Aus Eugen Egners Püppchenstudio
Das äußerste Sein
An der Bushaltestelle erscheint ein seltsam wirkender jüngerer Mensch männlichen Geschlechts, der durch die völlig unnatürliche, bis zum Blödsinn gezierte Art auffällt, wie er eine Zigarette raucht. Er scheint sich dabei an einer extrem exaltierten, geradezu empörend manierierten und wirklichkeitsfernen Vorstellung vom Zigarettenrauchen zu orientieren. Besonders in der Profilansicht kommt dies vollendet zur Geltung. Die Lippen närrisch gespitzt, hält der Raucherdarsteller die Zigarette mit Daumen und Zeigefinger am Filter, während er die übrigen Finger bis zum Anschlag abspreizt und den Arm entsprechend verkrampft hält (Bruchgefahr). Die Augen aller sind auf ihn gerichtet.
"Ja", sagt er mit blecherner Stimme, "dies ist meine erste Zigarette." Er muss, warum auch immer, beschlossen haben, sie jetzt und hier in der Öffentlichkeit zu rauchen. Die Frage ist allerdings, ob er sie tatsächlich raucht, denn seine spitzen Lippen berühren kaum den Filter, auch traut man ihm nicht die Kraft zu, die nötig ist, daran zu ziehen. Niemand hat je etwas dermaßen Unsinniges gesehen, einige der auf den Bus Wartenden werfen überfordert ihre Monatskarten zu Boden, daß es klatscht. Doch kommt es zu keinerlei Gewalttätigkeit, was durchaus für die Friedfertigkeit der Bewohner dieses verrufenen Landstrichs spricht. Alle spüren, das etwas geschehen muss, ohne dass jemand sagen könnte, was.
Die Zeit bis zum Eintreffen des Busses vergeht quälend langsam, das Sein wird aufs Äußerste gedehnt. Ein Ausleiern muß befürchtet werden. Da entwickelt der absurde Mensch mit der Zigarette vor unseren Augen ein Raucherbein. 'Das wäre doch nicht nötig gewesen', denken die meisten.
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