Dax Werners Debattenrückspiegel: KW 2
Liebe Leser:innen,
es ist vermutlich keine Übertreibung: Die zurückliegende KW 2 gehörte zu den aufregendsten und gleichzeitig mental forderndsten Wochen dieses neuen Jahres. Erst sickerte am Donnerstag durch, dass die da oben wegen der ganz und gar nicht so geilen Infektionszahlen den nächsten Hyper-Mega-Ultra-Lockdown vorbereiten: Fern- und Nahverkehr sollen runtergefahren, Wirtschaft und Unternehmen zu mehr Home-Office genudget werden. Die Lockdown-Stellschrauben werden mal wieder ein paar Millimeter fester gezogen – ein mutiger Schritt, den ich selbstverständlich begrüße. Denn obwohl es natürlich stimmt, dass viele dreiste Angestellte die generösen Home-Office-Modelle zu oft für die Heimbeschulung und Betreuung des Nachwuchses ausnutzten: Bei vielen Arbeitnehmer:innen ist in den letzten neun Monaten der noch viel größere Schlendrian beim Thema Pendeln eingekehrt. Potenziell wertvolle Arbeitszeit im ICE wurde nur noch wenig bis selten für Vor- und Nachbereitung am IBM Thinkpad genutzt. Neue Arbeitsmodelle gemeinsam zu erproben lebt natürlich vom gegenseitigen Vertrauensvorschuss und den – man muss es leider so sagen – hat die Roundabout-2,5k-Brutto-Fraktion im vergangenen halben Jahr fürs Erste verspielt. So kann das absehbar erst mal nichts werden mit der schwarzen Null.
Entsprechend groß waren die Hoffnungen auf einen neuen CDU-Leader aus Brilon im Sauerland: Mit Friedrich Merz ist dieser halbgare Mitte-Merkel-Sozial-Larifari nicht zu machen, so der konservative Tenor entlang des deutschen Bible Belts von Baden-Württemberg bis Sachsen-Anhalt. Und ebenso groß war dann auch die Enttäuschung, dass die 1001 Delegierten, unter schwerstem Hackerbeschuss aus "Osteuropa und Afrika", Armin Laschet zu ihrem neuen Oberhaupt wählten. Denn, auch das gehört zur Wahrheit dazu, für viele Konservative ist Armin Laschet so etwas wie der Kevin Kühnert der CDU: Ein Radikaler, einer, der immer wieder mit dem Sozialismus liebäugelt, ein so gemütlicher wie gemeingefährlicher Träumer aus dem unberechenbaren Extremistenhort mit den drei verhängnsivollen Großbuchstaben: NRW, all caps. In der inoffiziellen Vereinspublikation der Werteunion (die Welt) hieß es entsprechend noch vor ein paar Tagen: "Merz ist der Kandidat der Mitte."
Die Bilder vom durchdigitalisierten Parteitag hatten aber noch eine andere Message im Gepäck: Die Zukunft macht sich mit Riesenschritten auf in die Gegenwart. Für manchen Landesverband vielleicht sogar mit etwas zu großen Schritten. Während der, durch zusammenchoreografierte Livestreams der singenden Delegierten, merkwürdig synthetisch wirkenden Nationalhymne, erzählten die Gesichter der neuen Führungsspitze der Christdemokraten eine ganz eigene Geschichte, irgendwo zwischen "Gottseidank den Sauerland-Trump verhindert" und nackter Angst davor, wie das Merz-Lager den Sieg des angeblichen Partei-Establishments medial wohl verwerten würde. Einen Vorgeschmack gab es gestern schon, als Robin Alexander gleichermaßen erschrocken wie erregt in den Raum stellte, ob sich Jens Spahns Webcam-Fauxpaus (wir berichteten im Live-Ticker) wohl noch zur neuen "Dolchstoßlegende" in der Union auswächst. Lieber Robin, nur ein Wort dazu: Be careful what you wish for.
Klar ist aber auch: Diamanten entstehen unter Druck. Das gilt nicht nur für Berufspolitiker, sondern auch für uns normale Menschen. Und Druck ist aktuell genügend da: Was als dringend notwendiger Patch für das Katastrophenjahr 2020 erwartet wurde (nämlich: das Jahr 2021), entpuppt sich schon in den ersten sechzehn Tagen verbuggter als das Hype-Computerspiel Cyberpunk 2077. Doch Krisensituationen sind selbstredend immer auch Chancen zur Veränderung. So ein katastrophales Jahr lässt sich natürlich nicht einfach nach 14 Tagen wieder im Playstation Store umtauschen, sondern ist jetzt einfach irgendwie erst mal da.
So wie Waldemar Hartmann in Leipzig. Hartmann liefert im bereits fortgeschrittenen Alter zur Überraschung vieler eine leuchtende case study für lebenslanges Lernen und eine tolle Geschichte über den Mut zur Veränderung, auch in schwierigen Zeiten. So unterstützte er den sächsischen Kult-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer bei seinem Wahlkampf 2019 (wusste ich zum Beispiel gar nicht!) und ist danach einfach nie wieder nach Bayern zurückgekehrt: "Seit dieser Zeit wohne ich mit meiner Frau in Leipzig. Wir haben die ostdeutsche Seele seitdem kennengelernt. Und vor allem verstehen wir sie von Tag zu Tag mehr. Diese ostdeutsche politische Sehnsucht hatte einen Namen: Friedrich Merz", hieß es gestern in seinem luziden 400-Zeichen-Gastbeitrag über den CDU-Parteitag im Cicero-Magazin. Chancen sehen und verwandeln, so in etwa könnte die hoffnungsvolle Botschaft ausgehen, die von dieser hübschen Anekdote ausgeht. Oder, noch knalliger:
Mehr Waldemar Hartmann wagen.
Bis nächste Woche,
Euer: Dax Werner
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