihn unbedingt auch auf andere Themen anwenden! Unsere Vorschläge: Waffenniederlegungen gegen schärfere Waffengesetze, Abtreibungskliniken gegen Abtreibungen und offene Grenzen gegen Einwanderung.

Für weitere Tipps stehen jederzeit zur Verfügung:

Ihre Snowflakes von Titanic

 Bssssssssssssss, Bienen!

Bssssssssssssss, Bienen!

In den USA ist gerade ein Impfstoff für Euch freigegeben worden, nämlich gegen die Amerikanische Faulbrut, die Euch seit einer Weile dahinrafft. Nun wollten wir schon höhnen: »Haha, jetzt wird zurückgestochen! Da merkt Ihr mal, wie unangenehm das ist«, doch dann lasen wir die entsprechende Meldung genauer und erfuhren, dass das Vakzin gar nicht injiziert, sondern dem Gelée Royale für Eure Königinnen beigemengt wird. Erschreckend, wie sich wieder einmal die Impfgegner/innenlobby durchgesetzt hat!

Zeichnet somit erst mal keine Beeontech-Aktien: Titanic

 Ach, »Welt«,

wohl mangels Materials bewarbst Du online einen sieben Jahre alten Artikel aus dem Archiv, und zwar mit den Worten: »Wenn ihr diese Wörter benutzt, wirkt ihr intelligenter.« Dazu ein wahlloses Foto einer jungen Frau.

Nun wollen wir Dich nicht enttäuschen, müssen aber doch auf einen wichtigen Umstand hinweisen, der Dir anscheinend entgangen ist. Man muss nämlich nicht nur bestimmte Wörter benutzen, um intelligent zu erscheinen, sondern diese auch noch in eine komplizierte Reihenfolge bringen, die oft ganz entscheidend ist.

Dumm für oft Welt hält Journalist/innen: Titanic

 Hallo, Literaturkritik!

Was ist los mit Dir? Alt geworden? Müde? Wir waren doch so gut aufeinander eingespielt: Du liest ein neues Werk von Raphaela Edelbauer (»Das flüssige Land«, 2019 / »Dave«, 2021), gerätst aus dem Häuschen, schreibst irgendwas wie »sprachlich souverän« und »Raffinesse« und »Kafka« und »enorme Sprachmächtigkeit« und abermals »Kafka«, und wir schauen uns das schwergelobte Werk etwas genauer an und finden lauter wundersame Stellen, die Du wahrscheinlich überlesen hast: »Der ganze Raum zitterte glückselig vor Neid wie ein trotziger Block Aspik« zum Beispiel. Oder: »Selbst wenn jemand bloß geschäftig und zielgerichtet den Gang hinunterging, war sein Streben vom Habitus eines Handgemenges«. Oder: »Da richtete sich Pawel jäh auf, und die Lider waren wie von transparenten Seilen an der Stirn aufgerafft.«

So weit, so gewohnt. Aber jetzt? Erscheint »Die Inkommensurablen«, Edelbauers dritter Roman in knapp dreieinhalb Jahren – und Du, Literaturkritik, versagst plötzlich. Mäkelst rum! Erstmalig! Hältst das zwar alles weiterhin für »glänzend« und »klaren Stil«, meinst aber, dass sich »da und dort kleine Fehler eingeschlichen« hätten; findest das Buch stur »faszinierend«, aber auch »faszinierend misslungen«; attestierst auf einmal »Manierismus«, ja stellst (mit dem Spiegel) die ganz großen bangen Fragen: »Mist oder Musil?«

Heißt das, dass Dir allmählich was schwant? Dass Du Lunte gerochen hast? Verdacht schöpfst? Dass Dir an Sätzen wie »Dessen Reaktion produzierte eine ungeheure Diskrepanz« oder »Junge Charmeure in Militäruniform liefen ein paar Mädchen nach, die sich beim Kaufen einer Brezel aus der Auslage eines groben Böhmen kokett umdrehten« irgendwas auf-, irgendwas missfällt – Du weißt nur noch nicht, was genau?

Und also R. Edelbauer bloß noch sieben oder acht Romane schreiben muss, bist Du in zehn oder elf Jahren auf dem Laufenden bist, was die Sprachmächtigkeit dieser Art von Literatur betrifft?

Na dann – durchhalten!

Wünscht Titanic

 Gute Idee, Porsche-Vorständin Barbara Frenkel …

Sie haben Ihre Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass die Regierung das (zufälligerweise auch von Porsche produzierte) synthetische Benzin, also E-fuels, subventionieren und somit billiger machen müsse. Denn: »Der Kraftstoff, den wir herstellen, ist viel zu teuer, als dass wir ihn so verwenden könnten.«

Dieser Superidee schließen wir uns gerne an: Wir tippen jetzt jedes Heft auf unseren eigens entwickelten »E-tools« (Kryptotinte), aber weil das doch aufwendiger ist als die Arbeit am PC, fordern wir dann gemeinsam mit Porsche Geld vom Staat, um die Heftkosten zu drücken, ja? Nein? Dann sehen Sie bitte endlich ein, dass Sie sich mit Ihrer ineffizienten Deppentechnologie auf dem Markt nicht durchsetzen werden, und sagen Sie Ihren peinlichen Brummbrumms Lebewohl.

Wünscht Ihnen keine gute Fahrt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Post vom Mediator

Beigelegt: ein Streit.

Andreas Maier

 Beim mittelmäßigen Zahnarzt

»Bitte weit aufmachen! Nicht erschrecken, meine Mundhöhlentaschenlampe ist mir vorhin ins Klo gefallen, ich muss eine Wunderkerze benutzen.«

Torsten Gaitzsch

 Marktregeln

Leuten, denen es in der Supermarktschlange nicht schnell genug geht und die deshalb eine unschuldige Mitarbeiterin ankeifen, fehlt das nötige Kassenbewusstsein.

Viola Müter

 Medienkritik

Ich kann diese Parfum-Influencer auf Youtube einfach nicht riechen.

Fabian Lichter

 It’s not a Bug

Als Gregor Samsa, Programmierer, eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett erfreulicherweise zu einem ungeheueren Feature verwandelt.

Christian Kroll

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 24.02.:

    Die Deutsche Welle über das Krieg-Spezial im aktuellen Heft und andere themenverwandte Titel (Artikel in russisch, aut. Übersetzung).

  • 10.02.:

    Spiegel berichtet: "EU-Untersuchung Russland soll Fake-'Titanic'-Titelseiten verbreitet haben"

  • 10.01.: "Der Teufel vom Dachboden" – Eine persönliche Pardon-Geschichte in der Jungen Welt von Christian Y. Schmidt.
  • 13.12.:

    Anlässlich des 85. Geburtstages Robert Gernhardts erinnert Christian Y. Schmidt in der Jungen Welt an den Satiriker und Vermieter.

  • 26.10.:

    Chefredakteurin Julia Mateus spricht über ihren neuen Posten im Deutschlandfunk, definiert für die Berliner-Zeitung ein letztes Mal den Satirebegriff und gibt Auskunft über ihre Ziele bei WDR5 (Audio). 

Sonneborn/Gsella/Schmitt:  "Titanic BoyGroup Greatest Hits"
20 Jahre Krawall für Deutschland
Sie bringen zusammen gut 150 Jahre auf die Waage und seit zwanzig Jahren die Bühnen der Republik zum Beben: Thomas Gsella, Oliver Maria Schmitt und Martin Sonneborn sind die TITANIC BoyGroup. In diesem Jubiläumswälzer können Sie die Höhepunkte aus dem Schaffen der umtriebigen Ex-Chefredakteure noch einmal nachlesen. Die schonungslosesten Aktionsberichte, die mitgeschnittensten Terrortelefonate, die nachdenklichsten Gedichte und die intimsten Einblicke in den SMS-Speicher der drei Satire-Zombies – das und mehr auf 333 Seiten (z.T. in Großschrift)!Wenzel Storch: "Die Filme" (gebundene Ausgabe)
Renommierte Filmkritiker beschreiben ihn als "Terry Gilliam auf Speed", als "Buñuel ohne Stützräder": Der Extremfilmer Wenzel Storch macht extrem irre Streifen mit extrem kleinen Budget, die er in extrem kurzer Zeit abdreht – sein letzter Film wurde in nur zwölf Jahren sendefähig. Storchs abendfüllende Blockbuster "Der Glanz dieser Tage", "Sommer der Liebe" und "Die Reise ins Glück" können beim unvorbereiteten Publikum Persönlichkeitstörungen, Kopfschmerz und spontane Erleuchtung hervorrufen. In diesem liebevoll gestalteten Prachtband wird das cineastische Gesamtwerk von "Deutschlands bestem Regisseur" (TITANIC) in unzähligen Interviews, Fotos und Textschnipseln aufbereitet.
Zweijahres-Abo: 117,80 EUR
Titanic unterwegs
23.03.2023 Köln, Comedia Max Goldt
23.03.2023 Neuruppin, Kulturhaus Martin Sonneborn mit Gregor Gysi
25.03.2023 Meinerzhagen, Stadthalle Martin Sonneborn
02.04.2023 Fürstenfeldbruck, Kunsthaus Greser und Lenz