"Brechen Sie hernach die Scheren mittig mit der Hummerzange auf"
Die Fraunhofer-Gesellschaft, eine der renommiertesten Forschungsorganisationen des Landes, sieht sich schweren Vorwürfen ausgesetzt, die Staatsanwaltschaft München ermittelt. Es geht um überhöhte Reisekosten, teure Geschenke und Luxusessen. Einer der beschuldigten Forscher, der inzwischen entlassene Innovationsvorstand Alexander Kurz, meldet sich nun erstmals nach Bekanntwerden der Vorwürfe persönlich zu Wort, und zwar exklusiv in den TITANIC-Ressorts Wissenschaft, True Crime und Kulinarisches, deren Leitung ich seit gerade eben in Personalunion verantworte.
TITANIC: Sehr geehrter Herr Professor Kurz, was gibt's bei Ihnen so zum Frühstück?
Prof. Kurz: Nach dem Aufstehen erstmal ne Zigarette und ne Dose Red Bull, ich brauche das, um intellektuell in Schwung zu kommen. Danach meist ein Seitenbacher-Müsli, wegen diesen unerträglichen, in schlimmstem badischen Dialekt gesprochenen Radio-Werbespots, die ich nicht aus dem Kopf bekomme. Vielleicht noch ein Mate-Tee und ein Kinder-Country, das war’s.
TITANIC: Sie wissen aber schon, worauf wir anspielen …
Prof. Kurz: Ja, diese angeblichen Luxusessen. Wissen Sie, es war tatsächlich ein Luxus - aber nicht primär für unsere Gaumen, sondern in erster Linie für die Forschung. Wo sonst als im "Le Meurice" in Paris können Sie entspannt die These auf Evidenz prüfen, dass ein Menü im 7-Sterne-Restaurant wirklich besser schmeckt als einmal Pommes rot-weiß in Bernd’s Schlemmerbude? Ich bin von dieser These seit unserem Besuch absolut überzeugt, mein Vorstandskollege Professor Doktor Neugebauer ist seitdem gegenteiliger Ansicht, wobei seine ohne Zweifel stark degenerierten Geschmacksnerven die Zulässigkeit seiner Position erheblich in Zweifel ziehen. Zudem ist er zu 75 Prozent an Bernd’s Schlemmerbude beteiligt. Sie merken, in der Wissenschaft wird ergebnisoffen und leidenschaftlich um die besseren Argumente, um Lösungen gerungen.
TITANIC: Aber ist das nicht...-
Prof. Kurz: Zurück ins "Le Meurice", es gab natürlich weitere erkenntnistheoretische Fragestellungen, die uns den Flieger - es war übrigens ein ordinärer Linienflug und nicht die Concorde - nach Paris nehmen ließen. Sie erhalten dort nämlich binnen kurzer Zeit - naja, der Garçon hat schon ziemlich getrödelt - sehr valide Informationen darüber, wie man einen Hummer auf adäquate Weise verspeist. Das Ergebnis meiner Untersuchungen: Schneiden Sie den Schwanz an der Unterseite mittig ein, lösen Sie das Fleisch heraus und entfernen Sie die Innereien mit der Hummergabel. Brechen Sie hernach die Scheren mittig mit der Hummerzange auf und holen Sie das Fleisch behutsam heraus. Auch aus den Beinchen können Sie das Fleisch mit der Hummergabel herausholen. Die entsprechende Publikation ist aktuell noch im Preprint-Status, aber ich bin sehr optimistisch.
TITANIC: Und was ist mit den teuren Geschenken? Dr. Fraunhofer kommt für alles auf, oder wie?
Prof. Kurz: Ist das nicht die Definition von "Geschenk", dass jemand anders sie bezahlt?
TITANIC: Sie würden den Vorwurf der Korruption also zurückweisen?
Prof. Kurz: (lacht) Korruption, Schmorruption. Und selbst wenn, auch das ist ja im Übrigen ein hochinteressanter Forschungsgegenstand: Was macht das mit einem Menschen, wenn er sich Vorteile verschafft, auf die er keinen Anspruch hat, wenn er seine moralische Integrität in die Emeritierung schickt, sich Luxusreisen, teure Essen und echte Gauguins auf Kosten des Gemeinwohls gönnt? Für mich ist das ein blinder Fleck in der empirischen Wissenschaft, wir stecken da leider noch in den vergoldeten Kinderschuhen.
TITANIC: Sehr geehrter Herr Professor Kurz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Prof. Kurz: Und ich danke Ihnen für das großzügige Honorar.
TITANIC: Äh, wir hatten eigentlich gar keins vereinbart.
Prof. Kurz: (prustet) War doch nur ein Scherz! Ach, wie wunderbar selbstironisch ich manchmal sein kann.
David Schuh
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